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26.09.2008
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AMANDA PALMER

Live And Let Die

Amanda Palmer
Als vor kurzem die Dresden Dolls-Kompilation "No, Virginia" als Gegenstück zu "Yes, Virginia" erschien - dem Album, das dem Bostoner Duo Amanda Palmer und Brian Viglione endgültig den Durchbruch brachte -, sah das fast nach einer kleinen Retrospektive aus, denn neben wenigen neuen Stücken enthielt das Werk vor allen Dingen älteres Material. Wie sich jetzt herausstellt, war es das auch, denn nun veröffentlicht Amanda Palmer ein Solo-Werk mit Namen "Who Killed Amanda Palmer", das sie nicht mit Brian einspielte, sondern mit dem Kollegen Ben Folds. Doch zum Glück ist die Sache nicht so schlimm, wie sie klingt: Amanda lebt noch und schon gar nicht hat etwa Brian Viglione sie umgebracht. "Das ist einfach eine nette, offene Frage. Der Titel ist eine Hommage an David Lynch, dessen Serie 'Twin Peaks' ich sehr mag. Und dort gab es ja das Thema 'Who Killed Laura Palmer'", verrät Amanda, "und was Brian betrifft, so brauchten wir nach acht Jahren, die wir gemeinsam unterwegs waren, einfach mal eine Auszeit." Obwohl die Amanda-Solo-Songs musikalisch gar nicht so unterschiedlich zu dem sind, was sie mit Brian machte, klingt das neue Material wesentlich zugänglicher, poppiger und weniger unheildräuend als vieles der Dresden Dolls.

War das eine bewusste Entscheidung? "Weißt du, darüber denke ich gar nicht so viel nach", überlegt Amanda, "ich denke, es liegt daran, dass ich heutzutage weniger Angst habe. Zu Anfang hatte ich etwas im Hinterkopf in der Art, dass ich wollte, dass mich die Leute ernst nehmen - bevor ich auch meine poppige Seite zeigen konnte. Ich sagte jedem, dass ich eine ernsthafte Künstlerin sei - aber ehrlich gesagt, habe ich immer Pop Songs geschrieben. Auch wenn die auf den frühen Dresden Dolls sorgsam verborgen waren." Das macht insofern Sinn, als dass die Dresden Dolls ja ein bestimmtes Image konservieren - zu dem der Bergiff "Pop" nicht unbedingt passt. "Ich denke dabei oft an The Cure", wirft Amanda ein, "bei denen war es ja ähnlich: Die hatten dieses Goth-Image, während Robert Smith ja dieser unglaubliche Pop-Songwriter ist. Ich weiß auch nicht, wie die Leute damit umgegangen sind, aber es ist ähnlich bei uns." Neben den Dresden Dolls und ihren Solo-Act arbeitet Amanda noch an anderen Projekten: "Ja, ich habe noch dieses Seitenprojekt 'Evelyn Evelyn', das ich zusammen mit Jason Webly von den Twin Sisters gemacht habe. Und wenn sich Kollaborationen ergeben und ich Zeit habe, dann schiebe ich diese auch dazwischen. Ich muss zuweilen auch mal 'Nein' zu Leuten sagen. Aber zuletzt habe ich interessanten Shit gemacht. Ich habe einen Song zusammen mit Brian und einer Indie-Band gemacht - der Keyboardplayer Franz Nikolai ist auch in Brians anderer Band The World / Inferno Friendship Society - und wir haben ein Johnny Cash-Cover gemacht. Hier und da singe ich auch auf Songs anderer Leute mit. Es macht Spaß und es ist gut mal in eine andere Umgebung einzutauchen, weil es dich daran erinnert, dass es durchaus verschiedene Arten zu arbeiten gibt." Ist das auch der Grund, warum Amanda ihr Solo-Werk aufgenommen hat? "Ja - aber da gab es auch noch andere Gründe", führt sie aus, "der Hauptgrund war der, dass ich da Material hatte, das nicht auf Dresden Dolls-Scheiben gepasst hätte. Ursprünglich deswegen, weil es alles Balladen waren - 'Another Year' und 'Ampersand' oder 'Blake Says'- erst als Ben involviert war und über die Möglichkeiten der Instrumentierung nachdachte, änderte sich das." Was war denn Bens Input (der sich ünbrigens aktiv und als bekennender Fan Amanda andiente)? Immerhin ist es ja interessant, dass er selber auch ein Keyboardplayer und ein Drummer ist. "Sein Input war gigantisch", berichtet Amanda, "er hat die Songs für mich geformt. Ich habe ihm 30 meiner nicht verwendeten Songs vorgestellt, die ich seit dem Alter von 15 Jahren geschrieben hatte und er hatte Ideen für einige spezifische Songs davon. Sechs davon hat er vollständig produziert. Ich habe Piano und Vocals eingespielt und er hat dann Zeugs damit gemacht - Instrumente hinzugefügt, Streicher beigemischt und so weiter. Die anderen Songs habe ich zu Paul Buckmaster genommen, den Ben mir vorgestellt hat, und der hat dann den Rest produziert. Es war ein wenig furchteinflößend, weil ich ja meine Krontrolle aufgab, aber auch sehr befreiend, denn ich habe Ben vertraut, es auf den Punkt zu bringen. Und er war ja offen für mein Feedback. Wir haben deswegen so gut zusammengearbeitet, weil wir einfach dieselbe Sprache sprechen. Der Prozess hat dabei fast ganz schön lange gedauert und zog sich über ein Jahr hin."

