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21.03.2017
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THALIA ZEDEK BAND

Zeitlose emotionale Ehrlichkeit

Thalia Zedek Band
Wo sich andere Künstler in den besten Jahren auf Bewährtes verlassen und glauben, allein mit dem Aufwärmen alter Highlights und Markenzeichen ihre Schäfchen ins Trockene bringen zu können, geht Zedek den entgegengesetzten Weg. Mit "Eve", der letzten Sommer veröffentlichten aktuellen LP-Großtat ihrer Thalia Zedek Band, gelingt es der seit vier Jahrzehnten im US-Untergrund mit Come, Uzi, Live Skull und zuletzt auch E und Dyr Faser aktiven Musikerin aus Boston, furchtlos neue Pfade zu beschreiten und damit etwas noch besser zu machen, das sie vorher schon unglaublich gut beherrschte. Das Ergebnis ist ein intuitiver Blick nach vorn und die fesselndste Platte ihrer langen, beeindruckenden Karriere, auf der sie mit ihren großartigen Mitstreitern David Michael Curry an der Viola, Mel Ledermann an den Tasten, Winston Braman am Bass und Jonathan Ulman am Schlagzeug im Indierock-Dunstkreis die Fühler in alle erdenklichen Genres ausstreckt und wilde Drone-Rock-Songs mit kompletter Band-Power ebenso mühelos meistert wie fragile Folksongs, die nicht mehr brauchen als eine Akustikgitarre. Im März und April stellt Zedek die neuen Lieder bei Konzerten in Köln, Schopfheim, Wien und Berlin auch im deutschsprachigen Raum live vor.

Fast könnte man glauben, das Ausbrechen aus bekannten Bahnen sei Zedek derzeit besonders wichtig. Eine Vermutung, die die inzwischen 55-jährige Sängerin, Gitarristin und Songwriterin im Gaesteliste.de-Interview gerne bestätigt: "Nach 15 Jahren mit der Thalia Zedek Band hatte ich in der Tat das Gefühl, dass ich mich musikalisch etwas breiter aufstellen zu müssen, vor allem, um als Musikerin zu wachsen." Zuvor hatte sie sich einfach nicht so sehr weiterentwickelt, wie sie sich das gewünscht hätte. Sich an möglichst vielen verschiedenen Arten von Musik auszuprobieren, war der logische Ausweg. "Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich inzwischen eine bessere Gitarristin bin und ich deshalb ein bisschen relaxter bin", verrät sie. "Immer noch zu wachsen und neue Dinge zu lernen - das macht mich glücklich!"

Zeitlose emotionale Ehrlichkeit bildet auch auf "Eve" das Herzstück, doch während sie sich zuletzt bisweilen vom voluminösen, wunderbar "echten" Sound ihrer ausgezeichneten Band tragen ließ, rückt Zedek mit den entschlackten Arrangements ihrer sechsten Platte unter eigenem Namen selbst wieder stärker in den Mittelpunkt und betört mit leisen Momenten voller Intimität, die ganz auf ihre herrlich brüchige Stimme konzentriert sind. Das ist nicht zuletzt dem subtilen Drumming von Jonathan Ulman geschuldet, der seit drei Jahren zu ihrer Band gehört. "Jonathan ist die Art von Schlagzeuger, der eher etwas weglässt, als etwas hinzuzufügen, wenn er seinen Drumpart ändert", erklärt sie. "Seine Beiträge sind sehr strategisch, und das hat dieses Mal viel mehr Raum für die anderen Instrumente und besonders meine Gitarre und meinen Gesang gelassen."

Doch auch wenn Zedek auf "Eve" hörbar neue Wege geht, ist doch der rote Faden, der speziell die letzten drei Veröffentlichungen der Thalia Zedek Band verbindet, unüberhörbar. Nicht nur, dass "Via", "Six" und nun "Eve" Titel mit genau drei Buchstaben haben, mit "Fell So Hard" erschien ein Solo-Bonustrack von "Via" später als mitreißende Full-Band-Version auf "Six", und mit "Afloat" taucht nun eine Solonummer von "Six" als imposantes Classic-Rock-Epos mit Rolling-Stones-Flair und sanft orientalischem Touch auf "Eve" erneut auf. Kalkül steckte allerdings nicht dahinter, sagt Zedek: "Ich denke, das passierte eher unterbewusst, besonders die Sache mit den Drei-Buchstaben-Titeln. Bei den Songs ist es so, dass die Jungs in der Band alle schwer beschäftigt sind, und deshalb ist es für mich oft leichter, die Stücke erst einmal allein aufzunehmen, ganz abgesehen davon, dass ich auch den Solo-Sound mag, denn in einem Quintett klingt natürlich immer alles unglaublich dicht." Im Falle von "Afloat" waren es letztlich ihre Musiker, die das gemeinsam erarbeitete Band-Arrangement des Songs so sehr liebten, dass sie Zedek überzeugten, das Lied noch einmal in großer Besetzung einzuspielen. Doch auch wenn vieles darauf hindeutet - als Trilogie möchte Zedek die letzten drei Platten nicht wirklich verstanden wissen: "Das war nicht so geplant, allerdings haben die Platten schon alle den gleichen Ursprung, weil sie in einem recht kurzen Zeitraum entstanden sind. Es gibt also durchaus eine Verbindung."

