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01.03.2013
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STEVEN WILSON

The Raven That Hurried To Answer

Steven Wilson
Steven Wilson ist dreifach Grammy nominiert und schon als Gründer und Frontmann der Progrock-Formation Porcupine Tree bestens bekannt. Darüber hinaus als Pop- und Rock-Sideman (Blackfield, Storm Corrosion), als humoriger Grenzgänger (Incredible Expanding Mindfuck), Ambient-Pfleger (Bass Communion), Produzent (z.B. Opeth), sowie als Remix- und Reedit-Legende (u.a. Caravan, EL&P, Jethro Tull, King Crimson). Derzeit aber erfährt die Solokarriere des Briten die meiste Aufmerksamkeit. "Insurgentes" wurde von Kritikern gefeiert, "Grace For Drowning" vom Publikum bis auf Rang 22 der deutschen Album-Charts gekauft. Die Konzertkonserve der "Grace"-Tour, "Get All You Deserve", schaffte es bis auf Platz 2 der DVD-Charts.

Zum aktuellen Werk "The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)" war das Medieninteresse entsprechend nochmals gewachsen - und es war ein richtiger Interview- und Fotoshooting-Marathon in Köln anberaumt worden...

Steven Wilson
Bei den Fototerminen war der sympathische Brite zwar nicht auf den Dom, aber doch immerhin auf die Rheinbrücken gejagt worden. Dementsprechend waren die Überziehungen, wankte auch der Zeitplan schon gewaltig. Eisenhart stand jedoch die Abflugszeit des Barden zurück auf die Insel. In der Wartezeit auf die minütlich dahinschmelzende letzte Interview-Zeitscheibe ließen sich jedoch alte Freundschaften (cmm, der Agentur von KScope) auffrischen und neue knüpfen - mit "Heavy", einem noch blutjungen, aber schon beeindruckenden Chihuahua, der aber zweifellos als Rockrüde seinen Weg gehen wird.

Als der Autor schließlich doch noch Wilsons einfachen Hotelzimmer zugeführt wurde, war kaum noch Zeit übrig geblieben. Manch ein Rockstar hätte unter diesen Umständen gar kein neues Interview mehr begonnen, sondern wäre lieber die zehn Minuten früher Richtung Airport aufgebrochen. Nicht so Steven. Kurz verständigten wir uns darauf, den zusammengestrichenen Fragenkatalog möglichst knapp zu beantworten - ein echtes Entgegenkommen und sogar Opfer für Wilson, der eigentlich sprichwörtlich gerne, gut und viel spricht. Doch konzentriert, freundlich und und zugewandt wie stets gab der Brite das Folgende zu Protokoll.

GL.de: Das letzte Mal haben wir uns direkt vor der Show in der Live Music Hall gesprochen, als "Grace" bereits Chartserfolge feierte. Dieses Mal liegen die Interviews, wie bei Promotouren üblich, deutlich vor der CD-Veröffentlichung. Wie zufrieden bist du denn selbst mit dem "Raven"?

Ich bin wirklich stolz auf ihn. Nur - jedes Mal, wenn ich ein Album aufnehme, verliere ich früher oder später die Distanz. Irgendwann ist mir die Musik sogar über, ich mag sie nicht mehr hören. Das ist vermutlich ja auch bei allen Künstlern so.

GL.de: Den meisten, mit denen zumindest ich gesprochen habe, geht jede kritische Distanz völlig ab und ihr jeweils letztes Brainchild ist immer das schönste und großartigste.

Oh, ich glaube schon auch, dass das letzte eines meiner besten Alben ist! Aber trotzdem möchte ich es mir nicht wieder anhören. Jedenfalls für eine Weile... Ein anderes Problem, das vielleicht etwas morbide klingt, was es aber nicht soll: Wenn ich mit den Aufnahmen zu einer Scheibe fertig bin, fühlt sich das in gewisser Weise auch immer wie ein Scheitern an. Ich frage mich dann: habe ich wirklich erreicht, was ich mir vorgestellt und vorgenommen hatte?

GL.de: Man hat sich daran gewöhnt, dass Steven Wilson-Veröffentlichungen in den Himmel gelobt werden. Im Falle des "Raven" war ich aber schon verblüfft, wie ein Kritiker das Album schon als eine der Top-CDs des Jahres ausrief - im Januar! Wie gehst du mit solchem Ruhm um - und damit, auf all diesen Magazin-Covern aufzutauchen?

