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18.10.2019
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ALI BARTER

Musik legt alles offen

Ali Barter
War "A Suitable Girl" - das erste Album der Australierin Ali Barter - noch eine ziemlich politische Angelegenheit, die im Rahmen der #MeToo-Debatte mit Women's Lib-Songs und sozialen Kommentaren hochgespült wurde, so geht es auf dem nun vorliegenden, zweiten Album "Hello I'm Doing My Best" um ganz etwas anderes. Klaus Fiehe, der Radiomann, der auf dem Reeperbahn Festival dankenswerterweise die legendäre Molotow-Backyard-Party moderierte, wo Ali in diesem Jahr auftrat, beschrieb sie dort auf seine poetische Art als eine von Selbstzweifeln geplagte Person auf der Suche nach sich selbst und ihrem Weg im Musikbusiness. Das saß.

"Oh mein Gott ja", seufzt Ali selbstironisch, "ich dachte mit - Mist, jetzt weiß jeder, dass ich ein unsicheres Blümchen bin." Das heißt dann also, dass es auf dem neuen Werk dann tatsächlich um die Selbstfindung geht? "Ich denke, es geht eher darum, mich selbst zu akzeptieren", antwortet Ali fragend, "was die Selbstfindung betrifft, so habe ich nämlich realisiert, dass ich immer versuchte, jemanden zu finden, der ich gar nicht bin, sondern jemanden, der ich sein wollte. Es geht also tatsächlich darum, das zu akzeptieren." Hm - das erinnert an eine Textzeile der Songwriterin Molly Sarlé, die in ihrem Song "Suddenly" beschreibt, dass es ihr nicht mehr darum gehe, die Person sein zu wollen, die sie sich vorgestellt habe: "Suddenly I am no longer what I wanna be - I am changed, honey". "Ich kenne zwar Molly Sarlé nicht, das ist aber ein sehr schöner Gedanke", meint Ali, "ich denke, sich zu akzeptieren ist auch der Kern der Selbstfindung. Ich habe immer gedacht, da sei noch etwas anderes - aber nein: Da bin nur ich und das ist okay so."

Musikalisch geht es bei Ali Barter hier wie da eigentlich um klassischen Power-Pop - also druckvoll dargebotene, rifforientierte und melodische musikalische Kraftpakete. Nur selten gibt es davon mal eine Ausnahme - z.B. im Falle des Openers "Lester". "Na ja", meint Ali, "was du da hörst, ist eigentlich nur eine iPhone-Aufnahme. Ich habe ja versucht, den Song zu produzieren - aber das führte zu nichts. Ich hatte aber dennoch das Gefühl, dass der Song die Essenz der Scheibe ganz gut widerspiegelte - und so haben wir uns gedacht, dass wir den Song so als Intro mit auf die Scheibe nehmen; auch um den Hörer in Sicherheit zu wiegen. Es geht hier ein wenig um Manipulation." Okay - und um was geht es in dem Song "Magoo"? "Ursprünglich ging es hier um eine Freundin von mir", erläutert Ali, "sie hatte Probleme, Verantwortung zu übernehmen und lebte in dieser Traumwelt, wo sie sich als Opfer sah. Und das ist etwas, was ich auch mache, weißt du? Und das wollte ich dann allgemein ausdrücken." Ist das eine Technik - also mittels Charaktere eigene, persönliche Themen abzuhandeln? "Also im Grunde genommen ist tatsächlich alles, was ich schreibe autobiographisch", gesteht Ali.

