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11.01.2013
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VILLAGERS

"Lasst uns eine Portishead-Platte machen!"

Villagers
Vor fast drei Jahren bescherte uns Conor J. O'Brien mit dem Villagers-Debüt "Becoming A Jackal" wohl eines der aufrichtigsten und empfindsamsten Alben der letzten Zeit. Die darauf enthaltene akustische Intimität, aber auch die tiefempfundenen Bekenntnisse in schlichter, poetischer Form berührten auf unmittelbare Weise und machten den jungen irischen Künstler gleichzeitig zu einem der Hoffnungsträger der Singer/Songwriter-Szene. Für den Nachfolger "{Awayland}" diente allerdings ein ganz anderer Ansatz für Inspiration und folglich eine musikalisch bemerkenswerte, gelungene Weiterentwicklung. Die elektronische Musik wurde in der monatelangen Arbeit am zweiten Villagers-Werk zum treuen Begleiter für den Mercury Prize-nominierten Songwriter und führte diesen auch mit Verstärkung einer Band im Rücken hin in eine großflächige, rhythmisch komplexe Klanglandschaft, die sich dennoch die nötige Leichtigkeit bewahrt.

Es wäre leicht gewesen die interessierten Zuhörer und die ihm zugewandte Presse mit einem weiteren Dutzend emotional ergreifender Songs zu bedienen und die auf dem Debüt eingeschlagene Richtung weiterzuführen, die den ersten veröffentlichten Songs so viel Ankerkennung einbrachte. Befriedigend wäre dieser Schritt allerdings nicht gewesen und so erweckte Conor J. O'Brien stattdessen wieder seine Vorliebe für elektronische Musik zum Leben, der er neben der Akustik-Gitarre stets zugeneigt war. Eine Entscheidung, die der Villagers-Frontmann wie folgt erklärt: "Als ich die Arbeit am neuen Album begonnen habe, wollte ich unter keinen Umständen eine Platte machen, die vom Charakter her und im Vergleich zu 'Becoming A Jackal' mit noch mehr Eingeständnissen und Beichten aufwartet." Ein Bekenntnis, das O'Brien nur mithilfe eines kleinen musikalischen Richtungswechsels in die Tat umsetzen konnte, wobei die emotionale Direktheit der alten Stücke weitesgehend durch einen klanglich aufgeschlosseneren Vibe ersetzt werden sollte.

Obwohl gerade die emotionale Größe des Debüts eine so große Anziehungskraft auf das Publikum ausübte, führte sie auf der Seite das ehemalige Mitglieds von The Immediate dazu, dass sich dieser dadurch mehr und mehr in eine Ecke gedrängt sah: "Es kam mir teilweise so vor, als ob ich das Publikum mit meinen Emotionen manipulieren würde. Ich habe versucht die Leute dazu zu bringen, meine Emotionen nachzuempfinden." Ein Zustand, der bei den neuen Songs durch eine dazu bewusst gegensätzlich erzeugte Leichtigkeit ersetzt werden sollte. Mit "{Awayland}" ließ O'Brien die Emotionalität zwar nicht ganz hinter sich, führte diese aber laut eigener Aussage an einen "pulsierenden Ort" und widmete sich mit diesem Ziel vor Augen der instrumentalen Weiterentwicklung seiner Songs. Sogar, ohne dabei auf die Kraft seiner Stimme zu vertrauen: "Ich habe monatelang auf meiner Akustik-Gitarre herumgespielt, mir einen Synthesizer zugelegt und versucht, atmosphärische Klanglandschaften zu erzeugen. Dabei habe ich nur Musik gemacht, meine Stimme überhaupt nicht in diesen Prozess miteinfließen lassen und gelernt, Beats zu programmieren."

Villagers
Ebenfalls eine Wandlung im Entstehungsprozess des neuen Albums war die Besetzung der Musiker, die für das Einspielen der Songs zuständig war. Während Conor J. O'Brien beim Debüt noch als Solo-Projekt im Studio an den Songs arbeitete, wurde es beim zweiten Werk schon merklich voller im Aufnahmeraum. Bereits auf den letzten Touren hatte er sich mit der Idee angefreundet, auf weitere Musiker zu vertrauen und so war es nur natürlich diese auch für "{Awayland}" zu verpflichten. Ein weiteres Mal alleine im Studio? Eine unvorstellbare Situation für den unbefangenen Musiker: "Ich hätte mir nicht vorstellen können, mich wieder ganz alleine in die Aufnahmen zum neuen Album zu begeben. Monatelang sah unser Plan also so aus, dass wir als ganze Band ins Studio gehen. Ein paar Wochen vor Beginn der Aufnahmen bin ich dann aber ausgeflippt und habe jedem aus der Band eine eMail geschickt, wo drin stand 'Ich mache die Platte alleine. Niemand fasst meine Songs an!'" Nicht verwunderlich, dass er darauf keine Antwort erhielt und die übrigen Bandmitglieder sich in entsetztes Schweigen hüllten. Es dauerte aber nicht lange, bis Conor zur Einsicht kam und ihn das schlechte Gewissen so sehr plagte, bis eine zweite eMail in Umlauf geschickt wurde. In dieser revidierte O'Brien seinen ursprünglichen Impuls mit den Worten: "Lasst uns ein tolles Album machen!" und gab sich sogar so optimistisch, dass er dem Rest der Band verkündete "Lasst uns ein Portishead-Album machen!"

