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30.03.2021
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CHANTAL ACDA

Das andere Bewusstsein

Chantal Acda
Auf die belgische Songwriterin Chantal Acda kann man sich verlassen. Jedenfalls in dem Sinne, dass alle ihrer Veröffentlichungen konzeptionelle und musikalisch Überraschungen bieten, die es schlicht unmöglich machen, Chantal irgendwie kategorisieren zu können. Nachdem sie zunächst mit ihrem Bandprojekt Sleepingdogs in einer eher folkigen Richtung arbeitet, dann zusammen mit Chris Eckmann und ihrem Gatten Eric Thielemans in dem Projekt Distance, Light & Sky in Sachen Americana machte, gibt es spätestens seit sie 2003 auch unter eigenem Namen agiert, sozusagen kein Halten mehr: Zunächst arbeitete sie mit Künstlern aus dem neo-klassischen und Ambient-Umfeld wie Nils Frahm, Phill Brown oder Peter Broderick. Später dann mit Chris Eckman, Bill Frisell, Stef Kamil Carlens und Valgeir Sirgurdsson. Das bislang erstaunlichste Werk war dann ihre letzte LP "Puwawau", auf der sich Chantal sich als Forscherin in Sache der stimmlichen Klangkunst auf avantgardistisch/abstrakte Weise betätigte. Dahingegen ist das nun vorliegende, neue Album "Saturday Moon" fast schon ein normales Songwriter-Album. Chris Eckman geht in der aktuellen Bio sogar so weit zu sagen, dass Chantal auf diesem Album möglicherweise ihr "natürliches, musikalisches Zuhause" entdeckt habe.

Ist es denn aber nicht gerade Chantals Absicht, gerade ein solches musikalisches Zuhause zu vermeiden? "Da muss ich sagen, dass du und Chris beide recht haben", zögert Chantal, "irgendwie habe ich nämlich schon immer gehofft, irgendwo hineinzupassen, denn ich bin ja auch nur ein Mensch. Ich weiß auch, dass es für die Fans und die Presse nicht einfach ist, zu verstehen, was ich eigentlich mache - denn das ist nicht klar. Es ist nur so, dass die Sachen so rauskommen, wie sie nun mal rauskommen und ich wirklich nicht viel Kontrolle über das habe, was ich mache. Was Chris sagt, stimmt aber insofern, als dass ich wegen des Lockdowns dieses Mal Zeit hatte, darüber nachzudenken, dass mir bewusst war, dass ich ja doch nirgendwo hinpasse, so lange ich meinen Instinkten folgen würde. Ich habe also beschlossen, diese Erkenntnis frei zu sein zu zelebrieren und mich auch gar nicht mehr zu bemühen, irgendwo hinpassen zu wollen." Das bringt uns dann gleich zu der Frage, für wen Chantal dann ihre Musik eigentlich macht? "Puh - wenn ich Musik mache, bin ich schon irgendwie mit dem Zuhörer verbunden", überlegt Chantal, "spätestens dann, wenn ich auf der Bühne stehe oder wenn ich eine Aufnahmetaste drücke, ist die Musik also nicht mehr alleine für mich. Einfach schon deswegen, weil sie ab diesem Zeitpunkt auch für andere eine Bedeutung haben kann. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob meine Musik eine Art Therapie für mich ist. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Musik einfach das ausdrückt, was ich bin. Ich muss das einfach machen. Wenn ich dadurch mit anderen Verbindung stehe, dann hoffe ich doch einfach, dass andere das selbe fühlen können, was ich fühle." Das heißt also, dass Chantal eigentlich über ihre Musik kommuniziert? "Oh auf jeden Fall", räumt sie ein, "wenn ich Musik mache, dann lasse ich wirklich andere Menschen zu - speziell bei den Aufnahmen. Ich muss natürlich aufpassen, mit wem ich zusammenarbeite, aber die Verbindungen, die auf diese Weise entstehen, sind schon sehr tief. Solche engen Verbindungen erreiche ich in normalen Gesprächen niemals. Und ich weiß nicht einmal, wie das Ganze funktioniert." Gibt es denn auch eine spirituelle Ebene in diesem Prozess? "Ehrlich gesagt, ja", bestätigt Chantal, "obwohl 'spirituell' natürlich schon ein gefährliches Wort in diesem Zusammenhang ist. Es ist aber so, dass wenn ich sage, dass meine Musik nicht nur für mich ist, ich damit meine, dass die Musik mich durchdringt und ich über meine Musik einen Zugang zu etwas Größerem habe. Ich bin dann sozusagen selber gar nicht mehr da. Damit meine ich, dass wenn ich an Musik arbeite, ich meine Gedanken ausschalte und einfach ein ganz anderes Bewusstsein habe." Ist das der Grund, warum Chantal sagt, dass sie "spirituell" für ein gefährliches Wort halte? "Ja", bestätigt sie, "ich sage, dass ich den Begriff 'spirituell' für gefährlich halte, weil viele Menschen Angst davor haben. Für mich bedeutet 'Spiritualität eine Art von gemeinsamen Bewusstsein, das ich anstrebe - oder ein Gefühl der Verbundenheit."

