17.03.2023 http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=2092 |
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AILBHE REDDY |
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Schnappschüsse der Alten Seele |
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Ailbhe Reddy gehört zu jener Spezies irischer Musikerinnen, die sich zwar nichts aus den folkloristischen Traditionen der grünen Insel machen, die sich aber ihre irische Identität dennoch erhalten haben - was sie durch ihren Gesang und ihre Texte zum Ausdruck bringt. Dass Ailbhe (sprich "Elbie") hierzulande noch ein eher unbeschriebenes Blatt ist, liegt daran, dass sie ihre erste EP von 2016 noch als Indie-Künstlerin veröffentlichte und ihre erste LP "Personal History" von 2020 so ziemlich überall im englischsprachigen Raum - aber nicht bei uns. Das soll sich mit ihrer nun vorliegenden, zweiten LP "Endless Affair" nun ändern - nicht zuletzt auch dadurch, dass Ailbhe mit diesem Album dann gleich nach dessen Veröffentlichung auf Tour in unseren Breiten war. Wie hat sich die Sache denn für Ailbhe entwickelt?
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"Na ja - ich bin halt mit Musik aufgewachsen", erklärt Ailbhe, "meine Mutter hat einen ausgezeichneten Musikgeschmack und auch meine älteren Schwestern haben meinen Geschmack dann geprägt. Meine Mutter hat sich etwa Don McLean und Bob Dylan angehört, während meine Schwestern Blur und solche Sachen abspielten. Das war also ein ganz schöner Mix, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich habe dann schon als Kind eine Gitarre bekommen, fing an zu spielen und habe nie wieder aufgehört. Ich wollte immer Musik machen - das war mir klar. Mit 22 habe ich dann angefangen aufzutreten und meine erste EP 'Holiday Sea' veröffentlicht." Hat sich Ailbhe dabei in der Musikhistorie eingearbeitet - oder lässt sie sich von zeitgenössischen Künstlern inspirieren? Die Frage ist deswegen notwendig, weil Ailbhe gerne mit so ziemlich jeder angesagten Indie-Künstlerin verglichen wird, die eine Gitarre halten kann. "Nein, ich würde sagen, dass ich mich ursprünglich durchaus von älteren Künstlern inspirieren habe lassen - weil das die Musik ist, mit der ich aufgewachsen bin. Denn als ich mit meiner Mutter im Auto herumgefahren bin, haben wir eben Klassiker wie die Carpenters und Glen Campbell gehört. Ich denke, dass ich dann von diesen Leuten auch gelernt habe, wie man Songs schreibt."
Geht man nach den Titeln von Ailbhes Alben, so liegt die Vermutung nah, dass ihre Songs auf persönlich erlebten Geschichten basieren. Oder gibt es vielleicht auch fiktionale Elemente? "Nee - da ist nichts fiktional", meint Ailbhe, "das ist alles ziemlich wahr. Ich schätze ja durchaus Songwriter, die fiktionale Geschichten schreiben können - aber so jemand bin ich nicht. Für mich geht es darum, durch meine Songs meine Erlebnisse zu verarbeiten. Es fühlt sich für mich als Songwriterin und auch als Person einfach besser an, über Dinge zu schreiben, die wahr sind. Ich lege es dabei gar nicht darauf an, alles absichtlich persönlich zu gestalten - das passiert dann aber zwangsläufig. Ich denke denke auch, dass wenn die Leute einen meiner Songs hören, in dem es um mich geht, sie diese Erfahrungen dann auf ihr eigenes Leben beziehen. Es ist dann so, dass sich ein Song immer weniger persönlich anfühlt, je länger er sich in der Welt befindet." Wenn man sich die Reihenfolge der Tracks betrachtet - mit eher lockeren, poppigen Up-Tempo-Nummern zu Beginn, dann mit düsteren, rauen, rockigeren Tracks im Mittelteil und nachdenklichen Kontemplationen am Ende, scheint es so, dass "Endless Affair" als klassisches Album konzipiert wurde? "Ja, das ganze wurde sogar als Vinyl-Album aufgenommen", bestätigt Ailbhe, "das bedeutet, dass die Tracks, die digital verfügbar sind, sich leicht von denen auf der Vinyl-Edition unterscheiden. Manche Stücke sind auf der Vinyl-Ausgabe länger und es gibt sogar Pausen und Gesprächsfetzen, die auf der Vinyl-Scheibe erhalten blieben. Die Scheibe beginnt und endet mit Raum-Sounds - und nichts davon ist auf den Digitalen Tracks zu hören. Das habe ich von vorneherein so geplant." Ist "Endless