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Chelsea Wolfe - She Reaches Out To She Reaches Out To She

Platte der Woche

KW 06/2024


Chelsea Wolfe - She Reaches Out To She Reaches Out To She
Loma Vista/Universal
Format: LP

Mit ihrem nunmehr auch schon wieder siebten Album empfiehlt sich Chelsea Wolfe - frisch gestärkt durch einen lukrativen Labelwechsel - zum wiederholten Male als veritable weibliche Alternative zu Trent Reznor. Natürlich nicht in dem Sinne, als dass sie es ihm musikalisch gleichzutun sucht, sondern indem sie mit derselben kreativen Attitüde zu Werke geht, wie der Meister. Warum - so sagte sich Chelsea wohl - sollte man auf ordentliches Songwriting und produktionstechnische Zugänglichkeit verzichten, nur weil in der eigenen musikalischen Weltsicht Düsternis, Dystopie und Depression dominieren? Irgendwie scheint sich die Idee, neben den üblichen Darkwave-Ingredienzen eben auch konventionelle Songstrukturen, Melodien und empathischen Gesang zuzulassen auch thematisch ausgewirkt zu haben. So lauscht Wolfe zwar zunächst den "Whispers In The Echo Chamber", wandelt durch das "House Of Self-Undoing", betrachtet die Welt mit "Eyes Like Nightshade" und reibt sich "Salt" in die (seelischen) Wunden - aber dann ergibt sich in Songs mit Titeln wie "Everything Turns Blue" (and not Black!), "Tunnel Lights" und gar "Place In The Sun" eine bis dato eher ungewohnte Perspektive, die eben nicht mehr alleine in den Abgrund zielt.

Laut Chelsea Wolfe geht es bei dem Album um das Mysterium der Selbstfindung im Kontext der Zeit - bei der die persönliche Entwicklung (wie auch das Leben) nicht in einer linearen, sondern eher einer zirkelnden Bewegung voranschreitet. Auch wenn sich das nicht raushören lässt, ist Chelsea der Auffassung, dass sich auf diesem Album das Ich der Vergangenheit mit jenem der Gegenwart in Richtung der Zukunft weist, um "Veränderung, Wachstum und Führung hervorzurufen". Ein Christmas-Carrol ist dabei trotzdem nicht rausgekommen. Der ebenfalls zirkular angelegte Titel des Albums "She Reaches Out To She Reaches Out To She" veranschaulicht diesen Ansatz dann aber noch mal explizit. Letztlich ist das Ganze dann auch als Manifest des Empowerment zu sehen, denn die unterschwellige Botschaft des Albums ist die, dass der Weg zur Erleuchtung letztlich im Selbst zu suchen ist. So sieht also die Selbstfindungs-Phase eines musikalischen Nachtschattengewächses aus - und das schlägt sich dann auch auf der musikalischen Ebene nieder.

Das ist allerdings eher folgerichtig denn verwunderlich, denn das Album entstand weitestgehend in den Lockdowns der Pandemie und über die Distanz. Ersteres erklärt den reflektiven Charakter des Materials und letzteres den Patchwork-artigen Charakter der Produktion. Hier wurden die organischen Beiträge der beteiligten Musiker (Ben Chisholm, Drummerin Jess Growrie und Gitarrist Bryan Tulao), elektronische Elemente, Soundeffekte, selbstgebaute Samples und letztlich der Gesang von Produzent Dave Sitek zunächst ein Mal seziert und dann wieder zu einem letztlich schlüssigen Ganzen verquickt. Auch wenn dann letztlich immer noch vieles dräut, droht, verschreckt und verstört sind es dann vor allen Dingen die versöhnlichen Aspekte, die sich musikalisch in Trip-Hop- und Dreampop-Szenarien und im Falle des vorletzten Tracks "Place In The Sun" als klassische Torchsong-Ballade manifestieren, die aufhorchen lassen. Der letzte Song "Dusk" machte - trotz des orgiastischen Climax - sogar als Pop-Song Sinn, denn das ist wohl der erste Song von Chelsea Wolfe, den man vor allen wegen melodischer Aspekte nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Tatsächlich ist dieses Werk dann sogar eine direkte Weiterentwicklung des letzten Albums "Birth Of Violence" mit dem Chelsea Wolfe erstmals den stimmungsmäßigen Reset wagte - allerdings nicht in Richtung Folkroots, sondern des klassischen Wolfe-Settings.


-Ullrich Maurer-


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