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05.12.2006
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SHAWN COLVIN

Das nächste Kapitel

Shawn Colvin
Die Grammy-Nominierungen Shawn Colvins kann man kaum an zwei Händen abzählen, dreimal gewann sie die begehrte Auszeichnung: 1989 für ihr Debütalbum "Steady On", neun Jahre später gleich zweimal für ihren Song "Sunny Came Home" aus dem Album "A Few Small Repairs". Und das nicht etwa in obskuren Katgoerien wie "Beste auf dem Kamm geblasene Coverversion", sondern in den Hauptkategorien "Record Of The Year" UND "Song Of The Year". Die Preise sorgten vor allem in ihrer amerikanischen Heimat für einen enormen Popularitätsanstieg, ihre Plattenverkäufe waren beachtlich, als Solistin füllte sie bald auch große Säle, und bei gemeinsamen Songwriter-Abenden mit Größen wie Jackson Browne, Bonnie Raitt und Bruce Hornsby gastierte sie gar in den ganz großen Hallen. Gemeinsam mit der seelenverwandten Mary Chapin Carpenter feierte sie ebenfalls Erfolge.

In den letzten Jahren sah sich die Texanerin, die lange in New Yorker Folkkreisen unterwegs war, bevor sie erst mit 34 ihr erstes Album veröffentlichte, allerdings zumindest auf der Business-Seite etwas vom Glück verlassen. Ihr 2001er Album "Whole New You" war zwar keineswegs schlechter als der hoch dekorierte Vorgänger "A Few Small Repairs", allerdings machte ihre Plattenfirma kaum einen Finger krumm für das Album, was nach einem Dutzend Jahren schließlich zum Bruch mit Columbia Records führte. Ihr neues Album "These Four Walls", ihr erstes für Nonesuch Records, thematisiert zwar Reue und Sterblichkeit, hat aber einen wesentlich positiveren Grundton als "Whole New You". Ein Neubeginn rund dreißig Jahre, nachdem sie ihre Bühnenkarriere begann?

"Ja, so könnte man es beschreiben", bestätigt Colvin beim Treffen mit Gaesteliste.de vor ihrem wundervollen Konzert im Kölner Prime Club und fügt nach kurzem Grübeln hinzu: "Genauer gesagt ist es so, dass ein Kapitel abgeschlossen wurde. Ich habe bei Columbia 1989 unterschrieben und dann zwölf Jahre mit ihnen zusammengearbeitet. Während der gesamten Zeit hatte ich auch den gleichen Manager. Irgendwann stellte sich dann heraus, dass bei diesem Team Sand ins Getriebe gekommen war. Also habe ich die Mitspieler ausgewechselt. Insofern kann man schon von einem Neustart sprechen."

Trotz der vielen Veränderungen in ihrem Leben - nicht lange vor "Whole New You" wurde Colvin zudem Mutter, was sie endgültig dazu zwang, den lange hinausgezögerten Schritt zum Erwachsensein zu machen -, blieb sie sich musikalisch treu. Auch auf "These Four Walls" verbindet sie - wie seit nunmehr 25 Jahren gemeinsam mit ihrem musikalischen Partner John Leventhal - ihre Folkwurzeln mit einem Schuss Country und unaufdringlicher Pop-Sensibilität. "Nein, die Herangehensweise habe ich nicht verändert, denn wenn ich ehrlich bin, wüsste ich nicht, was ich anders machen sollte", sagt sie. "Die Art und Weise, wie man jemanden wie mich vermarktet, hat sich in den letzten 15 Jahren allerdings erheblich verändert. Es ist viel diffiziler geworden. Darüber habe ich vor allem, nachdem die letzte Platte nicht besonders gut gelaufen ist, viel nachgedacht. Du fragst dich: Wie viel davon war mein Fehler? Wie viel hatte die Plattenfirma zu verantworten? Wie viel lag außerhalb des Einflussbereichs aller Beteiligten? Aber die Musik hat das nicht beeinflusst."

