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02.10.2012
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KEN STRINGFELLOW

Das Schwere trifft das Liebliche

Ken Stringfellow
Mit The Posies hält Ken Stringfellow seit 25 Jahren gekonnt klassische Power-Pop-Traditionen hoch, als sträflich unterbewerteter Solist ließ er auf bisher drei Platten seine Liebe zu den 60s und 70s mit klassischem Singer/Songwritertum verschmelzen, als langjähriger Studio- und Bühnen-Sideman legendärer Bands wie Big Star oder R.E.M. wurde er auch einem größeren Publikum bekannt. Nun erscheint das musikalisch äußerst ambitionierte vierte Soloalbum des inzwischen fast 44-jährigen Musikers, "Danzig In The Moonlight". Doch nicht nur viele Hörer werden vermutlich ein bisschen Zeit brauchen, bis sie sich in dem in alle erdenklichen Richtungen ausschlagenden Werk zurechtfinden - etwas, das Stringfellow billigend in Kauf nimmt -, auch er selbst musste einen sehr langen Anlauf nehmen, bis das Album endlich fertig aufgenommen war. Gaesteliste.de traf den seit inzwischen fast einem Jahrzehnt in Paris lebenden Amerikaner am Rande eines Auftritts in Groningen, um über sein neues Album zu sprechen.

Acht Jahre sind seit Stringfellows letztem Alleingang verstrichen. Geplant war eine solch lange Veröffentlichungspause als Solist allerdings nicht. Bereits anderthalb Jahre nach Veröffentlichung von "Soft Commands" im Herbst 2004 trug er sich mit dem Gedanken an ein weiteres Album abseits der Posies. Mehr noch, auch eine klangliche Richtung schwebte ihm bereits vor. Im Dunstkreis von Death Cab For Cutie, The Shins und Metric wollte er sich bewegen, und lediglich die Tatsache, dass er in seiner Wahlheimat keine passenden Mitstreiter finden konnte, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen, ließ ihn den Plan zunächst einmal auf Eis legen. "Ich bin froh, dass ich weitergesucht habe und mich irgendwann von der Idee verabschiedet habe, der Platte einen bestimmten Klang verpassen zu wollen", sagt er heute rückblickend. "Ich hätte dieses Album schon vor einer Weile machen können, aber ich war einfach zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt."

Erste Songs entstanden dennoch schon damals. Im Frühjahr 2007 fing Stringfellow an, die ersten nun auf "Danzig In The Moonlight" verewigten Songs live zu spielen, und in "110 Or 220 V" und "Even The Forgers Were Left Fingering The Fakes" hallt auch heute noch klar sein damaliges Interesse an einem eher an den Indie-Folk angelehnten Stil wider. Ende 2007 war sogar bereits eine Handvoll neuer Songs in seinem Live-Repertoire, bevor ihm seine neue Band The Disciplines "dazwischenkam" und er mit ihr in eine musikalisch völlig andere Welt eintauchte. Ganz gerieten seine Solostücke allerdings nicht in Vergessenheit. Im Dezember 2009 trommelte er einige befreundete österreichische Musiker zusammen, um bei einem One-off-Konzert in Wien gleich acht neue Songs, also praktisch ein komplettes Album, in voller Bandbesetzung zu spielen, doch auch danach fand er nicht den Weg ins Studio, zumindest nicht als Solist. Stattdessen nahm er mit The Posies das im Herbst 2010 veröffentlichte Album "Blood/Candy" auf (und benutzte dafür einen der besten neuen Songs aus seinem Solo-Programm, "She's Coming Down Again!").

Erst seine ausgiebige Produzenten-Tätigkeit für eine Vielzahl über den ganzen Globus verstreuter Künstler in den letzten beiden Jahren, die ihn immer öfter mit dem seelenverwandten niederländischen Allround-Talent JB Meijers und dessen Zirkel exzellenter Sessionmusiker zusammenführte, machte letztlich den Weg frei für "Danzig In The Moonlight". Als Meijers vorschlug, gemeinsam Studiozeit in den berühmten ICP Studios in Brüssel zu buchen, einer der absoluten Topadressen unter den Tonstudios auf dem europäischen Festland, und nicht nur die Studiokosten, sondern auch die Backingband zu teilen, um parallel Solowerke von beiden einzuspielen, konnte Stringfellow nicht mehr Nein sagen. Er habe in den letzten Jahren durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Meijers viel gelernt, sagt er und ist auch sonst voll des Lobes für seinen holländischen Kollegen: "Das Beste an unserer Zusammenarbeit ist, dass wir nie auf verlorenem Posten stehen. Wir werfen uns einfach gegenseitig Ideen zu und finden immer schnell einen Weg, sie sicher zur Landung zu bringen." Außerdem teile er mit seinem Komplizen die gleiche Sicht der Dinge: "Er beschäftigt sich unglaublich viel mit all den aktuellen Genres, kennt sich natürlich aber auch mit all dem alten Kram aus. Für ihn ist alles einfach Musik - und genau so sehe ich das auch! Dagegen sind viele Indierocker, die ich kenne, in ihrem Denken ein wenig beschränkt und davon überzeugt, dass Musik bestimmten Pfaden folgen muss und alles andere uncool ist. Für sie muss alles klar kategorisiert sein."

