28.06.2013 http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1473 |
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WAXAHATCHEE |
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Punk und Poesie |
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Katie Crutchfield ist erwachsen geworden. Sicher, tief in ihrem Herzen ist die liebenswerte 24-jährige Singer/Songwriterin immer noch die kleine Punkerin aus Birmingham in Alabama, die mit 13 ihre erste Gitarre bekam, mit 15 das DIY-Ethos für sich entdeckte und schon als Teenie gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Allison mit Pop-Punk-Bands wie den wunderbaren P.S. Eliot für Furore sorgte. Mit ihrem herausragenden neuen Album "Cerulean Salt", dem zweiten unter dem Namen Waxahatchee, verabschiedet sie sich nun allerdings gewissermaßen von ihrer Kindheit, von ihrer Unschuld und schlägt ein neues Kapitel auf. Verarbeitete sie vor zwei Jahren auf ihrem viel gelobten Solo-Erstling "American Weekend" noch in erster Linie ein emotional aufwühlendes Wochenende und eine in die Brüche gegangene Beziehung, ist der Blickwinkel auf dem Nachfolgewerk breiter, die gestellten Fragen sind existenzialer.
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Auch die musikalische Umsetzung ist eine andere: Nachdem sich Katie auf ihrem Debüt als mühelos zwischen Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit wandelnder Lo-Fi-Folkie mit willkommen rauer Stimme präsentiert hatte, verschlägt uns ihre energische neue Platte zurück in die frühen 90er, in eine Zeit, als die Musik elektrisch und laut gespielt wurde, die Intensität hoch war und Künstlerinnen wie The Breeders, Throwing Muses, Belly, Juliana Hatfield oder Liz Phair dem Mainstream eine Alternative aufzeigten. Ein nostalgisches Retro-Album ist "Cerulean Salt" aber trotzdem nicht geworden. Fest verwurzelt im Hier und Jetzt bedient sich Katie lediglich der gleichen Mittel wie die Heroen des Grunge- und Indierock-Booms vor zwei Jahrzehnten. "Ich war fünf, als Kurt Cobain starb", verdeutlicht sie gleich zu Beginn unseres Gesprächs nach ihrem Auftritt Mitte Juni in Köln. "Erst viel später begann ich mich für das ganze Indierock-Zeug zu interessieren, aber da lag das alles schon 15 Jahre zurück. In den 90ern schauten viele zurück auf die 70er, heute sind es die 90er, auf die zurückgeblickt wird. Ich denke, das ist okay, denn viele Sachen von damals sind einfach unglaublich gut. Außerdem ist der Klang der 90er das Gegenteil von dem, was heute gerade musikalisch angesagt ist. Ich wollte unbedingt weg von dem ganzen technischen Computer-Kram."
