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13.10.2023
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MAPLE GLIDER

Gemeinsam stark

Maple Glider
Tori Zietsch hat gut lachen. Jedenfalls heutzutage - vor, auf und hinter der Bühne, in ihren quietschebunten, psychedelischen Videos mit Hippie-Flair und erst recht im richtigen Leben. Und das hat unter anderem mit ihrer nun vorliegenden zweiten Solo-LP "I Get Into Trouble" zu tun, die die Australierin nun unter dem Projektnamen Maple Glider veröffentlicht, und auf der sie unangenehmen Themen aufgreift, an die sie sich bei den Songwriting-Sessions für ihr Debütalbum "To Enjoy Is The Only Thing" noch nicht heranwagte - bzw. heranwagen konnte und sich diese von der Seele schreibt. Denn auch Tori Zietsch gehört zu jener Spezies von Songwriterinnen, die ihre Kunst nutzen, um ihr Leben zu verarbeiten und in Form zu bringen.

Ist das auch der Grund, warum das Thema Religion erneut eine große Rolle spielt? Tori weist beispielsweise bei ihren Live-Shows darauf hin, dass sie in einem streng religiösen Elternhaus aufwuchs und sehr unter den repressiven, institutionalisierten Religions-Regeln zu leiden hatte. "Ja, denn das ist ein so großer Teil meiner Geschichte, meiner Entwicklung und meines Lebens", räumt Tori ein, "ich kann gar nicht anders als das in meinem Songwriting zu vergegenwärtigen. Das Schreiben von Songs ist ein sehr persönlicher Vorgang und ich versuche auf diese Weise Dinge zu verarbeiten und zu entwirren." Das manifestiert sich auch im Titel des Albums "I Get Into Trouble" und der Geschichte hinter dem Song "Dinah", in dem von einer jungen Frau erzählt wird, die vergewaltigt wird und deren Bruder den Täter umbringt. Für beides macht die religiöse Familie indes Dinah verantwortlich - weil sie Schuld auf sich geladen habe, weil sie sich mit Menschen eingelassen habe, die nicht an den richtigen Gott geglaubt haben. Das erinnerte Tori erneut an ihre Erziehung. "Ja, es ging mir bei dem Song darum, die Scham, den Schmerz und mein Körpergefühl neu zu bewerten und die Dinge aufzuschlüsseln", erläutert sie, "ich war es leid, Scham und Schmerz und das, was mir selbst zugestoßen ist, weiter mit mir herumzutragen. Ich akzeptiere heute was passiert ist und ich akzeptiere meine Vergangenheit - aber ich werde mich nicht mehr dafür rechtfertigen und ich erlaube mir heute zornig zu sein und mich darüber zu ärgern." Wie ist denn Toris Verhältnis zur Spiritualität heutzutage? "Schau", meint sie erklärend, "durch meine streng christliche Erziehung kann ich sagen, dass mir die ganze Sache nicht gefällt. Das Ganze hatte schon einen sehr negativen Einfluss auf mein ganzes Leben. Ich bin am Christentum nicht mehr interessiert. Ich brauche heutzutage die Religion nicht mehr. Natürlich habe ich ein gewisses spirituelles Empfinden - aber nicht mit Bezug auf Religion." Dafür fühlt sich Tori sehr mit der Natur verbunden - was sie insbesondere immer wieder auch mit ihren Videos deutlich macht - und natürlich, indem sie ihrem Projekt den Namen eines flugfähigen Beuteltieres gab, das hierzulande den Namen "Kurzkopfgleitbeutler" trägt.

Worum geht es in dem Song "Don't Kiss Me" - immerhin erwartete man in einem so romantisch erscheinenden Folkpop-Setting eigentlich genau das Gegenteil. "Nun, bei 'Don't Kiss Me' geht es eben um unerwünschte Aufmerksamkeiten und Menschen, die andere Menschen bedrängen", erläutert sie, "oder anders ausgedrückt um Leute, die sich dir ohne Zustimmung nähern und aufdrängen. Dieser Song ist definitiv ein Anti-Kuss-Song. In dem Song singe ich ja davon, dass sich mein Körper nicht wie mein eigener anfühle. Damit meine ich, dass ich und andere Personen oft das Gefühl haben, dass die Körperlichkeit von außen und anderen aufoktroyiert wird. Es gibt so viele Situationen als junge Frau in denen du dich fühlst, als seist du gar nicht im Besitz deines Körpers - einfach weil alle eine Meinung dazu hat oder glauben sich erlauben zu können, was immer sie möchten oder sagen wollen. Ich sage in dem Song einfach: Nimm Abstand - ich bin meine eigene Person. Das ist mein Körper und ich entscheide, was ich damit tun möchte. Und du hast hier keine Domäne." Ist dieses Empowerment-Thema dann auch das Leitmotiv für diese Scheibe - was erklären würde, dass Tori dieses dann aus der Session zur ersten LP zurückbehalten hat? "Also ich habe die Scheibe gar nicht mit einem Thema im Hinterkopf geschrieben", führt Tori aus, "das passierte ganz von selbst. Die neuen Songs sind durch das Thema verbunden - mich aus der Scham zu lösen, eine Anerkennung meiner selbst zu realisieren und mich erstmals in meinem eigenen Körper wohl zu fühlen. Ich akzeptiere mich selbst. Dabei vergegenwärtige ich mich meiner vergangenen Erfahrungen und akzeptiere diese auch und ermächtige mich so, mich nicht mehr machtlos zu fühlen." Dieser Mix aus Empowerment und Autotherapie ist ja auch eine gute Grundlage, Gemeinsamkeiten mit anderen zu finden. "Bei der Musik geht es ja sowieso um die Gemeinschaft mit anderen", meint Tori, "es geht nicht um einen Wettbewerb. Gerade auch jüngere Frauen wurden in der Vergangenheit aber immer wieder gegeneinander ausgespielt oder positioniert. Das waren zumindest meine Erfahrungen in Australien. Aber in meinen Kreisen wollen wirklich alle, dass es allen anderen auch gut geht. In diesem Sinne teilen wir unser Publikum, arbeiten zusammen und haben ein wirklich schönes Netzwerk von Menschen, die einander motivieren, das Beste aus sich herauszuholen."

