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01.10.2019
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LUCY KRUGER & THE LOST BOYS

Gespräche mit Freunden

Lucy Kruger & The Lost Boys
Lucy Kruger gehört - neben Cherylin McNeill und Alice Phoebe Lou - zur kleinen aber feinen Riege südafrikanischer Songwriterinnen, die sich aus strategischen und inspirativen Gründen entschlossen haben, ihre Zeit zwischen dem sonnenverwöhnten Heimatland und dem kulturell brodelnden Berlin aufzuteilen. In dieser Funktion ist Lucy sowohl in unseren Breiten, wie auch in der ursprünglichen Heimat mit ihren beiden Projekten Medicine Boy (als Duo zusammen mit Anré Leo) und Lucy Kruger & The Lost Boys (zu denen auch André Leo gehört) präsent. Irritierenderweise ist letzteres eigentlich das Solo-Projekt Lucys, in dem sie ihre - sagen wir mal - nachdenklichere, sachtere Seite zum Vorschein bringt, während es bei Medicine Boy etwas elektrischer, lauter und psychedelischer zu geht. Beide Lucy-Inkarnation sind freilich geprägt von einem Faible für die Nachtschatten-Seite des Lebens und einer fast schon symbiotischen Beziehung zu poetischen Gedankengängen - die sie freimütig nicht nur in ihren Songs, sondern auch ihren persönlichen Facebook-Posts teilt.

Das nun vorliegende, neue Album "Sleeping Tapes For Some Girls" ist - wie der Name es schon vermuten lässt - eine Sammlung von "Wiegenliedern für bestimmte Mädchen". Die Idee kam Lucy in einer Phase, in der sie selbst unter Schlaflosigkeit litt. Aber lassen wir sie doch mal selbst erzählen. Wie passen ihre unterschiedlichen Musikprojekte zum Beispiel zusammen? "Ich bin von Johannesburg nach Capetown gezogen, nachdem ich mein Theater-Studium beendet hatte", berichtet Lucy, "dort habe ich an einem Solo-Projekt gearbeitet, mich aber auch einer fünfköpfigen psychedelischen Rockband angeschlossen. André Leo war in dieser Band. Es wurde dann zu kompliziert zu fünft zu proben und zu touren, so dass wir beschlossen, ein Duo namens Medicine Boy zu gründen. Mein Solo-Projekt heißt Lucy Kruger & The Lost Boys. André spielt auch hier Gitarre, aber es geht da mehr um mich, meine Stimme und meine Gitarre. Es geht grundsätzlich um ähnliche musikalische Welten, aber die Lost Boys-Geschichte ist etwas zurückhaltender und auch persönlicher. Es ist nett beide Projekte zu haben, so dass ich frei schreiben kann." Nun gut - das erklärt aber alles noch nicht, dass das neue Album eine Sammlung von Schlafliedern geworden ist. "Als ich begann Songs zu schreiben, wollte ich eigentlich immer alle Aspekte des Mensch-Seins abdecken", erläutert Lucy, "aber je älter ich werde, desto mehr komme ich zu der Einsicht, dass es eigentlich auch okay ist, möglichst spezifische Themen aufzugreifen - weil es andere Leute gibt, die sich um alles kümmern wollen. Das, was ich mir in letzter Zeit am meisten anhöre - weil ich mehr Zeit alleine verbringe -, sind zurückhaltend inszenierte Singer-Songwriter-Sachen. Das fühlt sich für mich an wie Gespräche mit Freunden zu führen. Ich realisierte dann, wie viel mir das bedeutet und dass das etwas ist, was ich auch machen könnte." Und das führt dann automatisch zu Schlafliedern? "Nein - aber die Songs entstanden allesamt in meinem Schlafzimmer - wo man ja keinen Krach machen kann", ergänzt Lucy, "deswegen kommen dabei natürlich auch leise Songs heraus. Und da wurde mir klar, dass ich das auch so machen wollte." Hat das Schlafzimmer dann mit dem Traum-Charakter der Songs zu tun? "Ja, ich denke, das ist eine nette Art das zu beschreiben", stimmt Lucy zu, "es geht um diesen Zustand zwischen Wachen und Träumen - bevor man einschläft." Wie bei einem Wiegenlied eben. Deswegen sind die Songs auch ein wenig unwirklich, oder? Es scheint ja so zu sein, dass einige der besungenen Mädchen auf dem Album eher Geister sind. "Ja, absolut", bestätigt Lucy, "ich denke, das war auch das Gefühl, das ich hatte. Für mich geht es dabei auch beim Musizieren: Um diesen kleinen Teil, der im Zwischenreich herumschwebt. Als ich diese Songs schrieb, hatte ich zudem mit Schlaflosigkeit zu kämpfen - was für mich eine neue Sache war. Ich wachte um drei Uhr Nachts auf und konnte nicht mehr einschlafen. Jeder weiß, dass das eine seltsame und spezielle Zeit ist und ich muss sagen, dass das Album in dieser Zeit geboren wurde." Was ist denn - nach Lucys Meinung - das Besondere an dieser Zeit mitten in der Nacht? "Deine Filter sind nicht so stark wie sie sein sollten und du läufst Gefahr, in Bereiche zu geraten, in denen du nicht sein solltest."

