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20.08.2013
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PVT

Fuck it, I'm not here to get a suntan!

PVT
Was es heißt Musiker zu sein, das wissen PVT aus Australien genau. Schließlich veröffentlichten sie dieses Jahr das mittlerweile vierte Album ihrer Karriere. Was jedoch das Menschsein ausmacht, das wollte das in London und Sydney beheimatete Trio beim vierten Studiowerk etwas genauer wissen und taufte das Ergebnis passend dazu "Homosapien". Doch auch nach dem Ende der Aufnahmen reißt das Dazulernen nicht ab. Aus Fehlern lernt man bekanntlich am meisten. Das musste auch Sänger Richard Pike unmittelbar vor Beginn des Interviews selbst erfahren, als das iPad beim Soundcheck unliebsam auf den Bühnenboden traf und sich im nächsten Moment in seine Einzelteile zerlegte. Trotz des zersplitterten Freundes der Band gab sich dieser anschließend äußerlich gefasst und sprach mit uns über die Hintergründe zu "Homosapien".

Nach "Church With No Magic" (2010) begaben sich PVT dieses Mal auf die Spur des menschlichen Wesens mit all seinen Facetten und versuchten das teils Flüchtige, teils Unantastbare dieser großen Unbekannten mit einer Reihe neuer Songs greifbar zu machen. Doch in was für einer Welt befindet sich der von ihnen besungene "Homosapien" eigentlich, der ins Zentrum des neuen Albums gerückt ist und im ersten Augenblick kaum etwas von sich preisgibt? Richard Pike versucht klärend ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und beschreibt ihn im Gespräch als das genaue Gegenteil eines weltfremden Gesellen: "Der Homosapien befindet sich in der ganz alltäglichen Welt, die uns umgibt und versucht dabei, seine Verbindung mit der Menschheit zu wahren bzw. sich seiner Menschlichkeit bewusst zu werden. Das war die grundlegende Idee, die wir bei der Entstehung des Albums verfolgt haben. Das Wort 'Homosapien' hat sich in unseren Köpfen festgesetzt, obwohl es genau genommen ja 'Homo sapiens' heißen müsste, bevor jetzt wieder alle aufschreien und uns korrigieren wollen. Durch die kleine Änderung des Namens hatte alles eine individuellere Note für uns. Letztendlich ist es für viele doch bloß ein wissenschaftlicher Begriff. Wir wollten aber, dass unserem Album etwas Menschliches anhaftet und der Bezug zum Menschsein deutlicher wird. Dabei war es auch wichtig, die Geschlechterfrage offenzuhalten und dem "Homosapien" kein weibliches oder männliches Gesicht zu geben. Jeder sollte sich beim Hören der Platte angesprochen fühlen."

Klingt alles wie ein durchgeplantes Konzept, ist aber in Wahrheit mindestens ebenso einem Zufall geschuldet, der dafür sorgte, dass all die gesammelten Ideen auch den passenden Rahmen bekommen würden. So erzählt uns der Sänger von PVT von seinem Urlaub in Italien, bei dem sich ein Teil zum anderen fügte und die Band dem ohnehin existierenden musikalischen Leitfaden den offiziellen Stempel aufdrückte: "Ich war gerade in einer Ausstellung in Italien als ich das erste Mal darüber nachdachte, mit dem Albumtitel so eine Art Hommage an den 'Homosapien' und all das Menschliche in unserem Leben zu verfassen. Die Albumaufnahmen waren zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie abgeschlossen und es war so etwas wie das letzte, fehlende Puzzleteil, nach dem wir Ausschau gehalten hatten. Es erschien uns einfach als sehr passend die auf dem Album angesprochenen Themen unter diesen Oberbegriff zu stellen."

Das menschliche Befinden und alle damit verknüpften Gebiete füllen nicht nur Bücher, sondern sind so weitreichend, dass sie einem schon einmal Falten auf die Stirn treiben können, wagt man sich diese näher zu erkunden und sich tiefergehende Gedanken darüber zu machen. Auch als Nicht-Philosoph ist es nicht ungewöhnlich, dass man auf der Suche nach bestimmten Antworten versucht, Zusammenhänge des zwischenmenschlichen Miteinanders zu deuten oder zumindest Vermutungen diesbezüglich anzustellen, um hinterher an einer definitiven Lösung des Problems zu scheitern. Vermeidliche Kleinigkeiten des Alltags wachsen dabei mitunter zu riesigen Komplexen heran. Eine Tatsache, die für Richard Pike ebenso erdrückend wie faszinierend ist: "Es gibt womöglich keine wirklichen Antworten auf all die Fragen, die uns als Menschen beschäftigen und nach denen wir tagtäglich in unserem Leben suchen. Vermutlich liegt der Reiz darin, eben ständig auf der Suche zu sein und niemals anzukommen. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass das menschliche Befinden in all seiner Komplexität nicht nur eine besondere Anziehungskraft ausübt, sondern gleichzeitig auch unergründlich erscheint und uns vor so viele Fragen stellt."

