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30.01.2009
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EISBRECHER

Keine Ärsche küssen!

Eisbrecher
Geduldig lächelt er in die Kameras, beantwortet Fragen und lässt seinen Stift über Autogrammkarten, CD-Booklets, T-Shirts und Eintrittskarten sausen. Die Fans drängeln sich um ihn, wollen in den Arm genommen werden oder wenigstens ein paar Worte mit ihm sprechen: Alexx Wesselsky, der Sänger der Band Eisbrecher, kommt nicht zum Verschnaufen. Dass er schon seit den frühen Morgenstunden unterwegs ist, dass er seit über einem Monat keinen freien Tag mehr hatte - das lässt er die Fans nicht spüren.

Dabei fing der Tag für Eisbrecher nicht gerade gut an. Die Stadt Köln will die Konzerthalle, die Expo XXI, nicht für das Konzert frei geben. Schließlich sei der Veranstaltungsort nicht für Konzerte mit 4.000 Besuchern gemacht. Die Dekoration, die in der kargen Halle für eine schöne Atmosphäre sorgen soll, darf nicht angebracht werden. Es fehlen Feuerlöscher und andere Dinge, die in den letzten Minuten vor dem Einlass noch schnell geregelt werden müssen. Stress pur…

Doch das bringt die Münchener Band, die zusammen mit Unheilig, Staubkind und vielen Fans, den Abschluss des Jahres 2008 feiern wollen, nicht aus der Ruhe. Mit einem grandiosen Konzert wollen sie das Jahr verabschieden. Ein Jahr, das für Alexx Wesselsky und Noel Pix, den Köpfen hinter Eisbrecher, nicht hätte besser laufen können. Ihr jüngstes Album "Sünde" stieg auf Platz 18 in die Media-Control-Charts ein, sie feierten mit ihrer Tour einen riesigen Erfolg. Viele Konzerte waren ausverkauft - in Berlin wechselten sie vom Kato in den Columbia-Club und verkauften auch hier alle Tickets. Wer sich zu spät um eine Karte bemühte, der musste draußen bleiben. Genau wie in Hamburg, Köln und beim Tourabschluss in München. "Wir sind selbst überrascht, dass wir in 2008 diese Erfahrung gemacht haben", sagt der Frontmann. In Berlin hätten sie bestenfalls mit 300 Zuschauern gerechnet. "Dann haben wir gedacht, dass 500 Zuschauer schon der Wahnsinn wären und plötzlich war der Laden ausverkauft." Und auch jetzt, in 2009, scheint sich der Erfolgskurs fortzusetzen: Die Tickets für den zweiten Teil der Sünder-Tour finden rasend schnell Abnehmer. Und auch für die Szene-Festivals wie Amphi (Köln), Wacken (Auchrich und Kreuth), das WGT (Leipzig), das Castle-Rock (Mülheim a. d. Ruhr) sind Eisbrecher schon gebucht.

Dabei sah es bis 2007 nicht immer gut aus für die Band, die Noel Pix und Alexx Wesselsky im Jahr 2002 gegründet haben. "Von 2002, meinem Ausstieg bei Megaherz, bis 2007 wusste ich schon manchmal nicht mehr weiter. Ich hatte keine Ahnung, was ich noch machen sollte, hatte kein Geld mehr, kein dies, kein das…" Der Erfolg blieb zwar nicht komplett aus - doch auch ein Durchbruch schien sich erstmal nicht abzuzeichnen. Selbst bei "Sünde" gab es anfangs ein paar Probleme - so wird das Album gegen den Willen der Band mit einem Kopierschutz versehen und ist, weil sich der Vertrieb und Amazon streiten, eine ganze Zeit lang nicht mehr bei dem Internetanbieter erhältlich. "Wir haben zuerst ganz schön gestaunt, als die ersten Beschwerdemails kamen. Ich selbst kaufe meine Platten nämlich nicht bei Amazon." Alexx empfiehlt, mal wieder einen Plattenladen zu besuchen. "Nur leider gibt es ja keinen Plattenladen mehr, der den Namen auch verdient hätte. Schlimm. Und genau daraus resultiert das Machtmonopol, das wir immer stärker beobachten. Guck dir doch mal die Preispolitik bei Saturn und Mediamarkt, guck dir doch mal die Preispolitik von Amazon und so weiter an. Sie drehen die Preisschraube immer weiter nach oben und trotzdem verdienen die Künstler immer weniger. Sie verarschen alle. Sie verarschen die Künstler, sie verarschen die Kunden, sie verarschen die Vertriebe. Es ist absurd. Heute kaufe ich eine Platte für 18,99 Euro und die gleiche Platte gibt es nächste Woche für 7,99 Euro im Supersonderrabatt. Ich mein, ich fühle mich als Kunde nur noch verscheißert." Alternative Strukturen seien wichtig - solche bei denen die Menschlichkeit und nicht der Gewinn im Vordergrund steht.
Probleme gab’s aber auch schon in den Jahren zuvor. Es war nicht immer leicht für den Zwei-Meter-Hünen, der sein Leben der Musik verschrieben hat. 1994 gründete er zusammen mit Noel Pix die Band Megaherz, mit denen sich die beiden im Sektor der Neuen Deutschen Härte zu etablieren versuchten. Mit mäßigem Erfolg. Megaherz rockten sich zwar in die Herzen der Fans, erreichten jedoch nie die Masse. Nach dem erfolgreichsten Megaherz-Album "Kopfschuss" verließ Noel Pix im Jahr 2000 schließlich die Band. Zwei Jahre lang spricht er kein Wort mehr mit seinem ehemaligen Bandkollegen, bis sich die beiden durch Zufall auf einem Konzert begegnen und sich aussprechen. Mittlerweile ist auch Alexx bei Megaherz ausgestiegen. Und dass, obwohl die Kritiker und Veranstalter meinten, dass die Band mit ihrem neuen Album "Herzwerk II" kurz vor dem Durchbruch stünde. "Mir ist damals alles zu hardrockig geworden. Die Platte markiert einen Wendepunkt - ich wollte mehr Elektronik in der Musik haben."