Rein musikalisch kommt die neue Scheibe ähnlich daher, wie das Debüt-Album - allerdings haben Tori und die befreundeten Musiker mehr Wert auf fülligere Arrangements gelegt. "Ich wollte mich offener zeigen, denn bei der letzten Scheibe habe ich viel Wert darauf gelegt, alles einfach, klar und geradlinig zu halten. Die Produktion wurde also wichtiger - auch wenn sie noch immer vergleichsweise simpel gehalten ist. Es gab aber mehr Raum, herumzuspielen und zu experimentieren. Es gab verschiedene Ideen und jeder Song ist irgendwie seine eigene kleine Welt." Dabei ist der Spannungsbogen der ganzen Scheibe recht interessant. Die voluminösesten Songs kommen gleich zu Beginn - dann folgen die schwermütigen Balladen und zum Schluss gibt es mit dem Lovesong "You're Still The One" noch mal einen versöhnlichen Abschluss. "Da habe ich aber gar nicht so viel Arbeit reinstecken müssen", erklärt Tori, "das passierte ganz natürlich. Es geht immer um die Stimmung. Natürlich geht es bei mir zunächst immer um die Texte und die Emotionen. Also wollte ich die introvertierteren Stücke später im Album haben - das gibt dem Hörer nämlich die Gelegenheit, die Sachen besser zu verarbeiten. Und dann wollte ich noch darauf achten, dass einige der Songs mit schwierigeren Inhalten voneinander getrennt wären." Was ist denn das beste am Beruf der Musikerin? "Vermutlich die Verbindungen mit Menschen - speziell bei Live-Shows", erläutert Tori, "auf der Tour hatte ich einige schöne Begegnungen mit Menschen, die die Musik wie ich als Teil ihrer Heilung betrachten. Ich würde aber wirklich nicht sagen, dass ich meine Musik als Therapie für andere betrachte. Ich muss mich ja erst mal selbst therapieren. Ich mache halt Musik die ich kenne und mag und das fühlt sich für mich gut an - egal wie andere darauf reagieren oder das genießen, was ich mache. Das will ich auch nicht ändern, weil das mein Antrieb und meine Leidenschaft ist." Was ist denn dabei die Herausforderung? "Die sozialen Medien", erklärt Tori, "die Schwierigkeit für Songwriter wie mich ist dieser Tage ständig am Handy zu hängen und seine Meinung mitzuteilen. Man muss da eine Balance zwischen der eigenen Kreativität auf der einen Seite und dem Fabrizieren von Contents wie Videos für die Fans zu finden. Diese Balance zu finden, ist schwierig. Und dann muss man ja auch dafür Sorge tragen, dass seine Musik überall zu finden ist. Ich habe das Privileg, Vinyl-Scheiben veröffentlichen zu können, weil ich bei einem Label bin, das dieses Format bevorzugt - aber ich muss auch auf Streaming-Plattformen präsent sein. Es gibt ja Leute, die ohne so etwas auskommen - aber ich will, dass meine Musik so zugänglich wie möglich ist, deswegen habe ich meine auf so vielen Plattformen wie möglich."

Hat sich eigentlich der Fokus beim Songwriting für Tori im Laufe der Zeit verändert? "Ein Song muss sich für mich gut anfühlen, wenn ich ihn spiele. Zum Beispiel, wenn der etwas in mir auslöst. Diese Formel hat sich für mich eigentlich nicht geändert. Ich bin ja noch am Anfang meiner Laufbahn als Solo-Künstlerin. Was sich für mich ändert, kann ich dann erst mit den nächsten Alben sagen. Ich mag es, mit einem neuen Song auch eine neue Emotion, eine neue Ebene und einen freieren Ansatz finden zu können. Ich will mich weiter öffnen und auch Spaß dabei haben." Eine Sache, die in letzter Zeit australische MusikerInnen zu vereinen scheint, ist das Augenmerk auf die die Situation der australischen Ureinwohner-Communities zu richten. "Oh, das ist etwas, was ich auch unterstütze", meint Tori, "Australien ist eine kolonisierte Nation. Es wurde den Ureinwohnern so viel genommen. In diesem Sinne ist Australien ein ziemlich düsterer und trauriger Ort. Ich denke, dass weiße Menschen den Ureinwohnern so einiges schulden. Es sollte also mehr First-Nations-Führungspositionen geben und man sollte einiges wieder entfernen, was man diesen Menschen angetan hat. Ich unterstütze die Völker der First Nations zu 100%."

Weitere Infos:
mapleglider.com
www.instagram.com/mapleglider
www.facebook.com/mapleglider
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Bridgette Winten-
Maple Glider
Aktueller Tonträger:
I Get Into Trouble
(Partisan/Pias/Rough Trade)
 

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