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08.02.2008
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MORCHEEBA

Die musikalischen Tiefseetaucher

Morcheeba
"Dive Deep" ist bereits das sechste Morcheeba-Album und in vielerlei Hinsicht eine Abkehr von den bewährten Konstanten, die bislang das Projekt der Gebrüder Paul und Ross Godfrey auszeichnete. Stand nämlich bislang immer eine Stimme im Vordergrund - zunächst die von Sängerin Skye und bei der letzten Scheibe jener von Nachfolgerin Daisy -, so gibt es dieses Mal eine wechselnde Riege von sehr unterschiedlichen Vokalisten - darunter Judie Tzuke, Songwriter Thomas Dybdahl und Rapper Cool Palm Pete. Und waren die Songs bislang immer Kompositionen der Godfreys, die sich auf jeder Scheibe einem bestimmten musikalischen Thema widmeten, so wurden dieses Mal die beteiligten Songwriter eingeladen, ihre eigenen Texte zu singen und an den Kompositionen beteiligt. Des Weiteren gibt es auf "Dive Deep" diverse Instrumental-Passagen und vor allen Dingen keine stilistischen Vorgaben mehr. Und: Das neue Werk verzichtet fast ganz auf elektronische Spielereien und ist definitiv das bislang organischste Morcheeba-Album geworden.

"Dive Deep" ist also ein ziemlich gewagter, mutiger Schritt - auf der Suche nach den berühmten weniger begangenen Pfaden. Müßig zu erwähnen, dass es letztlich doch eine klassische Morcheeba-Scheibe zwischen Pop, Trip-Hop, Soul und ein wenig Rhythm'n'Blues geworden ist, denn als Produzenten behalten die Godfreys die Zügel fest in der Hand. Wie es dazu kam, erklärt uns Paul Godfrey. War der Gedanke vielleicht ein möglichst universelles Album zu erschaffen? "Ich weiß nicht - ich denke, es ist besonders einheitlich geraten", überlegt Paul, "vielleicht liegt das an unserer Produktion, die einen bestimmten, warmen Sound hat. Es ist natürlich sehr abwechslungsreich, aber ich sehe es als zusammenhängendes Ganzes." Ist "Dive Deep" vielleicht sogar ein Konzept-Album geworden? Denn das maritime Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Songs. "Auf eine gewisse Art ist es das", bestätigt Paul, "zunächst hatte ich gar keinen bestimmten Plan. Nun ist es aber so, dass mir das Wasser als solches immer viel bedeutete. Ich bin ein großer Fan des Wassers. Eine gewisse auquatische Qualität schälte sich bei den neuen Aufnahmen also irgendwann heraus. Der Titel 'Dive Deep' hält dann alles zusammen." Auf dem neuen Werk schrieben Paul und Ross erstmalig zusammen mit den verschiedenen Sängern, die auch ihre eigenen Texte beisteuerten. "Normalerweise bin ich ja der Texter - dieses Mal konzentrierte ich mich aber auf das Produzieren. So konnte ich mehr Zeit auf das Editieren und Aushelfen verwenden. Das war sehr produktiv." Was ist denn in dem Zusammenhang dann die Funktion der Texte? "Texte sind dazu da, eine Botschaft zu transportieren", erklärt Paul, "es kann aber sehr ermüdend sein, Texte zu schreiben - besonders dann, wenn man nur in einer Sprache schreiben kann. Man stößt dann schnell auf sein eigenes, limitiertes Vokabular. Es kann dann sehr befreiend sein, die Ideen anderer zu vernehmen. Da Judie und Thomas auch ihre eigenen Melodien schrieben, ging das noch einen Schritt weiter und ich kommte mich sehr auf die Atmosphäre konzentrieren."