Das Ergebnis der Studioarbeit erinnert zwar wenig an die englischen Trip-Hop-Helden, ist dem elektronischen Einfluss nach, aber zumindest im Geiste eine Verneigung vor O'Briens Vorbildern, die auch Massive Attack und auch Asian Dub Foundation miteinschließen. Auch wenn am Ende nicht viel des elektronischen Outputs auf dem neuen Album gelandet ist, so waren es doch der Lernprozess und die ständige Beschäftigung mit dieser Musikkultur, die den Villagers-Frontmann auf die richtige Fährte gebracht und die Songs wesentlich geformt haben: "Die meisten Demos waren viel elektronischer und ich habe diese Stellen später entfernt. Ein Großteil der elektronischen Passagen der Demos diente mir nur dazu, meine Fähigkeiten auf diesem Gebiet auszutesten, voranzutreiben und das benötigte Equipment zu verstehen, nicht aber um den jeweiligen Songs mehr Gewicht zu geben. Ich habe die Stücke jeweils um diese elektronische Basis herumgeschrieben." Einen Berg digitalen Elektro-Müll vor der Studiotür und etliche Stunden später hatte O'Brien dann das Resultat, das ihm vorschwebte. Allerdings nicht ganz ohne eine weitere, wichtige Einsicht gewonnen zu haben: "Während dieses ganzen Prozesses habe ich ziemlich viel schlechte Techno-Musik gemacht. Irgendetwas davon ist dann aber doch am Ende auf dem Album gelandet, also waren die gemachten Erfahrungen nicht ganz umsonst, obwohl wirklich eine Menge faules Obst dabei war. Man hätte zwischendurch meinen können, ich wollte eine Krautrock Platte aufnehmen! So sehr ich mich aber der elektronischen Musik zugewandt habe, ich möchte mir auch in Zukunft die intimen, akustisch gehaltenen Momente meiner Songs bewahren und diese auf keinen Fall verlieren."

Villagers
Einmal ganz von den musikalischen Innovationen auf "{Awayland}" abgesehen, haben sich all die Mühe und die verbrachten Stunden hinter verschlossener Studiotür aber auch in persönlicher Hinsicht für Conor J. O'Brien gelohnt, der in dieser Zeit nebenbei seine eigenen musikalischen Fähigkeiten vorantreiben konnte: "Ich habe so viele Dinge gelernt, sogar Fingerpicking! Es fühlt sich ein wenig so an, als ob das fertige Album nur ein Nebenprodukt all dieser ganzen Lernprozesse ist, die sich während der Arbeit daran abgespielt haben." Ebenfalls neu ist auch Conors Einsatz an den Percussions, die er mittlerweile auch live auf der Bühne bedient: "Der Einsatz von Percussions war ein Versuch von mir, die Bühne mehr zu genießen und nicht immer nur an die Gitarre gebunden zu sein. Schließlich war das Schlagzeug meine erste große Liebe. Bevor ich mit dem Gitarrespielen angefangen habe, klopfte ich auf allem herum, was sich mir bot. Vor allem auf Töpfe!" Eine Liebe, die bereits begann, als Conor noch in den Kinderschuhen steckte und die heimische Küche im Haus seiner Eltern für musikalische Zwecke in Beschlag nahm. Heute erinnert sich der Villagers-Sänger gerne an diese Zeit zurück: "Ich war noch ziemlich klein. Ich bin schon als Kind in die Küche und habe den Schrankinhalt geplündert, damit ich mir mein eigenes Schlagzeug aus verschiedenen Töpfen bauen konnte."

