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27.10.2006
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SOPHIA

Die Schule der großen Enttäuschung

Sophia
Ein Gespräch mit Robin Proper-Sheppard ist immer auch ein bisschen so wie eine Therapiestunde. Ob für Robin, den Gesprächspartner oder für beide stellt sich dabei immer erst mit der Zeit heraus. Anlässlich der neuen Sophia-Scheibe, "Technology Won't Save Us", gibt es auch einigen Erklärungsbedarf. Das Werk erscheint ungefähr ein Jahr später als angedacht, ist in einer absoluten Minimal-Besetzung eingespielt worden und enthält gleich drei Instrumentals (darunter eine weitere Hommage an Robins Fun-Projekt, The Mayqueens). Dennoch ist es im Nachhinein erstaunlich, wie viel Robin zu erzählen hat. Über eine Stunde redet er - praktisch ohne Punkt und Komma - über jeden Aspekt seines neuen Werkes, der ihm gerade in den Sinn kommt. Sogar, als er bereits im Taxi sitzt, hat er noch eine Idee: "Hoffentlich kommt ihr mit dem Material zurecht", witzelt er, aus dem Fenster gestikulierend, "vielleicht schickt ihr mir eure Fragen noch mal per eMail, dann kann ich die Antworten noch mal durchstrukturieren." Nun, ganz so schlimm ist es ja nun doch nicht - es zeigt indes eines: "Technology Won't Save Us" war, obwohl es eine durch und durch typische und konsequente Sophia-Scheibe geworden ist, alles andere als eine leichte Geburt.

Gleich der Titeltrack ist ein gutes Beispiel hierfür. Robin schrieb diesen Song mit einer Geschichte im Kopf: Ein Vater und sein Sohn können beim Watt-Wandern im Nebel den Weg nicht mehr zurück ans Ufer finden - obwohl der Vater mit seinem Handy im Kontakt mit den Rettungskräften steht. Sie ertrinken - die Technologie konnte sie nicht retten. Das eigenartige dabei: "Technology Won't Save Us" ist zwar aufgrund seiner reichhaltigen Orchestrierung das teuerste Stück Musik, das Robin je aufgenommen hatte - aber es hat keinen Text. Es ist ein Instrumental. "Weißt du, ich habe da ein Problem", meint Robin stöhnend, "die Arbeit an diesem Song habe ich schon vor Jahren begonnen und ich dachte immer, ich hätte auch Worte dafür. Aber ich konnte nichts schreiben, was der Geschichte gerecht würde. Mir fällt es sehr leicht, Songs über mich selbst zu schreiben - auch wenn die Leute meinen, ich müsste mich unwohl fühlen, wenn ich so persönliche Sachen schreibe. Das ist aber nicht der Fall. Aber ich kann zum verrecken keine Songs über andere Leute schreiben. Das bekomme ich einfach nicht hin. Also ist es ein Instrumental geworden - ein Instrumental mit einer Geschichte." Das ist zwar einerseits nachzuvollziehen - wenn man sich Robins restliches Oeuvre anschaut - aber andererseits widerspricht er sich insofern, als dass er mit "Lost (She Believed In Angels)" ein Stück auf der neuen Scheibe hat, das nicht nur von seiner Mutter handelt, sondern sogar aus deren Perspektive geschrieben ist. Hierzu sollte man wissen, dass Robins Mutter vor einigen Jahren an Krebs verstarb und Robin dabei war, als dies geschah. "Das sind sogar ihre Worte, die ich da verwende", bestätigt Robin, "und ja, der Song ist aus ihrer Perspektive geschrieben. Aber ich muss sagen, dass dies der leichteste Song für mich war. Es hatte hier nur Bedenken, dass die Leute den Song nicht verstehen könnten und vielleicht darüber lachen würden, denn er klingt zunächst ein wenig dümmlich - so typisch nach Robin, weißt du, der ja immer über den Tod schreibt und so. Aber das musste ich verdrängen. Ich hatte Seiten über Seiten mit Notizen. Dieser Song floss quasi aus mir heraus. Ich weiß selbst nicht, wie das kam, denn es ist schwierig, darüber zu sprechen." Das hört sich so an, als habe Robin da selbst keine Kontrolle mehr drüber gehabt. Was wohl an dem Thema liegt. Robin versucht, die Situation in Worte zu kleiden: "Nun ja, die Sache ist ja die: Der Grund, warum man nicht so einfach vom Hier ins Jenseits wechseln kann, ist nun mal der, dass es schwierig ist, loszulassen. Das klingt jetzt ziemlich esoterisch, ist es aber nicht. Die Sache war die, dass sie ihre Augen schloss und immer wieder mit einem Seufzer aufwachte und nach diesem und jenem fragte. Sie war besorgt um mich. Und ich sage dir eins: Es ist schwer, seine Mutter sterben zu sehen, wenn sie dich dabei anschaut und sagt, dass sie sich Sorgen um dich mache. Und zwar in einem spirituellen Sinne. Das war irgendwie gleichzeitig schön und inspirierend, obwohl es natürlich traurig war."