Obwohl sie als Songwriterin über jeden Zweifel erhaben ist, spielt Colvin allabendlich auch eine Handvoll Coverversionen. Eine Parallele übrigens zu Mary Lou Lord, die - das als kleine Fußnote - Colvins Songs schon coverte, bevor die überhaupt einen Plattenvertrag hatte, wofür ihr auf "Steady On" auch gedankt wird. Einige der Nummern aus fremder Feder, die Colvin derzeit bei ihren Konzerten spielt, stammen aus ihrem ausschließlich mit Fremdkompositionen besetzten Album "Cover Girl" von 1994, viele andere sind allerdings neueren Datums, so zuletzt Songs von Gnarls Barkley, Paul Westerberg oder Crowded House. "Ich kann mir durchaus vorstellen, eine weitere Cover-Platte zu machen, wenngleich sie mir nicht so leicht fallen würde wie die erste", sinniert Colvin. "Die Songs der ersten hatte ich ja zuvor jahrelang live gespielt, weil ich keine eigenen hatte oder nicht selbstbewusst genug war, meine eigenen zu spielen. Ich habe jahrelang jeden Abend mehrere Stunden in den Clubs mit Musik füllen müssen - da war es zwangsläufig, dass ich viele Lieder lernen musste. Das tue ich auch heute noch, die meisten Stücke wirst du mich allerdings nie öffentlich spielen hören. Mir macht es einfach Freude, sie zu lernen. Da geht es mir genauso wie Mary Lou. Wenn sie einen Song mag, lernt sie ihn. Weil sie auf der Straße spielt, muss sie ja auch ein großes Repertoire haben. Mir geht es da anders. Ich habe nur selten das Gefühl, einem Song eine interessante neue Note geben zu können, aber wenn das der Fall ist, dann spiele ich ihn auch."

Dass sie unlängst zum ersten Mal seit langen Jahren wieder in Europa und Deutschland auftrat, ist jedenfalls nicht auf den sanften Druck des neuen Labels zurückzuführen. "Nein, ich würde nicht auf Tournee gehen wollen, wenn ich dazu gezwungen wäre. Zumindest nicht, wenn das der einzige Grund wäre." Ein Indiz dafür sind wohl auch die Setlists ihrer Europa-Konzerte: Dort spielte sie nämlich keineswegs nur neue Songs, sondern auch jede Menge Publikumswünsche - vornehmlich Stücke aus ihren ersten drei Alben. Gilt dabei das Motto "Give the people what they want", oder ist Colvin in der glücklichen Situation, die Titel, die das Publikum gerne hören möchte, eh gerne zu spielen? "Es ist in der Tat so, dass ich fast alle Songs, die ich geschrieben habe, immer noch gerne spiele. Wenn ich also die Stücke draufhabe, die die Zuschauer hören wollen, spiele ich sie gerne für sie. Es gibt allerdings einige Nummern, nach denen fast jeden Abend verlangt wird, die ich einfach nicht mehr spielen kann. Für gewöhnlich weiß ich, was die Leute hören wollen, die Favoriten haben sich über die Jahre herauskristallisiert, wobei es jetzt in Europa etwas anders war. Hier wollten die Zuschauer in der Regel eher Songs aus den ersten drei Alben hören, in Amerika, wo mich die meisten schon öfter gesehen haben, werden vermehrt Sachen aus 'A Few Small Repairs' gewünscht."

Colvins Status in Europa ist zwar nicht mit dem in Amerika zu vergleichen, trotzdem reist sie auch bei uns mit Kind und Kegel durch die Lande und gönnt sich - für eine Solo-Performerin wahrlich ungewöhnlich - nicht nur einen komplett ausgestatteten Nightliner, sondern zusätzlich auch noch jede Nacht ein Hotel. Der pure Luxus, wenn man bedenkt, wie viele Bands zu sechst oder siebt im Kleinbus durch die Lande tingeln. "Oh Gott, das könnte ich nicht, dafür bin ich definitiv zu alt", entfährt es ihr, und lächelnd fügt sie hinzu: "Sollte ich jemals an dem Punkt ankommen, dass ich das machen müsste, würde ich sofort aufhören!"

Weitere Infos:
www.shawncolvin.com
www.myspace.com/shawncolvinmusic
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Shawn Colvin
Aktueller Tonträger:
These Four Walls
(Nonesuch Records/WEA)
 

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