20.09.2024 http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=2175 |
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SUSAN O'NEILL |
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Wir sind alle Antennen |
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Die irische Songwriterin Susan O'Neill wurde in unseren Breiten über den Umweg des mit dem irischen Superstar Mick Flannery eingespielte Duett-Albums "In The Game" bekannt. Dabei ging es gar nicht darum, dass Flannery Susan protegieren wollte - denn sie hatte zuvor schon ein Album unter dem aus den Anfangsbuchstaben ihres Namens bestehenden Akronym "SON" herausgebracht - sondern dass er von ihren gesanglichen und songwriterischen Fähigkeiten so angetan war, dass er unbedingt mit ihr zusammenarbeiten wollte. Nun gut - der erfolgreiche Song "Baby Talk", den Susan und Mick zunächst eingespielt hatten, wird sicherlich auch eine Motivation dargestellt haben, die Zusammenarbeit fortzuschreiben. Was aber entscheidend ist, ist, dass Susan nun vorliegendes Album "Now In A Minute" also keineswegs ein Debüt darstellt, sondern das Ergebnis eines solide geplanten neuen Kapitels in Susans Laufbahn, das sie bereits 2021 mit der EP "Now You See It" einläutete, auf der sie auch für sie neue Dinge ausprobierte, um nun mit einer ganz eigenen musikalischen Sprache reüssieren zu können.
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Was Susans Musik heutzutage auszeichnet, ist vor allen Dingen eine transzendente, spirituelle Note und eine entsprechende musikalische Eigenständigkeit, die insbesondere irische Songwriterin immer wieder auszuzeichnen scheint (jedenfalls solche, sie sich nicht dem klassischen Irish Folk verschrieben haben). Hat Susan O'Neill eigentlich eine eigene Theorie, was diese typisch irische Note ausmachen könnte? "Nun, ich bin in einem County namens Clare aufgewachsen, das sehr bekannt ist für die traditionelle irische Musik", führt Susan aus, "innerhalb der traditionellen Musik gibt es dann eine Reihe ungewöhnlicher Verzierungen in der Art, wie bestimmte Noten gespielt werden. Die Sache ist die, dass eine bestimmte Melodie in einem County komplett anders gespielt wird, als sagen wir mal 30 Minuten entfernt in einem anderen County. Im flachen Land wird zum Beispiel geradlininger gespielt und länger betont. Im hügeligen Gelände wird tatsächlich mehr verziert und es gibt mehr Wendungen. Das hängt mit der Landschaft und den Leuten zusammen. Ich komme aus einem County, wo es viel traditionelle Musik gibt. Ich selbst habe sie nie gespielt, aber ich bin stets davon beeinflusst gewesen - schon als ich mit 12 oder 13 in der Ennis Brass Band aufgetreten bin." Was bedeutet die Musik denn heute für Susan O'Neill? "Essentiell ist das etwas, das nicht wirklich zu erklären ist", meint Susan, "einfach weil Musik alles ist. Es ist die Vibration dessen, was uns ausmacht. Das ist mir sehr bewusst - es umfasst aber noch sehr viel mehr." Für wen macht Susan demzufolge ihre Musik? "Nun, sagen wir mal so: Wenn ich Auto fahre, dann beginnen meine Finger sogleich auf dem Lenkrad zu trommeln", berichtet Susan, "wenn das Radio aus ist, dann spiele ich etwa in Gedanken einen Song auf dem Lenkrad nach - oder ich denke mir einen aus oder ich erinnere mich an einen. Ich muss mich einfach zur Musik bewegen - das ist integraler Bestandteil meines Lebens."
Wie schreibt Susan O'Neill ihre Songs - insbesondere die lyrischen Texte betreffend? "Na, das ist von Song zu Song unterschiedlich", beschreibt sie, "manchmal kommt das aus dem direkten Leben heraus, wobei ich manchmal von mir selbst, manchmal aber auch über andere schreibe. 'Drive' habe ich für mich selbst geschrieben, 'Holes In The Sky' handelt aber von drei Freunden, die eine Zeit im Winter gemeinsam verbringen und dann feststellen, dass die Löcher im Himmel zugleich die Löcher in uns selbst und jene im System sein könnten - wie die Ozonschicht. Der Song 'Hail' basiert auf einer Geschichte, die ich gehört habe - dass nämlich in heidnischen Zeiten alle irischen Haushalte Bienen gehalten haben. Die Bienen waren dann auf gewisse Weise Gottheiten, mit denen man auch sprach und die man verehrte, weil sie uns das Leben ermöglichen. Wenn ich also singe: 'I told my secret to the bees - but they were laughing at me', dann ist das also eine Art Beichte an die Bienen, mit der ich mich für das entschuldigen möchte, was ich getan habe." |
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Die Live-Shows von Susan O'Neill haben ja auch immer eine gewisse spirituelle Note. Ist dieser Aspekt also einer, den sie gleich beim Schreiben ihrer Songs in Betracht zieht? "Ich denke, dass das heute so ist - aber als ich begann Musik zu machen, war das sicherlich nicht so. Ich hatte da auch gar keine Wahl: Musik zu machen war einfach das, was ich tun musste. Mit der Zeit habe ich aber erkannt, dass beim Singen etwas wirklich Einzigartiges passiert, wenn alles miteinander verbunden ist. Ich glaube also heute, dass Musik von sich aus schon spirituell ist. Es ist aber eine Spiritualität, die nicht von mir oder über mich, sondern durch mich zustande kommt. Ich denke sowieso, dass wir in dieser Hinsicht alle Antennen sind. Ich hoffe, dass das dem ganzen Prozess dann auch hilft." Wenn sich Susan O'Neill auf dieser spirituellen Ebene dann durch ihre Musik bewegt: Welche Kontrolle hat sie denn dann noch darüber? Es gibt doch Formate und Regeln in der Musik. "Das ist interessant", meint sie, "wenn man über die Regeln nachdenkt, die man als Musiker befolgen sollte - und ich habe gewiss einige davon als Formel implementiert -, dann stellt man doch fest, dass echte Musik, die aus dem Herzen kommt, sowieso jedes Format sprengen kann. Und das beutet dann, dass alle wirklich großen Künstler seit jeher sowieso immer die Regeln gebrochen haben. Jemand hat mir neulich zum Beispiel erklärt, dass 'Strawberry Fields' aus zwei verschiedenen Songs in unterschiedlichen Tonlagen zusammengesetzt worden ist. Wenn da also jemand gesagt hätte, dass so etwas nicht geht, dann wäre er doch durch das Ergebnis eines besseren belehrt worden. Es geht immer um einen einzigartigen Gedanken. Das bedeutet, dass man vielleicht etwas augenscheinlich sehr Falsches als Ergebnis bekommt - das man aber niemals als falsch ansehen sollte. Es ist nur nur falsch im kommerziellen Sinne. Aber im Wesentlichen ist alles richtig - auch die verrücktesten modularen schönsten Ideen, die man dann wertschätzen muss."
