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16.03.2021
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VALLEY MAKER

Auf der Suche nach dem Unerklärlichen

Valley Maker
Austin Crane begibt sich auf Sinnsuche im Abendrot: "When The Day Leaves" heißt das inzwischen vierte, fraglos beste Album seines Projekts Valley Maker, mit dem er seinen atmosphärischen Songwriter-Folk-Rock auf eine neue Stufe hebt. Entstanden im emotionalen Spannungsfeld von Abschiedswehmut und Vorfreude auf einen Neubeginn konzentriert sich der sympathische Amerikaner im Stile Gillian Welchs dabei ganz auf seine Songs, ohne deshalb die produktionstechnischen Werte aus den Augen zu verlieren. Holz- und Blechbläser und deutlich mehr Klavier als zuvor sorgen auf "When The Day Leaves" für stimmige Kontrapunkte und geben den neuen Liedern genau das Gefühl von Dynamik, das ihm vorschwebte. Bisweilen weht deshalb ein Hauch von "Pet Sounds" durch die Songs, aber auch Bob Dylans "Desire" und die unwirklich erscheinenden Klangwelten von Arthur Russel halfen ihm, den richtigen Weg für dieses Album zu finden.

Seit mehr als zehn Jahren feilt Austin Crane nun schon an seiner Vision eines Sounds, der von der Vergangenheit in die Gegenwart führt und am Ende zeitlos ist. Persönlich allerdings führte ihn sein Weg zuletzt in die entgegengesetzte Richtung, zurück zu seinen Wurzeln. Nachdem es ihn für rund ein Jahrzehnt nach Seattle verschlagen hatte, um dort Humangeografie zu studieren und anschließend seine Doktorarbeit in Angriff zu nehmen, ist er inzwischen mit seiner Ehefrau Megan in ihre gemeinsame alte Heimat nach Columbia, South Carolina, zurückgekehrt. Gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Pandemie haben die zwei ihr neues Zuhause bezogen, und inzwischen ist klar, dass der Lockdown Crane trotz all der Probleme und Ungewissheit, die damit einhergingen, gleich doppelt in die Karten spielte: Zum einen verbrachte der frisch gebackene Hausbesitzer viel Zeit in den eigenen vier Wänden und konnte sich um die dringend nötigen Renovierungsarbeiten an seinem neuen Heim kümmern - "Es ist ein historisches Haus, naja, historisch für amerikanische Verhältnisse, es stammt aus de 1930ern", erzählt er beim Interview mit Gaesteliste.de lachend -, gleichzeitig wurden auch in den USA die Studienkurse in die virtuelle Welt verlegt und gaben Crane so die Chance, von South Carolina aus weiter an der University of Washington zu unterrichten: Bei seinem Kurs "Geographies of Global Inequality" konnte er sich über Studierende aus Frankreich, China und Südkorea freuen.

Beim Interview mit Gaesteliste.de sitzt er in seinem frisch eingerichteten Musikzimmer im Keller seines Hauses, das ihm derzeit auch als Bühne für seine Solo-Online-Auftritte dient und später einmal auch Proberaum für seine ganze Band sein soll, und sinniert darüber, ob ihm sein akademischer Background den Weg durch die Pandemie nun erleichtert hat oder ihn mehr Wissen über die Zusammenhänge vielleicht sogar mehr bedrückt hat. "In die Welt von Pandemie an sich habe ich keinen besonderen Einblick, aber in der Humangeografie dreht sich vieles um Vernetzung und wie unser Leben mit dem von anderen Menschen zusammenhängt", erklärt er. "Die Grundzüge des geografischen oder räumlichen Denkens beschäftigen sich mit den politischen, sozialen und ökonomischen Verbindungen der Menschen. Insofern war das vergangene Jahr schon sehr frustrierend, weil ich mir von der politischen Führung in den USA gewünscht hätte, dass sie diesen Aspekt mehr einbezieht und weniger Alleingänge gewagt hätte. Ich könnte dazu eine Menge sagen, aber das ist vielleicht nicht die richtige Richtung für unser Gespräch, hahaha!"

Doch nicht nur seine akademische Laufbahn, auch sein Songwriting dient Crane dazu, Sinn und Bedeutung im Leben zu finden. Die oft nachdenklich gestimmten Lieder auf seinem neuen Album schrieb er größtenteils noch vor seinem Weggang aus Seattle Ende 2019, in der Phase zwischen Abschied und Neubeginn, das Gefühl der Ungewissheit trifft dabei auf erdige Schönheit. "Das Songwriting war schon immer meine Art, mich mit dem Unerklärlichen auseinanderzusetzen und mich den Fragen zu widmen, auf die es keine leichten Antworten gibt", verrät er. "Ich schreibe keine Lieder, um etwas zu erklären, ich schreibe sie, um mich abseits von Sprache und Wissen dem anzunähern, was für mich unerklärlich ist." Dabei achtet Crane allerdings darauf, dass seine Texte nicht zu abgehoben klingen. So wichtig ihm das Mysteriöse auch ist - verankert sind seine Lieder oft in persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen. "Bei der neuen Platte habe ich versucht, ein wenig direkter und ehrlicher zu sein und mich nicht davon abzuwenden, was sich für einen Song richtig anfühlt", sagt er und in der Tat: Die richtige Balance zwischen den Extremen zu finden, rückt für ihn mit jeder Platte weiter in den Fokus. "Ich mag es, dass meine Lieder offen für verschiedene Interpretationen sind", erklärt er. "Die Hörer sollen darin etwas finden, an dem sie sich festhalten können, gleichzeitig aber genug Raum haben, ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen in die Deutung mit einzubringen."

