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19.08.2022
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SOPHIA BLENDA

Der lyrische Mantel

Sophia Blenda
Seit 2017 ist Sophie Löw als Sängerin, Frontfrau und vor allen Dingen Texterin - besser Lyrikerin - der Wiener Band Culk aktiv, mit der zusammen sie überraschend ein ganz neues Kapitel im Genre des in den 80ern gerne als "Depri-Pop" etikettierten Mix aus Shoegaze, Dreampop, frühem Postpunk und Darkwave-Sounds aufschlug. Überraschend war das deswegen, weil diese Art mit verhallten Vocals, verzerrten Gitarrensounds, atmosphärischen Keyboard-Teppichen und kleistscher Todessehnsucht zu musizieren, zur Zeit ja nicht eben angesagt ist - und weil Sophie sich überwiegend auf Deutsch artikuliert und dabei eine ganz eigene Ästhetik entwickelte. 2020 erschien mit "Zerstreuen über euch" das zweite Album von Culk und seither versucht die Band, das Werk auch in angemessenem Rahmen live zu präsentieren. Nun soll es endlich so weit sein. Allerdings hatte Sophie inzwischen Zeit und Muße, ein ganzes Album mit eigenem Material zu produzieren, das nicht ganz in das Konzept der Band Culk gepasst hätte und dieses unter dem neuen Alias Sophia Blenda unter dem Titel "Die neue Heiterkeit" zu veröffentlichen.

Warum aber war dazu denn ein neuer Name notwendig? Ist "Sophia Blenda" ein Projektname - oder gar ein neuer "Avatar" für Sophie Löw? "Ohhh", zögert Sophie, "also, es ist ein neuer Projektname. Den habe ich gebraucht, um von der Musik ein bisschen emotional Abstand zu gewinnen - und die neuen Songs sollten ja ganz bewusst nicht für Culk sein. Aber ich wollte den Namen auch nicht komplett neu erfinden, weil sich das für mich komisch angefühlt hätte - und deshalb ist aus Sophie Sophia geworden. Und 'Blenda' bezieht sich auf das erste Lied auf dem Album 'Party' von Aldous Harding, das mich sehr beeindruckte, weil dieses zugleich reduziert und stark ist. Das Lied heißt 'Blend' und daher kommt der Name, denn so etwas wie Aldous Harding wollte ich dann auch machen." Gab es da vielleicht auch den Anreiz, in der Reduktion eine Art künstlerischer Erfüllung zu suchen? "Also für für mich habe ich schon festgestellt, dass es eher umgekehrt ist", zögert Sophia, "für mich ist es einfacher, etwas Reduziertes zu machen. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass das für viele Leute auch anders ist. Der Grund, warum man manchmal vielleicht immer mehr oder etwas Pompöseres will, liegt vielleicht auch daran, dass man manchmal das Gefühl hat, dass das, was man macht, auf die Art nicht gut genug ist." Wer reduziert, der erklärt ja auch weniger - und das macht die Sache dann schnell etwas mystisch. Ist das auch ein Aspekt, der Sophie Löw bewegt? "Ja, ich glaube so etwas zieht mich auf jeden Fall unbewusst immer an", bestätigt Sophie diese Vermutung.

Nun ist das aber sowieso nicht so, dass Sophie die Dinge, mit denen sie sich beschäftigt, im Klartext ausbuchstabiert. Geht es ihr darum, sich poetisch mit ihren Gedanken zu arrangieren? "Ja", pflichtet sie bei, "wie ich damit begonnen habe, wusste ich eigentlich nicht, dass ich so etwas kann. Ich habe immer schon geschrieben, aber fand es nie richtig gut. Erst bei dem Song von Culk, 'Begierde oder Scham', ist es einfach so über mich gekommen und ab dem Zeitpunkt hat sich das Schreiben für mich vollkommen verändert. Ich hatte dann das Gefühl, dass ich den Zugang für mich gefunden habe." Und dieser Zugang ist welcher? Ist das eine Art Stream-Of-Consciousness, der gelenkt werden will, gibt es einen Plan? Konstruiert Sophie ihre Texte bewusst? Sucht sie nach Mustern in der Sprache? "Es ist meistens so, dass ich ein Thema oder etwas, was ich sagen möchte, suche und dann begleitet mich das teilweise wochenlang im Hinterkopf", führt Sophie aus, "ich sammele dann in einem Notizbuch alles, was mir zu dem Thema einfällt - Phrasen, Worte und so weiter. Und dann setze ich das am Ende wie ein Puzzle zusammen. Das hat sich am Ende herausgestellt, dass es so für mich funktioniert." Wie findet Sophie ihre Themen? Was reizt sie, einen Song zu schreiben? "Das sind meistens Sachen, die mir begegnen", überlegt Sophie, "ich nehme die Themen eigentlich immer aus meinem Leben - entweder von mir selbst oder von Menschen, die mir nahe stehen. Es sind dann Geschichten, die mich einfach nicht los lassen." Und was passiert dann musikalisch? "Mit Sophia Blenda haben alle Songs am Klavier begonnen", erklärt Sophie, "da hatte ich aber meistens schon einen Text und habe dann wie beim Schreiben auch Schnipsel gesammelt und die dann zusammengesetzt. Manchmal habe ich auch Texte mit verschiedenen Begleitungen ausprobiert und dann entschieden, was zusammen passt. Bei Culk passiert dann eigentlich alles im Probenraum - und da spiele ich dann auch Gitarre."

