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23.05.2023
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GRACIEHORSE

Country-Balance

GracieHorse
"I drive fast cars and I eat fast foods - I contain multitudes" schreibt Grace Jackson als Tagline auf ihrer Bandcamp-Seite. Und eine dieser "Multitudes" ist dann die der Alt-Country-Queen. Denn trotz des in diesem Zusammenhang eher seltsam anmutenden Titels "L.A. Shit" ist das zweite Album, das Grace unter ihrem neuen Nom de Plume GracieHorse auflegt, der Traum eines jeden Alt-Country- und Americana-Fans geworden. Freilich: Grace Jackson ist keine Country-Künstlerin, sondern arbeitet eigentlich als reisende Krankenschwester. Wenn sie dann mal Musik macht, dann bisher etwa mit der Bostoner Punk-Rock und Power-Pop-Band Fat Creeps und in eigener Sache mit Indie- und Schrammelpop oder als Session-Musikerin etwa bei ihrem Gatten Johnny Kosmo oder befreundeten Musikern. Was führte denn dazu, dass Grace mit "L.A. Shit" ein makelloses Americana-Album produzierte, das unter dem Strich authentischer klingt als so manche "ernst gemeinte" Country-Produktion - zumal ja L.A. nicht gerade das Zentrum dieser Art von Musik ist. Ist es vielleicht Graces Alter Ego GracieHorse, das sie zu diesem Projekt gebracht hat?

"Ja", lacht Gracie, "ich war eigentlich immer schon ein Fan von Country-Musik. Aber in Massachusetts, wo ich ursprünglich herkomme, ist die Musikszene etwas heftiger. Das, was dort gespielt wird, war dann ähnlich zu dem, was ich zuvor auf meiner ersten Scheibe gemacht habe. Damit habe ich mich aber irgendwann gelangweilt und wollte mal was anderes machen. Weißt du: Ich wollte einfach nicht, dass sich alle meine Alben gleich anhören. Ich höre schließlich verschiedene Musik und fühle mich auch von verschiedenen Arten von Musik inspiriert - also wollte ich nicht immer wieder das selbe machen." Was reizt Grace als Musikerin denn am meisten an der Country-Musik? "Ich denke die Texte sind schon ziemlich direkt - das mag ich. Ich mag es auch Texte zu schreiben, denn das ist das, worauf ich achte und was mir selbst wichtig ist. Texte sollten die Aufmerksamkeit des Hörer erlangen. Und dann gibt es ja noch den Aspekt des Geschichten-Erzählens. Ich mag auch, dass Country musikalisch nicht so schnell und heftig ist und ich liebe den Sound von Pedal-Steel-Gitarren. Das erinnert mich an die Landschaften und die ich gesehen habe, als ich im Westen reiste und in Wyoming arbeitete. Das gab mir ein gutes Gefühl und das versuchte ich dann mit meinen Songs auszudrücken. Bei der Country-Musik geht es auch um Unterhaltung und die Kostüme und ich denke auch, dass es da ein theatralisches Element gibt, das sich auch in einem Live-Setting gut machen würde." Sollte Musik in einem solchen Setting dann auch ein wenig größer als das Leben sein? "Ich denke, das kommt schon alleine durch das Geschichten-Erzählen. Ich meine, du erschaffst da irgendwelche Charaktere und beschreibst sie, weist ihnen Eigenschaften zu, einige davon sollten dann schon etwas übertrieben werden. Da ist dann ja auch gut für ein Live-Setting, denn man möchte die Leute ja auch unterhalten. Ich mag es jedenfalls mich zu verkleiden und mein Aussehen zu verändern. Wenn man dann dramatische Songs über dramatische Charaktere hat, dann hilft es, die Geschichte, die man erzählt zu vermitteln. Es trägt dann auch zur Performance bei." Es ist ja auch immer schön, wenn die Musiker auf der Bühne nicht genauso aussehen, wie die Leute vor der Bühne.

