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28.10.2022
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AOIFE NESSA FRANCES

Die Schnipsel der Zeit

Aoife Nessa Frances
Bereits 2019 veröffentlichte die aus Dublin stammende Aoife Nessa Frances ihr Debüt-Album "Land Of No Junction" - landete aber vom Timing her dann doch genau in der Pandemie-Phase, so dass die geplante Debüt-Tour erst mal auf Eis gelegt werden musste. Deswegen kam es sicherlich ganz gelegen, dass einige veritable Kolleg(inn)en Aoife (was in diesem Fall so ähnlich wie der Name Eva ausgesprochen wird) baten, sie auf deren Touren als Support zu begleiten, als die Situation das wieder zuließ. Und so kam es, dass Aoife etwa auf der Tour von The Weather Station die Songs ihres Debüt-Albums präsentieren konnte, während sie bereits damit begonnen hatte, an den Songs ihres nun vorliegenden zweiten Werkes "Protector" zu arbeiten. Das ist deswegen wichtig zu wissen, weil das, was Aoife auf der Bühne vorstellt, musikalisch nicht deckungsgleich ist mit dem, was sie auf ihren Studienalben präsentiert. Während nämlich auf den LPs unterschiedlich opulent ausgearbeitete Arrangements zu finden sind und die Songs stilistisch zwischen barockem Folkpop auf der einen Seite und linear/hypnotischen Trance-Epen auf der anderen hin und her pendeln, begleitet sich Aoife auf der Bühne bei ihren Solo-Auftritten alleine auf der Gitarre und einem Mini-Keyboard und betont so eher die Ambient-Aspekte ihres Tuns. Was hat es denn mit den verschiedenen Facetten von Aoife Nessa Frances überhaupt auf sich und welchen Background hat sie?

"Also ich habe schon als Kind Musik gemacht", berichtet Aoife, "mit dem Gitarre-Spielen habe ich mit zehn angefangen und Songs schreibe ich, seit ich 15 bin. Als Teenagerin habe ich in verschiedenen Bands gespielt - als Bassistin und Keyboarderin. Kurz habe ich 2015 auch in einem Shoegaze-Projekt namens Princess mitgemacht. Ich habe aber immer meine eigenen Songs geschrieben. Was meine Roots betrifft, so muss ich sagen, dass ich als Kind von den Beatles besessen war aber später dann an Rockmusik wie etwa den White Stripes Gefallen fand. Danach, als Teenager, war ich dann von Flamenco-Musik fasziniert - weil die Partnerin meines Vaters eine Spanierin war. Da habe ich dann Flamenco- und klassische Gitarre bei diesem tollen mexikanischen Lehrer in Dublin gelernt. Eigentlich wollte ich eine klassische Flamenco-Konzertgitarristin werden und probte unaufhörlich. Dabei habe ich es aber wohl übertrieben und hatte dann aber eine Verletzung, die mich dazu zwang, damit aufzuhören. Da war ich natürlich traurig - habe dann aber einfachere Techniken auf der Gitarre gelernt. Das war auch die Zeit, in der ich begann, Songs zu schreiben. Einige der Songs auf dem Debüt-Album 'Land Of No Junction' stammen aus dieser Zeit." Kommen wir mal zur neuen Scheibe: Dort fallen vor allen Dingen die vielschichtigen, organischen Arrangements auf, die sich so lebendig anhören, als seien sie improvisiert worden. Wie ist denn so etwas möglich - denn technisch geht so etwas ja gar nicht. "Tatsächlich sind sie aber auf gewisse Weise improvisiert", führt Aoife aus, "was ich nämlich mache, ist die Strukturen möglichst offen zu halten, wenn wir ins Studio gehen. Meinen Musikern Brendan Jenkinson und Brendan Doherty vertraue ich diesbezüglich, denn ich weiß, das was immer sie spielen, auch gut sein wird. Speziell Brendans Schlagzeug ist perfekt für mich. Es gibt da also dieses Grundvertrauen und demzufolge sind eine Menge der Songs auch improvisiert. Denn ich mag es, Sachen dem Zufall zu überlassen. Wir nehmen Sachen öfter auf - aber meistens ist die erste Version die magischste. Was dann die Streicher-, Bläser- und Harfen-Arrangements betrifft, so wurden diese alle separat aufgenommen. Was ich gemacht habe, ist die Songs zu den jeweiligen Musiker(inn)en zu schicken, die dann die jeweiligen Arrangements hinzugefügt haben - ohne die der anderen Beteiligten zu hören. Wir haben dann alles zusammengemischt und in Form gebracht. Das war dann interessant wie das alles zusammenpasste." Ist das auch der Grund dafür, dass viele von Aoifes Songs sehr lang und episch ausgefallen sind? "Ich denke schon", überlegt sie, "es ist schwer für mich, etwas zu Ende zu bringen, weil sich das für mich teilweise wie eine Meditation anfühlt." Auf der anderen Seite gibt es dann aber auch stärker strukturierte Songs mit echten Strophen, Refrains und Melodien. "Ja, aber es macht so viel Spaß Songs mit Jam-Situationen zu spielen", zögert Aoife, "ich schreibe aber natürlich auch gerne Songs und ich mag dann auch Songstrukturen und Pop-Appeal. Ich denke einfach, man muss Abwechslung haben."