Mittlerweile machen Alexx und Noel die Musik, die sie selbst gerne mögen: Sie probieren sich aus, mischen Rock mal mehr und mal weniger mit Elektronik und lassen sie manchmal gar die Überhand gewinnen. "Da hätten wir eigentlich auch früher drauf kommen können. Schließlich haben wir bei der Megaherz-Platte 'Kopfschuss' ein ähnliches Konzept gehabt. Pop meets Schwarz meets Rock. Es ist modern und geht in alle Richtungen auf." Und genau diesen Faden haben die beiden Musiker mit Eisbrecher aufgegriffen und weiterentwickelt. "Wir sind völlig frei und können uns zwischen Schlager und aggressivstem Industrial bewegen." Das ist aber auch ein Risiko, das Eisbrecher unter Umständen den Kopf hätte kosten können - schließlich ist es nicht jedermanns Sache, ein Album zu hören, das sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Doch der Kopf ist noch dran, der Band geht es besser denn je. Vielleicht auch, weil die Stücke, obwohl sie sich nicht gemeinsam einordnen lassen, immer unverkennbar nach Eisbrecher klingen. Schon allein die tiefe Stimme von Alexx Wesselsky hat einen Wiedererkennungswert und lässt nicht nur den Damen das Blut in den Adern gefrieren. Der Sänger ist dankbar für die Chance, die er bekommt: "Wenn dir deine Fans die Möglichkeit geben, dich auszutoben und dich dadurch immer weiterzuentwickeln, dann hast du das große Los gezogen", sagt Alexx.

Die Fans. Auch sie sind eine wichtige Komponente für den Erfolg von Eisbrecher. Vielleicht sogar die Wichtigste: Sie organisieren sich in Streetteams, verteilen Flyer und Plakate, und versuchen immer mehr Menschen für die Musik ihrer Lieblingsband zu begeistern. Und fliegen auch schon mal über 8.000 Kilometer zum nächsten Konzert. "Das klingt jetzt vielleicht plakativ oder blödsinnig: Die Fans sind alles. Naja, sagen wir jetzt mal, die Fans sind mindestens 50 Prozent. Wenn du nämlich irgendwas machst, was niemandem gefällt, außer dir selbst, dann kann des hohe Kunst sein und alle finden es scheiße. Der Glücksgriff ist es, etwas zu machen, was vielen Leuten gefällt: Also mal ehrlich, wenn heute Abend beim Konzert beispielsweise keiner da ist, dann ist es ein Flopp. Alles wird also letztendlich über die Fans reguliert." Doch wie weit würden Eisbrecher gehen, um neue Fans zu gewinnen? Oder um auf einem großen Festival wie Rock im Park oder Hurricane zu spielen? "Ich fände es toll, aber ich werde jetzt keinem den Arsch küssen, um auf irgendeinem Festival zu spielen. Das wird schon, wenn man erfolgreich genug ist, wenn man seinen Weg geht. Du wirst uns auch nicht eines Tages beim Bundesvisionsongcontest treffen. Die Leute müssen mal begreifen, dass die Show der Star ist und alle anderen da mal ein bisschen durchs Bild hopsen dürfen. Wem hat es denn was genutzt? Keinem. Schau doch mal vor wie vielen Leuten Down Below spielen oder selbst Oomph. Ich denke, dass man sich nicht zum Affen für die verkorkste Medienindustrie machen sollte. Okay, ich trete selbst im Fernsehen auf - ich bin der Checker. Aber das ist autark von Eisbrecher, damit verdiene ich meine Brötchen. Und das macht Spaß. Aber beim Bundesvisionsongcontest, da will ich meine Helden, meine Lieblingsbands - ich will sie da nicht sehen. Es gibt einfach Grenzen, denn ich kann mich nicht auf die Bühne stellen und den Leuten sagen, dass sie nicht jeden Scheiß mitmachen sollen. Und dann mache ich jeden Medienverwurstungsquatsch mit. Schwachsinn. Muss auch nicht sein. Guck uns an. Waren wir schon mal im Fernsehen? Nein. Es geht auch ganz gut ohne. Ich muss nicht zur Bärbel Schäfer gehen und mich zum Heinz machen. Es gibt ja zum Glück andere, die es tun..."