Der Zeitgeist hat Katie und ihre inzwischen in der Band Swearin' aktive Zwillingsschwester eh noch nie interessiert. Lachend erinnert sich die inzwischen erblondete Musikerin daran, wie Allison und sie als kleine Mädchen für alte Musicals schwärmten und begeistert jahrzehntealte Songs wie Debbie Reynolds' "Tammy" sangen. In der Mittelstufe entdeckte sie dann Bands wie die Ramones, später schlug ihr Herz für den Indierock: R.E.M. beeindruckte sie genauso wie Rilo Kiley, bevor ihre Highschool-Liebe (natürlich ein Musiker!) sie zum Hardcore brachte. Damals fing sie auch an, vollends in der lokalen DIY-Community aufzugehen. "Als ich im College war, gab es eine Phase, in der ich meine ganze Zeit damit verbrachte, unterwegs zu sein, Platten aufzunehmen oder Shows für befreundete Bands zu organisieren, und das Interesse an einer schulischen Ausbildung vollkommen verlor", erinnert sie sich. "Meine Eltern haben mich wirklich immer toll unterstützt, aber damals waren sie schon ein wenig angefressen." Als sie vor einigen Jahren das heimische Alabama Richtung New York verließ, hörte Katie dann auf, gegen den elterlichen Musikgeschmack zu rebellieren, und näherte sich Klassikern wie Bob Dylan, Paul Simon, The Mamas And The Papas oder auch Fleetwood Mac. "Heute habe ich gar nicht mehr richtig Zeit zum Musikhören", verrät sie. Die meisten ihrer aktuellen Neuentdeckungen gehen deshalb auf das Konto ihres Boyfriends und musikalischen Partners-in-crime, Keith Spencer. "Er ist ein echter Musiknerd", erklärt sie im Flüsterton, schließlich sitzt ihr Liebster im Raum nebenan. "In letzter Zeit hat er mir viele der Flying Nun-Bands aus Neuseeland vorgespielt, Tall Dwarfs zum Beispiel oder Dead C. Außerdem habe ich gerade eine Yoko Ono-Phase, und großartigerweise organisiert sie ja gerade ein Festival in London, bei dem sie Ende des Monats auch selbst auftritt - genau, wenn wir auch gerade in der Stadt sind!" |
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Doch nicht nur mit ihrer Liebe zu einem handgemachten, "echten" Sound gelingt es Katie, sich abzusetzen. Wirklich außergewöhnlich werden ihre Lieder vor allem durch die Texte. Zugegeben, ungemein persönlich gefärbte, ungeschönte Story-Songs hört man derzeit häufig - zumeist ist dabei allerdings auch eine gehörige Portion Selbstmitleid im Spiel. Der emotionale Ballast, den viele ähnlich gestrickte Künstlerinnen mit durch ihre Songs schleppen, fehlt in Katies Stücken dagegen vollkommen. Dafür brilliert sie mit einem oft betont nüchternen Vortrag, der dafür sorgt, dass dem Hörer die niederschmetternde Wucht vieler Textzeilen bisweilen erst nach mehrmaligem Hören vollends bewusst wird. Denn so unverblümt sie Momente und Situationen in ihren Texten auch beschreibt - trotz oft autobiografischer Note und Ich-Perspektive wahrt die Amerikanerin als Autorin stets eine gewisse Distanz zu den geschilderten Ereignissen und bedient sich damit eines literarischen Stils, den zuvor schon Größen wie Blake Schwarzenbach (Jawbreaker/Jets To Brazil/Forgetters) oder Kaia Wilson (Team Dresch/The Butchies) gepflegt haben. Über ihre Herangehensweise sagt sie: "Ich bin im Laufe der Jahre einfach unglaublich selbstkritisch geworden. Ich versuche stets über sehr persönliche Dinge zu schreiben, gleichzeitig tue ich aber alles dafür, dass ich das mit einer gewissen Reserviertheit mache, um nicht in das weinerliche 'Mir geht's so dreckig'-Klischee zu verfallen. Ich sage dem Hörer: 'Hier gibt's eine wirklich traurige Geschichte - wie fühlst du dich, wenn du das hörst?'"
