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03.08.2007
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RICHARD HAWLEY

Die Brücken, die vor dir liegen

Richard Hawley
Mit seinem letzten Album, "Coles Corner", legte Richard Hawley nicht nur eine allegorische Hommage an seine Heimatstadt Sheffield vor, sondern auch ein musikalisch und konzeptionell schlüssiges Album, das den ehemaligen Longpigs- und Pulp-Gitarristen als Meister des klassischen, romantisch-melancholischen Retro-Gitarrenpop-Songs zeigte. Richard erklärte seine Vorliebe für altmodische Harmoniefolgen damals damit, dass er lange genug Musik mache, um erkannt zu haben, dass ihm die Gegenwart musikalisch nicht mehr viel inspirierendes biete, da eh immer nur bereits Vorhandenes wiedergekäut werde, weswegen er lieber gleich bei altem und Bewährtem bleibe. Das hat sich auch mit dem neuen Album "Lady's Bridge" nicht grundlegend geändert - auch wenn die neue Scheibe gegenüber des aufs wesentlichen reduzierten Vorgängerwerkes doch einen Gutteil üppiger, reichhaltiger und - für einen traditionellen Romantiker wie Richard nun mal einer ist - sogar heiter und lebensbejahend ausgefallen ist (auch wenn man zwei Mal hinhören muss).

Die im Titel erwähnte "Lady's Bridge" befindet sich natürlich auch in Sheffield. Im Gegensatz zu "Coless Corner" - Richard Hawleys "Strawberry Fields" - gibt es die "Lady's Bridge" allerdings auch heute noch. "Die Lady's Bridge ist ein uralter Grenzpunkt", erklärt Richard, "für mindestens vierhundert Jahre überqueren die Leute an diesem Punkt den Fluss. Die Brücke hat eine gewisse Geschichte. Sie wurde 1124 von einem normannischen Prinzen namens William gebaut und war ursprünglich aus Holz. Als Großbritannien unter normannischer Herrschaft stand, war es ein katholisches Land und die Brücke hieß ursprünglich 'Bridge Of Our Lady' und es gab eine Kapelle an ihrem Ende. Um es aber gleich zu sagen: Es gibt keinerlei religiöse Verbindung zu der Musik. Die erste Steinbrücke entstand ungefähr 1524 und wurde von Henry dem 8. in Auftrag gegeben und von einem Maurer namens William Hill erbaut. Sie hatte noch Stufen und war eine Fußgängerbrücke. Ein halbes Jahrhundert später wurde sie umgebaut, so dass auch Fahrzeuge die Brücke überqueren können - und ungefähr so ist sie bis heute geblieben." Soweit zur Geschichte der Brücke - was aber ist die Bedeutung für Richards neue Scheibe? "Für mich ist dies ein Symbol, von einem Teil deines Lebens in einen anderen hinüberzuwechseln. Wenn man eine historische Brücke wie diese überquert, dann muss man Dinge zurücklassen, die man manchmal gar nicht zurücklassen will - weil das ziemlich weh tut. Ich bin dieses Jahr 40 geworden, was so ein Punkt ist. Für mich war das eine seltsame Sache, weil ich an gewissen Punkten in meinem Leben gedacht hätte, dass ich es nicht bis dahin schaffen würde. Es ist also ein wirklich ein einfaches Bild." Gab es denn dieses Mal einen Plan für die neue CD? Das letzte Mal ging es ja darum, einzelne Instrumente gegen ein ganzes Orchester zu setzen. "Also ich wollte, dass das neue Album mehr Band-orientiert ist", meint Richard, "weil ich eine lange Zeit mit der Band getourt habe und weil ich nicht eine Scheibe für mich alleine machen wollte. Deswegen sollte es auch mehr Up-Tempo-Nummern geben. Davon abgesehen habe ich es fließen lassen. Ich mache ja nie großartige Pläne."

