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02.09.2016
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ANGEL OLSEN

Augenzwinkernde Ernsthaftigkeit

Angel Olsen
Wenn Angel Olsen singt, scheint die Zeit stillzustehen. Doch die 29-jährige Amerikanerin begeistert nicht nur mit ihrer vibrierenden Stimme und ihren Songs, sie ist auch herrlich unangepasst und macht lieber ihr eigenes Ding, als sich dem heute so beliebten Schubladendenken unterzuordnen. Kein Wunder also, dass sie mit ihrer ausgezeichneten dritten LP, "My Woman", nun alles daran setzt, ihre Vergangenheit als einsame Folk-Sängerin und den puristisch-sparsamen Sound ihres 2012er-Debütalbums "Half Way Home" endgültig hinter sich zu lassen. Nachdem sie schon vor zwei Jahren auf "Burn Your Fire For No Witness" einen psychedelischen Schleier über ihre feingliedrigen Songs stülpte, interpretiert sie ihre willkommen eigensinnigen Songs im Randgebiet von Blues, Folk, 70s-Rock und Indie auf ihrer neuen LP statt mit Gitarre bisweilen sogar mit Mellotron und Synthesizer und öffnet damit sogar die Tür zum Pop.

Angel Olsen
"Warum sollte ich mir sagen: Ich bin eine Folk-Musikerin, also ich darf mit Popmusik nichts zu tun haben?", fragt sie rhetorisch im Gaesteliste.de-Interview. "Anstatt so zu denken, habe ich mich kopfüber in andere Zusammenhänge gestürzt." Dabei hatte die inzwischen in North Carolina heimische Singer/Songwriterin ein ungewöhnliches Vorbild. Besonders inspiriert fühlte sie sich nämlich von einem Interview aus den 80ern, das Barbara Walters mit Dolly Parton führte. Als Dolly die Frage gestellt bekam, warum sie sich immer mehr von ihren Country-Wurzeln entfernt und sich mehr und mehr der Popmusik öffnet, erwiderte sie sinngemäß: "Ich will einfach Spaß haben und alle möglichen Leute erreichen!" Eine Sichtweise, die Angel sehr imponiert hat. "Das war solch eine simple Antwort, aber genau das ist der Punkt", sagt sie bestimmt. "Nur weil du etwas gut kannst, heißt das nicht, dass du für immer in diese Ecke gezwungen werden solltest. Darum geht es nicht im Leben."

Es ist die stetige Veränderung, die Angel bei ihrem Tun antreibt, auch wenn die Musikindustrie gerade heutzutage lieber auf Nummer sicher geht und an alten Erfolgsrezepten festhält, anstatt Künstler zu unterstützen, die gerne ins kalte Wasser springen. "Ich möchte mich konstant selbst herausfordern, um die Sache für mich selbst interessant zu halten", unterstreicht sie. Schon mit "Burn Your Fire For No Witness" traute sie sich deshalb aus der Ecke der puristischen Folk-Außenseiterin heraus, die sie so erfolgreich mit ihrem Erstling "Half Way Home" besetzt hatte, und wandte sich einem bandorientierteren Sound zu, der hörbar grungy war. Seitdem hat sie den Power-Pop für sich entdeckt und arbeitete sich von Kult-Klassikern wie The Nerves über Blondie bis zu den oft nur haarscharf am Kitsch vorbeischrammenden 80er-Jahre-Produktionen von The Cars vor. Doch auch wenn sich das hörbar auf "My Woman" niedergeschlagen hat, sieht Angel immer noch den roten Faden, der sich von Anfang an durch ihr Tun zieht. "Alle meine Songs und Alben haben gemeinsam, dass sie wagemutig sind und keiner der üblichen Strukturen folgen", sagt sie selbstbewusst. Zudem waren die klanglichen Veränderungen, die auf "My Woman" allgegenwärtig sind, mitnichten kalkuliert. Als Beispiel nennt Angel den Ohrwurm "Never Be Mine", der mit dezentem 50s-Flair und einem Schuss Bossa Nova kokettiert. "Das war der erste Song, den ich nach der Veröffentlichung von 'Burn Your Fire...' geschrieben habe, aber eigentlich war nie geplant, dass er auf ein Album kommt", erinnert sie sich. "Klar, er war eingängig, aber ich wusste nicht so recht, was ich damit anfangen sollte. Meine Band lernte ihn trotzdem, und der dritte Versuch, ihn zu spielen, ist die Version auf der Platte. Das geht oft so, wenn du ein Album machst. Wichtig ist, dass du dafür sorgst, dass all die unterschiedlichen Songs, die du hast, zueinander passen. Wenn dir das gelingt, sieht es am Ende so aus, als hättest du das alles akribisch geplant."