Obwohl sie in der Vergangenheit nie Probleme hatte, ihre Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen - das Waxahatchee-Debüt hat sie innerhalb von nur einer Woche geschrieben und aufgenommen -, tat sie sich mit den Liedern für "Cerulean Salt" etwas schwerer und brauchte unerwartet lange für das Songwriting. "Das war schon etwas frustrierend", erinnert sie sich. "Ich lebte zu der Zeit in New York, also einer vollkommen überfüllten Stadt, in der Privatsphäre ein Fremdwort ist. Ich wohnte mit einem Haufen Leute zusammen, und es fiel mir sehr schwer, mich zu konzentrieren. Deshalb bin ich letztlich zurück nach Alabama gegangen, um den Großteil der Songs zu Hause zu schreiben." Dort konnte sich Katie in das abgeschiedene Wochenendhaus ihrer Eltern zurückziehen, das rund 50 Meilen südöstlich von Birmingham an jenem Waxahatchee Creek liegt, der ihrem Projekt den Namen gab. Eine erste Version des neuen Albums nahm sie dann bereits einige Monate später gemeinsam mit Keith auf, doch die Ergebnisse blieben hinter ihren Erwartungen zurück. "Wir sind die Aufnahmen angegangen wie die für 'American Weekend', aber letztlich haben wir sie schnell verworfen, denn sie waren einfach nicht... gut!", gesteht sie lachend. "Dann alles noch einmal aufzunehmen, war schon recht anstrengend und ermüdend. Rückblickend bin ich aber dennoch froh, dass wir uns die Zeit genommen haben, und ich möchte das auch in Zukunft so handhaben. Bislang war ich beim Aufnehmen immer sehr impulsiv, doch nun versuche ich, geduldiger zu sein."
Die zweite, nun veröffentlichte Version ist zwar weniger rau und ungehobelt als das herrlich rustikale, solistische Debüt, aber trotz Bandbegleitung unverändert vom Punk-Spirit durchdrungen. Eingespielt hat Katie sie im Keller des Hauses in West Philadelphia, das sie sich inzwischen mit ihrem Freund, ihrer Zwillingsschwester und deren Bandmates teilt, Co-Produzent und Musiker rekrutierte sie kurzerhand unter ihren Mitbewohnern. "Meine ganze Karriere bis zu dieser Platte drehte sich um die kleinen Unsauberkeiten und First-Takes, die Songs erst zu etwas Besonderem werden lassen, und auch bei 'Cerulean Salt' war das nicht grundlegend anders", betont sie. "Es ging mir keinesfalls darum, beim zweiten Versuch eine glattere Version der Platte aufzunehmen. Das Wichtigste war, den Kopf freizubekommen, um mich ganz den Aufnahmen widmen zu können. Wenn ich mich wirklich dazu gezwungen hätte, wäre ich sicher auch schon früher in der Lage gewesen, die Songs fertigzustellen, aber dann wären sie nicht so fokussiert, nicht so persönlich und nicht so gut artikuliert gewesen." |
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Natürlich weiß Katie um die große Chance, die sich ihr gerade bietet. Mit P.S. Eliot hatte sie sich ausschließlich im Untergrund getummelt, auch "American Weekend" fand anfangs nur in Insider-Kreisen Beachtung. Aber seitdem die Platte in praktisch allen wichtigen Medien in den USA abgefeiert wurde und - mit einem Jahr Verspätung - die Endjahres-Bestenlisten des Jahres 2012 gestürmt hat, ist Katie nur noch einen Schritt vom großen Erfolg entfernt - und ein bisschen mulmig ist ihr schon dabei. "Ich fühle derzeit eine Menge Druck", gesteht sie. "Es gibt so viele Beispiele für Künstler, die Fehler gemacht haben und deren Karriere vor ihren Augen zerbröselt ist. Das macht mir schon ein wenig Angst, aber dann sage ich mir: Ich habe bereits zehn Jahre Musik gemacht und praktisch keinen Cent damit verdient, bevor ich all diese Aufmerksamkeit bekam, und im schlimmsten Fall kehre ich einfach dorthin zurück. Es ist tröstlich, das zu wissen, und hilft mir, den Erfolg derzeit mehr zu genießen." Vom ersten Geld, das sie mit ihrer Musik verdienen konnte, hat sie sich nun erst einmal ein Klavier gekauft. Weitere und größere Investitionen hat sie, clever und bescheiden wie sie ist, aber nicht vor. "Ich versuche, nicht allzu viel auszugeben und so viel wie möglich zu sparen", sagt sie abschließend. "Wer weiß schließlich, wie lange das alles hier weitergeht!"
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Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe- |
Aktueller Tonträger: Cerulean Salt (Wichita Recordings/Pias/Rough Trade) |
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