Sophia
Robin erzählt dann die ganze Geschichte: Dass seine Mutter wegen einer Untersuchung ins Krankenhaus gegangen sei, und man dort festgestellt habe, dass sie an Krebs in einem unheilbaren Stadium gelitten habe. Sie sei dann im Krankenhaus geblieben, während die Familie gar nicht wusste, wie es um sie stand. Robin fand das dann heraus und eilte an ihre Krankenbett, wo er dann einen Prozess der Annäherung erlebte. "Ich lernte so viel über meine Mutter in diesen drei Tagen, wie in meinem ganzen Leben zuvor nicht", beschreibt er dies, "das hat dazu geführt, dass ich nun keine Angst mehr vor dem Tode habe. Das war vor vier Jahren. Und diesen Song darüber, 'Lost', brauchte ich quasi gar nicht selbst zu schreiben. Es passierte einfach von selber." Es gibt einige Up-Tempo Stücke auf dem neuen Album - darin ist es dem Vorgänger sehr ähnlich. Nur dass hier lediglich zwei Leute - Robin und sein Drummer Jeff Townsin am Werk sind. "Es ist Teil meiner selbst, dass ich auch ab und zu einfach Krach machen will", erklärt Robin das, "deswegen auch das neue Mayqueens-Stück auf der Scheibe - das auch eines meiner Favoriten ist." Die Mayqueens sind Robins Fun-Projekt: Eine Band, bei der es nur laute Rockmusik gibt - ohne großen weiteren Anspruch. "Genau, es soll einfach nur Krach sein, der Spaß macht. Ich hatte bei diesem Album solche Angst, dass die Leute es nicht mögen würden, dass ich sehr stark in mich gegangen bin. Am Ende, denke ich, habe ich hier erreicht, was ich mit 'People Are Like Seaons' versucht habe." Dieser Schlenker Robins bringt uns zu einem delikaten Punkt: Das neue Album hätte eigentlich schon vor einem Jahr erscheinen müssen. Doch Robin verwarf alle Ideen, die er damals hatte und begann zwischenzeitlich ganz von vorne. "Das, was du jetzt zu hören bekommst, hat jedenfalls mit dem, was ich damals geschrieben hatte, nichts zu tun", erklärt er. Der Zweifel an den eigenen Ideen war beim ersten Versuch, die Scheibe einzuspielen, zu stark. Robin glaubte nicht an seine eigenen Songs. Das ist insofern trickreich, als dass das ja ein subjektiver, interner Prozess ist. Die Fans hätten da doch gewiss eine andere Meinung gehabt. "Vielleicht die, die nur 'Oh My Love' kennen und mögen", zweifelt Robin, "ich denke aber, dass die Sophia-Fans sehr wohl gemerkt hätten, wenn ich ein Album veröffentlicht hätte mit Material, zu dem ich nicht stehe. Es ist für mich nur ein schmaler Grat, der darüber entscheidet, ob ich etwas mag oder nicht. Es hat damit zu tun, was die Musik für mich in meinem Kopf bedeutet. Wenn ich es nicht mag oder es sich nicht richtig anfühlt, dann kann ich das nicht tun." Was war die künstlerische Herausforderung dabei? "Die Arrangements haben alles übertroffen, was ich bislang gemacht habe und es hat uns viel Arbeit gekostet, dies zu erreichen. Da konnte ich keine Leute gebrauchen, die nur auf Anweisungen warteten ohne den Willen, sich bei jedem Track einzubringen. Jeff und ich hatten diesen Willen." Interessanter Weise lässt Robin keine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen, dass er keine Kontrolle über den kreativen Prozess habe (davon singt er sogar in dem neuen Song "Pace") - das hört sich jetzt aber alles nach einer wahren Kontroll-Orgie an. "Weißt du was das Komische ist?", fragt Robin zurück, "das ist die erste Sophia-Scheibe, bei der ich das Gefühl einer Band hatte. Und das, obwohl nur Jeff und ich sie aufgenommen haben." Wie ist das denn zu verstehen? "Jeff erkannte das Potential meiner Songs und riet mir zu, daran weiter zu arbeiten, weil er daran glaubte", erklärt Robin, "das ist es, was ich meine. Wir haben sehr hart daran gearbeitet und ich habe mich dabei sehr auf seinen Ratschlag verlassen. Früher ging es immer bloß darum, meine Vision auf Band zu bringen. Das hat mit Kontrolle eigentlich weniger zu tun."

