Fenster schließen
 
10.02.2023
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=2082
 
CHARLOTTE BRANDI

Der Fahrstuhl im Bewusstsein

Charlotte Brandi
Zusammen mit ihrem damaligen Partner Matze Pröllochs machte Charlotte Brandi mit dem Projekt Me & My Drummer von 2010 bis ungefähr 2018 musikalisch von sich reden. Nachdem das Duo aufgrund interner Spannungen das zeitliche gesegnet hatte, legte Charlotte bereits ein Jahr später mit ihrer ersten Solo-LP "The Magician" nach. Mit dieser suchte sie indes überraschenderweise keinen konzeptionellen Anschluss an das oft auf Improvisationen und interaktivem Miteinander beruhende Me & My Drummer Projekt, sondern verdichtete ihre vielfältigen musikalischen Interessen und sicherlich auch ihre Erfahrungen aus dem Bereich Theater-Musik in einem vielschichtigen musikalischen Sound- und Strukturuniversum. Dabei setzte sie allerdings damals noch auf die englische Sprache als Transportmedium. Als Charlotte gerade darangehen wollte, neues Material zu bearbeiten, geriet sie - wie so viele andere auch - in den Strudel der Pandemie und veröffentlichte 2020 zunächst ein Mal die EP "An das Angstland", auf der sie sich erstmals ihrer Muttersprache zuwandte. Das Konzept fand sie dann wohl so überzeugend, dass nun ihr zweites Solo-Album "An den Alptraum" ebenfalls auf Deutsch erscheint.

Was war denn Charlottes ausschlaggebender Grund für ihr zweites Album unter eigenem Namen von Englisch auf Deutsch zu wechseln? "Also, das ist irgendwie auch ein Prozess des Älter-Werdens gewesen", erläutert Charlotte, "mit Me & My Drummer wollten wir ja international Konzerte spielen - deswegen musste ich auf Englisch texten. Ich bin ja eine langjährige Freundin von Tristan Brusch. Wir kennen uns ewig und der hat auch auf Englisch gesungen und ist dann auf Deutsch gewechselt - und das war für mich wie eine geöffnete Tür. Weißt du, manchmal müssen einfach Leute, die man schätzt, etwas zuerst machen, damit man sich das auch traut. Ich hatte mich damals mit meinen Gedichten beschäftigt, die ich auf Deutsch schreibe - aber noch gar nicht lange. Ich hatte dabei das Gefühl, dass Fremdsprachen oft überschätzt werden. Es gibt diesen Eindruck, dass Gefühle immer schon per se deeper sind, wenn sie nicht in der Muttersprache zum Ausdruck gebracht werden. Dem wollte ich mich stellen und austesten, was meine Muttersprache alles aushält." Während Charlotte für den Titel "Wind" von der "Angstland"-EP noch Dirk von Lowtzow als Duett-Partner engagierte, ist das "Alptraum"-Album nun konsequent als FLINTA-Projekt ohne männliche Beteiligung entstanden. Welchen Hintergrund hatte denn diese Entscheidung? "Ich mache grundsätzlich gerne Experimente", führt Charlotte aus, "mir ist oft sehr langweilig und dann muss ich mir selber irgendwelche Aufgaben aufgeben - weil mir niemand Aufgaben gibt. Eine meiner Aufgaben war dann die Überlegung: Was wäre, wenn man eine Platte mal ohne Männer macht? Was wäre dann anders? Denn das wusste ich ja vorher nicht. Dann habe ich das mal gemacht und jetzt weiß ich, was zumindest in diesem Fall mit diesen speziellen Menschen anders war." Die sich aufdrängende Frage, was denn anders war, beantwortet Charlotte dann gleich auch präemptiv: "Ich bin heterosexuell und hatte bei diesem Projekt dann nicht den Druck, einem Mann auf einer flirty Ebene Wertschätzung zeigen zu müssen. Es gab dann also keinen Druck, einem Mann signalisieren zu müssen wie toll er ist, so zu tun, als würde ich Sachen gar nicht wissen - obwohl ich sie weiß - oder seine Meinung total interessant zu finden, obwohl ich sie eigentlich gar nicht interessant finde. Das fiel alles weg und das war eine Energie-Einsparung, die echt beträchtlich war. Das andere, was noch anders war, war, dass meine Meinung in keinem Moment angezweifelt wurde - weil ich die Platte auch selbst produziert habe. Es gab auch keine Produzentin - wohl aber eine rein weibliche Crew. Aus dieser Kette hat niemand meine Entscheidungen angezweifelt, sondern diese nur freundlich und effizient ausgeführt. Das war insgesamt alles um circa ein Drittel effizienter, als wenn tendenziell ein Mann dabei gewesen wäre. Weil man muss ja sagen, dass es dabei nur um Tendenzen geht und es natürlich vom Individuum abhängt. Es kann mir auch passieren, dass ich mit einem Mann effizient zusammenarbeite - aber in diesem Fall ist mir das aufgefallen, dass sehr viel Energie eingespart wurde." Dafür muss man dann aber selber ja auch mehr Verantwortung übernehmen. "Ja, aber ich merke ja auch, dass ich immer autarker werde", überlegt Charlotte, "das passiert ganz organisch und ich stelle fest, dass ich plötzlich Dinge kann, die ich früher nie konnte. Dann brauche ich ja auch niemanden mehr. Was auch ein bisschen schade ist, denn es ist ja auch schön, gemeinsam etwas zu tun. Wenn es jemanden gäbe - der/die/das - etwas besser könnte, als das, was ich beitragen könnte, und die Sache dadurch größer würde, wäre ich sehr, sehr glücklich. Ich bin auch jetzt schon wieder auf der Suche nach einer solchen Person, denn es war doch ein bisschen einsam, alles alleine zu machen, zu schreiben und zu produzieren."