Wie kommen denn da Aoifes Texte ins Spiel? "Das kommt drauf an", führt Aoife an, "ich schreibe ständig irgendwelche Texte und Ideen in Notizbücher. Aber manchmal fallen mir auch Melodien und Akkordfolgen ein, bevor ich irgendwelche Textideen habe. Manche Texte entstehen auf diese Weise, indem ich irgendwelche Worte über meine Melodien singe, die dadurch auch eine gewisse Bedeutung erlangen. Ich muss dann diese Worte in Form bringen - in etwa in der Weise, wie ich das auch mit den Musikaufnahmen mache. Manchmal ist es aber auch ganz schön, einfach deinen Kopf sein Ding machen zu lassen ohne das gleich zu zensieren, was dir unbewusst in den Sinn kommt." Das heißt also, dass Aoife dann ihrem Gedankenfluss folgt, wie die Beat-Poeten, oder? "Ziemlich genau so, ja", bestätigt Aoife, "das Interessante ist, dass sich dahinter dann aber auch schon mal eine bestimmte Bedeutung verbirgt, die aber erst zutage tritt, wenn du das auch zulässt."

Wonach sucht Aoife in einem Song? "Ein Song muss mich bewegen - egal wie," erklärt sie. "Wenn mich etwas nicht emotional berührt, dann funktioniert es nicht. Ich mag es, wenn ich mich durch einen Song besser kennenlerne und dass er Tiefe hat. Und es muss eine gewisse Spannung geben - auf der musikalischen Seite etwa. Das gilt für alle Arten von Songs - seien es traurige oder lebhafte." Das heißt also, dass Aoife der Selbstfindung wegen musiziert? "Ja, ich lerne durch meine Musik", stimmt sie zu, "ich verarbeite Dinge, die ich erlebe, erst durch meine Musik. Musik zu machen, ist für mich sehr therapeutisch und kathartisch. Das ist der Grund, warum ich mich so zur Musik hingezogen fühle. Das ist wie eine Reise für mich, auf der ich mich besser kennenlerne." Damit hat Aoife ja auch einen coolen Grund Musik zu machen, denn wenn sie das Ganze von der kommerziellen Seite aus betrachtete... "dann würde sich das alles ganz anders anhören", ergänzt sie lachend diesen Gedanken, "Ich finde es schwierig, einen Song aus einem bestimmten Zweck heraus zu schreiben. Ich muss da irgendwie hineingezogen werden. Das ist für mich nämlich eine sehr menschliche Sache." Was reizt Aoife denn, einen Song zu schreiben? Ist es ein bestimmtes Thema? "Nein - ich beginne immer mit der Musik", räumt sie ein, "die Akkordfolgen und die Melodie. Wenn ich da etwas interessantes finde, dann arbeite ich damit weiter. Ich verbringe viel Zeit damit, Ideen so zu entwickeln. Es kommt nur ganz selten vor, dass sofort etwas passt. Erst dann kommt der Rest ins Spiel - etwa die Texte."