Das ist insofern interessant, als dass Robin auf der neuen Scheibe mehr als einmal über den Verlust an Kontrolle singt. "Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer einräume, keine Kontrolle über den kreativen Prozess zu haben", bestätigt er, "gerade deswegen war es ja so viel Arbeit. Wenn ich nun darüber singe, keine Kontrolle zu haben, geht es darüberhinaus aber auch um das Grundthema der Scheibe, die Ironie, dass die Technologie uns nicht retten wird. Sie kann uns natürlich die Dinge erleichtern - zum Beispiel das Leben medizinisch verlängern. Aber in einem spirituellen Sinn und am Ende kann sie uns nicht retten. Der Song, den du ansprichst, 'Birds', bezieht sich auf meine Beobachtungen, die ich in der Natur machte. Ein Vogel, der ein Eichhörnchen erlegte, ein wunderschöner Baum, den ich sehr mochte, der aber krank war, so dass er zusammenzustürzen drohte. Da wurde mir klar, dass wir keine Kontrolle über die Natur haben. Auch nicht mittels Technologie. Wenn ich dieses nun auf meine Musik übertrage, bedeutet es: Ich kann versuchen, alles zu kontrollieren und jeden bitten, genau das zu spielen, was er spielen soll und es dann im Computer alles zusammenzufügen. Aber was ist der Witz daran? Das hätte keinen Funken Geist und Leben - auch mit aller Technologie nicht. Das ist auch der Grund, warum die neuen Stücke so rau und direkt klingen. Das war für mich magisch - wie damals, als ich mit God Machine anfing. Das hört man dem Album an, denke ich - hoffe ich."

Was ist denn aus Robins Idee geworden, düstere thematische Inhalte mit vergleichsweise fröhlichen Akkordfolgen zu verbinden. Ein Gedanke, der anlässlich von "Holidays Are Nice" noch für viel Diskussionsstoff, um nicht zu sagen "Verwirrung" gesorgt hatte. "Also ich denke 'Pace' ist so ein Song", überlegt Robin, "wenn du es dir anhörst, dann sind die Worte ja schon ganz schön heftig. Es geht darum, festzustellen, dass praktisch alles schief gegangen ist und dass wir den Lauf der Welt nicht ändern können - bzw. deren Geschwindigkeit. Ich denke, das ist düster, aber mit fröhlichen Akkorden unterlegt. Ich betrachte das in der Tradition der Sophia-Pop-Songs." Nun, so richtig fröhlich ist dieser Song zweifelsohne nicht. Er ist eher in der Tradition von "Oh My Love" zu sehen. "Das kommt immer drauf an, wie man es betrachtet", gibt Robin zu bedenken, "wir dachten damals, das wir damit unseren 'Motown-Song' kreierten..." Nun, Musik entwickelt ja zuweilen ein geradezu erschreckendes Eigenleben. "Also ich weiß ja sowieso am Anfang nicht, wie es am Ende klingt, wenn ich mit etwas anfange", verrät Robin, "also habe ich auch keine große Erwartung. Ich komme auch eher von der Schule der großen Enttäuschung. Weil es am Ende immer anders klingt, als ich es wir vorher vorgestellt hatte. Also bin ich an diese Scheibe einfach keine Erwartungen herangegangen. Der größte Druck für mich war, keine Fortsetzung von 'People Are Like Seasons' zu machen, denn ich habe erst jetzt erreicht, was ich mit 'People' versucht hatte. Ich sage dir eins: Diese Scheibe hat mich fast umgebracht. Ich am Nadir meines Lebens angekommen - einfach weil meine Musik die Umstände meines Lebens beeinflussen - und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Das war auch der Grund, warum ich so lange brauchte, das Material fertig zu stellen. 'Twilight At The Hotel Moscow' ist ein gutes Beispiel. Ich hatte die Trompete und die Streicher und alles aufgenommen und brauchte drei Tage und drei Nächte, das alles in ein Verhältnis zu bringen und den Song aufzubauen. 'Lost' brachte schließlich den Knoten zum Platzen."

