20.08.2021 http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1977 |
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ORLA GARTLAND |
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Keine Bonanza |
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Orla Gartland hat es zwar gerne bunt - aber nicht wirklich eilig. Die in London ansässige irische Songwriterin ist nämlich schon ganz schön lange im Geschäft. Genau genommen ist sie bereits seit ihrem fünften Lebensjahr musikalisch tätig, denn da begann sie Geige und "traditionelles irisches Zeug" (wie sie sagt) zu spielen - und im Alter von 12 kamen dann noch Gitarrenstunden hinzu. Diese setzte sie mit 13 dann praktisch um, indem sie ihr erstes YouTube-Video postete. Das sollte sich dann im Folgenden auch als Medium ihrer Wahl werden, denn noch bevor sie 2012 ihre erste Single "Devil On My Shoulder" herausbrachte, begann 2011 ihre Video-Karriere (und damit sind wir bei dem Aspekt "bunt" angelangt) mit dem professionell in Szene gesetzten Song "All The Little Details". Als sie dann 2013 ihre erste EP "Roots" herausbrachte, hatte ihr YouTube-Channel bereits zehn Millionen Besucher. Seither hat sich Orla auch als Live-Künstlerin etabliert, drei weitere EPs veröffentlicht, etliche Videos produziert und sich letztlich musikalisch aus ihrem ursprünglichen Folkie-Setting gelöst und präsentiert sich heutzutage als versierte Pop-Künstlerin. Dennoch dauerte es letztlich fast acht Jahre, bis sie sich dazu durchringen konnte, ihre Debüt-LP "Woman On The Internet" einzuspielen. Natürlich drängt sich da die Frage auf, warum das Ganze eigentlich so lange gedauert hat - denn an Songmaterial hatte es Orla eigentlich ja nie ermangelt...
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"Nun ja - zunächst mal habe ich natürlich nicht damit gerechnet, dass ich die LP ausgerechnet in einer Pandemie machen würde", erläutert Orla - die zum Zeitpunkt des Gespräches noch auf ihre zweite Impfung wartet, "aber um ehrlich zu sein, war ich einfach noch nicht bereit. Was ja heutzutage an der Musik-Industrie toll ist, ist dass es so viele Formate gibt. Ich liebe zwar Alben - und die Industrie funktioniert ja immer noch so -, aber es gibt viel weniger Regeln als früher. Die Leute veröffentlichen Singles und Mixtapes und Mini-Alben und Doppel-Alben und ich habe jahrelang EPs genutzt, um Erfahrungen zu sammeln. Es gibt halt viele Möglichkeiten. Und dann gibt es ja auch noch Umstände, an die man oft gar nicht denkt: Ich musste zum Beispiel eine Band finden, ich musste meinen Produzenten finden und ein Team und auch ein Publikum; denn ich wollte schon independent arbeiten - brauchte dafür aber einen gewissen Kreis von Leuten, die mich bereits kannten, damit ich nicht vom Support eines Labels abhängig wäre. Also würde ich sagen, dass ich musikalisch schon seit einiger Zeit bereit war - aber ich musste erst die ganzen anderen Sachen drumherum wie Entchen aneinander reihen." Dann begann Orla auch irgendwann, sich für die technischen Aspekte des Produzierens zu interessieren. "Ja, denn so vor ungefähr drei Jahren fand ich mich in einigen Songwriter- und Produzenten-Sessions wieder und stellte da fest, dass ich zwar Ideen in meinem Kopf hatte - mir aber die Fachsprache fehlte, diese zu beschreiben", berichtet Orla, "das fand ich so ärgerlich - denn das war so, als sprächen alle anderen eine andere Sprache und das mochte ich gar nicht. Denn in diesen Sessions fühlte ich, wie mir meine Projekte auf diese Weise entglitten. Als erstes lernte ich also, wie man Demos produziert. Es ging mir dabei aber vor allen Dingen darum, dadurch anderen meine Ideen erklären zu können, damit diese die dann umsetze könnten. Das hat mir sehr gut gefallen."
