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25.06.2010
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GEMMA RAY

Nach dem Zufallsprinzip

Gemma Ray
Es ist ja nicht immer so, dass diese und jene Scheibe Teil eines großen Masterplans ist. Auch dann nicht, wenn es - wie in diesem Fall - um eine mit Cover-Aufnahmen geht, die Musiker ja normalerweise als lang gehegten Traum irgendwann in der Mitte ihrer Karriere angehen. "It's A Shame About Gemma Ray" stellt hierbei eine Ausnahme dar. Nicht nur, aber auch weil Gemmas letztes Werk mit eigenen Stücken, "Lights Out, Zoltar!", ja quasi noch warm ist und das nächste bereits so gut wie fertig. Wie kam es also zu einem Projekt wie "Shame", das zudem innerhalb einer Woche und zwischen den Feiertagen zum Jahreswechsel in New York unter der Obhut von Matt Verta-Ray entstand - und nicht, wie gewöhnlich, im heimatlichen England zusammen mit Michael J. Sheehy?

"Eigentlich fummele ich sowieso immer mit den Songs anderer Leute herum, wenn sie erst mal in meinem Kopf stecken geblieben sind", erklärt Gemma, "dabei erfinde ich sie eigentlich auch immer neu, anstatt sie einfach nur zu spielen. Als ich in New York Matt Verta-Ray (Speedball Baby / Heavy Trash / Jon Spencer) traf, fand ich einen Gleichgesinnten. Er hat eine so erfrischende Einstellung und glaubt zum Beispiel nicht an Zeitpläne oder so etwas, sondern an das Einfangen echter Momente - ganz ohne Zwang. Er hat vorgeschlagen, in seinem analogen Studio zusammen an ein paar Songs zusammen zu arbeiten - was wir dann auch taten. Es waren Cover-Versionen, weil das das war, was ich gerade im Kopf hatte." Es gibt ja jede Menge Gründe, Cover-Versionen auszusuchen - etwa, wie Howe Gelb vorschlägt, um die Originalversionen zu verbessern. "Also ich wüsste nicht, ob ich mutig genug wäre, so etwas zu sagen, aber ich habe nur einige Songs aus musikalischen Gründen gewählt - wie z.B. Gallon Drunks 'Put The Bolt In The Door', weil ich den liebe. Aber ich mag zum Beispiel weder Shirley Bassey noch 'Big Spender'. Aber meine beste Freundin ist gestorben und da wurde der Song auf ihren Wunsch bei der Beerdigung gespielt. Deswegen hat sich dieser Song in meinem Kopf festgesetzt - so herzzerreißend die Erinnerungen auch sein mögen." Ist das auch der Grund, warum Gemmas Version so dermaßen verkorkst und verdreht daher kommt? "Nun, ich habe Gefallen daran gefunden, durch ein Gitarren-Tremolo-Effektgerät zu singen. Das mache ich auf der Bühne auch. Und dann gab's da noch ein Delay und Matt hat das Feedback manipuliert. Hm. Ich verrate ja gerade meine ganzen Geheimnisse. Aber egal: Das ist dann dabei herausgekommen."