Fest steht für Pike jedoch eines bezüglich der gedanklichen Odyssey, auf die er sich kürzlich mit seinen Bandkollegen begeben hat: "Die ständige Suche und das Forschen nach Anhaltspunkten auf dieser großen Reise, die jeder von uns auf seine eigene Weise erlebt, ist vielleicht viel wichtiger als am Ende mit einer Erkenntnis dazustehen. Ich glaube der ganze Prozess selbst lehrt den Menschen mitunter weitaus mehr - selbst wenn man keine definitiven Antworten auf seine Fragen bekommt. Die persönliche Evolution eines jeden basiert doch genau auf diesem Prinzip des ewigen Suchen und Findens. Das Individuum bewegt sich dabei zwischen dem Mikro-und Makrokosmos umher und wird dadurch auf eine ganz spezielle Art geformt."

Diese Einstellung hat PVT dann letztendlich auch davor bewahrt, im Strudel der Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche unterzugehen, wie uns Richard glaubhaft versichert: "Uns war bewusst, dass es schon fast an Unmöglichkeit grenzt, so ein großes Thema auf einer Platte anzuschneiden und am Ende mit etwas Handfestem dazustehen. Darum sehen wir das Album auch nur als einen Bruchteil dessen an, was wir rund um das menschliche Befinden erforschen können. Schließlich ist das alles so ein weites Feld, dass es ohnehin nie ein abgeschlossenes Produkt geben kann." Was auf der einen Seite recht rational und bescheiden klingt, wird auf der anderen Seite durch den selbstbewussten Blick der Band auf die entstandenen Songs ein wenig in die gegensätzliche Richtung korrigiert, wenn auch mit einem Augenzwinkern von Pike: "In gewisser Weise kratzen wir mit 'Homosapien' an der menschlichen Existenz. Das mag jetzt vielleicht ein wenig großspurig daherkommen, denn ich glaube nicht, viele Leute würden behaupten Songs zu schreiben, die existenziell sind, aber ich bleibe dabei und bin in der Hinsicht durchaus anmaßend. Fuck it, I'm not here to get a suntan! Ich versuche etwas Interessantes zu machen!"

Dazu gehört für PVT auch ihre Musik auf instrumentaler und verbaler Ebene ein weiteres Mal neu zu definieren. Ganz im Sinne der menschlichen Weiterentwicklung liegt der Band auch im Jahre 2013 nichts ferner als sich dem kreativen Stillstand zu ergeben und so rücken vor allem die Vocals auf "Homosapien" immer weiter in den Fokus. Galten die Australier zu Beginn ihrer Karriere noch als Instrumentalband, ist die Stimme von Sänger Richard Pike heute kaum noch aus dem musikalischen Werk der Band wegzudenken und nimmt einen vollwertigen Platz in der kreativen Umsetzung der Songs ein. Dass diese gerade auf der vierten Studioexpedition verstärkt in Erscheinung tritt, erklärt uns der Frontmann der Band wiefolgt: "Der Inhalt auf textlicher Ebene hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Vocals auf 'Homosapien' ausgesprägter sind und eine größere Rolle einnehmen. Irgendwie hat sich angesichts der thematischen Ausrichtung der Platte alles recht natürlich dahin bewegt, dass auch die Stimme als Instrument mehr Gewicht bekommen hat und so konnten wir auch auf diesem Gebiet etwas mehr als sonst unsere Fühler ausstrecken und uns ausprobieren. Was passt da besser als der menschlichen Stimme mehr Platz einzuräumen und sie als unmittelbare emotionale Verbindung mit ins Spiel zu bringen? Nichts ist menschlicher als der Klang einer Stimme und kaum jemand fühlt sich beim Musikhören nicht direkt davon angezogen, selbst wenn diese verfremdet ist oder durch die begleitenden Instrumente ein wenig versteckt wird."