Aoife Nessa Frances
Wie sieht sich Aoife denn als Sängerin? Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass sie ja Krautrock und Ambient-Musik mag und auf Mantras steht. Ist das für sie interessanter, in einer solchen, flachen Songstruktur nach Gesangsmelodien zu suchen, als solchen zu folgen, die sich aus entsprechend komponierten Songs ergeben? "Ach, ich denke beides hat seinen Reiz", überlegt sie, "es gibt ja viele Ansätze. 'Only Child' enthält z.B. ja viele Wiederholungen. Ich denke auch, dass sich mit dieser Scheibe meine Stimme weiterentwickelt hat. Ich fühle mich heute offener und lasse es zu, Dinge auszuprobieren, die ich mich auf der ersten Scheibe noch nicht getraut habe. Ich mag es deshalb dann auch, von vorneherein Melodien als solche zu schreiben - auch wenn sie jetzt nicht wirklich komplex sind. Ich mag die Abwechslung." Woran liegt es eigentlich, dass Aoifes Musik eher düster und melancholisch angelegt ist? "So sehe ich das eigentlich gar nicht", überlegt sie, "sogar Songs wie 'Emptiness Follows', die ja vielleicht traurige Untertöne haben könnten, fühlen sich für mich nicht so an. Ich fühle mich nicht wie eine traurige Person - eher vielleicht eine stoische. Obwohl das ist nicht das richtige Wort. Für mich sind meine Songs Meditationen und Reflexionen von Momenten in der Zeit. Sogar ein Song wie 'Way To Say Goodbye' weiß die Schönheit zu schätzen, die in Momenten eines Abschiedes liegen können. Denn man kann sich ja auch an die schönen Dinge in einer Beziehung erinnern und dann nach vorne blicken. Und 'Emptiness Follows' ist für mich wie das Gemälde einer Beziehung, die auseinandergedriftet ist. Und in 'This Still Life' geht es um die Schönheit der Natur und darum, sich als kleiner Teil eines Größeren im Kontext des Universums zu sehen. 'Only Child' habe ich unabsichtlich über John Lennon geschrieben. Das sind alles wie kleine Gemälde von Schnipseln der Zeit."

Ein Frage, die man heutzutage fast schon stellen muss: War die Produktion dieser Scheibe irgendwie von der Pandemie beeinträchtigt? "Ja, war sie", meint Aoife, "ich lebte ja in Dublin und zog - wegen der Pandemie - aufs Land im Westen Irlands. Irland war ja von der Pandemie wirklich hart getroffen worden und zu der Zeit war das sicher einer der schlechtesten Orte in Europa, an dem man hätte sein können. Ich denke nicht, dass ich die Scheibe in gleicher Weise ohne die Pandemie gemacht hätte. Es dauerte auch sehr viel länger als gedacht, diese Scheibe zu machen - wegen der Pandemie. Ich war nämlich so sehr von der Landschaft beeindruckt, in der ich dann lebte, dass ich das Gefühl hatte, dass die Scheibe in der Landschaft zu finden sei und extrahiert werden müsse. Es entstand alles aus der Spannung zwischen dem Gefühl des Sehens nach der Geborgenheit der Familie und dem Bedürfnis, von Bäumen und der Wildnis umgeben zu sein, die mich beschützten. Deswegen habe ich die Scheibe auch 'Protector' genannt. Ich bin ja sowieso immer von der Umgebung beeinflusst und ziehe ständig Analogien aus der Landschaft."

Weitere Infos:
aoifenessafrances.com
aoifenessafrances.bandcamp.com
www.facebook.com/aoifenf
www.instagram.com/aoifenessafrances
www.youtube.com/channel/UCiWD2Q-D_A1BuZXJTiVwe9Q/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Cait Fahey-
Aoife Nessa Frances
Aktueller Tonträger:
Protector
(Partisan/Pias/Rough Trade)
 

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