Vom kleinen irischen Jungen, der in seiner Kindheit auf den Küchenutensilien der Eltern herumklopfte, zog es den talentierten Singer/Songwriter schon ein paar Jahre später im Rahmen einer Tour nach Hamburg. Ein Besuch, der sich nicht nur als skuriles, aber spannendes Erlebnis in O'Briens Gedächtnis einprägte, sondern ebenfalls in textlicher Hinsicht seine Spuren auf dem neuen Album hinterließ. Im Song "My Lighthouse" singt dieser "From the Reeperbahn to the Sundarban..." und nennt die Hamburger Vergnügungsmeile damit in einem Atemzug mit dem indischen Mangrovenwald "Sundarban". Zugegeben, eine textliche Wendung, die einige Fragen offen lässt. Der Erklärungsversuch von Conor J. O'Brien, hingegen, schafft Klarheit und hält einen ganz einfachen Grund für diese textliche Verzwickung bereit: "Der Besuch auf der Reeperbahn war eine sehr eigenartige Erfahrung. Du sitzt in einem Pub und überall rennen Prostituierte rum. Die ganze Atmosphäre vor Ort ist so zwanglos. Als kleiner Junge aus Irland ist das schon ein merkwürdiges Schauspiel und man denkt sich bei diesem Anblick 'Oh Gott!'. Ich hatte beim Schreiben des Textes für 'My Lighthouse' einfach die Idee, zwei völlig unterschiedliche Orte miteinander zu verbinden und das ist dann dabei rausgekommen. Ich hatte Glück, dass sie sich auch noch gereimt haben!"

Sowohl auf dem Debüt "Becoming A Jackal" als auch auf dem Nachfolger "{Awayland}" reihen sich immer wieder gerne Metaphern aus der Welt der Natur in den Songs aneinander. Für einen Künstler wie O'Brien, der in Irland lebt und aufgewachsen ist, keine Besonderheit, da die dortige Landschaft ihn seither umgibt und somit natürlich in seine Musik miteinfließt: "Irland hat eine wirklich schöne Landschaft. Vor allem die Region Donegal hat es mir angetan. Wir haben dort auch das neue Album aufgenommen. Ich wohne gleich neben einem großen Park und ab und an gehe ich dorthin, um mich auf's Gras zu legen und mir die Bäume und den Himmel dahinter anzusehen. Dabei kommen mir manchmal gute Ideen in den Sinn. Ich bin in einer kleinen Stadt am Meer aufgewachsen, deswegen taucht das Meer auch metaphorisch hin und wieder in meinen Songs auf." Der Villagers-Frontmann ein überzeugter Naturbursche? Nicht ganz, wie er uns beschwichtigt: "Ich mag es in der Natur zu sein, aber ich würde mich nicht als einen übermäßig naturverbundenen Menschen beschreiben. Dafür verbringe ich wirklich viel zu viel Zeit drinnen!"

Genügend Zeit, um sich im Zug des neuen Albums auch in den eigenen vier Wänden mit großen Dingen wie der Astrophysik zu beschäftigen. Kein geringerer als der amerikanische Astrophysiker Carl Sagan hat es Conor J. O'Brien so sehr angetan, dass er diesen nun maßgeblich für die Texte auf "{Awayland}" verantwortlich macht. Schuld an allem sei Sagans Fernsehreihe "Cosmos: A Personal Voyage" in den 80ern gewesen, von der Conor irgendwann ganz besessen war. Astrophysik und Musik haben auf den ersten Blick vielleicht nicht viel miteinander gemein, aber Sagans Hilfe sei Dank haben dessen Erkenntnisse dennoch einen besonderen Stellenwert für den irischen Ausnahmekünstler eingenommen: "Leute wie Sagan helfen mir dabei, Dinge wie die Schöpfungskraft und dergleichen als etwas Gutes anzusehen, vor dem ich keine Angst haben muss. Gerade als Musiker fragt man sich manchmal doch, ob es einen Sinn ergibt, all diesen Lärm zu produzieren und in die Welt zu setzen. Dann wiederum erkennt man, dass dieser Prozess auch eine Form von Entwicklung darstellt und hofft, dass andere Menschen dadurch wenigstens ein bisschen dazu verleitet werden, sich ebenfalls den Dingen um sich herum zu öffnen. Vielleicht ist es nicht unbedingt gut für mein Leben, alles zu hinterfragen, aber meine Musik profitiert auf jeden Fall von dieser Einstellung."

Eine Erkenntnis, die man beim Hören von Conor O'Briens letztem Streich "{Awayland}" geradewegs unterschreiben will, wenn uns dieser mit seinen neuen Songs in ein klanglich fernes, aber keineswegs unnahbares Land führt. Vielmehr entfachen die Stücke einen Entdeckungsdrang, der auch nach über der Hälfte des Weges nicht abebbt und uns mit jedem Song auf's Neue neugierig auf das Kommende macht. Wahrlich ein "{Awayland}", in dem man etwas länger verweilen möchte.

Weitere Infos:
www.wearevillagers.com
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Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Villagers
Aktueller Tonträger:
{Awayland}
(Domino Records/GoodToGo)
 

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