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21.06.2019
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THE STRAY CATS

"Es fühlte sich fast wie Schicksal an!"


The Stray Cats
Slim Jim Phantom ist in seinem Element. Genau 40 Jahre nachdem der Schlagzeuger gemeinsam mit seinen Kumpels Brian Setzer (Stimme, Gitarre) und Lee Rocker Kontrabass den Sound des Rockabilly vor der Vergessenheit bewahrt und ausgehend von ihrem Welthit "Rock This Town" mit den Stray Cats für eine der ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten der 80er-Jahre gesorgt hat, macht der inzwischen 58-jährige Amerikaner im Studio wie auf der Bühne wieder mit seiner alten Band gemeinsame Sache - und könnte nicht glücklicher darüber sein. "Im Moment fühlt es sich sehr aufregend an, in den Stray Cats zu sein", sagt der Drummer, der einst Bela B. zu der Erkenntnis kommen ließ, dass die coolsten Drummer im Stehen spielen, im Gaesteliste.de-Interview. "Allerdings bin ich immer sehr gerne in der Band gewesen, ich habe mich stets sehr glücklich geschätzt, dabei zu sein."

Comebacks gehören zu den Stray Cats wie die orangefarbene Gretsch-Gitarre zu Brian Setzer. Gleich mehrfach hat das unvergleichliche Trio seit der ersten Trennung im Jahre 1984 wieder zusammengefunden - übrigens stets in Originalbesetzung. Zehn Jahre nach der letzten Reunion und mehr als 25 Jahre nach dem letzten neuen Studioalbum sind die gemeinsamen Anstrengungen der drei zu ihrem 40. dennoch etwas Besonderes. Ins Rollen kam die Sache nach einem ersten Auftritt beim Viva-Las-Vegas-Rockabilly-Festival im April des vergangenen Jahres. "Wir hatten dieses Konzert in Las Vegas und spielten im Anschluss auch noch einige weitere Shows", erinnert sich Slim Jim. "Vor allem die letzten beiden in Südkalifornien waren richtig gut - und auch restlos ausverkauft. Das waren zwei sehr emotionale Auftritte, denn sie liefen wirklich nahezu perfekt. Gleich danach haben wir die Entscheidung getroffen, dieses Jahr noch weitere Konzerte zu spielen." Im Juli stehen nun auch einige Konzerte in Deutschland und dem benachbarten Ausland an, parallel dazu erscheint das neue Album "40".

Die Jubiläumstournee mag wenig überraschend sein - schließlich sind Konzertreisen zu runden Bandgeburtstagen inzwischen so etwas wie Schecks, die nur darauf warten, eingelöst zu werden -, bemerkenswert ist dagegen die Entscheidung, trotz allenthalben sinkender Plattenverkäufe mit "40" parallel zur Tour auch ein brandneues Album zu veröffentlichen. Auch diese Idee wurde auf der Bühne geboren. "Brian fühlte sich auf besondere Weise von den Shows inspiriert, vor allem von den letzten beiden, und ein paar Tage später rief er an und sagte, er habe eine Reihe neuer Songs geschrieben, die er Lee und mir schicken wolle", verrät Slim Jim. "Er schickte mir ein paar Demos, nur mit Gitarre und Stimme, sonst nichts. Einige Tage später rief er erneut an und fragte: 'Hast du einen Beat für die Songs?' Natürlich hatte ich, ich hatte sogar großartige Ideen! Die nächsten Wochen schickte er mehr und mehr Demos - er hatte songwriterisch echt einen Lauf -, und innerhalb kurzer Zeit komplettierten wir die Aufnahmen." Doch nicht nur die Songs entstanden ungewöhnlich schnell, auch die Aufnahmen verschlangen nicht zu viel Zeit, weil sich eins ins andere fügte. "Kurze Zeit nachdem die Songs fertig waren, tat sich die Chance auf, in unserem Wunschstudio mit unserem Wunschproduzenten Peter Collins aufzunehmen - es ging alles so schnell!", sagt Slim Jim und klingt fast selbst ein wenig überrascht. "Wir waren allerdings auch sofort bereit, denn die Wochen zuvor hatten wir jeden Tag gespielt und uns Parts für Brians neue Songs ausgedacht. Es fühlte sich fast wie Schicksal an!"

