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27.09.2004
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Pain Of Salvation - Be

Pain Of Salvation - Be
InsideOut/SPV
Format: CD

To be or not to be: Diese wahrscheinlich mutigste unter den Prog-Band hat es sich und ihren Zuhörern nie künstlich leicht machen wollen - so ersparten beispielsweise die Texte ihres wohl bislang stärksten, wenn auch auf oft fast schon unerträgliche Art schönen Albums "Remedy Lane" es dem Konsumenten nicht, sich mit der (so von Sänger, Gitarrist und Hauptkomponist Daniel Gildenlöw erlebten) Tragödie einer Fehlgeburt auseinanderzusetzen, in deren Folge die Liebesbeziehung der dann-doch-nicht-Eltern zerbricht. Dass ein solches existenzielles Einbringen in die Musik von den Fans nicht ungünstig aufgenommen wurde, ist etwa an nur aufgrund dieses Albums gegründeten Internetforen ablesbar, in denen Menschen mit dem selben Schicksal sich vielhundertfach dafür bedankt haben, dass POS dieses Thema aufgenommen und damit auch für sie sagbar gemacht, einen Ring des Schweigens um sie herum durchbrochen haben.

Brillant musizierende Gutmenschen mit Anspruch also - so weit, so großartig. Dennoch entgeht nun dieses Album (der Nachfolger von "R. Lane", nach dem abermals zauberig-schönen Akustik-Live-Zwischenwerk "12:5", das Rezensent schon jetzt unter seine persönlichen Top 10 des Jahres zählen möchte) nicht dem Vorwurf, prätenziös zu sein. Sobald man "Be" in die Hand nimmt, anhört und im buchstarken Booklet zu lesen beginnt, begreift man, dass es ein Konzept gibt - ANSPRUCH formt sich unwiderruflich vor dem geistigen Auge, bevor man sonst etwas wahrgenommen hat. Dieses Konzept dreht sich um nichts Geringeres als um das Mysterium des menschlichen Daseins selbst. Und selbst wen die im Booklet mitgelieferte Liste von für dieses Album ausgelieferte Quellliteratur (mehr als für etliche Doktorarbeiten) noch nicht verstören, wer auch über den Belehrungen über die auf neun Seiten des vorläufigen Booklets ausgebreiteten 1 000 Fakten und (Zwangs-)Vorstellungen zu diesem Album angetrieben haben, noch nicht die Lust an Rockmusik verloren hat, der geht in der - teils traumhaft ästhetischen, aber immer wieder zerrissenen - Musikerfahrung dann spätestens doch zeitweise verloren.

Dass POS (eine der erklärten Lieblingsbands des Rezensenten) noch im finstersten Dunkeln leuchtende Musik und luzide Texte so zu verbinden verstehen, dass man manchmal vor Glück weinen möchte, ist bekannt. Doch immer wenn der Band auf "Be" gerade dieses Stück Magie gelungen ist, löst sie diese mit den permanenten, nervigen "Doku"-Einspielungen, Samples, Nachrichtendurchsagen etc. wieder auf, die dieses Album durchgängig kennzeichnen. Oder noch knapper: Was Daniel und Co. mit den Händen aufbauen (etwa der melancholische Zauber des Pianostücks "Pluvius Aestivus" - unter Lateinisch oder Altägyptisch geht hier halt gar nix), reißen sie permanent mit dem Arsch wieder ein. Das mag Bestandteil des (Brechtschen Desillusionierungs-)Konzeptes sein, ist aber trotzdem schade. Irgendwann mag man sich dem Kapitän auf dieser Reise halt nicht mehr hundertprozentig anvertrauen, sich nicht - wie ehedem - einfach treiben lassen. Dabei sind die besuchten Gestade hochspannend, z. B. mittelalterliche Musik ("Imago"), fette Kirchenorgelschwaden ("Omni"), Gospelanverwandlungen ("Nauticus"), Musicalfetzen ("Dea Pecuniae"), aber auch - gottseidank - POS-typischen Progmetal ("Nihil Morari") und Gildenlöw-Showpieces an selbstzerrissenem, wiewohl unglaublich ästhetischem Wohlklang ("Diffidentia" oder das sterbensschöne "Iter Impius" - inclusive neunköpfigem Kammerorchester) wehen vorbei. Auf der anderen Seite aber besteht etwa "Vocari Dei" im wesentlichen aus Nachrichten an Gott, die POS-Fans auf einen Anrufbeantworter aufgesprochen haben, garniert im Ambient Dub Mix. Das tut schon teilweise echt weh.

Vorläufiges amtliches Endergebnis: Vom reinen CD-Erleben aus betrachtet schwankt man permanent zwischen Wolllust und Irritation. Als vertontes Dokudrama hingegen LIVE genossen (wie das die Einwohner von Gildenlöws schwedischer Heimatstadt drei Wochen lang zu insgesamt zwölf Gelegenheiten konnten) mag die Gleichung ja plötzlich aufgehen und die größte Konzeptshow nach "Operation Mindcrime" ergeben. Eine für Anfang 2005 geplante DVD des Ereignisses soll und wird es erweisen...



-Klaus Reckert-


 

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