Es mag sich wie ein Klischee anhören: Aber wird so die Technik zum Bestandteil des kreativen Prozesses? "Für mich ja", bestätigt Paul, "ich bin immer noch ein riesiger Fan des Produktionsprozesses und habe mir ziemlich viel altes Equipment gekauft, um den bestimmten Sound, der mir vorschwebte, hinzubekommen. Ich arbeite auch viel mit Computern. Das Studio ist ein Instrument für mich." Viele Scheiben, bei denen die Technik in dieser Weise genutzt wird, hört man das auch irgendwie an. Wie kommt es, dass Morcheeba-Scheiben aber immer so organisch klingen? "Okay, ich verrate dir mal genau, was mein Trick ist", führt Paul aus, "heutzutage tendieren die meisten Leute dazu, im Studio alles auf ein bestimmtes Raster anzupassen und dabei so exakt wie möglich zu arbeiten. Sogar Punk-Bands. Mein Ansatz ist aber, den Groove in der Musik und nicht in einem Raster zu suchen. Ich werde nicht irgendwelche Sachen so anpassen, dass sie genau auf dem Punkt sitzen, sondern kümmere mich lieber darum, dass der Raumklang und das Verhältnis der einzelnen Instrumente zueinander stimmt." Kommen wir zur wichtigsten Frage: Warum gibt es auf dem neuen Alben verschiedene Stimmen? Immerhin verschenken Morcheeba auf diese Weise einen großen Teil des Wiedererkennungseffektes. "Eigentlich nur, weil ich nach verschiedenen Texturen und Stimmungen suchte", gesteht Paul, "es ist nämlich so, dass ich nicht die Sänger, sondern die Stimme als wichtigsten Charakter betrachte, so wie Instrumente, wie Farben, wie Töne. Ich wollte mich also nicht auf eine Facette limitieren. Ich entschloss mich, mit verschiedenen Sängern zu arbeiten und es funktionierte. Es war ein sehr viel produktiverer Prozess als mit einer Stimme. Ich denke auch, dass wir bei dieser Methode bleiben werden." Was werden Morcheeba dann aber bei der nächsten Live-Tour machen? "Nun, Manda, die auch auf der Scheibe singt, ist in unserer aktuellen Band. Ebenso Bradley Burgess, ein alter Freund von mir aus Folkstone", erklärt Paul, "dann haben wir einen neuen Keyboard-Spieler, der Drummer ist großartig, Ross spielt Bass und singt und wir haben einen DJ. Es ist also wie immer - nur neu. Das funktioniert auch recht gut, wie wir auf Festivals im Sommer bereits ausprobiert haben. Vielleicht kommt Thomas Dybdahl mit auf Tour. Und natürlich werden wir auf viele alte Morcheeba-Tracks spielen. Überhaupt: Das Studio ist das Studio und Live ist Live. Das soll nicht alles 1:1 rekreiert werden. Live muss es ein wenig mehr rocken."

Was macht denn einen guten Song aus? "Ein guter Song? Das muss ich mal so erklären: Manchmal wache ich auf und bin mir nicht sicher, in welcher Stimmung ich mich befinde. Ein guter Song, an den ich mich dann erinnere, kann mir helfen, diese Stimmung zu definieren. Das sollte ein guter Song bewirken: Ein Gefühl auf sehr einfache Art einzufangen und zu transportieren. Das versuche ich natürlich mit meiner eigenen Musik auch zu erreichen - auch, wenn es nicht immer funktioniert." Das kann man aber nicht kontrollieren - wohingegen es beim Produzenten doch gerade auf Kontrolle ankommt. Was ist für Paul Godfrey also das Wichtigste beim Produzieren? "Nun, ich gebe zu, dass da ein gewisses Gefühl der Macht und der Kontrolle hinter dem Mischpult gibt. Ich fühle mich da, als habe ich eine Aufgabe im Leben. Aber man realisiert sehr schnell, dass man eine Scheibe nicht wirklich kontrollieren kann. Da passiert immer irgendetwas Magisches und die besten Dinge passieren immer durch Zufälle und Fehler. Dinge, die man sich selber nicht erklären kann, für die man aber immer offen sein muss." Was ist dann die größte Herausforderung als Musiker? "Nicht zu viel Alkohol zu trinken", lacht Paul, "musikalisch ist es einfach die Sache, weiterzumachen, den Prozess zu genießen und nicht allzu ungeduldig zu sein. Diese Scheibe hat mich gelehrt, nicht allzu ungeduldig zu sein. Wir haben zwei Jahre daran gearbeitet. Man darf nicht ärgerlich sein, wenn man nicht so gut ist, wie man sein möchte." Was erfreut Paul Godfrey am meisten? "Momentan sind das meine Kinder, die auf YouTube unsere alten Songs entdecken und diese immer wieder dudeln und sich daran erfreuen. Das macht auch mir Spaß." Gibt es eine musikalische Vision, der sich Paul Godfrey verpflichtet fühlt? "Ich lasse lieber die Sachen auf mich zukommen", verrät er, "es blieb z.B. eine Menge zurück, das wir nicht verwendeten. Ich lasse die Dinge passieren, wie sie passieren wollen und setze mir anschließend den Hut des Editors auf und selektiere die Dinge, die am besten funktionieren. Man muss als Künstler einfach offen für alles sein. Momentan habe ich auch gar keine großen Träume, weil sich diese mit dem neuen Album im wesentlichen erfüllt haben - einfach weil ich bei meiner Linie geblieben bin, geduldig war, nicht auf Bedenkenträger gehört habe und nicht über die Stränge geschlagen bin. Ich produziere seit ich 17 bin und es ist zu einer zweiten Natur geworden. Das Wichtigste ist, einen guten Rapport mit dem Künstler zu haben und so das Beste aus ihm herauszukitzeln." Das scheint den Godfreys auch auf dem neuen Album gelungen zu sein. Ein Mal davon abgesehen, dass es dieses Mal eben mehrere Stimmen zu hören gibt, ist "Dive Deep" wieder ein typisches Morcheeba-Werk mit den typischen, warmherzigen, souligen Pop-Nummern geworden. Mal sehen, was die Fans dazu sagen...

Weitere Infos:
www.morcheeba.net
de.wikipedia.org/wiki/Morcheeba
www.morcheeba.co.uk
www.myspace.com/morcheeba
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Morcheeba
Aktueller Tonträger:
Dive Deep
(Pias/Rough Trade)
 

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