08.03.2024 http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=2145 |
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ELLA RONEN |
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Der verbogene Kompass |
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"The Girl With No Skin" ist das dritte englischsprachige Album der heute in der Schweiz lebenden israelischen Songwriterin, Poetin, Aktivistin und Lehrerin Ella Ronen. Mit diesem Album schlägt Ella nun das dritte Kapitel ihrer musikalisch/poetischen Autobiographie auf und dringt dabei auf gewohnt lyrisch/philosophische Art tiefer in ihr Unterbewusstsein und ihre Erinnerungen ein, als sie das zuvor getan hatte. Es ist auch das erste Album, das Ella Ronen in den USA einspielte. Was dabei dann als erstes ins Ohr geht, ist das ungemein transparente, klare Sounddesign, in dem Ellas Gesangsstimme in einem semi-akustischen, analogen Setting viel Raum zur Entfaltung gegeben wird. Nicht von ungefähr erinnert das dann an die Arbeiten eines Kevin Morby, denn der Produzent des Albums ist niemand anderes als der Morby-Vertraute Sam Cohen, mit dem zusammen Ella denn auch das Duett "I Just Want To See You" einspielte.
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Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit? "Lustig, dass du Kevin Morby erwähnst, denn es war einer seiner Songs, der mich besonders berührte", führt Ella aus, "ich suchte nämlich nach Songs, die mich in einer Weise berührten, die ihren klanglichen Rollen entsprächen. Und einer, der in dieser Hinsicht wirkte, war 'No Halo' von Kevin Morby. Ein anderer war 'But You' von Alexandra Savior. Beide sind in dieser üppigen Umgebung mit reichem Klang angesiedelt, die sich anfühlte als sei während der Aufnahmen eine ganze, tiefgründige Welt um diese Songs herum erschaffen worden. Das war zugleich nostalgisch wie auch frisch. Und dann realisierte ich, dass beide von Sam Cohen produziert worden waren und merkte, dass das Universum mir sagte, dass ich diesen Typen besser mal kontaktieren sollte." Wie sind Ella und Sam Cohen dann das Sounddesign der neuen Scheibe angegangen? "Es war eher zufällig, dass wir wegen Covid und den Reisebeschränkungen eine relativ lange Produktionsphase hatten", erklärt Ella, "da ich nicht reisen konnte, arbeitete ich weiter an dem Material und schrieb auch neue Sachen und habe mich mit Sam ausgetauscht. Denn als ich ihn ursprünglich gefragt hatte, ob wir ein Album produzieren könnten, hatte ich nur zwei Songs fertig gehabt. Ich habe ihm dann Sachen geschickt, er hat mir Feedback gegeben und wir haben die Ideen so weiter entwickelt. Das hat unsere Beziehung dann vertieft. Als wir uns dann schließlich treffen konnten, gab es eine Menge Material und wir haben dann beide gespürt, worum es dabei ging. Der Song 'The Girl With No Skin' wurde dann zum Manifest für dieses Album und hat unseren Ansatz definiert. Wir wollten einen irgendwie verletzlichen Sound und eine übergreifende Verwundbarkeit erzielen. Daraus entwickelte sich die Transparenz des Klangbildes."
