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24.03.2006
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CALEXICO

Gartenarbeit

Calexico
Trotz zahlreicher Nebenjobs - zuletzt als Gastmusikanten auf der Neko Case-CD "Fox Confessor Brings The Flood" - finden Joey Burns und John Convertino auch immer wieder mal Zeit, neue Calexico-Songs einzuspielen. Nicht nur das: Das neue Werk, "Garden Ruin", stellt im Vergleich zu den bisherigen Alben eine Art Runderneuerung dar. Mariachi im großen Stil, instrumentelle Interluden, experimentelles Genre-Hopping - all das gehört der Vergangenheit an und wurde nahtlos ersetzt durch ausformulierte, variantenreiche, prägnante Songs. Zu "Hot Rail"-Zeiten erzählte und Joey Burns noch, dass es eigentlich prinzipiell nur darum ginge, existierende Songs aus der Luft zu fischen. Gilt das immer noch? "Nun, wir hatten nicht nur fertige Songs bei den jetzigen Sessions", schränkt er ein, "es gab zwar einige Ideen, als wir ins Studio gingen, aber wir schauten dann zunächst einfach mal was passiert. Zum Beispiel im Falle der Stücke, die wir mit Neko für deren CD aufgenommen haben. Wenn wir überhaupt etwas geprobt haben, dann ein Grundgerüst, auf dem wir dann aufbauten. Das macht eine Menge Spaß."

Was ist denn aus den Brüchen geworden, die bislang Calexico-CDs auszeichneten? Den Instrumentals und den Partien, die zuweilen Hörspielcharakter hatten? Diese hatten doch einmal eine Funktion. "Also es ist schwer zu erahnen, was passiert, wenn man erst mal mit den Aufnahmen angefangen hat", überlegt Joey, "es macht aber Spaß, einfach ins Unbekannte zu marschieren. Wann kann man heutzutage so etwas ansonsten schon tun? Es ist ja heute doch immer alles vorbestimmt und programmiert. Also muss man solche Gelegenheiten nutzen. Manchmal gibt es gar keine Songstruktur. 'Panic Open String' z.B. ist einfach im Studio passiert. Außer dem Text haben wir nachher nichts an dem Stück verändert. Es ist eine Art magischer Moment, wenn man etwas zum ersten Mal aufnimmt. Schade nur, dass ich nachher nie wieder so singen kann, wie bei der ersten Aufnahme. Das war das Gleiche bei 'Not Even Steve Nicks'. Andererseits gibt es auch Stücke, die einfach ein bisschen Arbeit brauchen. 'Letter To Bowie Knife' z.B. haben wir auf Tour ausprobiert, bevor wir es dann einspielten. Mit 'Lucky Diamond' haben wir das auch versucht - es hat aber nicht funktioniert, so dass wir wieder zu der ursprünglichen Version zurückgekehrt sind. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass wir ins Unbekannte gegangen wären. Besondere Experimente waren da gar nicht mehr nötig." Wie erreicht man solch ein Level? "Es geht darum, sich wohl zu fühlen und alle gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Man muss mit dem Fluss gehen und sich treiben lassen. Die neue Scheibe schlug dabei einen Bogen von den Proben und Aufnahmen im Wavelab-Studio in Tucson und dann in Bisbee über die Touren in den USA und den Staaten mit Wilco und Iron & Wine bis zum Mischen in Brooklyn, New York. Die Scheibe hat also eine Art Reise hinter sich. Und: Wir hatten unseren Freund, den Produzenten J.D. Foster gebeten, die technischen Aspekte zu übernehmen, so dass wir uns ganz auf das Musizieren konzentrieren konnten." Das Interessante an "Garden Ruin" ist der Umstand, dass die Songs untereinander vollkommen verschieden sind - obwohl natürlich der unverkennbare Calexico-Sound die Basis bildet. Was hält die Stücke denn zusammen? "Hm. Außer dem Umstand, dass die Musiker dieselben sind und alles im selben Studio aufgenommen wurde, ist es meiner Meinung nach eine persönliche Offenheit und Aufrichtigkeit bei den Aufnahmen", erklärt Joey, "es gibt darüber hinaus dieses Mal so viele verschiedene Themen, dass ich es okay finde, dass es keine Instrumentals gibt. Wir haben dieses Mal sehr viel Abwechslung. Aber andererseits war das ja immer das Schlüsselelement unserer Band. Wir haben ja auch dieses Mal alle möglichen Einflüsse eingeschlossen - es hat sich halt nur der Schwerpunkt auf die Songs verlagert."

