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19.02.2019
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JULIA JACKLIN

Alles im Kopf

Julia Jacklin
Als die Australierin Julia Jacklin 2016 mit ihrem Debütalbum "Don't Let The Kids Win" herauskam, schien sie einerseits bei den Indie-Fans offene Türen einzurennen und andererseits bei den Chronisten Magengrimmen bei der stilistischen Zuordnung ihres Tuns auszulösen, denn der Versuch, die junge Dame in der Alt-Country oder Folkpop-Ecke einzusortieren - was einige Tracks ihres Debüt-Albums durchaus gerechtfertigt hätten -, musste spätestens, als sie mit ihrer Band auf unseren Bühnen auftauchte, ins Leere laufen, denn hier zeigte Julia deutlich, dass sie ein ganz eigenes Verständnis der Interpretation ihres Tuns hatte - und die war dann ganz und gar nicht an konventionellen Stilen oder Genres orientiert. Und dann gab es da ja noch das Side-Projekt Phantastic Ferniture, bei dem Julia zusammen mit ihrer Freundin Elizabeth Hughes ihre Vorlieben für Power-Pop und Rockmusik auslebte. Kein Wunder also, dass ihr neues Album "Crushing" sich nun überhaupt nicht mehr mit konventionellen Begrifflichkeiten fassen lässt. Es ist einfach mehr "typisch Julia Jacklin" als alles andere.

Warum heißt das Album "Crushing" - geht es darum, einen "Crush" zu haben - sich Hals über Kopf in jemanden zu verlieben? "Es hat mehrere Bedeutungen", erklärt Julia, "ich mag das Wort, weil es einerseits positive wie andererseits auch negative Dinge ausdrücken kann - beispielsweise romantische wie eben auch sehr unromantische Dinge. Der Zeitraum, in dem ich die neuen Songs schrieb, war für mich nämlich eine Zeit großer glücklicher Dinge, wie auch sehr trauriger Momente und Erfahrungen." Was sind denn die negativen Konnotationen, an die Julia denkt? "Nun, wenn jemand dich zum Beispiel zurückweist, dann ist das doch niederschmetternd - als 'crushing' oder? Und das ist ja gerade der Witz.: 'Crushing' kann halt vieles bedeuten." Wie wichtig war eigentlich die Phantastic Ferniture-Scheibe für das neue Julia Jacklin-Album? "Ich denke, dass die Phantastic Ferniture-Songs doch schon sehr unterschiedlich klingen", zögert Julia, "wenn ich irgendetwas von diesem Projekt mitgenommen habe, dann vielleicht den Gedanken, nicht zu viel über das nachzudenken, was ich tue - speziell was die Texte betrifft. Ich tendiere nämlich dazu, meine Texte daraufhin zu analysieren, ob sie nicht vielleicht zu einfach oder zu offensichtlich sein könnten und sorge mich dann darum. Aber manchmal ist es tatsächlich so, dass die besten Ideen die sind, die dir als erstes einfallen - ohne dass man gleich darüber nachdenkt, dass es vielleicht keinen Sinn machen könnte oder vom Publikum nicht verstanden werden könnte." Es geht also darum, sich selbst nicht zu stark zu zensieren? "Genau" bestätigt Julia, "manchmal muss man einfach anerkennen, dass das, was passiert ist, eben ausreichend ist und dass man das nicht zu stark bearbeiten sollte." Es stünde dann die Frage im Raum, worüber Julia dann eigentlich in ihren Songs singt. Nicht, dass die Texte nicht zu verstehen wären, aber Außenstehende können nicht ganz sicher sein, worum es eigentlich geht. "Hm - ich finde, es ist sehr offensichtlich, worüber ich singe", überlegt Julia, "aber vielleicht bin ich da auch betriebsblind. Aber das ist ja das Geheimnis des Songwritings und der Musik überhaupt, oder? Wenn wir Songwriter dem Zuhörer alles genau erklären und ausführen würden, dann würde das die ganze Sache doch irgendwie ruinieren, oder?"

Nun ja, Julia ist ja auch keine typische US-Storytellerin. Ist es überhaupt von Belang für sie, aus Australien zu kommen, wenn es um das Songwriting geht? "Nun sagen wir mal so: Ich höre mit eine Menge Musik an, die nicht aus Australien kommt", überlegt sie, "ich bin jedenfalls nicht mit australischer Musik aufgewachsen. Ich mag dann aber auch eher kanadische als amerikanische Musik, denn ich denke, dass kanadische Musik die Sachen weniger für dich erklärt als amerikanische Musik. Kanadische Musik fordert dich auf, etwas mehr in sie zu investieren - wenn du es tust, findest du aber auch mehr Gold. Das ist in etwa dann auch der Ansatz, den ich verfolge - wobei ich nicht sagen würde, dass das spezifisch Australisch ist." Gibt es denn einen philosophischen Ansatz in der Musik von Julia? "Nein - jedenfalls nicht in dem Sinne, dass es darum geht, Antworten zu finden" erklärt Julia, "in meiner Musik geht es einzig darum, Fragen zu stellen ohne Antworten zu geben. Und das ist genau die Art von Musik, die ich mir auch gerne anhöre. Ich mag es nämlich nicht, gesagt zu bekommen, was ich zu fühlen habe - jedenfalls will ich keineswegs in diesem Sinne als Predigerin rüberkommen." Was war denn die musikalisch Idee beim neuen Album? "Es sollte alles sehr ursprünglich sein", führt Julia aus, "man sollte jede Snare und jede Zimbel hören können und auch jedes Detail meiner Stimme. Das war einfacher gesagt und getan, denn im Studio gibt es dann doch die Versuchung, hier und da noch etwas Hall hinzuzufügen oder sowas. Es ist uns aber in den meisten Fällen gelungen, das Konzept durchzuziehen. Stilistisch hatte ich keine besonderen Ansprüche. Ich meine, ich toure jetzt seit Jahren, habe gelernt ordentlich zu spielen, habe mich weiterentwickelt. Schon die Konzerte zu meiner ersten Scheibe waren ja lauter und druckvoller als die Aufnahmen. Ich denke einfach, dass sich auch meine Zuversicht weiterentwickelt hat. Ich wollte einfach auch etwas lauter spielen - schon alleine, weil das mehr Spaß macht, wenn man live spielt. Und ein Folkie war ich ja eh noch nie."