Dabei erzielen Sam Cohen und Ella Ronen mit vergleichsweise konventionellen Mitteln interessante Effekte - einfach indem Klänge und Strukturen in unerwartete Korrelationen gebracht werden. "Ja, das liegt daran, dass wir uns die Aufgaben geteilt haben und so auch die Musiker in der Band ihren Beitrag leisten konnten. Für mich war es am Wichtigsten, dass wir die innere Welt eines jeden Songs durch die Arrangements vermitteln könnten. Es musste irgendeine Verbindung zu dem Gefühl des Erzählenden oder der dramatischen Situation geben. Sowohl Sam wie auch ich sind sehr spielerisch damit umgegangen. Wir haben überlegt, wie wir mit dem, was uns zur Verfügung stand, etwas machen könnten, was es vorher noch nicht gegeben hatte. Was ich sehr an Sams Arbeit zu schätzen weiß, ist, dass er sehr analog denkt. Er hat meine Stimme zum Beispiel überhaupt nicht behandelt - was sehr ungewöhnlich ist, weil es heutzutage üblich ist mit so Sachen wie Autotunes den Gesang zu korrigieren. Das hat er überhaupt nicht gemacht. Und alle Effekte, die man hört, wurden nur dadurch erreicht, wie er die Mikrofone im Raum platziert hat und diesen Raum dann mitgenutzt hat. Das war ein großes Abenteuer." Ein Song sticht aus dem Material in besonderer Weise klanglich heraus - und das ist der autobiographische Track "The Mall", in dem Ella ihre recht chaotische Teenager-Zeit anhand von Erinnerungen an die Erlebnisse einer Mall Revue passieren lässt; was sich in einem entsprechend chaotischen Sound niederschlägt - inklusive verzerrter Vocals, polternder Rhythmen und knarzigen Gitarrensounds. "Das war einer der Songs, die ich schrieb, nachdem feststand, dass ich nach Amerika reisen und das Album mit einem amerikanischen Produzenten aufnehmen würde", führt Ella aus, "für jemand, der in den 90ern in Israel aufgewachsen ist, ist das natürlich der Traum schlechthin. Amerika war für uns immer dieser Leuchtturm im Dunkel und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als ich darüber nachdachte, wie lustig das ist, dass ich mich heutzutage immer noch so darüber freuen kann, dass ich endlich nach Amerika reisen könnte - auch wenn die Vorstellung von damals längst nicht mehr der Realität entsprechen und vielleicht nie entsprochen haben. Das brachte mich dazu, mich in meine von amerikanischen Symbolismus geprägte Jugendzeit zurückzuversetzen. Ich dachte da an diese sehr reale Mall in meiner damaligen Nachbarschaft, die damals das Epizentrum meiner Jugendjahre war. Ich betrachte diesen Song als Symbol für das Versprechen, welches uns damals gegeben wurde und wie dieses Versprechen gebrochen wurde. Wir haben daran geglaubt, dass der Kapitalismus und die Konsumgesellschaft uns und die ganze Welt wirklich voran bringen würden - und das ist uns um die Ohren geflogen." Und deswegen klingt der Song dann so wüst und zornig? "Ja, da gibt es schon ein Element der Desillusion und der Wut darüber", meint Ella, "und es ging uns auch darum, die 'Teenage Angst' in dem Song zum Ausdruck zu bringen. Ich erinnere mich genau an diese Zeit, in der ich mir Wattebäusche in den BH steckte, um mich als Frau fühlen zu können und solche Sachen, die ich in dem Song besinge. Dieses Gefühl der Angst wollten wir dann mit dem Klang der 90er zum Ausdruck bringen. Die Band Neutral Milk Hotel war dabei unsere Referenz." |
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Viele von Ellas Kollegen räumen ja unumwunden ein, dass sie ihre Kunst als Mittel der Autotherapie zu Selbstfindung und Empowerment-Zwecken einsetzen. Bei Ella scheint es aber so, als habe sie diese therapeutischen Aspekte für sich bereits durchlaufen und präsentiere stattdessen in ihren Songs - auf eine sehr poetische Weise - die Resultate ihrer Analysen. Wie sieht sie denn dieses Thema? "Hm", zögert sie zunächst, "ich denke auf gewisse Weise hast du definitiv recht mit dieser Annahme. Es hat sich natürlich mit der Zeit verändert, aber je älter und reifer ich werde, desto klarer wird mir, dass ich tiefer gehen will und dann teilen möchte, was ich dabei herausgefunden habe, weil ich denke, dass das Persönlichste zugleich das Universellste ist und wenn ich jemand