Wie wichtig sind denn heutzutage Zufälle für Calexico? Die Arrangements der neuen Stücke klingen ja nun nach allem anderen als nach Zufallsprodukten. "Andererseits gibt es aber auch viele Improvisationen", schränkt Joey ein, "es gibt also schon noch diese Zufälle. Aber du nimmst sie nicht mehr als Unfälle wahr. Der Gedanke, die Musik sich selbst zu überlassen und ihr zu folgen, war aber wirklich der Kernpunkt bei der neuen Scheibe. Wir haben schließlich vieles von dem, was wir früher machten, über Bord geworfen. Speziell die Arrangements. Hier haben wir schlicht neue Sachen versucht. Nimm z.B. 'All Systems Red' - das ist live im Studio entstanden und es gibt auch nur diese eine Version von diesem Stück. Da gab's zum Beispiel einen Unfall, bei dem John sich seinen Finger blutig schlug, weil er zu intensiv spielte. Ich kann mir keinen schöneren Unfall vorstellen." Das Ergebnis ist dann der allzu seltene Fall eines brillant eingefangenen Live-Sounds - bei Studio-Aufnahmen eher die Ausnahme. "Wir versuchen immer den bestmöglichen Sound hinzubekommen", führt Joey dann auch aus, "dazu gehört unser Raum-Klang, zu dem besonders Johns Drum-Sound gehört. Wir haben J.D. Foster eingeladen, um sicherzustellen, dass das passiert. Er hat sich auch um die technischen Aspekte gekümmert und er war die unbeteiligte dritte, neutrale Meinung, die notwendig ist, damit du den Überblick behältst. Und er hat uns ermutigt, ab und an noch mal den notwendigen, zusätzlichen Versuch zu machen. So etwas zahlt sich aus. Denn machen wir uns doch nichts vor: Es ist etwas anderes, ins Studio zu gehen als in den Proberaum." Wer spielt auf der neuen Scheibe mit? "Rob Burger von Tin Hat Trio spielt Orgel", listet Joey auf, "dann ist natürlich die komplette Calexico-Band, mit der wir nun schon seit einiger Zeit zusammen spielen, dabei. J.D. Foster spielt mit und auch Nick Luca. Dann haben wir auf dem Stück 'Roka - Dance Of The Dead' - dem Track der das meiste Latin-Feeling hat - Amparo Sanchez aus Barcelona mit ihrem kubanischen Ehemann Muñeco zu Gast, die man von ihrer eigenen Band Amparanoia kennt. Und Roberto Mendoza aus Mexico ist auch mit von der Partie." Worum geht es denn in diesem Stück? "Es geht um illegale Einwanderer", verrät Joey, "es basiert auf diesem John Fahey-Stück. Es geht auch um den mexikanischen Totenkult, bei dem die Vorfahren verehrt werden. Ich habe mir dann einen Text einfallen lassen und dachte mir, dass es doch cool wäre, spanisch singende Gäste darauf zu haben. Heutzutage ist das ja alles kein Problem mehr. Wir haben dann halt Dateien durch die Gegend geschickt. Ach ja: Das war dann auch eine der wenigen Gelegenheiten, die wir als Amerikaner aufgrund der politischen Gegebenheiten haben werden, mit einem kubanischen Musiker wie Muñeco zusammenzuarbeiten." Und wie entstand der französische Track "Nom De Plume"? "Der entstand in Tucson", schmunzelt Joey, "ich weiß auch nicht warum, aber da gibt es diese French-Tucson Connection. Wir haben viele Freunde in Frankreich - unter anderem unsere Freundin Marianne, die u.a. auf 'Ballad Of Cable Hogue' gesungen hat und die auch mit uns auf Tour war. Und ihr Ehemann, mit dem ich kürzlich gearbeitet habe. Ich habe sie gebeten, diesen Song auf Französisch zu übersetzen, was übrigens J.D.'s Idee gewesen war. Das trug dazu bei, dieses Stück weg von unserer üblichen Südwest-Mentalität zu bekommen. Jetzt fragen wir uns schon, was wir als nächstes machen. Vielleicht ein Stück auf Deutsch singen?" Das wäre sicher eine gute Idee, denn Joey spricht es schon ganz gut. "Ja, Christoph von City Slang arbeitet ja mit ein paar interessanten deutschen Bands. Mein Favorit ist dabei The Notwist, deren 'Neon Golden' wir ja auch schon mal gespielt haben. Vielleicht ergibt sich da was. Ich wäre immer für eine Zusammenarbeit offen."