Affair" eigentlich eine Scheibe über das Erwachsen werden? "Ja, ich denke schon", zögert Ailbhe, "manchmal tendieren Alben ja in eine Richtung und ich denke, dass ich das Thema verarbeitet habe. Die Songs auf der ersten Seite der Vinyl-Edition behandeln das Thema, wie man sich unbewusst zu bestimmten Verhaltensmustern hingezogen fühlt und bei den Songs auf der zweiten Seite geht es zum Ende hin darum, dieses Verhalten dann zu hinterfragen und vielleicht damit aufzuhören? Es geht jedenfalls um das Verarbeiten dieser Erkenntnis - und am Ende des Albums fühlt sich das ja auch wie ein echter Fortschritt an." Ist das nicht eine klassische Form von musikalischer Autotherapie? "Zu 100 Prozent", bestätigt Ailbhe, "ich denke, die meisten Songwriter handhaben das so - ich auf jeden Fall. Ich meine: Da hast du all diese verwirrenden Gefühle in deinem Kopf und versuchst diese zu verstehen. Da ist die Musik unbezahlbar." Kann man sich auf diese Weise denn selbst besser kennenlernen? "Das ist ein interessantes Thema", überlegt Ailbhe, "ich habe dieses Album bereits vor zwei Jahren fertiggestellt - und ich habe dadurch heutzutage eine Art Schnappschuss der Person, die ich zu diesem Zeitpunkt gewesen bin - und genauso war das beim ersten Album auch. Das ist eines der Geschenke, das man als Songwriter haben - jetzt nicht im Sinne der Industrie oder des Erfolges, sondern auf der persönlichen Ebene. Man hat dann quasi diese Tagebücher über Dein Leben und die Person, die man mal gewesen ist und wie man sich ein mal gefühlt hat. Diese Möglichkeit hat nicht jeder im Leben - und das ist ein Privileg." |
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Wie ist Ailbhe das Album musikalisch angegangen? "Also, ich habe das Album mit Tommy McLaughlin co-produziert", berichtet Ailbhe, "ich habe im Lockdown sehr viel Zeit damit verbracht, die einzelnen Teile dieser Songs auszuarbeiten und mir vorzustellen, wie sie klingen sollten. Dann habe ich sie mit Tommy und James - dem Drummer - ausgearbeitet und die Dinge hin und hergeschoben. Ich denke, dass es mir darum ging, den Sound etwas größer und verspielter anzulegen als auf dem ersten Album. Speziell die erste Seite mit den Up-Tempo-Nummern sollte so werden. Auch wenn einige Sachen dann etwas düsterer rüberkommen, denke ich, dass das dann mit einem Augenzwinkern zu betrachten wäre. Es sollte alles irgendwie leichtsinnig wirken." Auf der neuen Scheibe sind ja auch Bläserarrangements zu hören. Wessen Idee war das denn? "Das war meine", erklärt Ailbhe, "ich mochte immer schon den Klang der Trompete. Streicher wollte ich dieses Mal nicht - aber ich suchte noch nach einem weiteren Element. Es sollte klanglich auch eine Art roten Faden sein, der sich durch mehrere Songs zieht." Entstanden die Songs in Irland und spielte das eine bestimmte Rolle für Ailbhe? "Ja, die Songs sind in Irland geschrieben worden", bestätigt sie die Vermutung, "ich lasse mich ja nicht gerne in eine Schublade stecken, aber ich bin schon sehr irisch. Etwa in der Art, in der ich singe. Das sagt man mir zumindest, dass man das aus meiner Stimme und der Art, in der ich singe, heraushören kann. Und dann weise ich in meinen Songs ja auch öfter auf meine Heimatstadt Dublin hin. Mehr noch auf dem ersten Album, aber auch auf diesem. Ich erwähne Pubs und Bars, in denen ich selbst gewesen bin. Dublin hat ja eine regelrechte Pub-Kultur. Das reicht sogar ins Artwork. Das Titelbild und das zugehörige Video entstanden in einer Bar in Dublin, in der ich in meinen 20ern immer gewesen bin." Tatsächlich könnte man sich einige der neuen Tracks auch gut als Pub-Rock-Songs vorstellen. "Hm - ja", zögert Ailbhe, "als ich das Album machte, hörte ich viel Female 90s Rock - Alanis Morrissette zum Beispiel. Ich habe also dann doch eher solche Elemente in meine Musik eingewoben." Hat sich Ailbhe dabei an irgendwelchen Vorbildern oder Stilen orientiert? "Ich mag es, alles erst mal auszuprobieren", meint sie, "ich habe mich natürlich auch an Musik orientiert, die ich selber gerne höre - und das ist Indie-Rock-Folk. Das war immer schon so und deshalb fühle ich mich auch zu diesem Genre hingezogen. Und ich fühle mich natürlich