(lacht herzlich) Das ist doch einfach absurd. Allein schon das Verteilen von Listenplätzen an Musik ist lächerlich - es geht doch nicht um eine olympische Disziplin! Das hast du bestimmt im Internet gefunden? Ich habe zunehmend das Gefühl, dass das Web inzwischen aus drei Milliarden selbst ernannten Kritikern und Journalisten besteht. Was den Ruhm angeht: Es ist natürlich wunderbar. Nur ein sehr zynischer Mensch würde leugnen, dass einem beispielsweise eine Grammy-Nominierung ungerührt lässt. Doch wenn mir das mit, sagen wir mal, 22 passiert wäre, wäre es wirklich eine Riesensache für mich gewesen. Du weißt ja, dass ich mich über 20 Jahre hinweg für meine Musik lang gemacht habe, oft nichts zu beißen hatte, mich mit Werbejingles über Wasser halten musste und mir manchmal schwer nach aufgeben zumute war. Die Vorstellung, als Covergirl zu enden, wäre damals definitiv überraschend, aber vielleicht auch ein Trost gewesen (lacht).

GL.de: Verbirgt sich eigentlich im Titel des Albums auch ein Augenzwinkern in Richtung Alan Parsons, der als Toningenieur mitgewirkt hat?

Nein, denn als Alan an Bord kam, stand der Titel schon. Das Album beruht auf drei Kurzgeschichten von mir und Hajo Mueller, von dem auch die Zeichnungen und das sonstige Artwork stammen. Eine davon heißt "The Raven That Refused To Sing". Alle drehen sich um Übernatürliches und Geister. In "The Raven" geht es um einen heute alten Mann, der in jungen Jahren seine Schwester verloren hat und nie darüber hinweg gekommen ist. In dem Raben glaubt er ihre Reinkarnation zu erkennen. Seine Schwester hatte ihm früher immer vorgesungen, um ihn zu beruhigen. Nun versucht er den Raben zum Singen zu bewegen. Doch das passiert nur im Traum...

Steven Wilson
GL.de: Wie bist du auf die Engineer-/Producer-Legende Parsons als Partner gekommen?

Ich finde, dass viele Alben der frühen Siebziger den besten Klang überhaupt hatten!

GL.de: Besser als heute?

Absolut. Der heutige Referenzklang ist viel zu harsch, ja aggressiv. Doch die besten LPs der Siebziger haben diese "goldene", organische Qualität an sich, auch und gerade beim Sound. Die Toningenieure von damals haben eine Expertise, die heute allmählich ausstirbt - beispielsweise was Mikrofonierung oder die Nutzung von analogem Equipment angeht. Alan hat ein paar der bestklingenden Alben aller Zeiten aufgenommen. Das wollte ich auch (lacht). Ich hatte noch mehr Personen auf dem Zettel, weil ich nicht erwartet habe, dass er wirklich will und die Zeit findet. Doch es stellte sich glücklicherweise heraus, dass er meine Arbeit kennt und sehr mag und so hat er es ermöglicht.

GL.de: Konntest du ihm denn wenigstens ein paar Tricks abschauen?

Leider gar nicht! Ich bin ein furchtbarer Kontrollfreak und versuche normalerweise, alles selbst im Blick zu behalten. Einer der Gründe dafür, überhaupt jemand wie Alan zu suchen, war der, dass ich mich diesmal ganz auf die Musik konzentrieren wollte. Das hat auch toll geklappt, nur dazu gelernt habe ich so nichts. Aber "The Raven" hat einen wunderbaren Sound, das ist die Hauptsache.

GL.de: Das erste Stück auf dem Album, "Luminol", ist auch das älteste - ihr habt es schon auf der letzten Tour im Programm gehabt und auch das Video dazu gibt es schon länger. Die heftigen Jazzbreaks eingangs geben einen recht anspruchsvollen Einstieg in das Album ab?

Stimmt, es hat fast etwas von einer Absichtserklärung (grinst). Und es war mir wichtig, diesmal einen völlig anderen Anfang als den so sanften von "Drown" zu haben: Einen Beginn mit "Bämm" sozusagen.

GL.de: Es dauert um die fünf Minuten, bis erstmals richtiger Gesang einsetzt. Die Person, der wir dann begegnen, macht keinen besonders sympathischen Eindruck?

Er ist ein Straßenmusikant. Ein miserabler Musiker, den die Leute total ignorieren, sodass er in gewisser Weise schon ein Geist ist. Schließlich fällt er beim Musizieren tot um. Doch am nächsten Tag steht er wieder da! Es geht darum, in diesem Sinne ein Geist zu sein, keine Berührungen mit seinen Mitmenschen zu haben, überhaupt keinen Kontakt. Das haben wir doch alle schon mal erlebt oder? Ich kenne das jedenfalls sehr gut...

GL.de: "Drive Home" erinnert etwas an deine besten Arbeiten mit Porcupine Tree. Doch das später wiederholte Gitarrenthema des Intros scheint mir etwas von der schlichten Schönheit von Andy Latimers typischer Spielweise zu haben - ist das nachvollziehbar? Magst du Camel?