Das Covermotiv ist ein interessantes Gemälde, das einen schwarzen Raben zeigt, der sich in einer Art Geäst verfangen hat. "Ja, das haben wir in Auftrag gegeben bei einem Künstler, den wir im Internet gefunden haben und den wir sehr mögen. Sein Name ist James Jean und was wir an ihm mögen ist, dass seine Bilder immer ein wenig unfertig aussehen. Man hat den Eindruck, man könne als Betrachter an dem kreativen Prozess teilhaben und das ist sehr interessant. Wir haben ihm die Texte und die Musik gegeben und er hat seine Interpretation davon umgesetzt. Allerdings hatte er zuerst einen Finken im Sinn gehabt - einen süßen kleinen Singvogel. Da haben wir ihm gesagt, dass es uns Leid täte, aber der Vogel auf dem Cover müsse schon düster und unheilvoll sein. Da musste er dann noch mal beigehen. Das ist ein wenig komisch, da ich immer diesen Plastikraben mit auf Tour nehme, der immer auf meinem Verstärker sitzt. Das hat aber eigentlich nichts miteinander zu tun. Der Vogel auf dem Cover ist ein Jäger, der sich über der Stadt bewegt." Was ist für Joey und John für die nahe Zukunft in der Pipeline? "Wir haben kürzlich mit Nekos Pedal-Steel-Gitarristen John Rauhouse aufgenommen. Er hat schon ein paar Solo-Scheiben gemacht, die ziemlich gut sind. Sophie & Stephens haben dieses Projekt, wo sie für jeden Bundesstaat ein Album aufnehmen wollen. Michigan und Illinois sind schon bearbeitet. Ich würde gerne bei der Arizona-Scheibe mitarbeiten. Dann habe ich noch mit Richmond Fontaine aufgenommen, weil J.D. Foster die auch produziert und dann werde ich einige der neuen Stücke von unserer Scheibe als Akustik-Versionen aufnehmen, damit wir etwas Spezielles auf der nächsten Tour anbieten können. Auf der Tour werden wir übrigens zu sechst auftreten und zusammen mit Iron & Wine spielen. Und dann haben wir noch unsere Geheimwaffe namens Salvador Durand. Er ist aus Mexico und er ist ein Straßenmusiker, den wir in einer Hotel-Lobby getroffen haben. Er ist so eine Art Ein-Mann-Band mit einer unglaublichen Stimme. Er macht solch einen Krach, dass manche sagen, die Musik von Salvador Durand könne einen ankommenden Zug aufhalten." Auf "Garden Ruin" können wir also neue Facetten von Calexico entdecken, die den eh schon nicht eben beschränkten musikalischen Horizont von Joey Burns und John Convertino nochmals in mehrere Dimensionen ausweiten. Was ehemals mit "Spoke" als Neben-Projekt begann, hat sich im Laufe der Jahre zu einer festen musikalischen Größe entwickelt, die heutzutage selbst maßgeblich stilbildend wirkt. Was kann man mehr von einem "Hobby" erwarten?

Weitere Infos:
www.casadecalexico.com
www.myspace.com/casadecalexico
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Calexico
Aktueller Tonträger:
Garden Ruin
(CitySlang/Rough Trade)
 

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