Dem Griechischunterricht erfolglos entronnen, bleibt manchmal doch etwas hängen. Zum Beispiel die Geschichte von Dädalus und Ikarus, die auf Kreta festgehalten werden. Die Flucht über das Meer scheint aussichtslos und so kreiert Dädalus für sie Flügel aus Federn und Wachs. Was im wahren Leben nicht klappt, gelingt. Sie können fliegen, aber nur solange sie nicht zu hoch oder zu tief fliegen, damit weder die Hitze der Sonne noch die Nässe des Meeres ihnen etwas antun kann. Zuerst geht alles gut. Doch dann packt Ikarus der Übermut. Er fliegt zu hoch, das Wachs seiner Flügel schmilzt, die Federn lösen sich, er stürzt ins Meer und stirbt. Als Andenken an seinen Sohn nennt Dädalus, dem die Flucht gelingt, die Insel auf der er ihn beerdigt, Ikaria.
Ein bedeutungsträchtiger Name also, den sich die vier Wahlberliner gegeben haben. Mit "Repair My History" erscheint nun ihr acht Track langes Debütalbum. Das Album eröffnet gleich mit der Singleauskopplung "Ease". Vorsichtig und nur langsam fordernd bereitet es auf das, was die nächsten vierzig Minuten kommen wird, vor. Diese Band drängt sich mit ihren Liedern nicht auf. Vielmehr ist es ein zaghaftes, höfliches Anklopfen an den Gehörgang. Lässt man Ikaria rein, sind sie gute Gäste, die eine Menge mitgebracht haben. Erstaunlich akribisch durchdachte Songstrukturen, unkonventionelle Beats, umrankende Gitarren, mal weiche mal knarzende Bassläufe und ein Gesang irgendwo zwischen Resignation und dem großem Aufbruch, machen dieses Album zu etwas besonderem. Auch wenn man nicht viel von diesem Referenzband-Denken hält, so schwirren doch permanent Namen beim Hören durch den Kopf, die aber so schnell wie sie gekommen sind auch wieder verschwinden. Ikaria ist eine Band der Gegensätze. Und auch wenn der Spruch "Gegensätze ziehen sich an" wissenschaftlich so gut wie widerlegt ist, so funktioniert das auf "Repair My History" wunderbar. Sie ziehen sich nicht nur an, sie fusionieren sogar und bilden somit ein wirklich interessantes Klangerüst.
Bleibt man bei der Dädalus / Ikarus Assoziation, so sind die beiden Extreme Indie und Post-Rock, zwischen denen die Wage zu halten ist. Im Gegensatz zur ursprünglichen Geschichte gelingt der Band dieser Balanceakt ohne die Flügel zu verlieren. Das ist vielleicht kein Happy End, aber auf jeden Fall ein guter Anfang.