Ken Stringfellow
Ganz anders bei den Musikern, mit denen Stringfellow letzten Herbst innerhalb nur weniger Tage elf der 14 Songs seines neuen Albums in Brüssel einspielte. "Die Musiker, mit denen ich dieses Mal zusammengearbeitet habe, sind ungeheuer vielseitig und einfach unglaublich gut", schwärmt er. "Ich würde sogar sagen, dass sie besser sind als so ziemlich jeder, der mir bislang in der Welt des Indierock begegnet ist. Sie haben einfach eine umfangreichere Bandbreite, mehr Tiefgang und größere Erfahrung und können die Songs auf jede erdenkliche Art und Weise spielen." Das kam Stringfellows Ansatz sehr entgegen. Einerseits wollte er zeitgemäßer klingen und sich damit ein wenig von dem perfekt umgesetzten Vintage-Sound seiner letzten Soloveröffentlichungen lösen, andererseits wollte er den neuen Songs gewissermaßen ihren freien Willen lassen und sie nur ganz vorsichtig in die richtige Richtung bugsieren. "Im Allgemeinen arbeite ich am liebsten in vollkommener Freiheit", unterstreicht er seinen besonderen Ansatz bei seinen Solowerken. "Ich glaube trotzdem nicht, dass das Ergebnis deshalb zu vage ist. Vielleicht kommst du beim Hören des Albums zu einem anderen Ergebnis, weil das Album in alle möglichen Richtungen läuft, aber das ist genau das, was ich wollte! Wenn ich mit einer Band arbeite, hilft es in der Regel, auf etwas abzuzielen, das mehr Zusammenhang hat. Allerdings glaube ich noch nicht einmal, dass meinem Soloalbum der Zusammenhang fehlt, ich halte es lediglich für vielfältig und umfassend."

Obwohl er eigentlich dafür bekannt ist, seine Stücke bis ins letzte Detail auszustaffieren, übte sich Stringfellow dieses Mal in vornehmer Zurückhaltung. Zwar sind die Songs auf "Danzig In The Moonlight" alles andere als nackt oder roh, dennoch setzte er dieses Mal mehr auf die Ensembleleistung, anstatt in akribischer Kleinarbeit viele verschiedene Instrumente selbst einzuspielen und so viele Spuren aufeinanderzutürmen. "Das Studio hat solch einen tollen Klang und der Haustontechniker kennt JB schon lange und das Studio selbst noch viel länger, dass es gar nicht notwendig war, nachträglich viel hinzuzufügen", erklärt Stringfellow. "Trotzdem klingen die Songs groß und vollkommen." Außerdem überzeugte ihn seine Frau Dominique davon, dass weniger oft mehr ist. "Wenn es nach ihr ginge, würden die Songs nur aus Gitarre und Gesang oder Klavier und Gesang bestehen", verrät er. Letztlich strebte er nach einem Kompromiss zwischen den puristischen Vorstellungen seiner Frau, die zum Beispiel bei "110 Or 220 V" (halbwegs) verwirklicht sind und seinem schier unendlichen Ideenreichtum.

Ken Stringfellow
Doch auch wenn "Danzig In The Moonlight" ohne Frage stilistisch recht ausgefranst ist - auf der Grundlage seiner Indierock-Vergangenheit streckt Stringfellow die Fühler Richtung Folk, Country und gar Soul aus, hantiert mit modernen Indietronics und lässt bei aller Liebe zur Melodie noch Platz für geradezu proggig anmutende Ideen, die auch von Giant Sand-Schlitzohr Howe Gelb oder den Super Furry Animals stammen könnten - ist er sicher, dass er die unterschiedlichsten Versatzstücke auf subtile Art und Weise verarbeitet hat, ohne dass sie zur Persiflage verkommen. Dabei bedient er sich auch einiger aus der Psychedelik stammenden Ansätze: "Psychedelia beruht ja ursprünglich auf dem Konsum spezifischer Drogen. Eine der Besonderheiten der psychedelischen Drogen ist, dass kleine Dinge, winzige Details plötzlich ganz groß und sonderbar bedeutsam erscheinen: 'Oh, der rote Stuhl dort steht neben einem gelben...' Du vermutest hinter allem eine besondere Symbolik, auch wenn sie gar nicht existiert. Du glaubst, Symbole zu sehen, die andere nicht wahrnehmen, und dass du der Einzige bist, für den die Wahrheit nicht verschleiert ist. Bei meiner Herangehensweise an die Text und die Musik nutze ich gerne kleine Details, die ich dann aufblase. Das finde ich sehr interessant, weil ich an den genauen Einzelheiten interessiert bin und die Künstler mag, die ebenfalls darauf Wert legen. Der andere wichtige Aspekt bei psychedelischer Musik ist die Schwere. Alles muss heavy sein. Das erreiche ich, indem ich auf dieser Platte - auf die mir eigene Art - viele apokalyptische Themen anschneide, weil das ja hinsichtlich des Maya-Kalenders ein besonderes Thema des Jahres 2012 ist. Haben wir es vielleicht wirklich so weit getrieben, dass es keine Zukunft mehr gibt? Anzeichen dafür gibt es ja. Ich glaube zwar nicht, dass die Welt wirklich dieses Jahr endet, aber zumindest setze ich mich textlich mit dem Was-wäre-wenn-Szenario auseinander." Doch während bei den meisten Künstlern, die sich mit dem Thema der drohenden Apokalypse auseinandersetzen, Angst und Schrecken die Szenerie bestimmen, hat Stringfellow eine andere Sicht der Dinge, wie er abschließend erläutert. "In einem der Songs blicke ich zum Beispiel als Beobachter, der ich als Schreiber nun einmal sein kann, auf das Ende der Welt, und aus meiner Perspektive sehe ich etwas Wunderschönes", erklärt er und erinnert an den Lars-von-Trier-Film "Melancholia". "In gewisser Weise kommt dabei das Schwere und das Liebliche zusammen."

Weitere Infos:
www.kenstringfellow.com
www.danziginthemoonlight.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Ken Stringfellow
Aktueller Tonträger:
Danzig In The Moonlight
(Lojinx/Alive)
 

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