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20.12.2019
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EMMA COLE

Von Ost nach West

Emma Cole
Sozusagen wie aus dem Nichts tauchte neulich die EP - oder Kurz-LP - "If You Don't Holler, No One Will Hear" von Emma Cole aus L.A. auf den üblichen Streaming-Portalen auf. Hier präsentierte sich eine junge Dame mit einer für unsere Zeiten eher ungewöhnlichen musikalischen Vision, denn auf dieser Produktion outete sich Emma als Fan konventioneller Old-School-Traditionen und arrangierte ihre recht spezielle Art von Power Pop in einem organischen, zuweilen recht üppig arrangiertem Glam-Rock-Setting mit leichten psychedelischen Anwandlungen. Ein Setting, gegen das sie mit ihrer voluminösen Stimme - ganz im Sinne des Titels der EP - selbstbewusst und kraftvoll ansingt.

Das scheint also alles sehr rund und schlüssig. Allerdings ist es ja oft so, dass erste Vermutungen über die Gründe für dieses und jenes im kreativen Sektor oft gar nicht so zutreffend sind. So stellt sich heraus, das Emma gar nicht aus L.A. stammt und hauptberußich auch eine Make-Up-Künstlerin ist, die ihr eigenen Mixturen und Texturen, aus denen sie ihr Bühnen-Make-Up zusammenmischt, bei ihren Konzerten - etwa im Gefolge ihrer Freundin und Mentorin Lauren Ruth Ward, mit der sie zuletzt bei uns zu Gast war - als Merch verkauft. Da scheint es also mehr zu geben, als offensichtlich auf der Hand läge. Vorsichtshalber wollen wir da mal nachfragen, welche Backstory diese EP denn hat und was Emma noch so alles im Köcher haben könnte? "Wie - ich soll etwas über mich erzählen?", wundert sich Emma zunächst mal über das Interesse, "nun, ich bin in einer Vorstadt von Philadelphia namens Downingtown, Pennsylvania, aufgewachsen. Musikalisch fühle ich mich schwer von dem Philly-Soul-Sound inspiriert - einfach weil der allgegenwärtig war, als ich dort aufwuchs. 2007 zog ich nach New York, wo ich als Friseurin und Make-Up-Künstlerin arbeitete. Seit September 2011 bin ich jedoch in L.A. ansässig. Erst seit dieser Zeit nahm ich es mit der Musik ernst - aber ich habe immer schon gesungen, weil ich aus einer musikalischen Familie stamme. Eine klassische musikalische Ausbildung habe ich aber nicht." Okay - aber zwischen New York und L.A. liegt doch immerhin der gesamte amerikanische Kontinent. Warum dann der Wechsel von Ost nach West? "Ich habe - ehrlich gesagt - eine bewegte Vergangenheit. Für mich waren das tragische Zeiten auf der Highschool - und das ist auch, wovon die EP handelt. Es ging um meine erste Beziehung und wie sich diese auf schlechte Weise außöste. Ich bin also deswegen nach L.A. gezogen und habe beschlossen - auch um diese Sache zu verarbeiten - einen Songzyklus darüber zu schreiben." Aha - damit sind wir also bei dem Thema "Musiktherapie". "Ja, denn meine innere Stimme, die mir sagte, dass ich eine Künstlerin und Sängerin sein sollte, wurde immer lauter", erinnert sich Emma, "ich habe zuvor schon versucht, Sachen aufzunehmen - aber diese Sachen mochte ich nicht. Ich habe dann zunächst mal meine Fähigkeiten auf der Gitarre und dem Piano verfeinert - auch um die Lücke zwischen mir und einem Produzenten überbrücken zu können." Das hätte man ja auch an der Ostküste machen können. Gibt es denn auch einen musikalischen Grund, nach Los Angeles zu ziehen? "Die Geschichte der Westcoast", meint Emma, "das ist ja zweifelsohne eine feste Größe - die Musik von Laurel Canyon, Fleetwood Mac oder Jefferson Airplane oder auch die Geschichte von Kalifornien. Ich fühlte mich zu Kalifornien hingezogen. Es ist aber auch so, dass ich mich in NY durchaus etabliert hatte - aber ich musste mich von allem lösen, was ich zuvor gemacht hatte, um mich wirklich darauf konzentrieren zu können, Musik zu machen."