Die Up-Tempo-Nummern, die Richard anspricht, sind Rockabilly-Nummern. Richard hat ja noch eine zweite Band, namens The Feral Cats, die Rockabilly spielt. "Ja, der Bassist, Johnny Woods, spielte auch hier mit. Deswegen klingt das auch so. Ich mag diesen Rhythmus, deswegen kommt das bei mir so raus, wenn ich schnelle Nummern schreibe." Dabei ist der Sound Richard ein spezielles Anliegen: "Das ist sowohl eine technische, wie auch eine emotionale Sache", erklärt er, "einige Töne klingen angenehm für das Ohr und lösen eine emotionale Reaktion aus. Einige sind eher klinisch und haben nicht diesen Effekt. Ich habe ja immer im selben Studio aufgenommen und kenne den Sound dieses Raumes sehr gut, Er klingt sehr organisch, fast menschlich. Man darf es auch nicht zu genau nehmen, wenn man die Mikros platziert, sondern muss immer ein wenig Luft zum Atmen lassen. Man braucht ein wenig Raumklang - nicht Ambient, aber auch nicht sofort vor der Schallquelle." Immer mehr scheinen sich Richards Songs um das Bewegen oder das Reisen zu drehen. "Nun, das ist ein großer Teil meines Lebens", verrät er, "ich begann auf Tour zu gehen, als ich 14 war. Das schlägt sich natürlich auch in meinen Songs nieder. Es geht aber mehr darum, dass man nach Hause will, wenn man auf Tour ist und dass man auf Tour gehen will, wenn man zu Hause ist. Es geht um diese Unruhe, die ich schon als Kind hatte. Man ist nie dort glücklich, wo man gerade ist - wobei sich das dauernd ändert. Man sehnt sich immer nach dem, was man gerade nicht hat. Das ist nicht typisch für mich, sondern für die ganze Menschheit - speziell seit man den ganzen Globus erforscht hat. Das ist ein Teil dessen, was uns ausmacht: Neugierig zu sein. Und ich bin definitiv neugierig!" Ging es Richard darum, die Musik dieses Mal ein wenig lebhafter und transparenter zu gestalten? "Hier gibt es eher eine Mischung aus düster und hell", überlegt er, "ich denke, dass 'Coles Corner' extremer war - auf jeden Fall, was das Emotionale betrifft. Ich habe dieses Mal darauf geachtet, düstere Inhalte leichteren musikalischen Themen gegenüberzustellen und umgekehrt." Ein schönes Beispiel dafür ist der Song "Our Darkness" - eine düstere, aber auch tröstliche Ballade mit einem gewaltigen musikalischen Mittelteil. "Dabei geht es um eine Sache, die mir immer wieder passiert", führt Richard aus, "wenn man abends, wenn es dunkel ist, die Tür hinter sich zu macht und die Lichter ausschaltet, dann gibt es da nur mich und meine Frau. Das passiert millionenfach auf der Welt. Es geht um diese Zweisamkeit, in der man sich Dinge sagen kann, die man zu keiner anderen Zeit sagen kann. Es heißt hier zwar 'unsere Dunkelheit', aber damit ist nur gemeint, dass kein Licht da ist - es geht nicht um irgendeine Art von emotionaler Dunkelheit. Es ist eigentlich ein positiver Song. Im Mittelteil, wo wir uns dann über die Liebe unterhalten und alles explodiert, das ist dann vielleicht der Teil zum 'Liebe machen'. Ich denke, es geht mir hier darum, Intimität zu erforschen. Kopfkissengeflüster, bei dem man ehrlich zueinander sein kann." Muss man die Texte denn immer wörtlich nehmen, oder sagt Richard manchmal etwas zwischen den Zeilen? "Das ist die Frage, nicht wahr? Wenn wir ein bestimmtes Alter erreicht haben, dann schleppen wir so viel Ballast mit uns rum. Manches ist gut davon und manches eben nicht. Es geht darum, das alles zurückzulassen. Ob das klappt oder nicht, das musst du als Zuhörer für Dich entscheiden."