War es wichtig, dass das alles analog passierte? "In diesem Fall ja, da es sich aus Zufall so ergeben hat. Ich wollte das schon nutzen - auch weil wir nicht so viel Zeit hatten. Ich habe analoge Technik ja vorher gar nicht genutzt. Mich faszinierte einfach der Gedanke daran, mit zwei Spuren auskommen zu müssen." Wenn Gemma irgendetwas anpackt, dann wird das ja schnell recht düster - trotz allen musikalischen Dramas. Welche Emotionen sind denn am wichtigsten für Gemma? "Meine liebsten Emotionen haben eigentlich damit zu tun, alles möglichst kitschig, unterhaltsam und poppig zu machen - weil es nicht das ist, was ich normalerweise tue. Heraus kommt am Ende nämlich eigentlich doch immer etwas Düsteres, obwohl ich mich selbst gar nicht so fühle. Mein Bewusstsein arbeitet also immer auf einer anderen Ebene, als meine musikalischen Automatismen. Bei den Cover-Versionen habe ich zwar von vorneherein eher Moll-Akkorde verwendet, aber bei meinen eigenen Songs versuche ich, immer auch ein paar Dur-Akkorde dazwischen zu mischen. Ich versuche also, Clownskostüme und glitzernde, bunte Kostüme in den Mix zu werfen, um zu sehen, was passiert. Macht das Sinn?" Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum Gemmas Stücke am Ende immer ein wenig verdreht daher kommen, und in einem Kontext gesehen werden können, wie zum Beispiel die Musik, die in Spielfilmen zum Einsatz kommt, wie etwa bei Tarantino? "Tarantino-Filme sind ein gutes Beispiel", meint Gemma, "denn wenn Tarantino Musik einsetzt - auch ernsthafte -, dann verstärkt diese den komischen Effekt, den er beabsichtigt. Das ist es, was ich auch möchte: Die Dinge aus dem Kontext nehmen." Wie wählt Gemma denn ihre eigenen Themen aus? "Das ist schwierig, weil man von so vielen verschiedenen Dingen beeinflusst wird. Texte, die ich mag, enthalten immer gewisse Bilder und Zeitbezüge. Die Texte, die mich immer zu Pudding werden lassen, sind die klassischen Old-School-Pop-Songs mit wenigen Worten, die einfache Gefühle einfangen. Ira Gershwin ist ein gutes Beispiel für diese Kunst." Was ja daran liegen kann, dass Songwriter und Sänger damals getrennt waren. "Ja, daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht, aber das stimmt - und das macht diese Songs ja auch so universell. Diese Leute mussten sich ja in anderer Leute Schuhe hineindenken können und Songs für Leute schreiben, die ganz anders waren als sie selbst. Das ist erstaunlich, weil ich das auf technischer Ebene abstößt und ich selbst so etwas langweilig finde. Es funktioniert aber. Und das ist es, was ich mag: Wenn mich auf einfache Art etwas packt." Und wie funktioniert das musikalisch? "Das passiert eigentlich ganz natürlich, wie dir auch die meisten Songwriter bestätigen werden. Es ist nicht so, dass man sich hinsetzt und großartig etwas plant. Obwohl ich das eigentlich können möchte. Es ist aber so, dass ich nicht weiß, woher das kommt, was ich spiele - was fantastisch ist, aber auch frustrierend, weil es nur selten passiert. Wenn man sich für etwas entschieden hat, dann muss man sich damit arrangieren. Man muss sich dann selbst trauen und das Gehirn ausschalten." Es ist also ein bisschen Magie und ein bisschen Handwerk, oder? "Ja - wie alles im Leben. Und der Zufall kommt noch hinzu. Deswegen singe ich auch in mein Handy, wenn mir etwas einfällt, damit ich es nicht vergesse. Manchmal muss man sich eine lange Zeit mit etwas beschäftigen, manchmal träumt man auch etwas. Ich nehme heutzutage jedenfalls alles gleich auf, weil ich meine Lektion gelernt habe."