PVT
Diese Entwicklung, ebenso wie das für die Australier ohnehin typisch konträre Klangbild aus organischen und elektronischen Sound-Collagen, verdeutlicht einmal mehr die von PVT ausgehende Faszination rund um das Menschliche, aber auch das Technische in der Musik. Ist das Thema "Man vs Machine" gar mittlerweile so einnehmend, dass die Arbeit im Studio zum kleinen Showdown gerät, bei der beide Elemente miteinander kollidieren bis sich eine Seite durchsetzt? Pike nimmt diese Theorie mit Humor auf und zeichnet ein weniger dramatisches Bild des Geschehens: "Jeder Song ist auf seine Art ein kleiner Kampf für sich, bei dem die elektronisch ausgeprägtere oder eben auch die organische Seite des Musikmachens gewinnen kann. Es ist wie ein Spiel, dessen Verlauf man zu Beginn nicht abschätzen oder gar lenken kann. Wir machen uns da als Band keine Illusionen und versuchen bewusst, eine der beiden Facetten unserer Musik besonders hervorzuheben, sondern gehen jeden Song für sich recht unverblümt an. Wenn wir an einer neuen Platte arbeiten, zeigt sich immer ganz spontan, in welche Richtung es uns vielleicht ein wenig mehr zieht. Bei 'Homosapien' war dann wohl die menschliche Komponente im Vergleich zur ganzen Elektronik etwas dominanter. Wir hatten allerdings schon immer großes Interesse daran, beide Welten miteinander zu verbinden und uns dieser Herausforderung zu stellen. Es ist unheimlich spannend für uns, traditionelle Instrumente in einen Kontext mit der Vielfalt an elektronischen Klangmöglichkeiten zu setzen."

Entgegen der musikalischen Vielfalt gestaltete sich der Aufnahmeprozess für "Homosapien", zumindest der Umgebung nach, weitaus dürftiger, zog es das Trio doch für einige Zeit an einen abgelegenen Ort mitten im australischen Outback, wo die Band ungestört ihre kleine Forschungsreise in Sachen Sound auf die Zielgerade brachte. Der Aspekt der Abgeschiedenheit, der dabei unweigerlich ins Bild des Künstlers und zu dessen eigenbrödlerischen Grübeln über die Menschheit passt, wirft die Frage auf, ob man nicht vielleicht gerade an so einem Ort mehr als anderswo über das Menschsein lernen kann. Richard erinnert sich gerne an die Zeit in der Einöde und bestätigt die Vermutung: "An einem Ort wie dem Outback, der so leergefegt ist von der Zivilisation und den damit verbundenen sozialen Gepflogenheiten, wird man sich doch sehr darüber bewusst, was das Menschsein ausmacht und fängt unter Umständen an, sich mit einigen Aspekten etwas genauer zu beschäftigen. Einer der Hauptgründe für uns dort aufzunehmen, war jedoch die Abgeschiedenheit für unseren Fokus zu nutzen, den wir für die Aufnahmen brauchten. Wir wollten von so wenig Dingen wie möglich abgelenkt werden. In der Vergangenheit haben wir auch in Städten aufgenommen, aber das kann nicht nur teuer sein, sondern auch dazu führen, dass man nebenher immer auch etwas anderes macht."

Allein von der kargen Vegetation des Outbacks umgeben, fiel es der Band nicht schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, was allerdings nicht heißt, dass der Spaß ganz außen vorblieb, wie uns Richard berichtet: "Wir haben uns einen Haufen Equipment ausgeliehen, einen vierten Mann für den Sound ins Boot geholt und so haben wir dann in diesem kleinen Kreis am Album gearbeitet. Ab und zu kamen dann Freunde vorbei, was auch sehr schön und ein guter Anlass war, eine nötige Pause einzulegen. Der Ort, an dem wir uns befanden, war ja ziemlich karg und es gab rund um das große, alte Haus herum nicht sehr viel mehr als ein paar Schafe und Gestrüpp." Das hielt Pike allerdings nicht davon ab, bei Tagesanbruch auch einmal die Bekanntschaft der einheimischen Bewohner zu machen: "Ich bin morgens meistens für einen Spaziergang in die Umgebung aufgebrochen oder war ein wenig joggen, wobei ich ab und zu mal auf ein Känguru getroffen bin. Wir waren also nicht mutterseelenallein da draußen", scherzt Pike und bricht kurz darauf mit seinen Bandkollegen auf, um den im Studio zusammengebauten "Homosapien" live auf der Bühne wieder auseinanderzunehmen. Mit Erfolg.

Weitere Infos:
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Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
PVT
Aktueller Tonträger:
Homosapien
(Felte/Rough Trade)
 

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