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13.11.2020
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PETER BRODERICK

Ganz nah am Ohr des Hörers

Peter Broderick
Peter Broderick ist erst 33 Jahre alt, trotzdem blickt der amerikanische Tausendsassa schon auf eine bewegte Karriere zurück. Er veröffentlichte bereits rund 20 Platten unter eigenem Namen, brillierte als Multiinstrumentalist bei Efterklang und machte als gefragter Sideman mit M. Ward, Laura Gibson, Sharon Van Etten, Tim Burgess und, und, und gemeinsame Sache. Mit seinem neuen Album "Blackberry" kehrt Broderick nun nicht nur zum Gesang zurück, sondern wandelt mit bisweilen schrullig verspieltem Folk-Pop im Spannungsfeld von Naturbewusstsein und den Tücken der modernen Welt auf neuen Pfaden. Nach der digitalen Überraschungsveröffentlichung Ende August erscheint das Album nun endlich auch als CD und LP.

Peter Broderick stammt aus einer sehr musikalischen Familie. Seine Eltern gaben ihre Begeisterung für Musik schon früh an ihre drei Kinder weiter. Während seine Schwester Heather als Solistin und an der Seite von Sharon Van Etten und vielen anderen Hochkarätern in der Indiewelt ebenfalls keine Unbekannte ist, war es Peters älterer Bruder, der ihn dazu inspirierte, es nicht allein beim Erlernen der Geige - seinem ersten Instrument - zu belassen. Inzwischen ist Broderick praktisch sein eigenes Taschenorchester, und "Blackberry" ist nicht seine erste LP, auf der er alle Instrumente allein einspielte. Trotzdem: Alte Liebe rostet nicht. "Wenn ich gezwungen wäre, mein Hauptinstrument zu benennen, wäre es sicherlich die Violine, weil sie mein erstes Instrument war. Allerdings bin ich absolut kein Geigenvirtuose", gesteht Broderick im Gespräch mit Gaesteliste.de, als wir ihn in seiner Wahlheimat, dem irischen Galway erwischen. "Ich kenne meine Grenzen und kann mich in meinem Rahmen so bewegen, dass es sich für mich gut anfühlt, aber wenn du mich neben einen professionellen Violinisten aus einem Symphonieorchester stellst, dann sehe ich ganz alt aus! Als ich begonnen habe, eigene Musik zu machen, war sie zunächst instrumental. Als ich dann begann, auch als Solist aufzutreten, wollte ich auch singen, und seitdem ist die Stimme mehr und mehr zu einem wichtigen Element geworden. Auf meinen ersten Vokal-Platten gibt's nur Multitrackgesang und meine Stimme ist sehr zart. Je mehr ich über die Jahre gesungen habe, desto selbstbewusster bin ich geworden, sodass ich heute fast sagen kann, dass die Stimme sich zu meinem Hauptinstrument entwickelt hat, zu dem Teil meiner Musik, mit dem ich mich am wohlsten fühle."

Die größte Inspiration für die Arbeit an der neuen Platte dagegen war nicht musikalischer Natur. Inzwischen mit US-Singer/Songwriterin Brigid Mae Power verheiratet, ist er auch Stiefvater ihres Sohnes, und die Beschäftigung mit seiner neuen Rolle als Ehemann und Erziehungsberechtigter hat seine Kreativität beflügelt und in neue Bahnen gelenkt. Deutlich wird das nicht zuletzt beim augenzwinkernd-herzergreifenden "What's Wrong With A Straight Up Love Song", dem Song, der seiner besseren Hälfte gewidmet ist. "Meine Frau löchert mich schon seit Jahren scherzhaft mit der Frage: 'Wann schreibst du endlich ein Liebeslied für mich?', und letztes Jahr habe ich das Lied dann für unseren dritten Hochzeitstag geschrieben und es ihr im Park vorgespielt", erzählt Broderick. "Der Song zeichnet unsere gemeinsame Geschichte nach."

Auch sonst verlegt sich Broderick textlich darauf, Geschichten zu erzählen und auf poetische Weise die Gedanken und Ideen einzufangen, die ihn bewegen. Damit setzt er sich wohltuend von den Künstlern ab, die ungeschminkt ihr Innerstes nach außen kehren und so ihre Texte bisweilen in Hilfeschreie verwandeln, und ebenso von jenen, die ihr politisches Gewissen in aufrührerische Protestsongs fließen lassen - auch wenn das nicht unbedingt mit Absicht geschah. "Meine Herangehensweise reflektiert eher, wer ich bin", erklärt Broderick. "Das ist schlichtweg meine Art, die Welt zu verstehen. Ich bin immer schon an allen unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein bestimmtes Thema interessiert gewesen. Ich benötige oft viel Zeit, um mir eine Meinung zu bilden, weil ich zuerst begreifen will, wie es sich für jemanden auf der Gegenseite anfühlt. Zudem bin ich letztlich davon überzeugt, dass ich nicht viel weiß! Ich habe deshalb schon immer versucht, eine bescheidene und demütige Haltung einzunehmen, wenn ich gewisse Sachverhalte beleuchte." Diese Einstellung passt gut zum Thema Natur, das Broderick nicht nur mit dem Albumtitel - zu Deutsch "Brombeere" - aufgreift und das ihn erst seit Kurzem mehr beschäftigt. Seine Kindheit verbrachte er zwar im ländlichen Oregon, von einer Rückkehr zur Natur möchte er trotzdem nur bedingt sprechen. " Erst vor fünf, sechs Jahren hatte ich ein - ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, ohne dass es seltsam klingt -, ein Erweckungserlebnis und seitdem zieht es mich viel mehr nach draußen", sagt er. "Ich fing plötzlich an, mich dafür zu interessieren, welche Pflanzen in meinem kleinen Garten wachsen, nachdem ich sie zuvor einfach als große grüne Wand wahrgenommen hatte. Seitdem habe ich mich sehr intensiv mit den Pflanzen und ihrer Geschichte und ihrem Nutzen auseinandergesetzt, und das macht sich deshalb auch in den neuen Liedern bemerkbar."