auch an die Tage erinnert, an denen ich mit meiner Mutter im Auto saß und die Klassiker gehört habe. Das war auch Folk-Musik - und dabei geht es ja stets um die Geschichte und den Song. Das ist das wahre Ding für mich. Dabei kann das Genre durchaus wechseln. Diese neue Scheibe sollte etwa etwas heftiger werden - aber die Geschichte und der Song sind das, was für mich immer zählt." Ist es dabei schwieriger Songs zu schreiben, wenn die Geschichte noch nicht klar erkennbar ist? "Ja, an dem Song 'Motherhood' habe ich zwei Jahre herumgearbeitet", räumt Ailbhe ein. Besagter Song enthält dann auch keine Geschichte, sondern ist stattdessen eine Hommage an Ailbhes Mutter und eine Art universelles Loblied auf das Mutter-Sein. "Ja - es ist schwer Songs in dieser Art zu schreiben", erklärt Ailbhe, "wie soll man denn seine Mutter zusammenfassen? Wie schreibt man über jemanden, der eine solch große Gestalt in deinem Leben darstellt? Ich habe sieben Strophen geschrieben, die ich dann auf zwei Strophen eindampfen musste. Auch der vorletzte Song, 'Late Bloomer', ist ein Song in dieser Art - nur über mich selbst. Der ist mir aber eines Tages in 20 Minuten gelungen. Das ist eben manchmal so. Man muss dann die Songs aus verschiedenen Gründen wertschätzen - denn manchmal arbeitet man eben sehr lang daran - und manchmal geht alles ganz einfach. Die sind dann etwas reiner, weil man diese nicht so lange 'kochen' muss."
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Ist es denn schwer für Ailbhe , ein Thema zu finden? "Nein - weil es immer so viele mögliche Themen gibt", meint Ailbhe, "die Welt ist voller Emotionen und Erlebnisse, über die man schreiben kann. Die meisten meiner Songs handeln von der Liebe - oder deren Abwesenheit. Manchmal kann man aber auch einen ganzen Song aus einem einzigen Moment herauskristallisieren. 'Shoulderblades' zum Beispiel handelt von einem solchen Moment. Es geht dabei nicht um ein großartiges Statement in Sachen Liebe oder so etwas. Das braucht es nicht - es ist ganz einfach. Man kann Kunst aus einem fünf Minuten andauernden Moment machen." In gewisser Weise zeigt sich Ailbhe auf diesem Album als "Alte Seele" - zumindest in der Art, wie sie ihre Musik an den traditionellen Werten klassischer Vorgänger ausrichtet. Sieht sie sich selbst als Traditionalistin? "Ja doch - das würde ich schon sagen", pflichtet Ailbhe bei, "ich bin mein ganzes Leben schon eine 'Alte Seele' genannt worden." Das mal eingedenk: Was ist denn die größte Herausforderung als Songwriterin für Ailbhe? "Als Künstlerin?", fragt Ailbhe, "als Songwriterin gibt es für mich eigentlich keine Herausforderung, weil ich das auf eine klassische, reine Art ausübe - mit meiner Stimme und der Gitarre - und dabei nicht viel falsch machen kann. Es kann vielleicht zu einem Problem für Leute werden, die für TikTok oder so etwas arbeiten - aber zu der Sorte gehöre ich ja nicht. Aber das Finanzielle kann eine Herausforderung sein. Musikerin zu sein, ist nicht der sicherste Job der Welt - und da macht man sich schon mal Gedanken über Geld und Sicherheit. Eigentlich wie jeder andere auch. Es ist ja so, dass fast alle westlichen Länder momentan durch eine Krise mit steigenden Kosten für das Wohnen und die Lebenshaltung gehen." Klar - da liegt zumindest dieses Thema auf der Hand.
Ailbhe sagt ja, dass das Leitmotiv des Albums die Kunst des Loslassens sei. Hat sie sich damit zwischenzeitlich dann arrangiert? "Ich denke, ich habe mich damit abgefunden, dass, wenn ich jemanden treffe - sei es ein Freund, ein Geliebter oder ein Verwandter -, ich es nicht mag, mich von dieser Person zu verabschieden. Selbst, wenn eine Beziehung nicht funktioniert, hätte ich diese Person dennoch gerne weiter in meinem Leben. Und ja: Ich denke, dass ich damit meinen Frieden geschlossen habe. Was allerdings den Leichtsinn der Jugend und die hedonistischen Party-Elemente betrifft, so bin ich inzwischen dann doch sehr viel reifer geworden." |
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Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Niamh Barry- |
Aktueller Tonträger: Endless Affair (MNRK/Bertus) |
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