In die persönliche Sinnsuche mischen sich auf "When The Day Leaves" auch immer wieder religiöse und politische Untertöne, wenngleich für Crane beim Schreiben das Stellen von Fragen bisweilen wichtiger war als das Finden konkreter Antworten. Gleichzeitig verströmen viele Lieder aber auch das Gefühl einer wohligen Düsterkeit, die sich bereits im LP-Titel widerspiegelt. "Das Gefühl, dass die Dunkelheit einsetzt, ist ein zentrales Thema", bestätigt Crane. "Dieses Gefühl, dass die Sonne verschwindet und sich die Nacht über alles legt, das war hier in den USA unter der Trump-Regierung allgegenwärtig. Viele der Probleme in diesem Land sind nicht neu, Rassismus zum Beispiel begleitet uns seit den Gründerzeiten, aber welche Formen das in den letzten Jahren angenommen hat, ist schon beängstigend. Allerdings kann ein Sonnenuntergang aber auch etwas sehr Schönes sein, ein Moment, in dem die Zeit stillsteht."

Ähnlich wie bei den Texten zeigt sich Crane auf "When The Day Leaves" auch musikalisch spürbar offener und findet in allen früheren Phasen seiner inzwischen ein Jahrzehnt alten Band Ideen und Elemente, die er als Sprungbrett für seine künstlerische Evolution nutzen konnte. War das Album 'Rhododendron' aus dem Jahr 2018 noch Cranes Versuch, die rustikalen Folk-Ursprünge seines Projekts hinter sich zu lassen, klingt die neue LP grenzenloser. "Ich bin die neue Platte bewusst anders angegangen als die letzte", verrät er. "Der Vorgänger war eher ein Bandalbum und lehnte sich produktionstechnisch stärker an Indierock-Tugenden an. Dieses Mal hatte ich dagegen den Wunsch, das Songwriting bei den Aufnahmen in den Mittelpunkt zu rücken, denn ich denke, dass die neuen Songs die besten sind, die ich bisher geschrieben habe." Auch die Tatsache, dass sich Valley Maker in den vergangenen Jahren zu einem internationalen Touring Act entwickelt haben und Crane mittlerweile weiß, wie es sich anfühlt, Abend für Abend auf der Bühne zu stehen, hinterließ Spuren in den Songs des neuen Albums. "Natürlich ist es mir wichtig, kreativ zu sein und künstlerisch voranzukommen, aber die wichtigste Frage für mich ist immer: Fühlt es sich wahrhaftig und ehrlich an, kann daraus ein Song werden, den ich 20 oder 30 Abende am Stück singen kann und dabei überzeugend klinge?", erklärt er.

Um diesen Wunsch Realität werden zu lassen, kehrte Crane für einige Wochen nach Seattle zurück, um dort vor den Toren der Stadt in Woodinville in Ruhe und ohne Unterbrechung an den Liedern feilen zu können - eine Erfahrung, an die er auch viele Monate nach den Aufnahmen gerne zurückdenkt. "Wir hatten keine strikte Agenda und das Studio lag mitten in der Natur, deshalb konnten wir bisweilen einfach mal Pause machen und draußen ein Glas Wein genießen", erinnert er sich an die Sessions im Studio von Trevor Spencer, der wie schon bei "Rhododendron" als Produzent und Mitverschwörer agierte. "Eigentlich bin ich jemand, der alles bis ins kleinste Detail durchplant, anstatt einfach mal der Kreativität freien Lauf zu lassen, deshalb empfand ich es als großen Luxus, diese Platte ohne den Druck einspielen zu können, den du unweigerlich spürst, wenn du ganz viel in einem sehr knappen Zeitrahmen schaffen musst. Wenn ich in zehn Jahren an diese Platte zurückdenke, wird mir zuerst ihre Entstehung in den Sinn kommen, weil der Prozess so wunderbar sinnstiftend war."

