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02.08.2011
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THE THERMALS

Junk-Food in Wyoming

The Thermals
Letztes Jahr veröffentlichten die Indierock-Heroen The Thermals ihr fünftes Album, "Personal Life", auf dem die unbändige Power der Frühwerke von einer stärkeren Ausdifferenzierung der Dynamik und eine willkommene Entschleunigung abgelöst wurde. Seitdem ist das Trio aus Portland, Oregon, unablässig auf Achse, und dass die Band gerade live eine Wucht ist, dürfte aufmerksamen Lesern dieses Magazins schon länger bekannt sein. Nach einer ausgiebigen Club-Tournee im Frühjahr beehren uns Hutch Harris, Kathy Foster und Westin Glass nun schon wieder. Ihre von Gaesteliste.de präsentierte Sommer-Gastspielreise führt sie zu allerhand Festivals in ganz Deutschland und dem früheren Ostblock, und auch einige ausgewählte Indoor-Shows in Süddeutschland stehen auf dem Programm.

Auf die Reiseroute mit vielen langen Anfahrten hat sich die Band allerdings auf ihrer Anfang Juli zu Ende gegangenen Tournee mit Matt And Kim ausreichend vorbereiten können. Da die strapaziöse einmonatige Cross-Country-Tournee in New York zu Ende ging, stand im Anschluss noch eine genau 5.000 Kilometer lange Rückfahrt nach Portland an. Anderen Bands hätte vermutlich bereits der Gedanke daran den letzten Nerv geraubt, doch The Thermals funktionierten die Rückreise kurzerhand in einen einwöchigen Ausflug mit Klassenfahrt-Feeling um, die durch herrliche Facebook-Kommentare von unterwegs wie "Today we drove seven hundred miles, ate korean take-out, watched 'Ghostbusters' and listened to Led Zeppelin I-IV AND 'Houses Of The Holy'" begleitet wurde. Am traditionell mit Feuerwerk begangenen Nationalfeiertag hieß es sogar: "We are just gonna blow shit up in the van all day as we drive another 700 miles." - "Wir haben uns wirklich auf diese Fahrt gefreut, weil wir sonst nie die Chance haben, so etwas gemeinsam zu machen", sagt Bassistin Kathy, als wir die Band am ersten Wochenende der Tour treffen, und Gitarrist/Sänger Hutch ergänzt: "Wir haben das Ganze als Urlaub betrachtet, vor allem, weil die Matt And Kim-Tournee so hektisch war. Wir saßen den ganzen Tag im Van, haben dann gespielt und sind nach den Shows noch nachts weitergefahren, weil wir dem Nightliner von Matt And Kim gefolgt sind. Das waren schon ziemlich lange Fahrten, deshalb war es sehr schön, einfach ein bisschen ohne Zeitdruck fahren zu können." Lediglich die Tatsache, dass sie in einen Junk-Food-Rausch verfielen, bereitete drei Musiker einige Sorgen. Das schöne Wetter und die beindruckende Landschaft wogen das allerdings auf. "Wir haben die nördliche Route genommen und sind durch Minnesota, North Dakota, Wyoming und Montana gefahren. Dort war es wirklich wunderschön", erzählt Kathy. Zumindest auf diesem Wege hat die Band also einige Staaten besucht, in denen sie noch nie aufgetreten ist!"Stimmt!", bestätigt Hutch. "In Wyoming haben wir noch nie gespielt. In Alaska auch noch nicht! In Rhode Island sind wir auch noch nie aufgetreten und ich glaube, auch noch nicht in Vermont und Arkansas. In allen 50 US-Staaten gespielt zu haben, wäre schon sehr cool. Ich erinnere mich daran, dass The White Stripes auf einer ihrer späteren Tourneen all die Staaten abgegrast haben, die sie zuvor immer ausgelassen hatten. Am Ende hatten die dann alle 50 beisammen. Das hat mir sehr gefallen."

Inzwischen haben The Thermals in den USA einen Status erreicht, der ihnen die Umsetzung eines ähnlichen Vorhabens durchaus erlauben würde. "Wenn du anfängst und dich keiner kennt, spielst du ja vor allem in Kleinstädten, aber sobald du bekannter wirst, konzentrierst du dich plötzlich nur noch auf die größeren Shows in den größeren Städten", erklärt Kathy. "Jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir gerne wieder kleine Shows auf den Dörfern spielen wollen." - "Die Leute dort wissen es wirklich zu schätzen, wenn du dir die Mühe machst, weil so viele Bands es eben nicht tun", ist sich Hutch sicher. "Das haben wir bei unseren Auftritten in North und South Dakota sowie in Montana festgestellt." Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Band auch bereits von den größeren Städten in Europa genug hat. Kürzlich rechnete Hutch vor, dass die Band bereits mindestens zwölfmal in Amsterdam gewesen sei. Stuttgart oder Heidelberg - wo die einzigen Clubshows der Sommertournee stattfinden - tauchen dagegen nur höchst selten auf der Reiseroute des Trios auf. "Wir haben kürzlich mal nachgezählt: Wir sind schon in über 20 deutschen Städten aufgetreten! Das ist schon verrückt", findet Hutch. "Allerdings haben wir auch gehört, dass einige Punk- und Hardcore-Bands einen ganzen Monat lang in Deutschland unterwegs sind!" Während The Thermals in den USA und in Europa schon viel gesehen haben, waren sie im Rest der Welt erstaunlicherweise noch nicht viel unterwegs. "Wir waren zwar in China, aber ich würde auch unheimlich gerne in Japan, im Mittleren Osten und in Südamerika touren - eigentlich überall!", sinniert Kathy, und Hutch fügt hinzu: "Wir sollten auch schon zweimal in Australien touren, aber aus Gründen, auf die wir keinen Einfluss hatten, sind beide Reisen kurzfristig abgesagt worden."