Mit "40" verbinden The Stray Cats wie eh und je das Traditionelle mit dem Modernen, ohne dabei ihren Markenzeichensound aus den Augen zu verlieren. Das Rad neu zu erfinden stand derweil nie zur Debatte. "Darum haben wir uns nicht groß Gedanken gemacht“, bestätigt Slim Jim. "Wir wollten schon ein Album machen, das nach uns klingt." Besonderen Wert legte die Band auch im Studio darauf, den Spaß und die Energie der vorangegangenen Konzerte einzufangen. "Wir hatten solch eine gute Zeit bei den Konzerten, dass wir im Studio dem Live-Erlebnis so nah wie möglich kommen wollten", erklärt Slim Jim. "Aufnahmetechnisch haben wir dabei dieses Mal etwas gemacht, das wir noch nie zuvor gemacht hatten: Wir haben den Echoeffekt über den gesamten Track gelegt. Wir haben also nicht nur unsere Instrumente aufgenommen, es lief auch eine separate Bandmaschine mit, um den Klang des Raumes einzufangen. Das war eine der Situationen, wo wir auf die Meinung von außen gehört haben, denn die Stray Cats waren schon immer gut darin, zuzuhören, wenn die Person, die uns Ratschläge geben wollte, wirklich etwas zu sagen hatte. Dieses Mal hatten wir unseren Produzenten Peter Collins und Vance Powell, diesen Mad-Scientist-Tontechniker, der in Sachen Melange aus dem Alten und dem Neuen eine richtig große Nummer ist."

Hintergrund dafür war, dass die Band so versuchen wollte, dem Klang der alten Gene-Vincent-Platten ganz nah zu kommen, die seit den frühesten Tagen der Stray Cats ein leuchtendes Beispiel waren - und bis heute sind. Paradoxerweise ist es heute leichter, dem Sound der 50er-Jahre nahezukommen, als es das in den frühen Tagen der Stray Cats vor vier Jahrzehnten war. "Ich bin mir gar nicht sicher, ob man genau diesen Sound hätte abbilden können, als wir angefangen haben“, grübelt Slim Jim. "Das Original-Equipment war in den 80ern noch nicht alt genug, um als antik zu gelten. Zwischen 'Heartbreak Hotel' und 'Rock This Town' lagen gerade einmal 25 Jahre, dagegen sind zwischen 'Rock This Town' und unserem Gespräch 39 Jahre vergangen! Die Wertschätzung für den alten Kram ist inzwischen neu erwacht - und es gibt junge Leute, die damit umgehen können. In den 80ern musstest du nach alten Typen suchen, die sich noch damit auskannten. Abgesehen davon ist das Schwierigste heute wie damals, einen guten Song zu schreiben, aber genau das kann Brian. Seine Lieder erinnern dich entfernt an die klassischen Rock'n'Roll-Songs der 50er und 60er, klingen aber trotzdem anders. Das ist alles andere als leicht, weil es für das Genre so klar abgesteckte Grenzen gibt."

Gleichzeitig weiß aber auch Slim Jim, dass der Ruf der Stray Cats nicht von der kommenden Tournee oder dem Erfolg von "40" abhängt - dafür war das Wirken der Band in den 80ern einfach zu bahnbrechend, zu einflussreich. Dessen ist sich nicht nur Slim Jim bewusst. "Wir wissen alle, was wir an der Band haben", sagt er. "Uns ist auch bewusst, dass man sich an uns erinnern würde, selbst wenn wir nie wieder zusammen spielen würden. So, wie wir durch die Beatles, die Rolling Stones oder durch die Eddie-Cochran-Coverversion von The Who auf die Pioniere des Rockabilly und des Rock'n'Roll aufmerksam geworden sind, waren es in den 80ern wir, die eine Verbindung zur Vergangenheit hergestellt haben. Die Leute, die uns mochten, schauten sich die Sleevenotes zu unseren Alben an und entdeckten so Gene Vincent, Elvis Presley, Buddy Holly, Little Richard, Jerry Lee Lewis oder Johnny Burnette." Er hält kurz inne und fügt abschließend hinzu: "Darum geht es uns: die Aufmerksamkeit wieder auf diese Künstler zu lenken, die niemals vergessen werden sollten!"

Weitere Infos:
www.straycats.com
www.facebook.com/Stray-Cats-1576129305971999/
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Russ Harrington-
The Stray Cats
Aktueller Tonträger:
40
(Surfdog/Mascot/Rough Trade)
 

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