Auch das imposante achtminütige "Woman", bei dem keine Gitarre, sondern ein Mellotron den Ton angibt, entstand ohne konzeptionelle Hintergedanken. "Ich habe mich einfach ein wenig gelangweilt und deshalb habe ich mir ein Piano gekauft, denn ich hatte schon Klavier gespielt, lange bevor ich das Gitarrespielen erlernt und mich zur Folkmusik hingezogen gefühlt habe", verrät Angel. "Dann schrieb ich 'Woman' am Klavier, aber es klang ein wenig zu kühl, deshalb bin ich zunächst zur Orgel und für die Platte dann zum Mellotron gewechselt." Auch die Hinwendung zu Synthesizern, die gleich dem Opener "Intern" eine deutlich andere Klangfarbe geben, als man sie bislang von Angel gewohnt war, vollzog sie ohne große Hintergedanken. "Ich habe einfach viel Musik von John Maus, Brian Eno, David Bowie und Julee Cruise gehört und bin total auf diese schrägen 80er-Jahre-Sounds abgefahren", erklärt sie. "Das hat mich auf die Idee gebracht, mich an einer synthetischen Methode zu versuchen, die je nach Sichtweise des Hörers als augenzwinkernd oder ernsthaft wahrgenommen werden könnte. Für einen Moment habe ich überlegt, die Nummer an einen anderen Künstler weiterzureichen, der eher in dem Genre zu Hause ist, aber dann hab ich mir gesagt: "Scheiß drauf, auch das bin ich!"

Doch nicht nur klanglich gibt es Veränderungen. Auf der neuen Platte geht es inhaltlich mehr um tatsächliche Erlebnisse aus ihrem Leben als je zuvor, nie ließ sich Angel von ihrem Publikum so tief in ihr Seelenleben blicken. Damit ist die Platte nicht nur musikalisch, sondern auch textlich ein echter Befreiungsschlag für die Musikerin, die einst mit der Cairo Gang und Will Oldham alias Bonnie "Prince" Billy zusammenarbeitete, bevor sie Solopfade beschritt. "Ich weiß, dass sich das ein bisschen simpel anhört, wie etwas, das dir deine Mutter sagen würde, aber ich habe heute keine Angst mehr davor, ich selbst zu sein", sagt sie und bringt damit die Veränderung auf den Punkt. "Ich möchte lernen und mich entwickeln, und der einzige Weg dorthin ist, mich auch mal unerschrocken vorzuwagen und zu sehen, was herauskommt und ob mir das zusagt, was entstanden ist. Das wieder und wieder zu tun, macht mir eine Menge Spaß."

Angel Olsen
Es hat allerdings ein wenig gedauert, bis sie an diesem Punkt angekommen war. Denn sich mit ihrem wachsenden Erfolg zu arrangieren, ist ihr anfangs nicht immer leichtgefallen. "Inzwischen habe ich mich ein bisschen an all das gewöhnt, was dazugehört, wenn ich meine Arbeit, die mir sehr wichtig ist, promoten will, es gibt aber auch Aspekte, an die ich mich nie gewöhnen werde", sagt sie. "Glücklicherweise habe ich eine Menge Musiker um mich herum, die mal mehr, mal weniger erfolgreich sind, und das hat mir die Möglichkeit gegeben, das alles ein wenig besser einzuordnen." Eine der wichtigsten Lektionen, die sie dabei lernte, war, dass Humor ernst gemeinten künstlerischen Ambitionen nicht im Weg stehen muss. Also traut sie sich nun an Songtitel wie "Shut Up, Kiss Me" heran und trägt im Video dazu selbstironisch eine Lametta-Perücke, und auch wenn sie immer noch ihr eigenes Ding machen will, sieht sie sich inzwischen nicht mehr als Einzelkämpferin und Außenseiterin. Deshalb sagt sie ganz am Ende: "Ich fühle mich heute weniger isoliert und freue mich nun mehr auf all die Erfahrungen, die ich machen kann!"

Weitere Infos:
angelolsen.com
www.facebook.com/angelolsenmusic
twitter.com/angelolsen
www.instagram.com/angelolsenmusic
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Angel Olsen
Aktueller Tonträger:
My Woman
(Jagjaguwar/Cargo)
 

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