Sophia
Das bringt uns zu einem interessanten anderen Thema: Bei einem Konzert erzählte Robin, dass er den älteren Song "The Sea" für seine Tochter Hope geschrieben habe - dass diese aber alles andere als begeistert darüber gewesen sei, weil es ein trauriges, episches und langsames Stück ist. Nun gibt es auf der neuen Scheibe ja einige Up-Tempo Nummern: Ist da vielleicht noch einmal etwas für Hope dabei? "Keine Chance", lacht Robin, "es ist cool für sie, wenn ihre Freunde Songs von mir im Radio hören oder mich bei einem Konzert sehen. So lange es cool ist, ist es okay für sie - ansonsten ignoriert sie mich vollkommen. Die Jugend heute hat einfach keinen Respekt mehr." Noch mal zum Thema Up-Tempo-Songs: Warum befindet sich gerade ein langsames Instrumental am Beginn der Scheibe? Ist das nicht ein wenig wagemutig? "Also das komische ist, dass es nur so funktioniert", verrät Robin, "die Leute, denen ich die Scheibe gegeben habe, sagten alle übereinstimmend, dass die Scheibe zwar gewöhnungsbedürftig ist, was den Aufbau betrifft, dann aber funktioniert. Es war eine bewusste Entscheidung für mich, das Instrumental an den Beginn zu setzen, auch weil es eine Geschichte und eine Bedeutung hat. Und ich wollte auf jeden Fall eine Wiederholung von 'People Are Like Seasons' vermeiden. Das mag gewisse Leute abschrecken, die gar nicht über den ersten Song hinauskommen - aber für diese Leute habe ich das Album ja nicht gemacht. Ich habe es für die Sophia-Fans gemacht und die werden der Platte eine Chance geben. Da bin ich zuversichtlich." Woher kommt dann die Unsicherheit in Bezug auf die Art, in der die Scheibe aufgenommen würde? "Sophia-Fans können auch ganz schön wankelmütig sein", überlegt Robin, "wenn ich da an manche Einträge im Gästebuch nachdenke, wenn denen mal eine Show nicht gefallen hat oder mein Verhalten dort." Robin ist bekannt dafür, dass er bei Konzerten kein Blatt vor den Mund nimmt, und sich auch schon mal mit dem Publikum anlegt, wenn ihm etwas nicht passt (zum Beispiel wenn zu laut geredet wird). "Live Shows sind auch die Dinge, die die gegensätzlichsten Reaktionen hervorrufen. Ich erinnere mich sogar an unsere ersten Reviews mit God Machine. Der Melody Maker machte uns zum Beispiel nieder. Damals wurde mir dann aber klar, dass man nicht jedermann zu jeder Zeit gefallen kann. Und das ist noch heute so. Ich bin kein Affe, dem du Erdnüsse zuwerfen kannst und der dann tut, was du möchtest. Die Sophia-Fans erwarten von mir immer konstante Höchstleistungen, aber ich darf nichts von ihnen erwarten - zum Beispiel, dass sie zuhören ohne zu stören. Und das macht mir Sorgen. Das hat mich auch dazu gebracht, die Sophia-Fans mit anderen Augen zu sehen. Deswegen bin ich auch so unsicher, was die Reaktion auf meine Alben betrifft. Aber was soll's: 'C'est la vie!'"

Weitere Infos:
www.sophiamusic.net
myspace.com/thesophiacollective
www.cityslang.com/artist/32
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Sophia
Aktueller Tonträger:
Technology Won't Save Us
(FlowerShop/CitySlang/Rough Trade)
 

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