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26.08.2022
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STELLA DONNELLY

Die Muskeln der Musik

Stella Donnelly
Als die Australierin Stella Donnelly 2019 ihr Debüt-Album "Beware Of The Dogs" herausbrachte, war die Welt ja noch wesentlich überschaubarer als heute, wo sich die Krisen ja geradezu kumulativ stapeln. Dennoch nahm Stella schon damals kein Blatt vor den Mund und widmete sich in ihrem musikalisch erstaunlich effektiv auf Indie-Pop gepolten Singer/Songwriter-Setting Themen wie der #MeToo-Debatte, Gender-Equality, Empowerment und natürlich Selbstfindung und -bestimmung. Das tat sie mit einer Prise unromantischer Ernsthaftigkeit wie aber auch mit spitzzüngigem Humor. Das ging dann sogar so weit, dass sie sich auf dem Covermotiv ein Stück Seife vor den Mund halten ließ - um sich darauf zu beziehen, dass man ihr früher des Öfteren empfohlen habe, ihr freches Mundwerk mit Seife auszuwaschen. Dass das Seifenstück dabei aussah, wie ein Ei und für einige Fragezeichen sorgte, war ein anderes Thema. Auf dem neuen Album "Flood" ist nun eine Ansammlung von Bachstelzen zu sehen. Was will uns denn dieses Motiv sagen?

"Das sind keine Vögel auf dem Cover, das sind Eier", führt Stella aus - muss dann aber gleich selber kichern, "nein - das ist natürlich nur ein Witz. Ich habe das Bild gesehen, bevor ich die Scheibe gemacht habe - und das hat ein starkes Gefühl der Enge in mir ausgelöst. Ich wollte dieses Gefühl das wir alle irgendwann mal in einem überfüllten Zug fühlen, irgendwie einfangen. Es ging mir halt um eine Übervölkerung in der Natur. Es ist auch als kraftvolles Bild der Art von Welt, in der wir uns bewegen ohne dieses zu realisieren, zu verstehen." Ist die LP denn überhaupt irgendwie von der Pandemie-Situation betroffen? "Ja", bestätigt Stella, "aber auf eine gute Art und Weise, weil ich mehr Zeit hatte, Klavier zu spielen und zu üben - wodurch ich auch mehr auf diesem Instrument schreiben konnte. Während der Aufnahmen waren wir dann allerdings auf schlechte Weise betroffen. Denn als wir mit den Aufnahmen halb fertig waren, erhielten wir die Anweisung, das Studio sofort zu verlassen und wieder in einen Lockdown zu gehen. Mein Staat im Westen Australiens hatte sogar die Grenzen zum Rest des Landes geschlossen, so dass ich im Lockdown an der Ostküste festsaß und nicht nach Hause konnte. Das war also eine ganz schön gestörte Situation - aber sie hat mir auch Zeit gegeben, noch mal über die Songs nachzudenken und mal zu schauen, ob noch irgendwas verbessert werden müsste. Ich hatte halt so den Luxus der Zeit."

Was nimmt Stella denn hauptsächlich von der Pandemie mit? "Nun ich habe so die Möglichkeit erhalten, mich auf mein Wohlbefinden zu konzentrieren", überlegt Stella, "das ist eine große Sache für mich. Ich fand nämlich heraus, dass ich mit vielen Dinge, die ich in der Pandemie machte, vorher aufgehört hatte. Brot zu backen, zum Beispiel. Ich habe also wieder erlernt, besser auf mich aufzupassen, Sport zu treiben und Momente für mich selbst zu finden. Ach ja: Ich habe mit Vogelbeobachtungen angefangen und das ist etwas, was ich nun so oft wie möglich mache. Das gibt mir nämlich die Möglichkeit, runterzukommen, in der Natur zu sein und die Musik für eine Weile zu vergessen - was auch mal ganz nett sein kann." Und warum müssen es gerade Vögel sein und nicht z.B. Känguruhs oder Krokodile? "Weil ich noch nie ein Krokodil habe singen hören", lacht Stella, "das ist der Vorteil von Vögeln."