Ein echtes Plus ist zudem auch der herrlich naturbelassene Sound der LP, der an all den richtigen Stellen wunderbar intuitiv anmutet. "Die Aufnahmen waren in der Tat sehr spontan. Bei manchen Songs haben wir einfach im Studio gejammt", verrät Zedek. "Das Ende von 'Not Farewell' zum Beispiel haben wir bei den Aufnahmen komplett improvisiert." Grund für die relaxte Stimmung bei den Sessions war nicht zuletzt Produzent Andy Hong, mit dem die Thalia Zedek Band nun bereits zum zweiten Mal zusammenarbeitete. "Andy unterstützt uns, wo es nur geht, und er macht das alles in erster Linie aus Liebe zur Musik", erzählt Zedek. "Er schaut nicht ständig zur Uhr. Das gibt dir als Musiker viel mehr Freiheit, und das führt dazu, dass du dich viel besser entspannen kannst."

Doch nicht nur beim Sound kann man die Freiheitsliebe der Band spüren. Auch beim Songwriting scheut Zedek nicht davor zurück, in ihre Songs unerwartete Drehungen und Wendungen einzubauen. Wo man bei vielen anderen Künstlern nach der ersten Strophe und dem ersten Refrain bereits weiß, wie der Rest des Liedes weitergeht, sorgt sie bei Nummern wie "By The Hand" oder "Northwest Branch" auf halbem Wege noch für Überraschungen. "Oh, es ist großartig zu hören, dass dir das gefällt", freut sich Zedek. "Es fühlt sich zwar völlig natürlich für mich an, so zu schreiben, aber manchmal bin ich ein wenig genervt davon und ich frage mich, warum die Lieder diese seltsamen Pfade einschlagen müssen, ob die Übergänge zu krass sind und ob daraus nicht besser zwei separate Songs werden sollten. In gewisser Weise würde ich mich gerne davon wegbewegen, denn ich mag eigentlich Musik, die betont simpel ist."

Dass ihre Songs so freigeistig klingen, ist das Resultat ihrer Arbeitsweise. Wo andere Künstler mit einem Masterplan an ihre Lieder herangehen und einem bestimmten Erfolgsrezept folgen, lässt Zedek gewissermaßen die Songs entscheiden, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen. "Die meisten meiner Lieder entstehen, wenn ich einfach Gitarre spiele, was ich gerne tue. Die Ideen strömen dann einfach aus mir heraus", erklärt sie. "Ich setze mich nicht hin und sage mir: 'Ich schreibe jetzt einen Rocksong in A.' Ich lasse meinen Fingern einfach freien Lauf. Das fällt mir ziemlich leicht. Bei den Texten ist es dagegen etwas anders, da ist es manchmal schon ein Kampf, bis ich mir sicher bin, worum es in einem Lied gehen soll."

Thalia Zedek Band
Doch auch wenn Zedek mit ihren Texten gerne die dunklen Ecken der menschlichen Existenz beleuchtet und ihre nicht selten bluesgetränkten Lieder in Düsterkeit taucht, gehört sie nicht zu den Künstlern, die dann am kreativsten sind, wenn der Kummer am größten ist. "Ich war in dieser Hinsicht immer schon anders", gesteht sie. "Ich war noch nie gut darin, Songs zu schreiben, wenn ich niedergeschlagen war. Ich versinke dann eher in Depressionen. Ich bin definitiv keine produktive Depressive. Ich trinke dann eher zu viel und übe mich im Komaglotzen. Ich schreibe am liebsten, wenn ich gut drauf bin, denn das Songwriting macht mich happy. Ich schätze mich wirklich glücklich, dass das so ist, denn ich kenne eine Menge Musiker, denen nichts einfällt, wenn die Dinge gut für sie laufen. Ich schreibe zwar viel über traurige Dinge, aber während sie geschehen, könnte ich sie nicht in Songs verarbeiten. Das gelingt mir erst, wenn alles ausgestanden ist. Vor einigen Jahren starb zum Beispiel ein enger Freund von mir. Das hat mich ziemlich mitgenommen und alle dachten, dass ich bestimmt ein Lied darüber schreiben würde. Das habe ich dann auch, aber bis es so weit war, gingen fünf Jahre ins Land."

Aber wie lange die Songs auch auf sich warten lassen - das Leben als Musikerin ist für Zedek auch nach all den Jahren alternativlos. Das weiß sie, seit sie vor einigen Jahren einmal kurz davor war, alles hinzuschmeißen. "Zwischen 2008 und 2010 habe ich mich gefragt, wie lange das alles noch gut gehen kann und ob ich nicht besser meinen Weg überdenken sollte. Das waren zwei der trübseligsten Jahre meines Lebens!", erinnert sie sich und muss lachen. "Ich hatte Erwartungen an die geschäftliche Seite meines Tuns, die ich einfach hinter mir lassen musste. Ich ließ mich von Dingen runterziehen, die sehr wenig mit der Musik zu tun hatten, und das stand mir im Weg." Am Ende war der Weg aus der Misere denkbar simpel: "Nachdem ich meine Erwartungen etwas zurückgefahren hatte, entschied ich mich, einfach mit der Musik weiterzumachen und nicht zu viel zu grübeln." Wie gut ihr das tut, kann man "Eve" mit jedem brillanten Ton anhören.

Weitere Infos:
facebook.com/ThaliaZedekBand
thaliazedek.bandcamp.com
thrilljockey.com/artists/thalia-zedek
en.wikipedia.org/wiki/Thalia_Zedek
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Ben Stas-
Thalia Zedek Band
Aktueller Tonträger:
Eve
(Thrill Jockey/Rough Trade)
 

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