Wovon will Ali denn dann in der Zukunft singen - wenn ihre eigene Geschichte sozusagen aufgebraucht ist? "Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht", räumt sie ein, "aber ich mag die Herausforderung. Wenn ich einen Song geschrieben habe, dann denke ich mir auch manchmal, dass mir mal die Geschichten ausgehen könnten. Aber andererseits bin ich seit Juli viel herumgereist - nach Nashville, nach Mexico, nach Indien und jetzt nach hier - und da habe ich dann auch schon wieder Texte für neue Songs geschrieben. Ich sehe das jetzt so, dass es sogar ein Vorteil ist, über das eigene Leben zu schreiben, weil man da eine endlose Quelle an Inspirationen hat." Wo sind denn Alis musikalische Wurzeln? "Meine Mutter mag Patsy Cline - ist also eher eine Country-Verehrerin - und mein Vater war ein großer Frank Sinatra-Fan. Er mochte die Klassiker wie Cole Porter, Irving Berlin oder die Gershwins. Die klassischen Tugenden - also eine starke Melodie und ein mitreißender Hook - sind also tief in meinem System verankert." Es hilft also, die Klassiker zu studieren - auch wenn man sich der Rockmusik zuwendet? "Ja", bestätigt Ali, "ich schreibe ja im Prinzip auch klassische Songs - mit Strophe und Refrain uns so. Da ich damit herumspiele und eine Menge passiert, geht das dabei manchmal unter. Ich schreibe auch viel mit anderen Musikern zusammen. Dabei sind meine Ideen meist recht simpel, aber in der Zusammenarbeit fügen wir dann die ganzen Details hinzu und arbeiten das Ganze aus. Denn das macht dann viel mehr Spaß, wenn man das live zu spielen hat." Was ist denn dabei ausschlaggebend? "Eine starke Melodie", antwortet Ali, "und ein großer, triumphaler Refrain. Und ein starkes Thema. Ich mag eine gewisse visuelle Komponente oder ein Gefühl. Ich möchte mit meiner Musik in eine andere Zeit und an einen anderen Ort." Musik als Transportmittel, also? "Ja schon", bestätigt Ali, "ich mag es, wenn dich Musik an einen anderen Ort entführt. Aber vielleicht in dem Sinne, dass du dich an eine Farbe oder einen Geruch erinnerst. Das ist natürlich von Stil zu Stil unterschiedlich. Ich mache ja im Prinzip Popmusik und muss das alles ausbuchstabieren. Ich mag aber zum Beispiel Sigur Ros - denn auch wenn es hier keinen textlichen Bezug für mich gibt, weil die in einer anderen Sprache singen, fühle ich mich alleine von der Musik überwältigt und mitgerissen.

Ali Barter
Auf der Bühne stand Ali Barter zuletzt im Trio-Format und spielte Bass. Schreibt sie ihre Stücke etwa auch auf dem Bass? "Nein - ich schreibe auf der Gitarre", erklärt Ali, "ich habe das mal versucht auf dem Bass zu schreiben - aber auf der Gitarre hat man mehr Möglichkeiten mit den Akkorden, während es auf dem Bass immer nur einzelne Noten gibt." Am Dialekt kann man durchaus hören, wo Ali her kommt. Gibt es aber in ihrer Musik selbst ein grundsätzlich australisches Element - bzw. etwas, das ihre Herkunft widerspiegelt? "Nun, ich bin ziemlich selbstironisch - weil Australier generell nun mal so sind", überlegt Ali, "mein genetisches Erbe jenseits des Australischen ist Irisch und Schottisch - also war mein Vater, der nun verstorben ist, zwar sehr kritisch, aber auch sehr lustig und meine Mutter ist eine sehr offene Person. Ich denke, dass meine Musik diese Eigenschaften, die ich geerbt habe, auch reflektiert." Als Musiker muss man ja doch auch grundsätzlich offen für alles mögliche sein, oder? "Nö", meint Ali "ich finde zwar, dass das so sein sollte - aber das denken längst nicht alle. Eine Menge Musiker können ganz schön engstirnig sein. Ich bin zum Beispiel in meinen Texten ziemlich offen und verschleiere nichts mit Metaphern oder so."

Was ist für Ali die größte Herausforderung als Songwriterin in heutiger Zeit - wo vieles ja nun schon mal ausprobiert worden ist? "Nun, gerade das ist ja der Grund, warum ich meine spezifische Geschichte erzähle", überlegt sie, "ich habe auch Songs über Ozeane und Bäume und die Liebe und Baby Baby Baby geschrieben - bis ich gemerkt habe, dass das ja nun nicht besonders erfüllend ist. Dann habe ich beschlossen, Songs über Tage zu schreiben, an denen ich mich richtig Scheiße fühlte oder über die Sache als ich ziemlich betrunken im Taxi ohnmächtig geworden bin. Weißt du - ganz spezifische, persönliche Dinge also. Ich liebe wirklich Liz Phair - weil sie eine der ersten war, die von solchen Sachen gesungen hat, wie mit verschiedenen Männern zu schlafen und dann aber davor wegzulaufen, eine Beziehung einzugehen. Da wurde mir klar, dass sie über ihr Leben und ihren ganz normalen Tagesablauf sang - uns sowas wollte ich dann auch machen." Und wie geht es weiter für Ali Barter? Es scheint ja, dass die Musik für sie eher Berufung als Beruf ist. "Es ist ja so, dass die Musik - oder die Kunst oder das Schreiben - dich aussucht und nicht umgekehrt. Weißt du, was ich meine?", fragt sie. "ich will durchaus auch manchmal einfach hinschmeißen und manchmal geht mir Musik auch regelrecht auf den Schnürsenkel - aber spätestens wenn ich eine gute Show habe oder einen neuen Song geschrieben habe, ist das keine Option mehr für mich. Musik legt alles offen. Ich liebe das einfach."

Weitere Infos:
www.alibartermusic.com
www.facebook.com/alibmusic
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Ali Barter
Aktueller Tonträger:
Hello, I'm Doing My Best
(Inertia/Pias/Rough Trade)
 

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