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14.09.2018
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SLOTHRUST

Vereinbarungen im Überblick

Slothrust
Als Chefin ihrer Band Slothrust hat die aus Massachusetts stammende Leah Wellbaum (und auch schon vorher mit ihrem Slothbox-Projekt) auch musikalisch schon so einiges erlebt - und so wundert es dann nicht, dass sie auf dem nun vorliegenden, vierten Slothrust-Album "The Pact" vom bislang eingeschlagenen, eher geradlinigen Grunge-Rock-Pfad abweicht und neue musikalische und produktionstechnische Wege sucht. Nachdem die Band von der Ostküste nach Los Angeles übersiedelte und Ende letzten Jahres auf der Cover-EP "Show Me How You Want It To Be" schon mal stilistische Vieldeutigkeit demonstrierte, ließ sich das Trio bei der Produktion des neuen Albums in L.A. von dem Produzenten Billy Bush beraten und experimentierte auch erstmals mit einer für die Band neuen Herangehensweise. Das Ergebnis ist - auf der musikalischen Seite - ein faszinierender Mix aus Rock-, Power-Pop-, Psychedelia- und sogar Folk- und Pop-Elementen, die Slothrust auf vielfältige Manier zum bislang abwechslungsreichsten Werk der Laufbahn verquicken.

"Das hat sich lange angedeutet", erklärt Leah Wellbaum, "denn ich schreibe schon sehr lange Musik und ich höre mir auch sehr viel andere Musik an, die mich direkt inspiriert. Um mal ein Beispiel zu geben: 'Travel Bug' ist sehr stark vom Stil John Fahey inspiriert und ich habe bei den Aufnahmen auch stark an die Ideen von PJ Harvey gedacht, was den Klang betrifft." Was haben Leah und ihre Kollegen - Bassist Kyle Bann und Drummer Will Gorin und auch Produzent Billy Bush - denn überhaupt anders gemacht, als bisher? "Also das was bei diesem Album ganz anders war, ist der Umstand, dass wir dieses Mal erstmalig eine längere Zeit im Studio verbrachten", erläutert Leah, "in der Vergangenheit ging es uns darum, im Studio ein möglichst gutes Foto dessen aufzunehmen, wie wir live klingen. Wir sind dabei stets so vorgegangen, dass wir - als Trio - versucht haben, im Studio richtig gute Live-Performances von uns als Rockband einzufangen. Dieses Mal aber hatten wir aber viel mehr Zeit mit Sounds und Texturen zu experimentieren. Wir konnten auf diese Weise also das Studio wie ein Werkzeug einsetzen - und das war dann etwas, wozu wir in der Vergangenheit einfach keine Möglichkeit hatten. Das war deswegen besonders wichtig, weil wir auf dem neuen Album mit dem Produzenten Billy Bush zusammen arbeiteten." Was war denn dabei dessen Aufgabe? "Nun, Billy hat ein besonders gutes Gehör für Klänge", verrät Leah, "und gerade weil wir dieses Mal mehr Zeit hatten, war es uns möglich, mit diesen Klängen so lange herumzuexperimentieren, bis das Potential eines jeden Songs ausgeschöpft schien. Ich betrachtete als Songwriterin dann jeden einzelnen Song als unabhängige Arbeit - wodurch ich mein Potential auch hier entsprechend ausschöpfen konnte." Wie stellt sich das dar? "Ich habe mich als Songwriterin stärker herausgefordert als ich dies in der Vergangenheit getan habe", berichtet Leah, "und zwar habe ich mich von dem Gedanken gelöst, dass ich ja auch die bin, die den Song später darbieten muss. Indem ich mich von dieser Vorstellung löste, haben sich insofern für mich viele Türen geöffnet, als dass ich hier nicht mehr an den Klang meiner Stimme denken musste, sondern meinen Horizont stärker erweitern konnte. Ich habe - auch in der Vergangenheit - immer schon viele verschiedenartige Musikstücke geschrieben und hatte nun eine Menge Material aus dem ich aussuchen konnte. Es hat dann ziemlich viel Spaß gemacht, mich - losgelöst von der Performer-Rolle - mit dem Klang des Materials zu beschäftigen. Man muss sich dann auf diese Weise nämlich sozusagen das eigene Material erarbeiten und zu eigen machen."

Hat Leah dabei vielleicht auch mehr Augenmerk auf den Gesang gelegt? Es klingt zumindest so, als löse sie sich auf diesem vielseitigen Werk auch von der Rolle als Rock-Sängerin. "Nun", zögert sie eher, "ich habe das Material zumindest geschrieben, ohne mir Gedanken über meine gesanglichen Fähigkeiten zu machen. Ich habe mir stattdessen eher überlegt, welche Art von Song ich schreiben wollte, und mir dann zum Beispiel vorgestellt, dass man das - sagen wir mal - mit mehr R’n'B-Energie als Sängerin angehen sollte und das dann probiert. Insgesamt würde ich sagen, dass ich so Sachen gemacht habe, die ich bislang noch nicht versucht hatte. Was ich damit meine ist, dass ich mich total wohl mit Punk-Gesang und Schreien auf einer weniger melodischen Ebene fühle. Aber bei diesem Album war mir die Melodie viel wichtiger und deswegen habe ich mit verschiedenen Harmonien, gestaffelten Stimmen und Gesangs-Techniken experimentiert und es dabei auch genossen, im Studio arbeiten zu können." Das heißt, Leah ist ihre eigenen Songs angegangen wie eine Schauspielerin eine Rolle angehen würde? "Für bestimmte Songs kann man das bestimmt so sagen", bestätigt Leah, "ich musste diese Songs in Besitz nehmen und mit meiner inneren Landschaft in Einklang bringen." Und was interessiert Leah dabei besonders als Songwriterin? "Ein guter Song sollte einen einnehmenden Text haben", überlegt Leah, "und das bedeutet für jeden etwas anderes, weil das alles projektiv ist. Für mich bedeutet das, das Texte im Detail zwar sehr spezifisch sein müssen, aber dabei durchaus ein universelles Thema ansprechen sollten. In der Vergangenheit habe ich darüber gar nicht so nachgedacht. Aber dieses Mal habe ich mir als Songwriterin und Dichterin Mühe gegeben, die Songs in diesem Sinne zu definieren."