Eisbrecher
Auch ein Unplugged-Album wird es von Eisbrecher eher nicht geben - auch wenn es vielleicht ganz gut ankommen würde. Bei der Release-Party des letzten Longplayers im sündigen KittyClub in München spielte die Band zwei Unplugged-Stücke. Die eigene Ballade "Herzdieb" und "Ti amo" von Howard Carpendale. Die Fans waren begeistert, die Band überlegte schließlich einige Shows in ausgesuchten, sündigen Clubs zu spielen. "Wir waren eigentlich immer erklärte Feinde von Unplugged-Sessions. Jede Rockband fängt irgendwann mal an mit Orchester was aufzunehmen oder Unplugged-Sessions aufzunehmen. Ich war nie ein Freund von so was. Jetzt haben wir das gemacht, es war eigentlich ein Jux, aber es hat uns selber unglaublich gut gefallen. Und dann kamen wir nicht mehr dazu, es noch einmal zu wiederholen. Vielleicht nächstes Jahr zu Weihnachten, wer weiß? Aber es muss nicht sein. Wir machen ja das, was wir machen, um eben nicht der Schwiegermutter zu gefallen. Und für mich ist das immer so 'ne Anbiederei, die Pilawa-Nummer der Rockmusik. Es wird nie ein Eisbrecher-Unplugged-Album oder so etwas geben." Aber wenn jemand Alexx vor zehn Jahren erzählt hätte, dass er heute eine Autosendung moderieren würde, dann hätte er denjenigen für bekloppt erklärt. "Sag niemals nie... Aber in dem Fall sage ich es trotzdem. Ich war noch nie auf einer Unplugged-Session von irgendeiner Band. Schuster bleib bei deinen Leisten. Stell' dir mal vor, AC/DC-Unplugged oder Motörhead-Unplugged - dann ist die Welt aus den Fugen."

Wer auf ein englischsprachiges Album hofft, wird ebenfalls enttäuscht werden. "Ich sollte über Emotionen in der Sprache singen, derer ich hundertprozentig mächtig bin, in der ich meine Gefühle hundertprozentig ausdrücken kann. In dem Moment bist du authentisch und diese Authentizität macht dich erfolgreich. Die Leute spüren, ob du authentisch bist, egal ob sie dich verstehen oder nicht. Ehrlichkeit in der Musik, die überwindet auch Sprachbarrieren. Darauf baue ich hundertprozentig. Aber wir können ja mal überlegen, wenn wir ins Ausland gehen, ob wir einen Song machen oder eine ordentliche Coverversion." Könnte das denn dann nicht doch als Anbiedern gewertet werden? Als Versuch, Fans durch etwas zu begeistern, was man selbst ablehnt? "Entschuldige, aber das gehört sich so. Wenn ich in Frankreich auf der der Bühne stehe, dann versuche ich mit dem Publikum so weit es geht französisch zu sprechen. In Russland habe ich versucht, so weit wie möglich Russisch zu sprechen. Respektvoll. Und wenn ich dann vielleicht noch eine russische Weise gewusst hätte, dann hätten wir sie vielleicht auch noch zum Besten gegeben. Vielleicht macht man mal was oder man bindet so etwas ein. Aber Eisbrecher ist und bleibt deutsch."