Wonach sucht die Songwriterin Sophie Löw? "Viele MusikerInnen haben ja ganz viele Songs, wenn sie ein Album machen, aus denen sie dann auch noch auswählen können", überlegt Sophia, "aber alle Songs, die ich gemacht habe, sind auch auf dem Album. Da wurde nichts weggestrichen. Deshalb ist das für mich ein bisschen schwer zu beantworten, weil ich an den Liedern immer so lange weiter arbeite, bis sie mir entsprechen. Das ist alles sehr intuitiv. Ich lasse mich dabei vom Gefühl leiten. Ich hatte zum Beispiel einige Lieder für das Album, wusste aber, dass es noch nicht fertig ist und habe dann noch das Stück 'Fear Is An Empty Space' geschrieben - weil ich mir selbst noch ein Lied als Reminder für mich selbst schreiben wollte. Als ich den hatte, wusste ich, dass das Album fertig ist." Dieser Song sagt ja für den Hörer nicht viel aus - aber er scheint für Sophie sehr wichtig zu sein. "Ja, der Song kam wie aus einem Guss", berichtet Sophie, "ich habe den sehr schnell am Computer gemacht. Den Text habe ich auch sehr schnell runtergeschrieben - und weil mir aufgefallen ist, dass ich da sehr schnell arbeite, habe ich ein Recording von dem Tippen gemacht und das auch noch in den Song eingebaut. So lasse ich den Hörer am Entstehungsprozess des Stückes teilhaben.

Sophia Blenda
Dabei legt Sophie als Songwriterin ja eine gewisse Verletzlichkeit an den Tag. Wie schützt sie sich denn selber in diesem Prozess? Zensiert sie sich da in gewisser Weise selber? "Ich zensiere höchstens andere Personen, wenn ich über irgendwen schreibe", erklärt Sophie, "ich schaue dann schon, dass die Leute in meinem Umfeld das dann nicht direkt checken. In Bezug auf mich selbst lasse ich alles zu. Ich glaube, wenn man dabei einen lyrischen Anspruch hat, dann ist sowieso eine Art von Schutz noch mal da, weil man es ja nicht genau so sagt, wie es ist, sondern es in einen lyrischen Mantel packt." Das ist ein interessanter Aspekt: Sophies Texte sind gespickt mit spezifischen Details, die aber nur für sie selbst im Kontext einen Sinnzusammenhang ergeben. Wie soll der Zuhörer denn mit den Texten umgehen? "Ich habe schon den Anspruch, dass das Thema verstanden wird", zögert Sophie, "ich weiß nicht, ob das aufgeht oder ob das beim ersten Mal schon klappt - vielleicht muss man es auch schon zwei, drei mal lesen. Aber weil eben gerade die Texte persönlich sind, habe ich auch versucht, es offen zu halten und einen Spiegel der Gesellschaft einzubinden, dass alle Menschen - oder zumindest in Teilen - sich in dem Thema auch gehört fühlen." Das Thema wird ja auch durch die Titel deutlich. "Auf jeden Fall", bestätigt Sophie. Ist "Die neue Heiterkeit" dann auch dezidiert als Konzept-Album mit einer bestimmten Dramaturgie konzipiert worden? "Na ja - am Anfang hatte ich eher nur an eine EP gedacht", räumt Sophie ein, "aber dann hatte ich so viel Freude dran und hatte so viel zu erzählen, dass das dann doch ein ganzes Album geworden ist."

Was inspiriert Sophie denn auf der musikalischen Seite? "Ich glaube, mich inspiriert die Musik anderer in dem Sinne, dass ich nicht aufhören möchte, selbst Musik zu machen", philosophiert Sophie, "ich versuche, immer weiter zu schreiben. Das Hören der Musik anderer gibt mir also den Antrieb, selbst Musik zu machen. Aber vielleicht gar nicht als Vorbild. Bei Aldous Harding ist es ja auch eher die Haltung, und nicht die Musik selbst, die mich inspiriert - also dass das Wenige und Intime stark sein kann. Um ein Genre geht es dabei nicht." Was hört Sophie denn selber gerne? "Ich höre gerne International Music, Angel Olsen, Lana Del Rey, Idles, Sofia Portanet - aber habe Sorge, das was wichtiges zu vergessen." Hat sich Sophie schon Gedanken über ihre musikalische Zukunft gemacht - oder lässt sie alles auf sich zu kommen? "Ich mache mir schon viele Gedanken", führt sie aus, "es ist einfach finanziell auch nicht immer einfach und da mache ich mir schon Gedanken. So ganz utopisch würde ich gerne mit Personen zusammenarbeiten, die meine Lieder noch mal mit Streichern arrangieren. Ich verwende viele String-Synths und sowas fände ich dann schon mal toll. Bisher verwende ich halt nur Samples und Keyboards."

Weitere Infos:
www.sophiablenda.com
www.instagram.com/sophiablenda
sophiablenda.bandcamp.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Sophie Löw-
Sophia Blenda
Aktueller Tonträger:
Die neue Heiterkeit
(Pias/GoodToGo)
 

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