Kommen wir dann gleich mal zum Covermotiv. Dieses zeigt ein eigenartiges Szenario: Grace sitzt draußen im Garten mit einer blonden Afro-Perücke in einer Blechbadewanne und bekommt eine Maniküre. Von rechts lugt ein Fashion-Fotograf ins Bild und von rechts ein texanischer "Hollow Head" mit Anzug und Stetson, der gerade in ein Handy quatscht. Im Hintergrund ist L.A. auszumachen. WFT? "Au Mann - wo soll ich da anfangen?", zögert Grace, "was es für mich bedeutet, ist Folgendes: Als ich nach L.A. zog, war es ziemlich schwierig für mich, mich hier einzuleben, mich an das Business und eine andere Community zu gewöhnen. Ich fühlte mich davon wirklich ein bisschen überwältigt. Das Country-Setting zu wählen, half mir, mich zu entspannen und meine Mitte zu finden. Das Bild auf dem Cover mit mir in der Mitte und der Dame die meine Fingernägel macht, symbolisiert für mich Inspiration, Schönheit und die Muse. Der Typ, der die ganze Zeit in sein Handy spricht, symbolisiert die Gedanken, die dir durch den Kopf gehen und den Teil deiner selbst, der niemals inne hält und immer weiter und weiter macht und sagst: Du musst noch dieses und jenes machen. Der Fotograf repräsentiert die allgegenwärtige Präsenz unseres Gewissens, die alles beobachtet und aufnimmt." Wie ist eigentlich die Zeitachse dieses Projektes zu sehen? Lange Zeit hatte Grace ja gar keine Musik gemacht. "Ich bin schon vor sieben Jahren nach L.A. gezogen", verrät Grace, "ich hatte als Krankenschwester auch gut zu tun - besonders in der Pandemie, wo ich viel gearbeitet habe. Viele der Songs handeln davon, wie ich mich damit arrangierte, nach L.A. gezogen zu sein und mit dem ganzen L.A.-Scheiß zurechtzukommen." Das heißt also, dass die LP ein Spiegelbild der letzten Jahre von Graces Leben darstellt? "Ja, ich würde sagen, dass es eine Reflexion der letzten fünf Jahre ist. Einige der Songs sind ziemlich alt - weil ich einige davon irgendwann mal angefangen, aber nie zu Ende gebracht hatte. Ich sammele alle meine Gedanken und Tagebücher und Aufzeichnungen und komme dann immer mal wieder darauf zurück um zu schauen, wie ich das eine oder andere verwenden oder ergänzen könnte."

Wie hat Grace das ganze Album denn musikalisch geplant - nachdem sie ja einräumt zuvor selbst keine Country-Musik gemacht zu haben? "Ich hatte früher gedacht, dass es bei der Country-Musik um die Herkunft ginge", überlegt Grace, "weißt du, wenn du aus Massachusetts kommst, bist du kein Country-Girl. Ich habe dann gedacht, dass ich bestimmt verprügelt werden würde, wenn ich selbst mal sowas versuchen würde. Ich habe ja eigentlich immer schon das Medium gemocht und auch Country-Songs geschrieben - dachte aber, dass es mir nicht gestattet würde, sie zu spielen. Das konnte ich jetzt endlich realisieren." Ja - aber ausgerechnet in Los Angeles? "Ich wollte ja gerade sagen, dass Country-Musik ja eben nicht von der Umgebung abhängt. Wenn du das Medium wirklich fühlen kannst und wenn du dich in dieser Hinsicht ausdrücken kannst - dann mach es einfach. Und es gibt auch einige richtig gute Country-Kapellen hier. Also jedenfalls mehr als im Nordosten, wo ich herkomme. Das heißt: Früher habe ich ja gar nicht nach sowas Ausschau gehalten - vielleicht gibt es ja jetzt sogar welche. Egal: Ich fand ja auch hier gute Musiker, die mir helfen konnten. Ich habe viele meiner Freunde gefragt, ob sie mitmachen würden - und mag die Scheibe auch deshalb, weil ich auf diese Weise meine Freunde präsentieren konnte. Es sind neun oder zehn Leute, die auf der Scheibe mitmachen. Ich liebe ja Pedal Steel und Banjo und meine Freunde Willy Ramsay - von Vetiver und Little Wings - und Bobby Lovesong (Madelyn Strutz), die selbst auch coole Musik haben, haben mir da wirklich sehr geholfen. Wir haben das Album im Studio von meinem Mann Johnny Kosmo aufgenommen und er hat auch einige Musiker ins Spiel gebracht. Die meisten der Songs haben wir dann auch als Band eingespielt." Das hört man auch heraus - auch, dass Grace die Sache vielleicht mit einem anderen Mindset angegangen ist, als kommerzielle Country-Künstler, denn ein wenig erdiger und bodenständiger als klassische Country-Produktionen ist "L.A. Shit" dann doch schon. "Auf jeden Fall", bestätigt Grace diesen Eindruck, "ich arbeitete ja auch mit Leuten zusammen, die ansonsten auch Rockmusik machen. Ich wollte also, dass das Ganze eher 'countryesque' klingt - und es sollte zugleich etwas rau sein. Ich mag ja auch selbst eher wuchtige Musik und die Leute, mit denen ich spielte, haben auch diese Einstellung." Dadurch vermeidet Gracie dann aber auch alle Fallen und Klischees, die sich ergeben, wenn man Country-Musik nach Vorschrift macht. "Ganz genau", bestätigt, "das ist nett, dass du das so siehst. Aber ich denke, dass viele Leute, die Country-Musik mögen, nicht notwendigerweise Country-Musiker sein müssen. Ich habe ja auch solche Leute ausgesucht - und die haben dann sozusagen ihre besten Country-Elemente eingebracht und somit genau das gefunden, wonach ich gesucht habe."