Wie kommen dann die Songs - als Musik und Texte - für Susan zusammen? "Das kommt immer auf die Songs an", führt Susan aus, "nehmen wir zum Beispiel den letzten Song, "'Give You My All'. Den habe ich über das Gefühl schreiben wollen, wie es ist, wenn man für jemand anderen bedingungslos alles tun würde, ohne dass man sich das aussuchen könnte - beispielsweise für ein Kind oder Enkelkind. Dieses Gefühl einer Liebe, die man zuvor nicht kannte, die dir aber die Stärke und Kraft gibt. Was die Musik betrifft, habe ich dann vielleicht eine Idee oder Melodie im Kopf, die mich meinen Handy festhalte und notiere mir dann einige Worte oder das, was ich aussagen möchte. Oft arbeite ich auch mit anderen Songwritern zusammen - wie zum Beispiel Mick Flannery. Er ist einer der größten Songwriter und Geschichtenerzähler, die wir haben. Ich habe ihm dann meine Texte gezeigt und er hat Vorschläge gemacht, z.B. bestimmte Formulierungen wegzulassen oder zu verändern. Die Musiker, mit denen ich in meiner Bands spiele, helfen mir manchmal auch, Sachen zu verbiegen oder zu verbessern. Es kommt immer auf den Song und den Tag an. Manche Songs müssen auch unbedingt von einer Person kommen." Was ist dann die größte Herausforderung bei diesem Prozess? "Nun als Songwriterin ist die größte Herausforderung zu lernen, das was man sagen will, wirklich gut auszudrücken und auf den Punkt zu bringen. Das kann dann clever sein, darf aber nicht den Eindruck erwecken, clever sein zu wollen. Es muss auch ehrlich sein. Dabei habe ich manchmal das Problem, dass die Wahrheit zuweilen zu einfach klingt und ich mir dann denke, dass es doch eine coolere Weise geben müsse, sie auszudrücken. Aber tatsächlich gibt es nichts kraftvolleres, als das, was du sagen willst, einfach auszusprechen. Wenn man sich zu sehr bemüht, dann wird das schnell offensichtlich. Manchmal muss man auch ganz gewusst Sachen einfach aussprechen. Und dann muss es dich natürlich auch bewegen. Das ist das Wichtigste. Ich verehre alle Künstler, die sich einer Kunstform hingeben und man erkennen kann, wie sie dadurch wachsen. Es gibt da diesen großartigen Animationsfilm namens 'Soul', der sehr schön darstellt, dass, wenn man sich in seinem Element verliert, man dann zur nächsten Ebene aufsteigt. Wenn du jemanden dabei beobachtest, der das tut und gut darin ist, dann ist das das Beste." |
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Was hat es denn - dies alles eingedenk - mit dem Song "Sign Of The Times" auf sich - in dem sich Susan nicht über Spiritualität und Emotionen Gedanken macht, sondern über die Unbilden unserer wirren Tage. Das ist dann ja eher ein sozialer Kommentar zur aktuellen Lage, oder? "Ja, das stimmt schon", meint Susan, "zum einen wollte ich eine Art Rocksong machen und zum anderen wollte ich das Thema Gentrifizierung ansprechen. Ich kann es mir zum Beispiel gar nicht leisten, an bestimmten Orten zu leben - und viele andere können das ja auch nicht. Man akzeptiert solche Dinge - die aber besser eigentlich gar nicht akzeptiert werden sollten. Wir alle brauchen gute saubere Luft, wir brauchen einen reichhaltigen Boden, wir brauchen frisches Wasser - und ich finde es verrückt, dass sobald man online geht, mit allen möglichen Arten von Problemen in Hinsicht auf diese Bedürfnisse konfrontiert wird. Man tut das damit ab, dass man sich sagt, dass das halt so ist - aber ich denke, wir sollten das nicht akzeptieren. Ich denke, dass die Menschheit besser als das ist. Wir können für unsere Rechte kämpfen, uns mit den großen Denkern zusammentun und das in Jahrtausenden angesammelte Wissen und die Aufzeichnungen einsetzen um uns zu verbessern. Und natürlich die Musik dazu verwenden. Wir müssen nur mal unsere Socken ausziehen, weißt du." Nun - diesem Resümee kann man ja nicht guten Gewissens noch etwas hinzufügen - außer vielleicht, dass Susan im Herbst auf ihre erste Headliner-Tour auch in unseren Breiten gehen wird.
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Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer- |
Aktueller Tonträger: Now In A Minute (Star House Collective) |
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