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Tonträger-Review
 
Martin L. Gore - Counterfeit 2

Martin L. Gore - Counterfeit 2
Mute/Virgin/EMI
Format: CD

Martin L. Gore ist zurück. Der Mann, der als Mitbegründer, zweite (Solo-)Stimme und - seit dem bereits sehr früh erfolgten Band-Ausstieg von Vince Clarke - auch beinahe 100%ig alleiniger Songschreiber von Depeche Mode bekannt, bewundert, geliebt, verehrt - ja, aus dem Synth-Pop-Kosmos schlichtweg nicht wegzudenken ist und trotzdem meist aus dem Halbschatten, immer einen Schritt hinter Frontman Gahan, heraus agierend, von Nicht-Fans oftmals nur als "Wer? Der Blonde? Ist der wichtig?" wahrgenommen wurde (und wird), ist zurück. Würde ich an Gott glauben, käme Martin L. Gore gleich nach ihm. Da ich nicht an Gott glaube, muss er sich seinen Platz mit Trent Reznor teilen.

"Counterfeit 2" ist Martin Gores erstes neuerliches, von fanatischen AnhängerInnen schon seit langem ungeduldig erwartetes Wandeln auf Solo-Abwegen seit der Veröffentlichung von "Counterfeit" im Jahr 1989. Handelte es sich bei diesem ersten Alleingangs-Tonträger noch um eine "bloß" sechs Lieder umfassende EP, bietet Herr Gore heute ein vollständiges, ganze elf Songs beziehungsweise 47 Minuten und 13 Sekunden umfassendes Album. Nichts geändert hat sich hingegen am Auswahlprozess der Stücke: Da Martin Gore nicht willens (= nicht selbstsüchtig genug) ist, seine für Depeche Mode bestimmten Songwriter-Fähigkeiten für eigene Zwecke, also zum eigenen und alleinigen Nutzen zu missbrauchen, greift er auch diesmal wieder auf bereits vorhandenes Material zurück. Covern hat schließlich noch selten geschadet, und so konnte er sich auch gleichzeitig des Zwangs und der Qual einer neuerlich schweren Wahl eines geeigneten Albumtitels entledigen.

Natürlich ist "Counterfeit 2" musikalisch gesehen aber keine simple Fortsetzung der Vorgänger-Platte. Ganz im Gegenteil - und damit komme ich auch schon zum crucial part: Ja, ich gebe zu, Martin L. Gore anzubeten. Aber ich glaube gleichzeitig auch, dass Gott fehlbar ist. Wer mit "Counterfeit" glücklich war, könnte mit "Counterfeit 2" ziemlich unglücklich werden. Die Betonung liegt auf "könnte", denn in Wahrheit ist alles eine Frage des Geschmacks. Oder der Zeit. (Bis die Vertrauensbasis zu Depeche Modes letztem Album "Exciter" stand, dauerte es in meinem Fall über ein Jahr. Mittlerweile kann ich mir das überdurchschnittlich lange Anhalten dieses blinden Flecks beim besten Willen nicht mehr erklären.)

"Counterfeit 2" ist insgesamt gesehen eine eher ruhig gehaltene, voll zirpender, zurrender, zerrender, mehr in Richtung minimaler als ausufernder Elektronik gehende Platte. Funktionierte bei "Counterfeit" anno 1989 bereits der Opener "Compulsion" als äußerst positiv-impulsiver Schub nach vorne, erzeugt diesmal erst Track 5, das furchtbar gut gecoverte "Loverman" - im Original (und ganz unverkennbar) von Nick Cave - einen ähnlichen Effekt. Clicks und Cuts, härtere Kicks, kühlere Synth-Nebel und scharrend-kratzende Background-Geräusche begleiten Gores immer wieder gedämpft oder leicht verzerrt klingenden Vocals, wodurch zum Beispiel Brian Enos "By The River" plötzlich in ungewohnt harsches Gewand gekleidet scheint und auch "Stardust" von David Essex vorher nicht dagewesene Ecken und Kanten verpasst bekommt.

Andere Stücke gewinnen dafür an Energie, wie etwa das von Piano und Streichern begleitete und mit kraftvoller Stimme wundervoll interpretierte "Lost In The Stars" (Kurt Weill), "Das Lied vom einsamen Mädchen", das zwar nicht erkennen lässt, dass der Sänger einige Zeit seines Lebens in Berlin verbracht hat, sich dafür aber im Vergleich mit dem Original (Nico) als schon dringend nötig gewesene Neu-Version herausstellt oder "Oh My Love", das bei Martin Gore die von John Lennon erzeugte, geradezu langweilige Schüchternheit gegen bitter-süße Unschuld eintauschen darf.

Ein Grund für die Befürchtung, dass es für "Counterfeit 2" einer längeren Akklimatisierungsphase bedarf, liegt vielleicht auch im noch nicht so fortgeschrittenen Alter der Originale (neben den schon genannten u.a. "Candy Says" von Lou Reed, Iggy Pops "Tiny Girls" oder "In My Other World" by Julee Cruise), denen man im Alltag leichter unvorhergesehen über den Weg läuft, als das noch bei Solo-Platte Nr. 1 der Fall war. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Martin eben doch besser Songs schreiben, als anderer Leute Werke interpretieren kann (oder wir uns das zumindest so wünschen). Und mitunter spielt auch die Angst vor einem möglichen, wenn auch nur unter Fans ausgetragenen Konkurrenzkampf Gore-Gahan (Dave Gahan veröffentlicht sein erstes Solo-Album im Juni) eine Rolle. In meinem Fall ist es wahrscheinlich ganz einfach der temporäre Unmut über Martin Gores aktuellen Haarschnitt. Aber schließlich kann auch Gott nicht immer perfekt sein.



-Kerstin Kollmann-




Hinweis:
Tonträger mit Kopierschutz, läuft evtl. nicht bzw. nur eingeschränkt in CD-ROM/DVD-Laufwerken.


 
 
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