Wonach hat Grace denn gesucht? "Das ist eine gute Frage", meint Grace, "ich denke, eine griffige Akkordfolge und ein guter Hook sind schon mal etwas, was meine Aufmerksamkeit erregt. Und gute Texte braucht es unbedingt. Ich liebe des Weiteren nicht unbedingt Balladen und langsame Musik - und suche deswegen nach etwas Druck und Tempo. Es macht manchmal Spaß, Balladen zu spielen - aber anhören tue ich sie mir nicht so gerne." Und dennoch gibt es eine bemerkenswerte Ballade auf "L.A. Shit" - und das ist eine alternative, entschleunigte Version des rockenden Openers "Hollow Head", der sich gegen Ende des Albums wiederfindet. "Hollow Head" ist der älteste Track auf dem Album, an dem Grace 15 Jahre lang immer mal wieder herumbastelte - und es ist eine Reflexion über die Abhängigkeit von (männlichen) Personen, die Grace in einem Empowerment-Statement mit der Aussage verdichtet, dass diese besagten Personen im Grunde allesamt Hohlköpfe seien. Kein Wunder also, dass dabei verschiedene Versionen entstanden. "Naja - ich sage ja nicht, dass Balladen keine Berechtigung haben und ich kann sie auch hier und da mögen", zögert Grace, "und dieser Song war mir so wichtig, dass ich mich dieser Version sehr verbunden fühlte. Ich konnte mich dann gar nicht zwischen den beiden Versionen unterscheiden - weil sie auch so verschieden sind - dass ich sie dann beide auf die Scheibe genommen habe." Wie fühlt es sich denn an, über längere Zeit an Songs zu arbeiten? "Ich bin da ziemlich starr: Wenn ich realisiere, dass einem Song dieses entscheidende, magische Ding fehlt, dann versuche ich es auch nicht zu erzwingen", meint Grace, "ich lasse es liegen und komme dann darauf zurück, wenn es sich anbietet. Ich bin keine schnelle Songwriterin. Ich lasse Dinge liegen und marinieren - weil ich ja will, dass die gut werden. Und ich weiß auch manchmal gar nicht, was ich fühle, wenn ich einen Song schreibe. Ich brauche dann eine gewisse Zeit für mich selbst festzustellen, wovon der Song eigentlich handelt - und was er braucht, um ihn nach Hause bringen zu können."

Wie sieht Grace ihre musikalische Zukunft? "Also, ich glaube, dass ich immer eine gute Balance anstrebe", führt sie aus, "als Krankenschwester zu arbeiten ist ein guter Job - und er erlaubt mir auch finanziell unabhängig zu sein. Diese Art von Sicherheit möchte ich schon haben. Aber es gibt eine Möglichkeit, Musik und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich herausbekommen habe, wie das für mich am besten funktioniert, aber ich habe irgendwann festgestellt, dass es nicht gut für mich ist, wenn ich nicht aktiv musiziere oder Songs schreibe. Ich werde also auf jeden Fall weitermachen."

Weitere Infos:
gracie3.bandcamp.com/music
www.facebook.com/graciehorse
www.youtube.com/channel/UCLoet-bgltgCD85TZmoPQFg
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Giraffe Studios-
GracieHorse
Aktueller Tonträger:
L.A. Shit
(Wharf Cat/Cargo)
 

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