Vollkommen neu war diese Erfahrung für Crane allerdings nicht. Das Element der Kollaboration war ihm schon immer sehr wichtig. Auf "When The Day Leaves" sind alte Weggefährten - Amy Godwin ist mit ihrem hinreißenden Harmoniegesang bereits seit den frühesten Tagen der Band eine ständige Begleiterin - genauso vertreten wie Musiker, die erstmals auf einem Valley-Maker-Album zu hören sind und so neue Impulse setzen konnten, Drummer Chris Icasiano etwa, der seinen Background in Seattles Avantgarde-Jazz-Szene einbrachte und auf dessen Mitwirken Crane ganz besonders stolz ist, oder Morgan Henderson aus dem Fleet-Foxes-Umfeld, der mit verschiedenen Holzblasinstrumenten Cranes Songs neue Horizonte eröffnete. "In all den Jahren hat sich der Arbeitsprozess nicht grundlegend verändert", gibt er zu. "Die Songs schreibe ich allein, zumeist daheim, und oft feile ich dabei lange an den Texten, den Melodien und der Struktur herum. Das war der Aspekt, der mir bei der neuen Platte besonders wichtig war, bei dem ich unbedingt alles richtig machen wollte, damit der Produktionsaspekt ein leuchtendes Beispiel sein kann. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie die Songs bei den Aufnahmen zum Leben erwachen, da spielen die Kollaborateure eine entscheidende Rolle."

Dass Valley Maker keine Band im klassischen Sinne sind, führt im Studio dazu, dass die Live-Umsetzung zwar mitgedacht wird, aber nie die Richtung vorgibt. "Ich bin nie jemand gewesen, der das Gefühl hatte, dass die Liveshow eine perfekte Nachahmung der Platte sein muss", sagt Crane. "Ich mag es, mich live in verschiedene Situationen zu begeben - meine erste Deutschlandtournee habe ich im Trio bestritten, bei meiner letzten war ich solo unterwegs und manchmal trete ich auch mit Amy als Duo auf - und mir gefällt der Gedanke, die Lieder auf der Bühne auf andere Art zu interpretieren. Damit das gelingen kann, versuche ich die Aufnahmen möglichst einfallsreich zu gestalten und verschiedene Richtungen anzudeuten, in die sich später die Live-Umsetzung bewegen könnte. Letztlich ist eine Platte aber trotzdem immer eine in sich geschlossene Einheit, und es ich wahnsinnig spannend zu sehen, wie etwas, das du allein aufgenommen hast, mit der Unterstützung anderer Leute erst richtig aufblüht, indem sie ihre Persönlichkeit einbringen." In erster Linie sieht Crane Valley Maker zwar als ein Ventil für sein Songwriting, gleichzeitig ist das Projekt aber auch eine Gemeinschaft von Menschen, die zusammenkommen, um Platten zu machen oder in verschiedenen Besetzungen auf Tournee zu gehen. "Die Community ist mir sehr wichtig", unterstreicht Crane. "Sie hilft mir zu verstehen, wer ich bin, während sie mich bei den Plattenaufnahmen dabei unterstützt, herauszufinden, was meine Songs brauchen."

Doch auch abseits des Miteinanders ist Crane gerade in den zurückliegenden Monaten der Pandemie die Kraft der Musik und ihre oft heilenden Wirkung sehr bewusst gewesen. "In dem Jahr, das hinter uns liegt, habe ich viel darüber nachgedacht, was Musik für mich bedeutet und wie wichtig und wertvoll sie in unser aller Leben ist", sagt er. "Sie hilft, dass wir uns weniger allein fühlen. Ich weiß, dass das für mich stimmt, aber ich habe auch genug Gespräche mit anderen geführt, um annehmen zu können, dass dieses Gefühl ziemlich universell ist und von vielen Menschen geteilt wird. Auch wenn ich jetzt nicht auf Tournee sein kann und einige meiner Bandmitstreiter schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen habe - im vergangenen Jahr hat sich die Musik für mich oft wie ein Rettungsanker angefühlt."

Vor allem eine Platte war dabei für Crane sehr wichtig. Auf dem Regal hinter ihm steht zwar unübersehbar die LP "Journey In Satchidananda" von Alice Coltrane, die Platte dagegen, die für ihn eine ganz besondere Bedeutung entwickelte, war ein Klassiker ihres Ehemanns. "Ich habe 'A Love Supreme' von John Coltrane im zurückliegenden Jahr fast jeden Tag gehört - und nicht selten sind mir beim Hören die Tränen gekommen", verrät er. "Auch wenn es auf der Platte keine Texte gibt, habe ich doch das Gefühl, in dieser Musik einen Wegbegleiter, einen Mitreisenden zu haben. Unter den verrückten Umständen, die derzeit unser Leben bestimmen, war 'A Love Supreme' definitiv eine der Platten, die mir durch dieses Jahr geholfen haben!"

Weitere Infos:
valleymaker.com
www.facebook.com/ValleyMaker
twitter.com/valleymaker
www.instagram.com/valleymakermusic
valleymaker.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Bree Burchfield-
Valley Maker
Aktueller Tonträger:
When The Day Leaves
(Frenchkiss/Membran)
 

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