Natürlich, und ich finde Andy ist ein unglaublicher Gitarrist. Guthrie (Govan, u.a. The Aristocrats, d. Red.) und ich verständigen uns in Codes. Einer ist der "Einsamer Schwede im Wald"-Stil. Den wollte ich für diesen Song haben. Aber Du hast recht, Andy Latimer ist einer der absoluten Meister des "Einsamer Schweden"-Sounds.

GL.de: Zu deiner Band: Gary Husband fiel bei der letzten Tour wegen Krankheit aus und wurde durch Adam Holzman ersetzt...

Genau. Adam stieß in letzter Sekunde dazu und hat alles gerettet. Er ist einfach perfekt und wir haben ein Riesenglück gehabt, ihn so kurzfristig zu finden.

GL.de: Was ist aus Niko (Tsonev) geworden?

Niko ist phantastisch! Aber genau wie bei Aziz Ibrahim und John Wesley hatte ich das Gefühl, dass noch irgendetwas fehlt. Glaub mir, es wäre leichter gewesen, einfach alles beim Alten zu lassen. Aber ich habe weiter gesucht - und Guthrie gefunden!

GL.de: Sein Solo am Ende von "Drive Home" ist für mich eine der stärksten Stellen des ganzen Albums.

Und das wurde in einem Take aufgenommen!

GL.de: Der "Holy Drinker"... and his "unquenchable thirst" ist nicht Tantalus, oder?

Nein, das ist ein Typ, der ausgerechnet den Teufel unter den Tisch zu trinken versucht. Und das kann man natürlich nicht machen...

GL.de: ...es sei denn man ist Pole.

(lacht) ...oder man ist eine finnische Black Metal-Band!

GL.de: Wie ihr "Grace" auf die Bühne gebracht habt, war eines der ausgefeiltesten Tourkonzepte, das ich je erlebt habe. Das dürfte nur schwer zu toppen sein. Was können wir diesmal erwarten?

Hoffentlich eine noch größere und bessere Tour! Die limitierenden Faktoren sind immer Geld und natürlich die Konzerthallen selbst. Ich bin nun mal nicht Roger Waters, spiele nicht nur in Arenen und kann auch die Beschaffenheit der Austragungsorte nicht wirklich bestimmen. Super an der "Grace For Drowning"-Tour war, dass es uns gelungen ist, innerhalb dieser Limitationen stets eine spektakuläre Show mit gutem Sound zu liefern. Ich will nur so viel verraten, dass wir frische Ideen für die Präsentation und Visualisierung des neuen Materials haben. Außerdem wird Guthrie die Leute umhauen (lacht).

GL.de: Nur eine Beobachtung: Ich persönlich fand das "Grace"-Gesamtpaket sehr überzeugend. Ein Freund (und glühender Steven Wilson-Fan) auch. Nur das Konzert-Intro und -Extro mit dem immer lauter werdenden Bass Communion-Song fand er furchtbar. Er sagte, dass er sich zum ersten Mal während eines Konzerts genötigt gefühlt hat, wie bei einer Entführung.

Das machen wir wieder (lacht). Und zwar auf eine Weise, die besser zur Geister-Motivik vom "Raven" passt. Allerdings wird das Intro diesmal nicht eine Stunde vorher beginnen. Das war zu lang. Sonst ist es doch so: Du gehst zu einem Konzert, kommst in die Halle, wirst irgendwelcher entsetzlichen Disco-Mucke ausgesetzt und diskutierst mit deinen Kumpels die Fußballergebnisse. Wir wollten, dass die Leute diesmal Bestandteil des Gesamtkonzepts werden, sobald sie die Hallen betreten. Insofern war diese "Entführung" absolut Teil des Plans.

GL.de: Sprachs, lachte und raste los, um Taxi und Flieger zu kriegen...

Weitere Infos:
www.swhq.co.uk
www.facebook.com/StevenWilsonHQ
twitter.com/StevenWilsonHQ
www.lastfm.de/music/Steven+Wilson
itunes.apple.com/de/app/steven-wilson/id471256674?mt=8
de.wikipedia.org/wiki/Steven_Wilson
open.spotify.com/artist/4X42BfuhWCAZ2swiVze9O0
en.wikipedia.org/wiki/The_Raven_That_Refused_to_Sing_(And_Other_Stories)
www.alanparsonsmusic.com
youtu.be/n8sLcvWG1M4
Interview: -Klaus Reckert-
Fotos: -Lasse Hoile, cmm-
Steven Wilson
Aktueller Tonträger:
The Raven That Refused To Sing
(Kscope/edel)
 

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