Was bedeutet denn der Titel des Albums, "The Pact"? Welchen Pakt schließen Slothrust denn hier mit wem? "Also ich spreche hier gar nicht über einen bestimmten Pakt", antwortet Leah ausweichend, "denn ich denke, dass jedermann in seinem Leben eine Reihe von verschiedenen Vereinbarungen trifft, um seinen Weg zu finden. Ich möchte solche Vereinbarungen aber nicht so bierernst sehen, denn was heute noch von Bedeutung ist, kann morgen schon wieder falsch sein. Auf gewisse Art sind wir darauf konditioniert, die Beteiligten dann als Lügner zu sehen. Aber andererseits ist es doch nur so, dass wir uns als Menschen verändern und weiter entwickeln. Ich mochte die Idee, die Scheibe 'The Pact' zu nennen deswegen, weil ich denke, dass man darüber nachdenken sollte, wie die besagten Vereinbarungen - mit Freunden oder Partnern oder anderen - sich und uns verändern." Das hört sich dann so an, als verfolge Leah mit dem neuen Album auch politische Absichten. "Ganz bestimmt sogar", pflichtet sie bei, "ich denke, dass insbesondere 'Planetarium' und 'New Red Pants' Songs sind, die sich mit Themen wie Voyeurismus beschäftigen. Es geht auch darum, wie man als homosexuelle Künstlerin wahrgenommen wird und die Weiblichkeit mit den bestimmten Erwartungen in unserer Gesellschaft in Einklang gebracht werden kann, die an uns herangetragen werden. Erwartungen, die man niemals alle erfüllen kann. Je mehr ich mir meine Arbeiten ansehe, desto mehr realisiere ich, wie sich mir dieses Thema offenbart. Wir werden jetzt den Song 'Birthday Cake' als Single veröffentlichen und ich habe dort auch einen gewissen Unterton in dieser Richtung entdeckt, als ich mir den Text anschaute." Ist das auch eine Art "Pakt"? "Ich denke, es geht auf der ganzen Scheibe darum, wie man mit den Erwartungen umgeht, die die Gesellschaft an dich heranträgt - ob man dem entgegen tritt oder ob man sich als betrogene Marionette fühlt und ob man nicht lieber dagegen ankämpfen sollte - etwa durch Kunst, Musik und das Schreiben." Dieses Thema manifestiert sich sicherlich auch in dem Slothrust-Video "Double Down", in dem Leah in einem Waschsalon plötzlich beginnt, über den Dingen zu schweben. "Ja, ganz genau", bestätigt Leah, "in dem Song geht es ja auch darum, die Kontrolle über sein Leben in die Hand zu nehmen und dabei die eigene Magie zu nutzen. Es geht darum, sich als magisches Wesen zu sehen und sich dessen bewusst zu sein." Und welches bessere Bild könnte es dafür geben, über den Dingen zu schweben. "Und zu sehen, wie unwichtig die Leute eigentlich sind, die dich lieber klein halten möchten - wenn man nur das ganze Bild im Überblick betrachtet", ergänzt Leah den Gedanken.

Bedeutet das eigentlich, dass Leah die konkreten Bilder, die sie in ihren Songs anbietet, als Sprungbretter für die philosophischen Ideen, die sie entwickelt nutzt? "Das kommt auf die Songs an", überlegt sie, "zum Beispiel ist 'Planetarium' überhaupt nicht von dem Besuch in einem Planetarium inspiriert worden, sondern von der Idee der Erderwärmung und dem Thema Voyeurismus - denn in einem Planetarium wird ja der Himmel und der Ozean auf eine Mensch-gemachte, technische Weise imitiert. Auf der anderen Seite gibt es eben Songs wie 'Red Pants' - und hier gab es tatsächlich die besungene rote Hose, die ich mir gekauft habe." Das bedeutet im Umkehrschluss dann wohl, dass die Slothrust-Texte offen für Interpretationen sind? "Absolut", bestätigt Leah, "ich mag es zu hören, was andere Leute über meine Songs denken - ohne dabei an meiner eigenen Geschichte festhalten zu müssen. Es gibt ja Künstler, die diese Einstellung nicht mögen, weil sie Angst haben, dass die Leute sie nicht verstehen könnten - ich habe aber dieses Problem bestimmt nicht. Ich mag es, wenn die Leute andere Ideen über meine Songs haben, als ich selbst."

Zweifelsohne ist Leah Wellbaum und Slothrust mit dem neuen Album etwas sehr ungewöhnliches gelungen: Eine Scheibe, die sich - unter Beibehaltung der eigenen Identität - stilistisch weitestgehend vom bisherigen Weg löst, inhaltlich eine konkrete Aussage in den Vordergrund stellt und dabei doch offen ist für Interpretationen persönlicher Natur. Eine Tour in unseren Breiten ist erst für Anfang nächsten Jahres angedacht.

Weitere Infos:
www.slothrust.com
www.instagram.com/slothrust
www.facebook.com/Slothrust
twitter.com/SLOTHRUST
www.youtube.com/watch?v=31gBizKYAnc
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Danny Lane-
Slothrust
Aktueller Tonträger:
The Pact
(Dangerbird/Membran)
 

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