Das Konzept dieser Robert-Wilson-Produktion des Bühnenstückes POEtry am Hamburger Thalia-Theater ist mindestens genauso interessant wie das Ergebnis: In den Liner Notes stellt Lou Reed Überlegungen an, die eine recht erstaunliche, aber letztlich logische Beziehung des Autors Edgar Allen Poe für unsere Zeiten herstellen. Reed geht so weit, Poe als "Vater von Hubert Selby und William Burroughs" zu bezeichnen. Sogar sein eigenes Songwriting führt er indirekt auf den Einfluss des fragenden Philosophen Poe zurück. Auch wenn man sich bei all dem noch einen Gutteil H.P. Lovecraft hinzudenken sollte: Das hat schon was. Musikalisch ist dieses Album erst im Mix der verschiedenen Zutaten erfolgreich. So gibt es Rock-Songs, zu Ambient-Soundscapes vorgetragene Gedichte (u.a. von den beteiligten Schauspielern Willem Dafoe, Elizabeth Ashley und Steve Buscemi), Jazz-Tracks, Instrumentals, und auch elektronische Experimente. Dazu hat Reed neben seiner Band eine eklektische All-Star-Cast versammelt - mit so unvereinbar scheinenden Charakteren wie den Blind Boys Of Alabama, David Bowie, Kate & Anna McGarrigle, Ornette Coleman oder Laurie Anderson - die jedoch bei genauerem Hinhören exzellent besetzt sind. Der Atmosphäre besonders zuträglich sind schließlich Jane Sapartonis einfühlsame String-Arrangements. Wie aber angedeutet: Losgelöst machen die einzelnen Parts nicht unbedingt viel Sinn. Sicher, es gibt die eine oder andere positive Überraschung: Lange grübelt man z.B. darüber, was uns diese entleibte, ätherische aber evokative Version ausgerechnet von "Perfect Day" in diesem Zusammenhang sagen möchte? Und das ist ein gutes Zeichen. Letztlich aber entwickeln viele der Tracks ihre Bestimmung erst im Zusammenwirken mit den anderen Stücken. Insbesondere Reeds eigene Rock-Dröhnungen sind z.B. alleinstehend merkwürdig schematisch zusammengeschraubt - kommen aber als Intros oder Überleitungen punktgenau zur Landung. ABER: En Bloc genossen ist diese Scheibe ein grandioser, unberechenbarer, paranoider und dunkelschwarzer Soundtrack, der den maladen Phantasien des Meisters recht gut ansteht. Und Willem Dafoe schmachtet so eindringlich nach "Lenor" wie seit Vincent Price niemand mehr!
Das Werk erscheint als limitierte Doppel-CD mit 18 Musik- und 18 Spoken-Word-Stücken und als verdichtete Einzel-CD (die indes alle Musik-Stücke enthält).