The Thermals
Vielleicht lag das ja daran, dass The Thermals ihre fünf Platten bei Sub Pop respektive Kill Rock Stars veröffentlicht haben, deren Schwerpunkte woanders liegen. Darf man sogar einen Zusammenhang mit der unlängst von Hutch bei Facebook geposteten Frage nach dem Lieblingslabel der Fans vermuten, oder war das eher ein Spaß zum Zeitvertreib? "Ich war einfach neugierig", verrät er. "Ich wollte wissen, wie clever die Leute sind, da ich das Gefühl habe, dass viele früher viel stärker als heute darauf geachtet haben, wo eine Platte herauskommt. Wenn ich bei Facebook solche Fragen stelle, interessiert mich auch, wie viele Leute antworten, und in diesem Fall war der Rücklauf überwältigend. Es waren auch eine Menge witziger Antworten dabei. Einige schlugen Columbia oder Atlantic Records vor und einer schrieb 'Bit Torrent'! Letztlich hat sich aber gezeigt, dass die Leute die gleichen Labels mögen wie wir: Sub Pop, Kill Rock Stars, auch Merge wurde des Öfteren genannt. Ich benutze Facebook gerne für diese Art von Research. Nicht unbedingt in geschäftlicher Hinsicht, sondern einfach, um zu sehen, was in den Köpfen der Leute vorgeht, die unsere Band hören. Ich hab ja auch gefragt, welche Bücher, Filme und anderen Bands sie mögen, und bin auf eine Menge neuer Musik durch die Diskussionen auf unserer Facebook-Seite gestoßen. Außerdem hat mich interessiert, inwieweit die Leute heute noch der Meinung von Magazinen wie Pitchfork folgen. Es stellte sich heraus, dass viele der genannten Bands genau die sind, die Pitchfork hypt." Und wie finden The Thermals - außer über Facebook - neue Musik, wenn sie nicht die klassischen Magazine lesen? "Vor allem durch Mundpropaganda, durch Empfehlungen von Freunden oder Bands, mit denen wir gemeinsam auf Tour sind. Oft hörst du auch einfach etwas, was in den Clubs läuft, in denen wir spielen", antwortet Kathy. "Als Teenager und mit Anfang 20 habe ich viele Zines gelesen und viele Mixtapes gehört, jetzt verbringe ich allerdings kaum mehr Zeit damit, mir Sachen online anzulesen. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist dafür einfach zu kurz, und außerdem erschlägt dich die Fülle der Online-Informationen ja förmlich."

Eine andere Möglichkeit, auf neue Bands zu stoßen, sind sicherlich auch Festivals. Doch wie gehen The Thermals eine Festivalshow im Vergleich zu einem Clubauftritt an? "Weniger Pausen!", erwidert Hutch lachend. Außerdem spielen die Thermals ihre Songs auch einfach ein bisschen schneller - allerdings nicht unbedingt absichtlich. "Wir haben letztens darüber gesprochen und wir sind uns nicht ganz sicher, warum das so ist, sprich, warum uns im Studio ein bestimmtes Tempo richtig erscheint und wir die Songs live dann trotzdem schneller spielen. Das muss das Adrenalin sein!" Bereits bei der Frühjahrstour war auffällig, dass die Band zwar die Reihenfolge der Songs allabendlich änderte, der Pool an Songs aber unverändert und vergleichsweise klein blieb für eine Band, die fünf Platten aufgenommen hat. Dies ändert sich auch bei der Sommertournee nicht. Faulheit steckt trotzdem nicht dahinter - wengleich Kathy zugibt, dass sie noch nicht alle Songs mit dem vor drei Jahren zur Band gestoßenen Drummer Westin einstudiert haben, dies aber in Zukunft tun wollen -, vielmehr hat das Trio die Wünsche des Publikums dabei im Blick: "Gerade bei Festivals versuchen wir uns auf die Hits zu konzentrieren, anstatt all die alten Songs auszugraben", erklärt Kathy. "Wir sind bemüht, die Lieblingssongs des Publikums, die, die am häufigsten gewünscht werden, jeden Abend zu spielen." Bei den Thermals gilt also "Give the people what they want"? "Ja, natürlich!", schallt es unisono von allen dreien zurück, bevor Kathy lächelnd noch eine Einschränkung anhängt: "Zumindest, solange wir die Songs geprobt haben..."

Weitere Infos:
www.thethermals.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigabe-
The Thermals
Aktueller Tonträger:
Personal Life
(Kill Rock Stars/Cargo)
 

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