Wie gesagt, teilt Lucy auf ihrer Facebook-Seite von Zeit zu Zeit (und ohne besonderen Anlass) auf fast schon poetische Art ihre Gedanken mit. Ist es so, dass sie mit ihrer Musik also etwas (mit)teilen möchte, was auf andere Weise nicht möglich wäre? "Sehr sogar", meint sie, "ich habe ein starkes Bedürfnis mit anderen in Verbindung zu treten. Normale Konversationen mit Einzelnen sind aber auf gewisse Weise limitierend. Diese machen mich dann regelrecht klaustrophobisch und einsam." Was ja eher kontraproduktiv ist. "Genau. Aber mit der Musik kann ich auch intime Sachen ausdrücken und kann diese dann sogar singend vortragen - und zwar für mehrere Menschen gleichzeitig." Erschafft man sich so nicht auch eigene Realitäten? "Ich weiß nicht", zögert Lucy, "ich denke, worum es geht, ist das, was bereits da ist, ein wenig zu dehnen, weißt du? Die Welten von denen ich singe, sind ja da - und ich gebe ihnen Formen, Farben oder Klänge. Dadurch werden sie - meiner Meinung nach - sogar weniger seltsam oder einsam. Einige Sachen mögen vielleicht furchteinflößend sein - andere sind aber tröstlich oder schön." Das ist ja schon mal ein solides Konzept, auf das man aufbauen kann - jedenfalls inhaltlich. Was aber ist Lucys musikalisches Ziel dabei? "Ehrlich gesagt habe ich kein Ziel", meint sie überraschenderweise, "ich habe jedenfalls keine Absichten und Erwartungen. Tatsächlich habe ich mir eigentlich alles, was ich dir gerade erzähle, erst im Nachhinein zusammengereimt. Ich denke über meine Musik einfach nicht nach, weil ich auf jeden Fall musiziere - egal warum und wieso. Musik ist für mich ein Teil meines Lebens - wie morgens zu Frühstücken oder abends zu Bett zu gehen. Ich gehe an die Sache nie bewusst heran. Was ich mit meiner Musik erreichen möchte, ist den Zuhörern einen Raum zu bieten, in den sie sich zurückziehen können und der etwas anderes ist, als der, in dem sie sich ansonsten bewegen. Vielleicht möchte ich noch ein Licht auf gewisse Emotionen scheinen lassen, die ansonsten eher unbemerkt blieben. Jetzt weiß ich aber gar nicht mehr, ob das deine Frage beantwortet?" Vielleicht in dem Sinne: Kein Ziel ist das Ziel. Für Lucy Kruger ist das Musizieren eben so selbstverständlich, dass es eines Grundes (oder gar einer Motivation) gar nicht bedarf. "Ja - ich sollte aber vielleicht noch sagen, dass das hauptsächlich für meine Musik gilt", ergänzt sie, "bei Medicine Boy reden wir schon über die Musik und die Mittel, die wir anwenden möchten."

Lucy Kruger & The Lost Boys
Kommen wir aber noch zu einem interessanten Punkt: Wenn man sich Lucys Videos betrachtet oder ihre Live-Performances beobachtet, dann könnte man auf die Idee kommen, dass ihr das Ganze gar keinen Spaß macht - denn die Performances sind ebenso intensiv wie auch ernsthaft. "Ich weiß, was du meinst", schmunzelt sie da, "aber ich habe mich immer schon zu melancholischer und düsterer Musik hingezogen gefühlt. Ich meine, dass Traurigkeit und Düsternis durchaus reale Dinge sind - und wenn du diese nicht ansprichst oder damit umgehst, können sie gefährlich werden. Ich liebe diese Themen einfach und kann gar nicht damit umgehen, wenn andere das nicht nachvollziehen können. Es steckt ja auch sehr viel Menschlichkeit und Schönheit in den Schatten. Wenn das so Teil deiner Persönlichkeit ist, dann ist es aber auch schwierig, das zu erklären, weil ich ja nie eine Wahl in dieser Sache hatte. Es mag nicht so aussehen, aber ich habe schon Spaß beim Musizieren - denn es ist sehr erfüllend. Glück und Spaß sind halt für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Dinge. Wenn ich meine Songs aufführe, fühle ich mich wohler als in anderen Situationen und ich fühle mich dabei sehr glücklich - auch wenn es auf angenehme Art nervenaufreibend sein kann." Was ist Lucy denn am Wichtigsten bei ihren Songs? "Ich kann das gar nicht so genau sagen", zögert sie, "aber es ist immer schön, wenn ich selbst etwas Bestimmtes fühle und dann in der Lage bin, das in dem Song zu vermitteln und so ein wenig Wahrhaftigkeit einzufangen. Es ist aber unmöglich zu wissen, wann und wie das passiert." Und welche Art von Songs mag Lucy selbst am Liebsten? "Das ist schwer zu sagen", überlegt sie. "Das ist wie ein Licht, das angeht. Wenn es an ist, ist es an - und wenn nicht, dann nicht. Ich mag es, wenn sich etwas wahrhaftig anfühlt und man nicht das Gefühl hat, angelogen zu werden. Eine Beziehung zu einem Song ist für mich, wie eine Beziehung zu einem Menschen: Entweder man versteht sich, oder eben nicht - ohne immer genau zu wissen, warum."

Weitere Infos:
lucykruger.bandcamp.com
www.facebook.com/LucyKrugerOfficial
www.facebook.com/gimmeyourmedicineboy
www.instagram.com/lucy_kruger/
www.youtube.com/watch?v=cKM6yl7SMmU
www.youtube.com/watch?v=Zm86_2LgjJA
vimeo.com/338570248
www.youtube.com/watch?v=6-oVDXq8Ano
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Lucy Kruger & The Lost Boys
Aktueller Tonträger:
Sleeping Tapes For Some Girls
(Unique/Groove Attack)
 

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