Nun hört man die der Musik, die Lauren bislang veröffentlichte, gar nicht an - denn klassische Westcoast-Sounds finden sich nicht auf "Holler". "Also als ich diese EP machte, habe ich mir bewusst keine moderne Musik angehört, denn ich wollte die Sachen aus der Vergangenheit meine Musik beeinßussen lassen", führt Emma aus, "ich würde zum Beispiel sagen, dass Pink Floyd und Ray Charles - also klassische Sachen bis ungefähr ’76 - einen großen Einßuss auf mich gehabt haben. Nicht musikalisch, sondern in der Art, wie ich mich gefühlt habe, als ich selbst diese Musik hörte. Aber es sollte alles ganz natürlich durch mich gefiltert sein - und sich nicht gewollt anhören oder als versuchte ich, wie dieses und jenes klingen zu wollen. Ich denke, ich habe meinen Gefühlen freien Lauf gelassen und den Erzählstrang meiner Songs bestimmen lassen, wohin es gehen sollte." Was hat es denn mit dem "Holler"-Thema auf sich? Geht es dabei darum, Emotionen in Energie umzuwandeln? "Ja", bestätigt Emma, "als ich diese Musik schrieb - zwischen 2013 bis 2016 -, musste ich die Dinge, die mich seit Jahren unterdrückt hatten, konfrontieren, denn ich hatte zwei Jahre meines Lebens einfach ausgeblendet." Und warum hört sich Emmas Musik dann nicht düster und dräuend an? "Ich würde sagen, dass in dieser Hinsicht Amy Winehouse eine große Inspiration für mich war", erläutert Emma, "denn sie konnte über traurige Dinge über einem positiven Backbeat singen. Auf dieser Tour ist mir klar geworden, dass sich viele meiner Songs mit dem Thema 'Verlust' beschäftigen und ich mir ehrlich eingestehen muss und dass ich davor weggelaufen bin. Heute kann ich offen darüber sprechen." Okay - und woher kommt nun der Titel der EP? "Das Intro zu meiner EP ist eine Aufnahme meines Großvaters", berichtet Emma, "die EP wurde von ihm beeinflusst. Er starb während der Aufnahmen - und der Titel ist eines der letzten Dinge, die er zu mir gesagt hatte. Ich habe ihm meine Musik vorgespielt und er sagte, dass ich hier etwas hätte, worauf ich aufbauen könne - gab mir aber den Ratschlag, dass ich rufen müsse, wenn ich gehört werden könne. Und dann noch etwas: Mein richtiger Name ist nicht Emma Cole, sondern Andrea Martin - und das habe ich noch nie in einem Interview erzählt. Und im Intro zur Scheibe erklärt mein Großvater, wie ich meinen Künstlernamen wählen solle: Martin ist sein Name und Cole der Familienname seines Bruders und Emma war der Name seiner Großmutter."

Emma Cole
Wie geht es denn musikalisch weiter für Emma? "Nun, ich habe einiges geplant", verrät Emma, "zunächst mal habe ich ein Nebenprojekt namens Geminii - mit einer Frau, die wie ich aus Philadelphia stammt, die ich aber erst in L.A. getroffen habe. Dann habe ich eine neue Single namens 'Glassed Over', auf der ich mit meinen 90s HipHop-Einflüssen spiele. Ich bin jetzt 34 - bin also in den 90ern musikalisch aufgewachsen. Und in der Zukunft will ich mit Grunge und Elektronik-Einflüssen spielen. Meine Musik ist sehr dramatisch - wie die Musik von Roger Waters. Jedenfalls wie die Musik mich berührt - mit ein wenig Oper oder Operette. Die Musik von Geminii ist ein bisschen so wie 'HipHop trifft Oper'. Meine nächste Produktion wird auf jeden Fall ein wenig mehr Elektronik und Drama haben. Denn mir geht es nicht einfach darum, technisch gut zu singen - ich will spüren, worüber ich singe und spreche."

Weitere Infos:
www.emmacolemusic.com
www.facebook.com/missemmacole
youtu.be/eNTG6P_lPy4
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Emma Cole
Aktueller Tonträger:
If You Don't Holler, No One Will Hear
(Eigenveröffentlichung)
 

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