dadurch erreichen kann, dass er nicht alleine mit seinen Empfindungen ist, dann ist das der Grund, warum ich das Ganze überhaupt mache. Auf der anderen Seite fühle ich aber auch, dass eine Menge, das mir immer noch ein Rätsel ist - auch wenn dieser Aspekt immer weniger wird. Manchmal schreibe ich etwas, von dem ich erst Jahre später herausfinde, warum ich das geschrieben habe und was es bedeutet. Beim Erforschen der Seele kommt der Geist halt manchmal nicht mit." Gilt das vielleicht auch ein bisschen für die Musik? Ist die manchmal auch geheimnisvoll wie einige von Ellas Texten? "Ich bin ja klassisch ausgebildet", führt Ella aus, "deswegen würde ich sagen, dass mein Anspruch ist, schon ziemlich rational an die Sache heranzugehen. Weil das aber so ist, versuche ich absichtlich, immer auch Raum für ein bisschen Magie zu lassen; also der Intuition zu folgen und nicht dem, von dem ich weiß, dass es gut klingen wird oder in welcher Sphäre sich was abspielt." Was ist dabei dann die größte Herausforderung als Songwriterin. Vielleicht einen Anfangspunkt zu finden? "Ja, das würde ich schon sagen", bestätigt Ella die Vermutung, "auf diese leere Seite zu starren, macht schon irgendwie Angst und es gibt immer die Befürchtung, dass einem nichts einfällt und man gar keinen Anfang findet. Ich hatte aber das Glück, dass ich in der Pandemie an einem guten Songwriter-Kurs auf Hebräisch teilgenommen hatte und eine der Aufgaben, die wir gestellt bekamen, war unsere eigene Mythologie zu erschaffen. Das war eine interessante Prämisse, die uns dazu ermutigte, in größeren Zusammenhängen zu denken. Ich hätte ja nie daran gedacht in so großen Themen zu denken und als das Wort 'Mythologie' im Raum stand, kam mir sogleich das Bild des Mädchens ohne Haut in den Sinn."
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Wie wird es für Ella Ronen denn nun weiter gehen? Wird sie zum Beispiel Stellung nehmen zu den aktuellen Entwicklungen im nahen Osten? Wird sie politischer agieren - oder persönlicher? "Ich denke, dass mein nächstes Album sich mit der Trennung von meinem Partner beschäftigen wird", vermutet Ella, "es ist natürlich noch eine sehr frühe Phase für mich - aber es fühlt sich so an, dass sich die Sache in diese persönliche Richtung entwickeln könnte. Ich denke aber auch, dass das Persönliche zugleich das Politische ist. Wenn ich über meine Erfahrungen schreibe, dann geht es immer um den Fakt, dass ich eine braune jüdische Frau mit Migrationshintergrund in Europa bin. All diese Einsichten in mein Leben sind nun mal da. Wenn du dir meine Songs anhörst, wirst du feststellen, dass auch meine persönlichen Geschichten stets politisch sind. Im Rückblick sind immer alle Elemente da - meine Vergangenheit und die Vergangenheiten meiner Großmütter, meiner Herkunft und auch das Gefühl, den Entwicklungen, in die sich unsere Gesellschaften bewegen widerstehen zu müssen. Wann hörst du auf, dich dem Flow anzupassen und wann fängst du an, 'nein' zu sagen? Ich denke, das wird auch immer so sein." Dazu passt auch die Textzeile "Ask for forgiveness - and not for permission" in dem Song "Rearview", richtig? "Definitiv", bestätigt Ella, "das ist ein Aufruf zum Widerstand gegen alle Formen der Unterdrückung in unserer Welt - sei es die patriarchalische Unterdrückung, aber auch Rassismus und Klassendenken, Antisemitismus und Islamophobie - all diese Kräfte. Wenn ich hier über meine Großmutter und Urgroßmutter schreibe, dann geht es darum, dass die unmoralischsten Sachen in der Geschichte meistens legal waren. Oft ist der moralische Kompass in unserer Gesellschaft ganz schön verbogen. Dann liegt es in unserer Verantwortung, die Verantwortung dafür zu übernehmen, wo wir in dieser Sache stehen. Ich wende mich in diesem Song am Ende an meine Tochter und in gewisser Weise an mich selber, um zu sagen, dass ich darauf vertraue, dass wir uns richtig entscheiden werden."
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Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Alessandra Leimer- |
Aktueller Tonträger: The Girl With No Skin (BB*Island/Cargo) |
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