Die Sache begann ja mit dem Gedanken, eine Balladen-CD aufzunehmen. Was ist denn daraus geworden? "Ich bin sicher, dass ich eines Tages mal so etwas machen werde. Der Gedanke mit den Balladen ist eher zufällig entstanden. Einige der hier versammelten Songs sind ja schon recht alt - 'Runs In The Family' ist zehn Jahre alt. Die Stücke haben sich im Laufe der Zeit angesammelt." Das war also nicht geplant? "Nein, denn wenn ich Songs schreibe, tendiere ich dazu, nicht großartig darüber nachzudenken, was nachher damit passieren könnte." Auf der Promo-CD befinden sich zwischen den Songs kleine Sound-Snippets. Was ist die Idee dabei? "Auf der fertigen Version habe ich die Sache gestrafft - die kleinen Mädchen habe ich umgebracht. Ich mochte das, weil das ältere Aufnahmen von mir und meiner Schwester im Kindesalter sind, aber ich habe festgestellt, dass die Sache mit der Zeit irritierend wurden. Einige habe ich aber gelassen. Ich mag einfach diese Aufnahmen und sie passten zu dem Titel der CD." Was ist denn musikalisch in Amanda vorgegangen, als sie die Scheibe aufnahm? Einige Tracks - wie z.B. das pittoreske "What's The Use Of Wandering" sind doch selbst für sie eher atypisch. "Das ist eine Cover-Version aus einem alten Rogers & Hammerstein-Musical namens 'Carousel'", verrät sie, "ich habe das in der Highschool aufgeführt. Ich hasste es. Das Musical glorifiziert quasi Gewalt im Heim. Darum geht es auch in dem Song. Eine Freundin erzählt einer anderen, dass sie von ihrem Mann geschlagen wurde. Die Botschaft des Songs ist dann: Wenn du ihn liebst, wird alles gut. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist ja bösartig. Deswegen habe ich es auch als Parodie angelegt." In "Blake Says" zitiert Amanda nicht nur im Titel, sondern auch musikalisch und inhaltlich Lou Reed. "Blake ist ein Ex von mir", lacht Amanda, "ich liebe Velvet Underground und ich mochte die Idee, das mit Blake in Einklang zu bringen, weil er solch einen starken Charakter hatte. Ich mochte immer diese VU-Songs, wo jemand - Stephanie oder Lisa - etwas sagte. So etwas wollte ich mit Blake auch machen - und dabei auch eine Hommage an VU mit einbringen - deswegen die Zeilen aus anderen Lou Reed-Songs. Ich habe Blake übrigens diesen Song vorgespielt und er mochte ihn - da war ich schon erleichtert." Ist das nicht ein wenig wagemutig? "Meine goldene Regel ist die, dass ich niemals einen Song über jemanden schreiben würde, den ich der betreffenden Person nicht auch vorspielen könnte. Denn ansonsten bekommt man ja Ärger." Wer ist "Melissa Mahoney" - der Charakter aus dem Song "Oasis"? "Das ist ein zusammengesetzter Charakter aus mehreren High School-Bekanntschaften - unter anderem mir selber. Ich habe diesen Song geschrieben und der Name ist mir einfach eingefallen. Er klingt wie ein Klassiker - ein typischer Name eines Mädchens an der High School. Ich setze mich nämlich niemals hin, um einen Song über eine bestimmte Person zu schreiben. Eine Zeile führt zu der nächsten und auf ein Mal ist das Thema da." Wonach sucht Amanda denn ansonsten? "Es ist eher umgekehrt: Nicht ich suche etwas, sondern der Song findet mich. Es ist meistens eine Zeile, die zur Melodie passt, die mir im Kopf herumschwirrt - wobei ich immer überlegen muss, ob das jetzt meine Idee ist, oder aus einem anderen Stück stammt. Das ist schwer zu beschreiben, weil ich nicht weiß, was da passiert und es auch gar nicht wissen will, weil der Prozess dadurch entmystifiziert würde. Sagen wir mal so: Ich schreibe eigentlich immer das, was ich selber auch hören möchte."