Chantal macht dabei ja mehr als deutlich, dass es bei ihrer Kunst nicht darum gehen kann, etwas kontrollieren zu wollen. Nun ist es aber doch so, dass man auch als Künstler zumindest die technischen Aspekte kontrollieren muss, um zu einem Ergebnis kommen zu können. Wie sieht Chantal denn diese Problematik? "Ich denke, ich kontrolliere irgendwie, dass jeder, mit dem ich zusammenarbeite, weiß, was ich tue", überlegt Chantal, "es geht dabei darum, meine Energie dazu einzusetzen, dass wir auf einer spirituellen Ebene miteinander verbunden sind, denn es geht nicht um die Worte, die ich sage. Mir ist es wichtig, die Integrität der Songs auf diese Weise zu kontrollieren. Wenn ich einen Song nämlich geschrieben habe und ihn auf den Tisch lege, dann geht es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr um mich, sondern um die Songs. Ich muss ab dann also den Song beschützen und sorgfältig kontrollieren, wer den Song auf welche Weise berührt. Das ist die Kontrolle, die ich habe." Was ist denn dann die größte Herausforderung für die Songwriterin Chantal Acda? "Also für mich ist die größte Herausforderung eigentlich, die innere Stärke zu finden, fragil zu sein in einer Welt, die es eigentlich nicht erlaubt fragil zu sein", führt Chantal aus, "ich muss mir also selbst zutrauen, mich zu öffnen, während ich eigentlich doch eine unsichere Person bin. Es ist nicht einfach, so etwas in einer Welt zu tun, die so auf den Erfolg ausgerichtet ist. Das ist auch der Grund, warum ich meine Inspirationen aus Spaziergängen in der Natur - fern von der Zivilisation - beziehe und auf diese Weise die Kraft finde, die notwendig ist, schreiben zu können." Gelingt es denn auf diese Weise, die genannten Unsicherheiten zu überwinden? "Überwinden?", fragt Chantal, "ich weiß nicht - denn das ist wohl einfach ein Teil meiner Persönlichkeit. Aber ich weiß zumindest, dass diese Unsicherheiten, in dem Moment, wenn ich Musik mache, einfach nicht da sind. Die kommen erst dann wieder zum Vorschein, wenn die Scheibe fertig ist und es dann wieder um die geschäftlichen Belange geht. Das ist dann schon ziemlich schrecklich."

Chantal Acda
Irgendwie schafft es Chantal auf diese Weise aber - ganz ohne Kalkül, Anspruchsdenken oder gar ohne Kontrolle - einen ganz eigenen Weg als Musikerin zu gehen und sich dabei auch persönlich weiterzuentwickeln. Und mehr kann man als Songwriterin ja eigentlich dann auch gar nicht erreichen.

Weitere Infos:
chantalacda.com
www.facebook.com/chantalacdamusic
chantalacda.bandcamp.com
twitter.com/chantalacda
www.youtube.com/watch?v=5mBjh6vXJKc
www.youtube.com/watch?v=zYgDv18Zyj0
www.youtube.com/watch?v=1K07LGVVbdc
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Jurgen Augusteyns-
Chantal Acda
Aktueller Tonträger:
Saturday Moon
(Glitterhouse/Indigo)
 

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