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08.07.2022
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KATY J PEARSON

Das unbewusste Erbrechen der Worte

Katy J Pearson
Im letzten Jahr gehörten Katy J Pearson und ihre Band zu den wenigen britischen Musiker(inn)en, die zwischen Pandemie und Brexit den Weg zum Hamburger Reeperbahn Festival fanden und eigens für eine einzige, brillante Show im Imperial-Theater von Bristol aus anreisten. Dort präsentierten Katy und ihre bestens aufgelegten Musiker die Songs des Debütalbums "Return" in einem überraschend druckvollen, rockigen Setting - und widerlegten damit eindrucksvoll die Kategorisierung als Country-Künstlerin, die Katy zuteil geworden war, weil sie in dem Video zu ihrer ersten Solo-Single "Tonight" ein Country-Outfit getragen hatte und akustische Gitarren verwendete. Obwohl es auf dem nun vorliegenden, zweiten Album "Sounds Of The Morning" nun auch wieder akustische Gitarren gibt - und die Songs auch teilweise deutlich balladesker ausgefallen sind als jene auf Return -, ist es Katy enorm wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie sich nach wie vor nicht als Country-Künstlerin sieht. Ganz im Gegenteil: Irgendeinem bestimmten Genre möchte sich Katy keineswegs zuweisen lassen. Was würde Katy selber denn als ihre musikalischen Wurzeln betrachten?

"Meine musikalischen Wurzeln lagen jedenfalls niemals in der Country-Musik", schmunzelt Katy, "ich fand das sogar komisch - denke aber, dass sich die Leute immer eine Sache rauspicken, wenn es darum geht, jemanden zu kategorisieren. Ich würde einfach sagen, dass ich eine Singer/Songwriterin bin und in diesem Bereich bin ich offen für viele Genres - Pop, Rock, Indie, Alternative. Mein musikalischer Hintergrund rührt daher, dass ich gerne gute Songwriter anhöre und des Weiteren auch Acts wie Interpol, The Beatles, Kate Bush, James Taylor, Vashti Bunyan, Hall & Oates oder A-ha. Eigentlich alles also. Meine exakten Roots würde ich also gar nicht festlegen können, da ich allem gegenüber offen bin und mich nie als eine bestimmte Art von Musikerin sah." Verwendet Katy denn bestimmte Referenzen, wenn sie ihre Songs schreibt - oder ergeben sich diese aus dem Prozess heraus? Die Frage drängt sich insofern auf, als dass ihre Kompositionen zuweilen ja doch recht komplex angelegt sind. "Also bei dieser Scheibe hatte ich mich in mein Zimmer zurückgezogen und dort Demos aufgenommen, die ich dann mit zu meinem Produzenten oder zu meiner Band nahm. Und dann haben wir zusammen an dem Song so lange herumgedreht, bis er klang, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es gab aber auch andere Stücke, von denen ich vielleicht nur eine Strophe hatte und Dan Carey dann alle möglichen Instrumente ausprobierte, um herauszufinden, wo man den Refrain platzieren müsste und wie dieser sich anhören sollte. Für dieses Album war das ein ganz schöner Mix."

