Erst seine offenbar immer noch nicht vollends überwundene Prostatakrebs-Erkrankung, dann die lähmende Pandemie: Joe Henry hatte in den letzten Jahren als Mensch und Musiker einiges durchzumachen. Trost fand er, wie schon so oft zuvor, in seiner Musik - mit einem spürbaren Unterschied. Noch nie waren seine Texte so persönlich, noch nie ließ sich der 62-jährige Amerikaner mit einer Platte so tief in die Karten schauen wie auf diesem, seinem inzwischen 16., einmal mehr kunstvoll auf das Nötigste reduzierten Werk als Solist, auf dem viele seiner klugen Gedanken um Irritation, Betroffenheit und Trauer kreisen. Inzwischen längst für die von ihm produzierten, mehrfach Grammy-prämierten Platten von Größen wie Elvis Costello, Mavis Staples, Bonnie Raitt oder Solomon Burke bekannter als für seine eigenen Alben, setzt der Kritikerliebling wie schon auf dem 2019 erschienenen Vorgänger "The Gospel According To Water" auch für "All The Eye Can See" auf das Zusammenspiel von Intimität und Naturbelassenheit und drückt dabei Folk, Blues und Jazz seinen ganz eigenen Stempel auf. Als gäbe es keine leichtere Übung für ihn, schüttelt er sich so, unterstützt von vielen alten Weggefährten, darunter Bill Frisell und Marc Ribot an den Gitarren, Keefus Ciancia am Piano, David Piltch am Bass und Patrick Warren an den Keyboards, die nächste atmosphärisch perfekt inszenierte, in jeder Sekunde ergreifende Americana-Glanztat aus dem Ärmel.