Julia Jacklin
Was bei Julias neuen Songs auffällt, ist ihr ungewöhnlicher Umgang mit der Songstruktur - jenseits des üblichen Strophe/Refrain Schemas. "Ja, das stimmt wohl", pflichtet sie bei, "ich denke sogar, dass ich mich auf dieser Scheibe bewusst wegbewegt habe von dem üblichen Schema, dem ich bisher gefolgt bin. Das habe ich zum einen gemacht, um mich als Songwriterin selbst herauszufordern, und es stand ja überhaupt die Frage im Raum, welches die richtige Struktur ist. Manchmal schreibt man einen Song, von dem man denkt, dass er richtig gut ist und stellt das dann wieder in Frage, weil er nicht die 'richtige Struktur' hat. Warum eigentlich? Ich bin zum Beispiel ein riesiger Fan von Joanna Newsom - und da weiß man oft ja eh nicht, welches die Struktur ist - es ist aber großartig. Man sollte da etwas offener sein, finde ich. Ich mag es, wenn sich vielleicht nicht so viel wiederholt, man aber dennoch die ganze Zeit folgen kann. Der Grund, warum ich und andere in der gewohnten Manier Songs schreiben, ist ja eigentlich die Panik, den Zuhörer auf der Hälfte der Strecke zu verlieren. Auf dieser Scheibe habe ich jetzt einfach mal versucht, mich davon zu lösen. Nimm zum Beispiel 'Body' - da haben auch alle gedacht, der Song sei noch nicht richtig fertig - ich habe dann aber gesagt: 'Nein - so mag ich den Song'. Und wenn ich den Song mag, dann wird ihn auch schon jemand anderes mögen. So besonders bin ich schließlich auch nicht." Wie schreibt Julia diese Art von Songs? "Hauptsächlich in meinem Kopf, wenn ich mit dem Auto durch die Gegend fahre", erklärt sie, "dann geht es zum Soundcheck, wo ich die Ideen dann ausprobiere. Ich schreibe also tatsächlich ohne Gitarre. Der Vorteil ist dann, dass alles fertig ist, wenn ich ins Studio gehe und ich dort nur noch etwas an der Struktur ändern muss."

Was ist denn die größte Herausforderung als Songwriterin für Julia? "Nun, ich würde sagen, da es so viel Musik gibt, ist die größte Herausforderung eigentlich die, etwas anderes, etwas eigenes zu sagen", überlegt Julia, "denn irgendwie ist ja eigentlich alles schon gesagt worden und jede Emotion schon zum Ausdruck gebracht und dokumentiert worden. Und wir als Menschen haben ja tatsächlich nun mal nur ein paar Emotionen, über die es sich zu singen lohnt. Und da heutzutage alles mit Musik gesättigt ist, ist das verdammt schwer, etwas zu sagen, was vorher noch keiner so gesagt hat." Und wie macht man das dann? "Du musst den ganzen Krach um dich herum ausblenden und dich einfach auf deine Ideen und Instinkte verlassen", versucht Julia das in Worte zu fassen, "auch wenn das, was du zusagen hast, schon eine Million mal gesagt worden ist: Vielleicht gelingt es dir ja, es auf eine leicht andere Art auszudrücken?" Was ist denn Julias Ziel als Songwriterin? "Ich versuche immer Dinge auszudrücken, auf die sich auch andere beziehen können", meint Julia, "ich atme immer erleichtert auf, wenn mir Zeilen gelingen, von denen ich denke, dass andere auch so fühlen könnten wie ich, als ich diese formulierte. Es geht darum, menschliche Erfahrungen auf irgendetwas Schönes zu verdichten. Das ist mein einziger Anspruch - etwas Bedeutungsvolles, etwas Schönes sagen zu können. All diese komplexen menschlichen Empfindungen in drei Minuten oder in einer bestimmte Zeile zusammenfassen zu können, das ist mein Ziel." Und diesem Ziel ist Julia Jacklin mit ihrer neuen LP "Crushing" zweifelsohne wieder einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Weitere Infos:
www.juliajacklin.com
www.facebook.com/juliajacklin
www.instagram.com/juliajacklin
twitter.com/JuliaJacklin
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Julia Jacklin
Aktueller Tonträger:
Crushing
(Transgressive/Pias/Rough Trade)
 

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