Amanda Palmer
Was inspiriert Amanda musikalisch heutzutage? "Das eigenartige Geheimnis mag vielleicht sein, dass ich letztlich gar nicht so viel Musik höre", erklärt Amanda, "aber ich habe natürlich meine 30-jährige Historie des Musik-Hörens in meinem Kopf und es gibt Bands, die mir in den letzten Jahren ans Herz gewachsen sind, von denen ich das eine oder andere in meiner Musik wieder hören kann. Aber die Musik, die ich dann tatsächlich höre und meine Musik haben keine Schnittpunkte. Ich bin dann manchmal wirklich besessen und hole mir eine Scheibe, die ich wochenlang ausschließlich höre, weil das alles ist, was mein Hirn verarbeiten kann. Letztlich war das z.B. eine Frank Sinatra-Scheibe, die mich so inspiriert, weil ich mich einfach gut dabei fühle." Was ist denn der Unterschied zwischen den Drummern Ben Folds und Brian Viglione? "Ich denke, dass Ben ganz bewusst darauf geachtet hat, dass er nicht Brian Vigliones Stil nachgeahmt hat. Er hat sorgfältig darauf geachtet, dass es nicht wie eine Dresden Dolls-Scheibe klingt. Ben arbeitet perkussiver als Brian. Brian verwendet die Drums als Ausdrucksmöglichkeit und Ben verwendet sie als Produktions-Werkzeug und als Werkzeug zur Akzentuierung und um die Songs zu unterstützen." Wenn Amanda und Brian zusammenspielen, dann tun sie das ja auch fast in der Art wie Jazz-Musiker das tun. "Das hat sich mehr oder minder so entwickelt", bestätigt Amanda, "das ist das schöne, wenn man in einem Duo arbeitet, weil man da vollkommen frei miteinander arbeiten kann. Unser Ziel auf der Bühne ist zunächst dem anderen zuzuhören. Wir können uns blind gegenseitig folgen." Das ist ja auf der neuen Scheibe gewiss anders. "Ja, das ist keine Scheibe, auf der wir improvisiert haben", macht Amanda deutlich, "es war letztlich Bens Ideen, die aus den Songs das machen, was sie sind. Nimm z.B. 'Astronaut", ein Song über den Gedanken, die Liebe gefunden zu haben, das aber nicht begreifen zu können - den hatte ich gewissermaßen aggressiv im Kopf, wusste aber nicht, was ich daraus machen sollte, bis Ben vorschlug, Cellos und Synthies zu verwenden." Was macht Amanda eigentlich mit ihren Songtiteln? Ohne Gebrauchsanleitung scheinen diese ja gar nicht mit den Songs in Einklang zu sein? "Das sind Ideen, die sich aneinanderreihen", erklärt Amanda, "es ist - wie in 'Astronaut' - meist eine Reihe verschiedener Themen, die mich gerade beschäftigen, die dann in einem Song miteinander verquickt werden." Welche Rolle spielt die Sprache dabei? "Das ist ein Teil dessen, was den Song ausmacht", meint Amanda, "in dem Fall hat z.B. der Refrain das andere getriggert. Ich versuche immer, Sprache und Musik möglichst natürlich miteinander zu verquicken. Das war auch bei 'Coin Operated Boy' so - was mir beim spazierengehen eingefallen ist. Das ist auch das schöne an Ben: Er hat das erkannt und in Betracht gezogen und wir haben immer darauf geachtet, ob das alles auch als Scheibe, im Zusammenhang funktioniert." Was gibt es für Amanda an Zukunftsplänen? "Ich denke, dass ich mit dieser Scheibe ein Jahr oder so auf Tour sein werde. Dann reden Brian und ich darüber, eine neue Dresden Dolls-Scheibe zu machen und ich denke, dass ich auch mal eine Pause machen möchte. Das habe ich jetzt auch schon mal öfters gesagt, aber jetzt will ich es mal tun. Ich habe seit einem Jahr zum Beispiel nichts neues schreiben können, weil ich immer so viel zu tun hatte. Da könnte ich eine Pause wirklich gut gebrauchen."

Weitere Infos:
www.myspace.com/whokilledamandapalmer
de.wikipedia.org/wiki/Amanda_Palmer
www.roadrunnerrecords.de/artist/Amanda+Palmer
www.dresdendolls.com/bio/bio_amanda.htm
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Amanda Palmer
Aktueller Tonträger:
Who Killed Amanda Palmer
(Roadrunner Records/Warner Music)
 

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