Die Frage nach den Referenzen bezog sich auch darauf, dass Katy auf ihrem neuen Album eine ungewöhnliche Cover-Version hat: Den sogenannten "Willow's Song" - eine psychedelische Ballade, die sich in einer Traumsequenz in dem Soundtrack des britischen Horrorfilms "The Wicker Man" von 1973 findet. Interessanterweise hört sich dieser Song - von dem Katy die Melodie- und Harmonieführung übernommen hat, aber in einem musikalisch vollkommen anderen Setting darbietet, als dem Retro-Folk-Arrangement der Originalaufnahme - tatsächlich an, wie ein Song aus Katys Feder. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der, dass dieses Stück unter Musikern so populär ist, dass Wikipedia ca. 20 verschiedene Künstler listet, die den Song zuvor bereits gecovered haben (darunter so unterschiedliche Acts wie Doves, Emma Anderson von Lush, Isobel Campbell oder Kelly Dayton von den Sneaker Pimps). "Tatsächlich hat mein Vater mir vor einigen Jahren diesen Song vorgespielt", verrät Katy, "und ich mochte den sehr. Als ich mit meiner Band im Studio war, kam mir die Idee, den Song zu covern. Ich hatte aber Bedenken, dass jemand anderes den Song in einer ähnlichen Krautrock-Version gecovered haben könnte, wie ich das getan habe. Ich war dann sehr erleichtert, als ich feststellte, dass Gott sei Dank alle anderen Versionen eine Replika des Originalsongs sind. Was ich an dem Song so mag ist die zeitlose Qualität. Die Art, wie das Stück damals aufgenommen wurde, war zu der Zeit einzigartig, weil der Vibe sehr creepy ist und der Folklore-Aspekt stark zum Tragen kommt. Das Stück ist sehr schön und zugleich irgendwie furchteinflößend. Und die Texte sind so seltsam, dass ich den Song einfach aufnehmen musste." Und das bringt uns zu der Frage, worüber Katy in ihren eigenen Songs eigentlich singt? Nicht, weil man ihre Texte nicht verstehen könnte, aber weil man sich nie sicher sein kann, was gerade das Thema der Songs ist, wenn man den Hintergrund nicht kennt. Denn Katy ist keine klassische Storytellerin, sondern beschreibt - oft in Form von Konversations-Schnipseln - sehr spezifische Details und Szenarien, die nur dann decodiert werden können, wenn man das größere Ganze kennt. "Das Wichtigste für mich als Künstlerin ist heutzutage die vollständige Offenlegung meiner Verwundbarkeit", überlegt Katy, "es gibt für mich keinen Grund, mich der Wahrheit gegenüber zu verschließen." Die - dem Tenor der Stücke nach - nicht sehr fröhlich, unbeschwert und glücklich gewesen sein dürfte. "Genau", bestätigt Katy, "es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mir erlauben konnte, so verletzlich zu sein, aber ich denke, dass dieses und teilweise auch das letzte Album vermitteln, wer ich wirklich bin. Nicht immer in einer linearen Weise, aber in Form eines unbewussten Brechdurchfalls aus Wörtern, mit denen ich meine guten wie schlechten Erfahrungen mit Erinnerungen, Gefühlen und Poesie vermische. Das kann dann um Depressionen ebenso gehen wie Schwierigkeiten in meinem Leben, die ich zu meistern hatte oder die ich bei meinen Freunden oder meiner Familie beobachtet hatte. Das kommt dann alles zusammen." Es ist also nicht alles autobiographisch? "Nein. Es gibt auch Songs wie 'Sound Of The Morning', wo ich mich in einen texanischen Farmer hineinversetzt habe, der beobachtet wie seine Ernte verdorrt. Ich bin natürlich kein texanischer Farmer und hat nichts mit meinem Leben zu tun. Es vermischt sich halt alles. So ist das mit mir. Und auch, wenn es um Geschichten wie diese geht: Irgendwo kommen sie ja doch auch meinem Innersten."

Nochmal zum Thema Wort-Brechdurchfall: Auf der einen Seite fabriziert Katy ja durchaus ziemlich ergiebige Wortschwalle - schafft es auf der anderen Seite aber auch, ihre Themen in recht griffigen Songtiteln wie "Howl", "Confession", "Float" oder "Alligator" zu verdichten. Ist das nicht irgendwie ein Widerspruch? "Ja - das liegt aber daran, dass ich einfach keine Songtitel mit langen Sätzen machen kann, wie das andere Songwriter manchmal tun - weil ich nicht zu viel verraten möchte. Es ist nämlich so, dass es ziemlich schwierig ist, einen ganzen Song selbst in längeren Sätzen zusammenzufassen, so dass ich mich entschieden habe, mir jeweils einfach ein passendes Wort herauszusuchen. Vielleicht wird sich das ja mal ändern, aber der ganze Songs enthält für mich die wahre Bedeutung und die Titel sind nur ein Anfang." Die Scheibe enthält ja einen gewissen dramaturgischen Spannungsbogen. Sie beginnt sehr ruhig und langsam, dann folgen einige Up-Tempo-Songs und eine weitere Ruhephase am Ende, die mit "Willow's Song" dann aber zu einem recht fulminanten Ende kommt. Ist das absichtlich so aufgebaut? "Ja, damit hatte ich lange zu tun", räumt Katy ein, "die Reihenfolge von Songs festzulegen ist sehr wichtig. Ich habe dann am Ende sogar meinen Produzenten um Rat gefragt und wir haben das dann ganz gut hinbekommen. Da viele der Songs recht unterschiedlich sind, wollte ich sicherstellen, dass sich das Ganze - wie das erste Album - wie eine Reise anfühlt. " Oder wie ein geschlossener Kreislauf? "Da liegst du genau richtig", bestätigt Katy, "ich will nämlich nicht, dass meine Alben irgendwo hinführen, sondern dass sie einen Kreislauf bilden." Da die Songs auf "Sound Of The Morning" alle so unterschiedlich sind, sei doch die Standardfrage erlaubt, was einen guten Song für Katy auszeichnet - oder wonach sie sucht? "Die Melodie ist schon sehr wichtig", überlegt Katy, "und gute Texte auch, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu gewinnen. Strukturell kann ein Song einfach sein aber man sollte sich bewusst sein, was wohin gehört. Ein guter Song sollte eine starke Botschaft aussenden, der Refrain sollte erhebend sein und für mich sollte ein guter Song auch zugänglich sein - nicht unbedingt im Pop-Sinne, aber es sollte immer einen kleinen Hook oder eine Melodie geben - auch auf einem Instrument -, die im Gedächtnis bleibt. Ein guter Song sollte echt sein und Gefühle vermitteln. Ich habe auch noch mehr Songs aufgenommen, die es nicht auf die Scheibe geschafft haben. Es hat zwar auch Spaß gemacht, diese aufzunehmen, aber ich weiß immer ganz genau, wenn ich einen guten Song geschrieben habe und wenn ich einen schlechten geschrieben habe. Manchmal bin ich auch unsicher - aber wenn alle Teile eines Songs gleich stark sind, dann habe ich schon einen ziemlich guten Indikator."