Was war denn ursprünglich der Auslöser für die Solo-Laufbahn? "Das mit Me & My Drummer fing an wie ein schöner Traum und endete dann wie ein Alptraum", gesteht Charlotte, "zwei junge Hüpfer haben sich im Theater getroffen und begonnen, zusammen zu improvisieren. Unser Debüt-Album ist fast zur Hälfte improvisiert. Das Stück 'Heavyweight' war ein einziger Jam inklusive Text - ich glaube, es war sogar ein First Take. Das war so eine Verliebtheit ineinander, dass wir eine große Produktivkraft hatten. Dann ist das blöd gelaufen, weil dann mein Hirn auf Touren kam und ich mehr Entscheidungen treffen wollte. Irgendwie kam Matze nicht dagegen an - und dann ging alles kaputt." Die Idee mit den Jam-Sessions und Improvisationen scheint Charlotte aber noch nicht ganz abgeschrieben zu haben, denn bis heute befinden sich auch in den Studio-Aufnahmen immer wieder Passagen, die improvisiert klingen. "Das ist auch so - gut beobachtet", bestätigt Charlotte, "ich liebe es, wenn die Dinge in Balance sind - eine große Verspieltheit - aber auch eine Struktur, eine Kindlichkeit - aber auch eine Disziplin, eine Buntheit - aber auch eine Liedhaftigkeit, etwas Strenges mit etwas Wildem (in dem Song 'Todesangst'), etwas Lustiges mit etwas Ernstem (in dem Song 'Geld'), etwas Säuerliches mit etwas Schönem (in dem Song 'Ekel'). Ich mag es, wenn man eine Balance zwischen Dingen schafft, die nicht zueinander zu gehören scheinen." Wie viel darf man eigentlich in die Struktur der Songs hineininterpretieren? Es gibt da zum Beispiel Passagen, die andere Passagen geradezu konterkarieren - wie z.B. in dem Song "Todesangst". "Das ist natürlich beabsichtigt", erklärt Charlotte, "so etwas kommt zwar von alleine zusammen, aber ich checke den Grund. Mein Unterbewusstsein zeigt mir viel über mich, was ich vorher nicht wusste. Man fährt dann wie mit einem Fahrstuhl im Bewusstsein hoch und runter und kann dann abklopfen ob das alles emotional logisch ist. Wenn es das ist, dann freut mich das und dann bin ich auch beglückt. Aber der Instinkt wird dabei immer mehr Kopf und der Kopf immer mehr Instinkt - wenn das einen Sinn ergibt. Ich will das nicht kaputt analysieren. Bei 'Todesangst' war das zunächst mal eine Spielerei, aber dann ist mir aufgefallen, dass es eine Bedeutung hat. Das Stück lehnt sich musikalisch an eine alte amerikanische Songwriting-Tradition an. Was die Gitarre da macht, könnte sehr gut auch in einem Country-Song passieren. An Country habe ich immer geliebt, dass es dort düstere und schmerzliche Texte geben kann, die aber unfassbare verdauliche, süßliche oder gar fröhliche Darreichungsform haben. Und wenn man das bricht, wie ich mit dem Gitarrengewitter in 'Todesangst', gibt man einer Animalität und Düsternis Raum, die sonst nicht da wäre." Da hilft dann sicher auch die Wahl der Sprache, denn Country-Musik wird ja hierzulande oft verlacht, weil nur die fröhliche Musik und nicht die düsteren Texte im Vordergrund stehen. "Genau", bestätigt Charlotte, "und wenn ich dann auf Deutsch singe, dann wird das auch hierzulande deutlich."