Doch nicht nur textlich bewegt sich Broderick auf "Blackberry" in eine andere Richtung, auch musikalisch lässt er seine vor allem durch instrumentale Filmscores geprägte jüngste Vergangenheit als Musiker ein Stück weit hinter sich und konzentriert sich auf Lieder mit Gesang, die in Richtung Pop und Folk deuten. Zudem ist das neue Werk ein echter Alleingang, denn abgesehen von einem Gesangsbeitrag seiner Ehefrau beim allerletzten Lied der LP spielte Broderick alles selbst ein. "Für das neue Album schwebte mir eine komplette Kehrtwendung vor, eine Platte, die betont songorientiert ist", erklärt er. "Die Idee hatte ich schon eine Weile im Kopf, aber als meine Frau letztes Jahr für einige Wochen auf Tour ging und ich mehr Zeit für mich allein hatte, kamen plötzlich die Songs und das Ganze entwickelte sich in meinem Kopf sehr schnell zu einem echten Projekt. Ich hatte einen Titel, einen thematischen Bogen und diese sehr spezifische Idee, das komplette Equipment in meinem Schlafzimmer aufzubauen und so diesen gewissen Bedroom-Pop-Sound einzufangen."

Bewusst war auch Brodericks Entscheidung, die Struktur, die Arrangements der neuen Lieder einfach zu halten - auch wenn er sich als Multiinstrumentalist natürlich problemlos eine viel üppigere Instrumentierung hätte zaubern können. Schwergefallen ist es ihm allerdings nicht, sich in Zurückhaltung zu üben. "Für gewöhnlich entstehen meine Lieder Schicht für Schicht", verrät er. "Erst habe ich einen Gitarrenpart und nehme ihn auf, dann überlege ich mir eine Gesangsmelodie und füge sie hinzu und so weiter. Die neuen Lieder dagegen entstanden auf sehr folkige Weise. Ich sang zur Gitarre oder ich sang zur Geige und die Songs fühlten sich schon mit nur diesem einen Instrument und der Stimme vollendet an. Gleichzeitig liegt der Schwerpunkt dieses Mal viel mehr auf der Stimme, denn oft werden in den Liedern Geschichten erzählt. Alles, was ich anschließend noch hinzugefügt habe, war dieses Mal nur Dekoration."

Der Verzicht auf Mitstreiter hatte auch zur Folge, dass Broderick seiner Fantasie freien Lauf lassen und auch einige spleenige Ideen verwirklichen konnte, weil es bei den Aufnahmen niemanden gab, der ihn davon hätte abbringen können. Das Resultat ist ein Album, dem man die Freude, die Broderick bei der Arbeit hatte, praktisch bei jedem einzelnen Ton anhören kann. "Schön, dass das durchkommt", freut sich Broderick, denn genau das war etwas, das ihm wichtig war. "Wenn du nach mir auf Spotify suchst, findest du vor allem instrumentale, Klavier-basierte Stücke, und auch das Label, mit dem ich zusammenarbeite, ist in erster Linie für kinematische Instrumentalmusik bekannt. Das ist alles prima und es gibt in meinem Herzen auch Platz für diese Art von Sound, aber manchmal habe ich auch einfach genug davon. Ich habe immer wieder Phasen, wo mich diese Art von Musik richtig nervt. Für den Moment hatte ich aber nicht nur diese Klangfarbe satt, sondern auch viele der Produktionstechniken, die dabei zum Einsatz kommen: alles ist wahnsinnig sanft, es gibt viel Hall und alles ist gut ausgepolstert. Für die neue Platte schwebte mir deshalb ein sehr trockener Klang vor und ich denke, das verstärkt die Verspieltheit, weil die Sounds bodenständiger und ganz nah am Ohr des Hörers sind, als sei man gemeinsam mit dem Musiker in einem kleinen Raum."

Dennoch bedeutet der Alleingang bei "Blackberry" nicht, dass Broderick auch in Zukunft auf Kollaborationen mit anderen Musikern verzichten will. Doch was genau schätzt er an der Zusammenarbeit mit anderen Musikern besonders? "Wenn ich lange an meiner eigenen Musik gearbeitet habe, hilft mir die Kollaboration mit anderen oft dabei, mich von den mir bekannten Mustern zu trennen", erklärt er. "Du arbeitest mit anderen zusammen und sie haben eine völlig andere Herangehensweise, und du denkst dir: 'Interessant, ich mache das immer völlig anders!' Manchmal sind die Unterschiede nicht so gravierend, aber manchmal ist das auch ein echter Schock. Das kann bisweilen einen riesengroßen Einfluss darauf haben, wie du dich fortan deiner eigenen Musik näherst. Das Wichtigste, das ich aus den Kollaborationen ziehe, ist die Erweiterung meiner Musikalität."

Weitere Infos:
www.peterbroderick.net
www.facebook.com/officialpeterbroderick
twitter.com/bropeterick
www.instagram.com/bropeterick
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Aoife Light-
Peter Broderick
Aktueller Tonträger:
Blackberry
(Erased Tapes/Indigo)
 

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