Im Vergleich zum Debüt Album fällt auf, dass die Songs auf dem neuen Werk simpler strukturiert sind und eher mit Spannungen als mit vielen verschiedenen, übereinandergestapelten Hooklines, Refrains und Riffs zu beeindrucken suchen. "Das liegt daran, dass ich die erste Scheibe schrieb, als ich mich von meinem totgelaufenen Plattenvertrag erholte und zu der Zeit sehr viel Popmusik machte. Ich denke einfach, dass mein Hirn zu der Zeit in dieser Richtung gepolt war. Das war toll und hat auch Spaß gemacht. Das neue Album ist für mich aber weniger als potentielle Single-Sammlung angelegt, sondern als Gesamtwerk. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich denke, dass ich sehr viel zu sagen hatte und ich wollte mich nicht dem Druck aussetzen, das letzte Album zu toppen. So funktioniere ich nicht und das wollte ich nicht - und außerdem bin ich jetzt ja auch fünf Jahre älter als damals - und da hat sich doch einiges verändert." Ging es vielleicht auch einfach darum, von vorneherein etwas Neues machen zu wollen? "Ja, als wir im Studio waren, habe ich die Sachen immer so weit wie möglich vorangetrieben. Als wir die ersten Songs wie 'Sound Of The Morning' und 'Talk Of The Town' im Griff hatte, wusste ich, in welche Richtung die Sache gehen müsste. Es war wie ein Puzzle aus dem wir uns die besten Teile raussuchten. Wenn ich mir Songs wie 'Howl' anschaue, dann war es sogar so, dass mir die Musik selbst den Weg wies und aufzeigte, was noch fehlte und was geändert werden musste."

Das erste Album war ja betont zupackend und druckvoll. Ist vielleicht so, dass Katy auf dem zweiten Album - wie soll man sagen - vorsichtiger agiert? "Ja, ich kann sehen, warum du das denkst", führt sie aus, "das erste Album war direkter und es gab keine andere Möglichkeit, es anders zu machen, während ich auf dem zweiten Album von vorneherein wollte, dass sich die Sache in eine neue Richtung bewegte. Ich wollte mich nicht vollständig meiner Identität verweigern, aber ich wollte andere Aspekte beleuchten. Einige Songs haben also total unterschiedliche Vibes - ich habe aber trotzdem das Gefühl, dass alles gut zusammenpasst. Es gab also sicherlich Momente, wo ich vorsichtig agierte - aber andererseits auch solche, wo wir alles über Bord geschmissen haben und dann mal geschaut haben, was passieren würde." Wie sind denn die Songs entstanden? Auch mit Social Distancing? "Nein", meint Katy bestimmt, "wenn ich mit jemand zusammenarbeite, dann muss das live sein. Ich kann sowas nicht über Zoom machen. Es war insofern glücklich, dass wir uns im UK zu jener Zeit, als wir die Aufnahmen machten, wieder in Räumen zusammen aufhalten durften. Die Atmosphäre im Studio war demzufolge ziemlich elektrifiziert, denn wir hatten uns ja seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen." Was ist denn die größte Herausforderung als Songwriterin für Katy? "Die größte Herausforderung für mich ist herauszufinden, wie weit ich die Sachen vorantreiben sollte", zögert Katy, "es macht immer Spaß, sich gehen zu lassen und verrückte Dinge auszuprobieren, die aufregend und neu sind. Ich muss aber insofern vorsichtig sein, als dass ich noch viele weitere Alben machen will. Da kann ich nicht all meine Ideen und Produktionstricks in einem einzigen Album verbraten. Die größte Herausforderung ist also, mich selbst einreihen zu müssen und zu wissen, wann es genug ist. Da hilft es, mehr über die Ideen zu sprechen, als sie alle gleich auszuprobieren. Es ist insofern für mich auch schwieriger, Dinge zu verdichten und abzuziehen, als welche anzuhäufen. Das ist wirklich schwierig für mich."

Bis wir Katy J Pearson live erleben können, wird es noch einige Zeit dauern, denn ihre nächste Tour in Großbritannien hat sie erst für den September angesetzt, so dass sie vermutlich erst im nächsten Jahr Zeit findet, unsere Bühnen zu besuchen.

Weitere Infos:
heavenlyrecordings.com/artist/katy-j-pearson
www.facebook.com/katyjpearsonband
katyjpearson.bandcamp.com
www.instagram.com/katyjpearsonband
twitter.com/KatyJPearsonnn
www.youtube.com/watch?v=9EUScQz5JSs
www.youtube.com/watch?v=jOUqZ9t6kIc
www.youtube.com/watch?v=5B7KtM9pavg
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -H Hawkline-
Katy J Pearson
Aktueller Tonträger:
Sound Of The Morning
(Heavenly/Pias/Rough Trade)
 

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