Orla arbeitete auch auf der LP mit Tom Stafford zusammen, mit dem sie zuvor an der "Freckle Season"-EP gearbeitet hatte, richtig? "Ja, denn es ist wichtig, mit anderen zusammenzuarbeiten, denn es braucht ja jemand, der dich antreibt und darauf achtet, dass du nicht zu bequem in deinem eigenen Ding einrichtest", bestätigt Orla, "deswegen habe ich mein Album mit Tom co-produziert, denn auf diese Weise gab es einen guten Mix. Bis dahin hatte ich mit der Band die Songs schon als Demos produziert. Diese waren zwar in Ordnung, aber ich wollte unbedingt die extra zehn Prozent herauskitzeln, die sich durch die Zusammenarbeit mit Tom ergaben. Es ist auch wichtig, Feedback von anderen zu bekommen, um sich herauszufordern. Anderenfalls wird nämlich alles schnell zu glatt und sicher. Es gilt, diesen süßen Spot in der Mitte zu finden - denn man will sich ja nicht mit zu vielen Meinungen auseinandersetzen müssen. Früher habe ich meine Songs an all meine Freunde geschickt und um eine Meinung gefragt - davon bin ich aber schnell abgekommen." Anfangs arbeitete Orla ja in einem Folk- und Folkpop-Setting. Auf "Woman On The Internet" und auch schon auf "Freckle Season" scheint sie es aber darauf angelegt zu haben, eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln. Das hat wohl auch damit zu tun, dass sie begann, sich für die produktionstechnischen Aspekte ihres Tuns zu interessieren, oder? "Ich denke schon", meint Orla, "ich habe eine ganze Weile selbst gedacht, dass ich super-folky sei, weil die Gitarre mein erstes Instrument ist und ich Folk-Musik auch wirklich liebe. Ich bin zum Beispiel riesiger Laura Marling-Fan. Aber ich mag auch Pop-Musik und habe mich irgendwann auch für das Schlagzeug interessiert. Da hat mich nach den ersten Jahren die Gitarre dann nach einer Weile richtig gelangweilt und ich habe mich nach anderen Texturen umgeschaut und bin auf die Produktion gestoßen." Worauf muss man denn da als Musikerin, die von der performerischen Seite kommt, besonders achten? "Man muss natürlich darauf achten, dass man nicht zu verrückt oder wild damit umgeht, weil es so viele Optionen gibt", führt Orla an, "das musste ich auch erst mal lernen. Einige Restriktionen sind nämlich gut. Für mich gingen der Wunsch produzieren zu wollen und eine neue klangliche Textur zu finden, Hand in Hand." Kommen wir aber noch mal auf die Gitarre zurück: Wenn Orla sagt, dass sie die Gitarre irgendwann langweilte: Was bedeutet das Instrument denn heute für sie? "Das ist ein sehr interessantes Ding", meint Orla, "ich spiele Gitarre für meine Freundin Dodie und das ist ein sehr interessanter Prozess für mich, denn einfach nur Gitarre zu spielen ohne die Lead Vocals zu übernehmen, hat mich mit meinem Instrument wieder in Einklang gebracht. Wenn deine Finger auf dem Griffbrett genau das tun, was du willst und mit dir wirken und nicht gegen dich - was gar nicht immer der Fall ist - dann fühlt sich die Gitarre an, wie eine Verlängerung deines Armes. Es gibt nur gewisse Augenblicke dieser Art auf der Bühne - also wenn die Stimmung passt und es nicht zu kompliziert ist - aber die genieße ich besonders. Ich spiele ja auch ein wenig Keyboards und Bass - aber nichts packt mich so, wie die Gitarre. Meine Ausdrucksmöglichkeiten als Gitarristen sind für mich ganz andere und das fühlt sich ganz natürlich für mich an." Nun legt Orla ja die Gitarre nicht ganz beiseite - aber auf ihrer LP und auch auf der EP "Freckle Season" passiert ja doch so einiges mehr. Was war denn der Plan das Sounddesign betreffend? "Nun auf vielen Songs - aber nicht allen - gibt es im Kern ja doch eine Gitarre", zögert Orla, "mein Ziel bei der Produktion war, diese zum Ausschmücken zu verwenden, aber nicht zum Selbstzweck zu machen. Es gibt einen Piano-Song, es gibt ein paar Keyboard- und Synthie-Songs - aber das meiste dreht sich ja doch um die Gitarrensounds. Es gab auch Songs, bei denen die Versuchung bestand, noch mehr Zeug anzuhäufen - aber am Ende haben wir uns entschlossen, dass wir das dann doch nicht brauchten. Das Ziel war also mehr als ein puristisches Gitarren-Album aber weniger als ein massive Big-Band-Synthie-Bonanza zu erschaffen." |
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Das Thema der Scheibe sind ja Identifikationsfiguren aus dem Web. Das interessante an Leuten aus dem Internet ist ja für gewöhnlich der Umstand, dass es dabei nicht wirklich um die echten Menschen geht, sondern um Charaktere, Images und Projektionen. "Immer", stimmt Orla zu, "ich denke aber, dass es in meinen Songs meistens um mich geht - und ich nur gelegentlich auf die Geschichten anderer zurückgreife und diese auf meine Weise verarbeite - Exe, Freunde, Familienmitglieder usw. Es ist wie durch meine Linse zu schauen und mit meinen Worten wiederzugeben, was ich sehe. Kein Künstler präsentiert sich dem Publikum schließlich zu hundert Prozent als er selbst. Man überhöht sich, schmückt etwas aus, macht sich etwas glamouröser und vielleicht sogar selbstbewusster als man tatsächlich ist. Was also das Image betrifft: Es geht schon um mich - aber auf eine vielleicht leicht überhöhte Weise. Man muss ja auch ein wenig übertreiben und dramatisieren, um der Sache Leben einhauchen zu können." Worum geht es Orla dabei als Songwriterin? "Nun, wenn ich die Songs anderer Leute höre, dann möchte ich deren Persönlichkeit heraushören können", überlegt Orla, "ich möchte keine generischen Sachen hören. Deswegen möchte ich etwas Besonderes machen. Auf Spotify ist es aber einfacher, Standard-Singer-Songwriter-Sachen zu vermarkten, weil es dafür einen riesigen Markt gibt. Ich achte also darauf, dass meine Sachen aufrichtig sind und Persönlichkeit haben und ich versuche, Dinge auf eine andere Art und Weise auszudrücken als alle anderen. Insbesondere wenn es um Liebeslieder oder Trennungs-Lieder geht, möchte ich da schon einen interessanten Ansatz verfolgen. Beispielsweise in Form von Nischen-Geschichten mit Inhalten, von denen man nicht dauernd hört. Ich möchte Songs über Dinge schreiben, die ich nicht laut aussprechen kann, weil zu spezifisch sind oder schwer zu vermitteln wären. Und das erwarte ich von anderen Songwritern ebenfalls."