Kommen wir mal zu der Musik: Wenn Stella sagt, dass sie für dieses Album mehr auf dem Klavier geschrieben hat, dann ändert sich doch auch der Ansatz. War das der Grund dafür? "Nein, der Grund, warum ich auf dem Klavier geschrieben habe, war einfach der, dass es da war und in meiner Küche stand", gesteht Stella, "es hat mich sozusagen angelockt. Wenn ich meine Gitarre hätte verwenden wollen, dann hätte ich sie ja erst immer aus dem Koffer nehmen, anschließen und stimmen müssen. Wenn man im Lockdown ist, dann ist man ja so faul, dass man dann den einfacheren Weg nimmt. Und weil ich als Kind viel Klavier gespielt hatte, hat es viele Ideen, Geschichten und Erinnerungen aus der Kindheit hervorgerufen. Das habe ich dann für die Texte genutzt. Ich denke, das hat mir ein Stück Unschuld in Bezug auf das, worüber ich reden wollte, zurückgegeben. Es hat mich auch mutig gemacht - denn Kinder sind ja sehr tapfer." Und neugierig sind Kinder ja auch. "Ja, ganz genau", pflichtet Stella bei, "die ganze Sache war für mich wie ein Abenteuer. Ein Abenteuer des Ungewissen. Ich habe auch viele Fehler gemacht und Dinge ausprobiert. Es war alles nicht perfekt, hat mir aber diese Spannung vermittelt, die ich für diese Scheibe brauchte. Ich mochte es auch, dass ich an dieser Scheibe deswegen härter gearbeitet habe als an der letzten. Ich habe mich nämlich nicht gleich mit dem ersten Take zufrieden gegeben, sondern mir überlegt, was ich noch zufügen könnte."

Musikalisch ist das neue Album ja deutlich lebhafter, poppiger und variantenreicher als das Debüt. Was hat denn dazu geführt? "Ich denke, dass ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, welche Aspekte ich auf dem neuen Album betonen wollte", führt Stella aus, "ich wollte zum Beispiel unbedingt ein Flügelhorn, ein Saxophon, männliche Stimmen und eine tief gestimmte Gitarre verwenden. Das waren nämlich alles Sachen, die mir damals gefallen haben, wenn ich mir Musik anhörte. Ich dachte mir, dass wenn ich diese Elemente zu meinen Songs hinzufügen würde, mir das helfen würde, meine Geschichte zu erzählen. Ich wollte einfach besser klingende Musik machen und mich ein wenig herausfordern." Woher kommt denn die plötzliche Vorliebe für Blasinstrumente? "Ich denke, das hängt einfach mit der Musik zusammen, die ich damals gehört habe", räumt Stella ein, "Cate Le Bon ist zum Beispiel jemand, die ich sehr mag. Es gibt diese Songwriterin aus Perth, Julia Wallace, die auch eine tolle Sängerin ist und die hat die Blasinstrumente gespielt." Was war denn der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Album? "Zeit", meint Stella, "beim ersten Album hatte ich nur drei Wochen Zeit und habe die Songs teilweise geschrieben, während wir sie aufnahmen. Dieses Mal hatte ich die Zeit und die Möglichkeit, meinen Geist und meine Kreativität zu erkunden. Ich denke, dieses Erforschen ist eine große Sache für mich und deswegen habe ich auch so viel Material geschrieben. Mal sehen, wie ich mich beim nächsten Mal dann fühle."