Charlotte Brandi
Woran richtet sich Charlotte heutzutage musikalisch aus? Sie arbeitet ja auch mit Theatermusik. "Mich inspiriert sehr viel nordamerikanische Indie-Musik aus Baltimore, Portland oder Seattle - alles von Wye Oak über Dirty Projectors bis zu Angel Olsen und TuneYards. Die amerikanische Indie-Musik ist für mich eine Riesen-Inspiration. Ich mag diese Freiheit und diese Verspieltheit - aber eingefasst in handwerklichem Können. Manche skandinavische Bands haben so etwas auch. Dann bin ich kindlich geprägt durch Folklore - und zwar verschiedene. Aufgewachsen bin ich mit Irish Folk. Meine Mutter war auch Radiomoderatorin und sie hatte eine Plattensammlung, in der ich die Bulgarian Voices entdeckt habe, von denen ich hin und weg war. Die finnische Band Värttinä ist eine meiner Lieblingsbands - die machen sehr intelligente, krass komponierte finnische Folk- und Pop-Musik. Auch die Warsaw Village Band mag ich sehr. Und ich bin ein Kind der 80er und ein Riesen Alanis Morrisette und Fiona-Apple Fan." Wie sieht sich Charlotte als Sängerin? Auf der neuen Scheibe scheint sie ja ein wenig höher als bislang zu singen. "Echt? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich strebe immer nackten und ehrlichen Gesang an. Die neue Scheibe ist bei Tracks wie 'Frau', 'Die letzte Brücke', 'Todesangst' oder 'Wien' gesanglich schon ziemlich nackt und unreflektiert. Das war früher anders. Wenn man die EP anhört, da sind die Stimmen übergossen mit Effekten. Das nimmt man gar nicht so war, aber es ist so. Da ist mehr Glamour drauf auf dem Package. Die neue Platte ist roher was das angeht. Nicht perfekt gesungen. Ich höre da jetzt auch schiefe Töne, die ich aber durchgewunken habe, weil ich das gut finde. Ich mochte an den 90er Jahren wirklich nicht viel, aber ich mochte diese Rohheit beim Gesang, die heutzutage komplett fehlt."

Kommen wir mal zum Titel des Albums: Was ist denn Charlottes Lieblings-Alptraum? Oder ist das eher metaphorisch zu sehen? "Nein, es geht sogar um mehrere Alpträume", räumt sie ein, "ich habe tatsächlich einige Alpträume gehabt, auf die ich mit einigen Texten sozusagen antworte. Zum Beispiel habe ich geträumt, dass ich auf dem Schulhof stehe und in der Ecke steht ein Pulk von Jungs, die miteinander tuscheln und einer von denen auf mich zeigt und sagt: 'Die ist eklig - die ist voll eklig'. Da bin ich aufgewacht und dachte mir, dass der Begriff 'Ekel' eine vollkommen in Vergessenheit geratene Beleidigung ist und dass es doch super wäre, wenn ich mich damit konfrontiere, dass es irgendwie auch eine Angst von mir ist, dass mich irgendwelche Männer nicht mit der Kneifzange anfassen wollen. Ich habe mir gedacht: Das drehe ich um und versuche, diese Perspektive einfach als Alptraum zu erfinden. Ein andere Alptraum - den ich gar nicht unbedingt nachts habe - ist der, dass ich mich verliebe und dann einen Mann zu haben und mit dem Kinder zu kriegen und mich dann um die Kinder kümmern und monatelang zu Hause bleiben zu müssen und dem Mann dann so das Leben zu ermöglichen, das ich eigentlich hätte, während ich dann zu Hause wäre und die süßen Kinder hätte. Das ist ein Alptraum." In der Tat. Benutzt Charlotte ihre Musik denn dann auch in therapeutischer Hinsicht? "Auf jeden Fall", meint Charlotte, "die Musik kommt von einem Ort, den ich selber weder kontrollieren noch steuern kann und auch nicht verstehe. Manchmal muss ich einfach an den Schreibtisch rennen, wenn ein Gedanke, Gefühle oder Worte angeflogen kommen und muss die dann aufschreiben. Denn wenn ich das nicht sofort mache, sind die einfach wieder weg. Dann lese ich das ein paar Tagen später und sehe erst dann, was eigentlich vorher im Leben passiert war. Diese Worte erklären dann ein Ereignis das stattgefunden hat auf einer Ebene aus, von der ich nicht weiß, woher sie kommt, die aber alles zusammenfasst - und zwar messerscharf." Wie ein Traum - nur umgekehrt? "Ja, genau so", bestätigt Charlotte.

Das alles mal zusammengefasst: Wonach sucht Charlotte denn, wenn sie einen Song schreibt? "Ich suche nicht - das findet mich alles", erklärt sie, "ein guter Songs sollte Strahlkraft und Ehrlichkeit haben und eine Dringlichkeit darüber vermitteln, warum und dass er gemacht werden musste. Das heißt nicht, dass er extrovertiert sein muss, sondern nur dass man ihm anmerken können muss, dass er gemacht werden musste. Das - denke ich - kann man dann auch verspüren. Das können sogar sehr lakonische Songs sein. Der Song muss mich außerdem verführen, darf mich aber nicht manipulieren."

Weitere Infos:
www.charlottebrandi.com
www.facebook.com/charlottebrandimusic
www.instagram.com/charlottebrandimusic
www.youtube.com/channel/UCyYPU_tfhv-OsbPVP6DMhnQ
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Annika Weertz-
Charlotte Brandi
Aktueller Tonträger:
An den Alptraum
(Listenrecords/Broken Silence)
 

Copyright © 2023 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de