Damit kommen wir zu einem interessanten Aspekt: Orla sagt von sich, dass sie - anders als viele ihrer Kolleginnen - nicht so recht mit dem Image als traurige, einsame Songwriterin zurecht käme, die nur schreiben könne, wenn es ihr richtig schlecht geht. "Ja, speziell, wenn es um das letzte Jahr geht", führt sie aus, "ich habe zwar das meiste im Lockdown geschrieben - es ist mir aber sehr wichtig, festzuhalten, dass es es kein Lockdown-Album ist. Ich wollte nicht, dass es traurig und langsam ist, sondern lebendig und fröhlich. Es sollte einen Weg aufzeigen, aus der Sache herauszufinden. Dummerweise fand aber ja im letzten Jahr so gut wie kein richtiges Leben statt - und so musste ich einfach nach rechts und links schauen und auf Geschichten aus der Vergangenheit zurückgreifen, denn ich wollte auf keinen Fall Songs darüber schreiben, mich zu Hause zu langweilen. Und das gab es ja im letzten Jahr sehr oft." Wie sieht es denn mit dem Humor aus? Zumindest in Orlas Videos geht es ja kunterbunt drunter und drüber. "Auf jeden Fall", betätigt sie, "ich möchte natürlich als Künstlerin und als Person schon ernst genommen werden - denn ich verehre selbst ja Laura Marling und diese super stoischen, ernsthaften Gitarren-Frauen - aber der Grund, warum ich diesen Stil hinter mir ließ ist der, dass ich nicht zu diesen grüblerischen, ernsthaften Künstlerinnen gehöre. Ich bin eher jemand, der selbst über sich lachen kann. Für mich wäre es es unaufrichtig, mich hinzustellen, und meine Songs vorzutragen, ohne einen einzigen Witz zu machen. Das mache ich nicht absichtlich, aber es ist unausweichlich so. Ich will, dass ich in meinen Songs und ich als Person nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Es muss immer einen kleinen Abstand geben, der aber niemals meilenweit auseinander liegen sollte." Interessanter Punkt: In dem Track "Over Your Head" singt Orla - in einem anderen Zusammenhang: "Ego ist eine gefährliche Sache". Was macht man denn als Songwriter mit dem Ego? "Das ist eine großartige Frage", hält Orla inne, "und ich wünschte, ich könnte das wissen. Ich habe nämlich eher ein umgekehrtes Problem: Anstatt mich etwa aufzuwerten, mache ich mich eher kleiner. In dem Song singe ich also weniger über mich selbst. Ich denke aber, dass ich mir manchmal schon ein größeres Ego leisten könnte. Ich habe aber gesehen, was das mit Leuten um mich herum macht. Wenn du so einen ungewöhnlichen Job machst - der von dir verlangt, auf der Bühne zu stehen und die Leute dich dafür anhimmeln, dass du dein Ding machst - dann ergibt sich dadurch eine Macht-Dynamik, auf die sich viele Leute einlassen. Ich weiß also gar nicht was die Antwort auf die Frage nach dem Ego des Songwriters ist - weil ich selbst noch versuche, das herauszufinden. Um sich auf der Bühne anderen zu präsentieren, brauchst du natürlich ein gewisses Maß an Ego. Du musst natürlich selbst daran glauben, dass das, was du präsentierst und darstellst einen gewissen Wert hat. Man darf nur nicht von sich denken, dass man Gottes Geschenk an die Musik sei. Man braucht also ein wenig Ego - aber zu viel ist ein Desaster." |
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Was ist denn dann die größte Herausforderung als Songwriterin? "Für mich ist es, nicht immer wieder denselben Song zu schreiben", führt Orla aus, "speziell wenn ich alleine arbeite, tendiere ich nämlich dazu, eigentlich immer wieder verschiedene Versionen des selben Songs zu schreiben. Insbesondere, wenn es dann keine Abwechslung im Leben gibt - wie im letzten Jahr -, ist das definitiv meine größte Herausforderung und ich muss dann darauf achten, meine Inspirationen aus verschiedenen Quellen anzuzapfen und darauf zu achten, dass nicht alles ähnlich klingt."
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Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Karina Barberis- |
Aktueller Tonträger: Woman On The Internet (New Friends/Membran) |
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