Wie lief denn der Produktionsprozess des Albums unter den Pandemie-Bedingungen ab? "Nun, der Grund, warum ich so lange an dem Album gearbeitet habe, ist der, dass ich nichts über Zoom machen wollte und konnte", verrät Stella, "wir haben dann immer gewartet, bis wir aus dem Lockdown durften, sind dann alle ins Studio und haben dort gemeinsam so viel wie möglich gearbeitet. Wichtig ist, dass wir alle zusammen waren. Ich habe dieses Mal ja auch zum ersten Mal selbst produziert und die Musiker haben mir dann auch die Erlaubnis gegeben, meinen Instinkten zu folgen." Wie sieht es denn mit den technischen Aspekten des Produzierens aus? "Daran bin ich sehr interessiert", erklärt Stella, "ich denke als eine Musikerin wie ich musst du das auch sein. Ich habe immer schon versucht, diesbezüglich so viel wie möglich aufzuschnappen und es selber anzuwenden. Es ist ja eine ganz eigene Kunstform. Wenn man sich da auskennt, dann macht es die ganze Sache ja auch einfacher. Offen gesagt, könnte ich alleine in einem Studio zur Zeit noch nicht bestehen, aber ich finde es wichtig, mich in Tontechniker hineinversetzen zu können und auch die richtige Sprache zu haben, mich mit ihnen besprechen zu können." Wovon hat sich Stella auf der musikalischen Seite inspirieren lassen, als es daran ging, die neue Scheibe aufzunehmen? "Also, ich hatte nicht wirklich irgendwelche musikalischen Referenzen", zögert Stella. "ich hatte aber Referenzen für bestimmte Instrumentierungen - wie z.B. das Klavier in 'Lungs', das inspiriert war vom Klaviersound in Cat Powers 'Manhattan'-Track. Sowas in der Art - aber konkret hatte ich damals gar keine Musik gehört, da ich mir ja die Auszeit in der Natur genommen hatte."

Was war denn im Rückblick die größte Herausforderung? "Dieses Mal war das vielleicht die Sache, dass ich die Songs ein wenig zu langsam aufgenommen habe. Das hing damit zusammen, dass ich mich wegen der Pandemie nicht auf der Bühne sah - oder mir vorstellen konnte, das Material live zu spielen. Also hatte ich nicht das Bild von tanzenden Leuten im Sinn, als wir das Material aufnahmen. Als ich es mir dann anhörte, dachte ich mir: 'Oh Gott - das ist aber langsam - daran müssen wir was ändern.' Wir mussten uns dann motivieren, die Sachen schneller zu spielen. Am meisten Spaß haben allerdings all die schönen Dinge gemacht, mit denen wir die Songs dekoriert haben - wie die Harmonien oder die Bläser. Ich habe mich regelrecht gelangweilt, als wir Bass und Drums aufgenommen haben und mich darauf gefreut, zu den schönen Sachen vorzudringen. Das war dann wie Gemälde zu Hause aufzuhängen. Mir macht es immer mehr Spaß, Sachen hinzuzufügen als welche wegzunehmen."

Was passiert denn als Nächstes für Stella? "Ich habe eine Tour in Deutschland für November geplant und werde in Hamburg, Berlin, München und Köln spielen", verrät Stella, "sobald ich wieder Zeit habe, will ich aber auch wieder neue Musik schreiben. Ich sage immer: Musik ist ein Muskel, den man trainieren muss. Wenn man das nämlich nicht tut - so wie ich in den letzten drei Jahren -, dann ist das ganz schön anstrengend, diesen Muskel wieder in Bewegung zu setzen. Nach meiner Tour werde ich mich dazu bringen, jede Menge schrecklicher Musik zu schreiben, damit ich danach wieder gute Musik machen kann."

Weitere Infos:
stelladonnelly.bandcamp.com
stelladonnelly.com
www.facebook.com/stellamusicband
twitter.com/stelladonnelly
www.youtube.com/channel/UC-zarOGIlfLqxsRc21Aj-gw
www.instagram.com/stelladonnelly
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Olivia Senior-
Stella Donnelly
Aktueller Tonträger:
Flood
(Secretly Canadian/Cargo)
 

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