Während des Interviews in Köln erzählt Alexx, dass ihn in letzter Zeit Herz-Rhythmus-Störungen plagen. Die er wahrscheinlich nicht seiner hübschen Herzdame zu verdanken hat. Sondern seinen beiden Karrieren, die ihn zeitlich total in Anspruch nehmen. Auf der einen Seite ist er im Auftrag des Fernsehsenders DMAX unterwegs, um für Zuschauer Gebrauchtwagen zu testen. Auf der anderen Seite tourt er mit Eisbrecher quer durch Deutschland und Russland. Beißt sich das nicht manchmal? "Das beißt sich nur in sofern, dass der Tag nur 24 Stunden hat und ich viel mehr Zeit bräuchte. Sozialleben fällt dann eher aus. Ich habe irrsinnig viel zu tun. Ich habe jetzt wieder vier Wochen am Stück durchgearbeitet - gerade noch meinen 40. Geburtstag ums Eck gebracht und dann seit dem 20. November durchgearbeitet." Da denkt man doch manchmal drüber nach kürzer zu treten, oder? "Ja, okay, es ist hart. Aber ich verdiene kein schlechtes Geld, es macht Spaß. Und letztendlich ist diese Checker-Nummer so was von gut für die Band." Klar, schließlich ist Alexx eine wandelnde Litfasssäule, wenn er als Checker durch die Republik tourt. Immer trägt er Klamotten, auf denen zumindest das Eisbrecher-Logo zu sehen ist. "DMAX sieht es gar nicht so gerne. Die versuchen mir das endlich auszutreiben, aber ich werde es mir nicht austreiben lassen." Das glaubt jeder unbesehen, der schon einmal erlebt hat, was passiert, wenn sich der Sänger über etwas aufregt. Wer rhetorisch nicht geschult ist und nur über einen eher geringen Wortschatz verfügt, sollte sich dann schnellstmöglich aus dem Staub machen - ansonsten wird er ungespitzt in den Boden gerammt. Nicht mit Gewalt, sondern mit Worten. "Manchmal wünschte ich mir mehr Gelassenheit. Aber wäre ich nicht leidenschaftlich, würde ich mich nicht über einige Dinge aufregen, dann wäre ich auf der Bühne nicht authentisch."

Eisbrecher
Authentisch ist Alexx auch nach seinen Auftritten - wenn er über das ganze Gesicht strahlt, weil die Show erfolgreich war und gut bei den Zuschauern angekommen ist. Dann wird mitunter auch mal gefeiert. Doch ist das Musikerleben wirklich so wild, wie man es aus Filmen wie "Almost Famous" kennt? "Ja, es ist so, wenn man es zulässt. Aber ganz ehrlich: Wir sind auf Tour, wir spielen zehn Tage am Stück, jeden Tag - da musst du gesund bleiben. Du kannst nicht am nächsten Tag 'ne Scheißshow spielen, du kannst es nicht krachen lassen. Aber wenn du es wollen würdest, dann könntest du es ordentlich krachen lassen. Und manchmal, wenn es passt, dann lassen wir es auch ordentlich krachen." So wie im Oktober 2008 in München, als die Band den Tourabschluss, das fünfjährige Jubiläum und den Geburtstag des Eisbrecher-Live-Gitarristen Jürgen nach dem Konzert in der Garage Deluxe feierte. "Ja, genau… da war’s dann acht Uhr morgens, als ich in die Horizontale gefunden habe." Und wie man munkelt auch nicht im eigenen Hotelbett. "Auch nicht in meinem Hotelbett, ganz korrekt." Trotz solcher Ausnahmen versucht sich die Band auf der Tour fit zu halten. "Jeder will 'ne gute Show sehen. Ich als Fan von vielen Bands habe keinen Toleranzrahmen für einen sturzbesoffenen Frontmann. Das geht einfach nicht."

Im Moment arbeiten Eisbrecher am nächsten Album, im März geht es wieder auf Tour. Eisbrecher wollen live spielen, auch wenn Alexx nach 15 Jahren im Profi-Musik-Geschäft noch immer von Lampenfieber geplagt wird. "Ich habe so höllisch Lampenfieber, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ich werde vor der Show richtig krank. Das sind definitiv Krankheitssymptome, aber dafür entlädt es sich dann auf der Bühne umso mehr." Wenn sich die Angst in Adrenalin, die beste Droge der Welt, umwandelt. Dann wird Alexx zum Kapitän, der den Eisbrecher sicher durch das unruhigste Fahrwasser steuert. Und unterwegs jede Menge Passagiere mit an Bord nimmt. So wie in Köln, wo Alexx Stunde um Stunde für alte und neue Fans posiert und Autogramme schreibt.

Weitere Infos:
www.eis-brecher.com
www.myspace.com/eisbrecherkommando
de.wikipedia.org/wiki/Eisbrecher_(Band)
Interview: -Esther Mai-
Fotos: -Dietmar Otto-
Eisbrecher
Aktueller Tonträger:
Sünde
(AFM/Soulfood)
 

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