Der letzte Song, "The Sun Refused To Shine", ist auch so ein Song, nicht wahr? "Da geht es wieder um eine Sache, die mir passiert ist", erzählt Richard, "es geht um eine Freundin von mir, die im jungen Alter von 17 geheiratet hat. Sie war eine Schulfreundin. Ich weiß gar nicht, warum ich diesen Song schrieb. Ich habe die Melodie dazu jedenfalls geträumt. Den Song habe ich sehr schnell geschrieben. Das Thema fiel mir dann wieder ein. Es gab damals eine Hitzewelle in England und an dem Tag, an dem sie heiratete, gab es einen massiven Sturm. Das war dann irgendwie so, als versuchte uns da jemand zu warnen. Es stellte sich dann heraus, dass sie diesen gewalttätigen Mann geheiratet hatte - wobei wir damals alle schon ahnten, dass das so sein würde. Es gibt aber ein Happy End, weil sie heute glücklich verheiratet ist. Es gibt da eine Zeile in diesem Song, der heißt 'to calm unsettled youth'. Das bedeutet, dass man versucht, Ordnung in seine unstabile Vergangenheit zu bringen, indem man in jungem Alter Entscheidungen wie ein Erwachsener trifft. Das sind nicht die richtigen Entscheidungen, aber man muss sie zu dem Zeitpunkt offensichtlich treffen." Was hat Richard - neben den Arbeiten an seinem neuen Album - in letzter Zeit ansonsten gemacht? "Nun, ich habe auf Jarvis' Solo-Album mitgemacht und ich habe in einem Spielfilm mitgespielt - in einer Szene mit Faye Dunaway. Der Film ist noch nicht erschienen, so dass ich nicht weiß, was daraus geworden ist, es war aber eine sehr interessante Erfahrung." Wie kam es denn dazu? "Also ich habe seit der Schule nicht mehr geschauspielert, aber die Leute, die den Film gemacht haben, mochten meine Musik und baten mich, etwas für den Film zu schreiben. Als wir uns dann über die Charaktere und Themen unterhalten haben, kam das Gespräch auf die Rolle eines Rockabilly-DJs, der in dem Film mitspielen sollte und dann meinten alle, dass ich den doch gut spielen könne. Zunächst habe ich darüber gelacht und die Sache abgetan. Doch die riefen mich zurück und meinten es auch ernst. Ich habe dann um ein Script gebeten und dann gedacht, dass das doch Spaß machen könnte. Es war ein sehr interessantes Erlebnis und ich habe eine Menge gelernt. Ich weiß noch nicht, ob ich so etwas noch mal machen werde." Das Stück "Serious" von der neuen Scheibe stammt aus dieser Periode. "Ja, ich habe etwa zehn Stücke für den Film geschrieben und dieses hat nicht wirklich gepasst. Ich habe es dann als erstes für die neue Scheibe aufgenommen. Ich finde, dass das ein ziemlich positiver Song und ein guter Anfangspunkt wäre. Der Film hat aber weiter nichts mit dem Film zu tun."

Richard erwähnte den positiven Ausgangspunkt. War es denn zumindest in diesem Sinne Ziel des Ganzen, die Sache ein wenig flotter anzugehen? "Es hat sich so entwickelt", meint Richard, "das schnellste Stück 'I'm Looking For Someone To Find Me' habe ich in einem Bus geschrieben. Das hatte ich eine Weile rumliegen und ich wollte ihn mal verwenden. Das ist insofern interessant, als dass meine Songs, wie du weißt, öfters eher langsam sind. Ich habe mir dann gedacht, dass ich damit experimentieren wolle. Ich überlegte mir dann, wie man es anstellen könnte, etwas super-schnelles zu schreiben, aber die Melodie dazu zu nutzen, diese darübergleiten zu lassen, so dass doch etwas sehr sanftes dabei heraus käme. Dieser Song ist eine Mischung aus Rockabilly, Doo-Wop, Bluegrass und ein wenig Klassik. Ich denke, es hat ganz gut funktioniert. Besonders mag ich den Umstand, dass ich am Ende zu einer Ein-Mann-Doo-Wop-Band mutiere." Das letzte Mal erklärte Richard, dass die Zeit, zu der er 'Coles Corner' schrieb, die schwerste seines Lebens gewesen sei. Ging es ihm dieses Mal denn besser und klingt die Scheibe deswegen so gelöst. "Sprichst du den Tod meines Vaters an?", fragt Richard, "mein Vater ist vor kurzem an Krebs gestorben. Ich habe aber versucht, diesen Umstand keinen Einfluss auf die Aufnahmen nehmen zu lassen. Das ist aber alles, was ich dazu sagen möchte, weil es mir - ehrlich gesagt - schwer fällt, darüber zu sprechen." Was man ja nachvollziehen kann. Wenn Richard sagt, dass das neue Material mit dem Gedanken an einen bestimmten Band-Sound geschrieben wurde: Wird das dann einen Einfluss auf die kommenden Live-Shows haben? "Wir haben in der Band jetzt schon seit mehreren Jahren zusammen gearbeitet, so dass wir ein eingespieltes Team sind. Aber auch wenn einige der Stücke etwas schneller als für mich ansonsten üblich sind, darfst du keine Rock'n'Roll-Show erwarten. Es wird nach wie vor eine ruhige Angelegenheit werden." Mit "Lady's Bridge" schuf Richard Hawley eine klassische Sammlung leicht altmodischer aber von Herzen kommender, angenehm sentimentaler, plüschiger Gitarrenpop-Songs in der Tradition der von ihm verehrten Gründerväter des Genres (Roy Orbison kommt hier vielleicht in Frage). Seinen Ruf als einer der besten Songwriter Englands festigt er damit zweifelsohne.

Weitere Infos:
www.richardhawley.co.uk
www.myspace.com/richardhawley
www.mute.de/richard-hawley/
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Richard Hawley
Aktueller Tonträger:
Lady's Bridge
(Mute/EMI)
 

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