Was inspiriert denn die Musikerin Gemma Ray? "Gewiss bestimmte Musiker und Musik - aber ich höre mir gar nicht soviel Musik an. Mich inspiriert eher die Stille und ich mag es eigentlich auch gar nicht, mich an Orten mit viel Krach aufzuhalten. Was mich auch inspiriert - auch wenn es sich nach einem Klischee anhört -, ist das Reisen, Dabei bin ich gar keine Person, die von sich aus viel reisen würde. Aber ich habe Gefallen daran gefunden. Ich schreibe zwar nicht von den Orten, an denen ich mich aufhalte, aber sie inspirieren mich. Ich versuche nur, nichts zu erzwingen. Ich meine, der Gedanke gefällt mir schon, sich hinzusetzen und einen Song in dieser und jener Manier zu schreiben. Nur wäre ich mir dann selbst nicht mehr treu und deswegen kann ich es auch nicht." Was macht einen guten Song aus? "Ein neuer Sound oder etwas, was deine Aufmerksamkeit erregt. Durchschnittliche Dinge betrachte ich als musikalische Umweltverschmutzungen. Und Ehrlichkeit ist wichtig - bis hin zu dem Punkt, an dem es darum geht, unehrlich zu sein - wenn du weißt, was ich meine?" Was macht Gemma am meisten Spaß? "Ich mag zufällige Dinge. So war ich neulich - eigentlich nur wegen einer TV-Sendung - in Australien, blieb dann aber Monate da, weil ich Studio-Zeit bekam, denn ich lasse mich - wenn irgendmöglich - in Studio-Zeit bezahlen. Und obendrein wäre ich auch fast ein wenig braun geworden. Am liebsten setze ich mich aber mit meinen Effektgeräten hin und versuche, einen neuen Sound zu finden. Wenn dann noch ein neuer Song dabei entsteht, ist das das beste Gefühl der Welt. Ich bin gerne so etwas wie ein Entdecker." Hm. Wie hat Gemma denn die Methode entdeckt, die Gitarre mit einem Küchenmesser zu bearbeiten? "Zufällig", gesteht sie, "ich habe mit einem Slide-Effekt experimentiert und zunächst ein Stück Rohr ausprobiert, das mir dann aber runtergefallen war. Da war das Messer das nächste, was mir in die Finger kam. Es sieht nicht nur besser aus, sondern klingt auch besser."

Das nächste Album kommt also schon dieses Jahr? "Ja, ich denke im Juli. Ich habe es schon halb fertig und mische es im Sommer. Ich finde es langweilig, wenn man sich daran halten muss, wie in einer Fabrik jedes Jahr nur ein Album aufzunehmen. Das nächste Album wird ganz anders als alles, was ich bislang machte. Es ist seltsam, weil ich ordentliche Pop-Songs schreibe. Und ich werde ein Orchester verwenden und meine Rhythmus-Maschine und Weltmusik und Psychedelia - totale Gegensätze also." An den Gegensätzen scheint Gemma wirklich viel zu liegen. "Ja, das sagte ich doch. Man muss die Dinge aus dem Zusammenhang nehmen - wie zum Beispiel den Titel 'Drunken Butterfly' bei dem ich den Text von Sonic Youth genommen habe, die Musik aber von Krysztof Komeda - weißt du, dem Freund und Komponisten von Roman Polanski, der die Musik zu 'Rosemary's Baby' geschrieben habe. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass das zusammen passte und - bingo!" Okay - kommen wir noch mal zum Thema zurück. Warum befindet sich auf einer Scheibe mit dem Titel "It's A Shame About Gemma Ray" zwar Stücke von Mudhoney und dem Gun Club, aber keine Lemonheads-Cover-Version? "Das wäre zu offensichtlich gewesen", erklärt Gemma, "ich bin mit den Lemonheads aufgewachsen. Das Gitarre-Spielen habe ich mit einem Buch gelernt, in dem Songs von Buddy Holly, Nirvana und den Lemonheads waren. Ich muss auch gestehen, dass mein Labelchef sich den Namen für die CD ausgedacht hat, weil mir dauernd komische Sachen passieren, was er lustig fand." Wollen wir mal hoffen, dass Gemma auch weiterhin jede Menge komische Sachen passieren - wenn das am Ende zu solchen Ergebnissen führt.

Weitere Infos:
www.myspace.com/gemmaraymusic
www.lastfm.de/music/Gemma+Ray
www.bronzerat.com/gemmarayhome.html
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Gemma Ray
Aktueller Tonträger:
It's A Shame About Gemma Ray
(Bronzerat/Soulfood)
 

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