Gleich vorweg: "Visitations" ist eine grandiose Platte. Eine dieser Platten, die in ihrem genialen Wahnsinn alles in Grund und Boden spielen, was sich auch nur auf Wurfweite nähert. Grundiert auf den Sounds der 60er, auf den Psychedelia der Doors und der Byrds, aufgestockt durch die unbedarfte Unbedingtheit der frühen Punkzeit (siehe die Gesamtspielzeit: gerade mal 30 Minuten!) und garniert mit dem Zuckerguss der tanzbaren Rhythmen. Clinic sind die wohl unbestritten beste zeitgenössische Liverpooler Band, und klingen doch eher so, als kämen sie gar nicht von der Insel, sondern aus Kanada, dem Mittleren Westen, Berlin oder sonst irgendwas fürchterlich angesagtem. Nein, das totgehypte Liverpool ist ihre Heimat, und Clinic geben der gebeutelten Stadt wieder Hoffnung.

Sie graben nach den Wurzeln von Jazz und Blues, klingen eigenwillig wie Idiosynkraten à la The Residents, Sänger Ade Blackburn knödelt seine Texte runter wie nichts Gutes, lässt ein paar affige Laute folgen, und man zappelt wie blöd auf der Tanzfläche zu den Geräuschen von durch Holz schrabenden Sägeblättern ("Children Of Kellogg"). Dazu kommen Kirchenhall, verzerrte Orgeln und Soundgadgets, die man schon längst im Orkus der Geschichte verschwunden glaubte (PowerPoint-Geblubber bekommt hier wieder einen Sinn). Dazu machen sie auch noch ausgesucht unterhaltsame Videos, zum Beispiel zum Punkknaller "Tusk" und dem psychedelischen "Harvest (Within You)". Wie schön, dass Clinic angekündigt haben, ab jetzt jedes Jahr ein neues Album aufzunehmen - sollten sie weiterhin so viele Ideen haben und diese so gelungen verwursten, dürfte einem nachhaltigen Erfolg nichts im Wege stehen. Und dann? Ziehen sie mit ihren OP-Masken in die Charité zu Berlin.