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15.11.2024
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FAZERDAZE

Zurück im kreativen Fluss

Fazerdaze
Geglückter Neustart: In ihrer neuseeländischen Heimat gehört Amelia Murray mit ihrem Projekt Fazerdaze seit inzwischen mehr als zehn Jahren zu den Lichtgestalten der wahrlich an großen Namen nicht armen Musikszene des einzigartigen Inselstaates, und auch der Rest der Welt hatte spätestens mit der Veröffentlichung des fabelhaften Debütalbums "Morningside" vor sieben langen Jahren davon Wind bekommen, mit welcher Leichtigkeit sich die heute 31-jährige Singer/Songwriterin und Produzentin einen tollen Indie-Pop-Song nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt und dabei keine Mühe hat, die perfekte Balance zwischen Euphorie und sanfter Melancholie zu finden. Die Tourneen rund um den Globus und die große Öffentlichkeit, die ihr damals zuteilwurde, entpuppten sich aber schon bald als eine nicht mehr zu stemmende Belastung für die junge Künstlerin. Eine Weile sah es so aus, als könnte die Geschichte kein Happy End haben, doch zum Glück hat Amelia am Ende die Kurve gekriegt. Mit den Songs ihrer just veröffentlichten neuen LP "Soft Power" kann sie nun ihre Sorgen im Rückspiegel betrachten, wenn sie eine neue Achtsamkeit ihren eigenen Bedürfnissen gegenüber thematisiert.

Es gibt Konzertabende, die bleiben in Erinnerung. Das Konzert von Fazerdaze im rappelvollen Blue Shell in Köln im vergangenen November war solch ein Abend. Sechs Jahre hatte Amelia Murray nicht mehr auf einer deutschen Bühne gestanden, aber das Publikum in der Domstadt hatte sie nicht vergessen. Hier standen fraglos Menschen vor der Bühne, denen vor all den Jahren die Songs von "Morningside" viel bedeutet hatten und die nun ganz begeistert waren, dass Amelia sich tatsächlich zurückgemeldet hat. Als hätte es die für sie persönlich wie künstlerisch so herausfordernde Phase, die in den letzten Jahren weitere Tourneen und ein neues Album verhindert hatten, nie gegeben, konnte sich Amelia an diesem Abend auf einer Welle der Sympathie und Liebe spürbar bewegt durch den Abend tragen lassen und hatte selbst solo keine Mühe, mit ihren bisweilen geradezu intimen Geständnissen zwischen den Songs und natürlich mit alten und neuen Liedern zu fesseln. "Ich schätze mich wirklich glücklich, diese Fazerdaze-Community zu haben", sagt Amelia knapp ein Jahr danach im Gaesteliste.de-Interview. "Das Projekt scheint etwas zu haben, das den Menschen zu Herzen geht! Das trifft natürlich nicht auf alle zu, aber bei denjenigen, die sich davon angezogen fühlen, habe ich das Gefühl, dass es sie tief bewegt. Das ist absolut wunderbar und bedeutet mir alles! Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, aber 'Morningside' oder das Projekt scheinen eine ganz besondere Energie oder Magie zu besitzen. Ich hatte lange unglaubliche Angst, dass sie sich verflüchtigt, denn als 'Morningside' erschien, hatte ich das Gefühl, dass ich all diese Aufmerksamkeit gar nicht verdient hatte. Letztes Jahr bei dem Konzert in Köln und den anderen Solo-Shows, die ich in Europa und Großbritannien absolviert habe, wieder in diese Fazerdaze-Liebe einzutauchen, war nicht nur sehr bewegend, sondern wirklich atemberaubend. Das ist etwas ganz Besonderes! Zuvor hatte ich mir viel Druck aufgeladen, weil ich gedacht habe, dass ich großen Erfolg als Selbstbestätigung brauche, aber eine wunderbare kleine Show in Köln vor einem solch respektvollen Publikum zu spielen - ich kann mir kein erfüllenderes Gefühl in diesem Leben vorstellen."

In den Medien wird es bisweilen so dargestellt, als habe Amelia jahrelang nichts mit Musik zu tun gehabt, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sicher, die lange Veröffentlichungs- und Konzertpause nach "Morningside" endete erst mit der treffend betitelten EP "Break!" vor zwei Jahren, aber wirklich losgelassen hat Amelia die Musik nie. "Das stimmt. Ich habe aufgehört, in der Öffentlichkeit Musik zu machen, aber daheim habe ich weiter an neuen Liedern gefeilt und versucht, die besten Songs zu schreiben, die ich konnte", sagt sie. "Ich habe mich dabei aber selbst wahnsinnig unter Druck gesetzt, was viele Konflikte in mir und in meinem kreativen Prozess ausgelöst hat. Der Abstand von den Tourneen hat mir zwar die Möglichkeit gegeben, mich einem ruhigeren, häuslicheren Lebensstil zu widmen, weil ich für fünf, sechs Jahre an einem Ort gelebt habe. Dennoch habe ich diese Zeit vor allem als unglaublich frustrierend empfunden, denn alles, was ich wollte, war Songs veröffentlichen und auf der Bühne stehen. Ich war aber so blockiert und mental in einem solch schlechten Zustand, dass das einfach nicht möglich war."

Es dauerte lange, bis Amelia den Grund für ihre tiefe Unzufriedenheit und ihre daraus resultierenden Probleme identifiziert hatte. Der Weg zurück wurde frei, als sie begann, in ihrem Privatleben aufzuräumen. "Es gab einen echten Wendepunkt, und der war wirklich befreiend", erinnert sie sich. "Ich beendete eine Beziehung, in der ich nicht bemerkt hatte, wie unglücklich sie mich gemacht hat. Ich kehrte dieser Beziehung den Rücken und fand die Art von Frieden in mir selbst wieder, die ich seit Jahren nicht gespürt hatte. Ich war auch nicht mehr so pingelig, was meine Musik anging. Alles kam wieder in Schwung und ich konnte endlich die 'Break!'-EP fertigstellen. Die Schleusen öffneten sich, und ich hatte das Gefühl, dass alles in meinem Leben wieder im Fluss war. Ich war wieder glücklich, konnte Dinge zu Ende bringen und war nicht mehr so blockiert wie in den Jahren zuvor. Das war ein echter Wendepunkt, und ehrlich gesagt war ich komplett aus dem Häuschen, meinen kreativen Fluss wiederzuhaben!"

Aber mal Hand aufs Herz, war Amelia überrascht, dass sie den Weg zurück gefunden hat? "Gute Frage! Ich glaube, überrascht trifft es nicht ganz, ich würde sagen, ich bin erleichtert!", erwidert sie. "Ich habe die ganze Zeit versucht zurückzukommen, aber ich steckte lange im Morast, im Sumpf fest. Ich bin tatsächlich vor allem erleichtert, dass ich nach all der Zeit jetzt wieder Musik veröffentlichen kann. Ich kann inzwischen besser akzeptieren, dass dies meine Berufung ist. Ich muss nicht dagegen ankämpfen, ich muss es aber auch nicht rechtfertigen, es ist einfach das, was ich tue. Ich gewöhne mich langsam an mein Leben als Künstlerin, und auch wenn es nicht immer leicht ist, habe ich meinen Frieden damit gemacht."

Diese Einsicht brachte Amelia aber nicht nur als Mensch zum Umdenken, auch auf ihr künstlerisches Tun als Fazerdaze hat sie sich hörbar niedergeschlagen. Hatte sie bei ihrem ersten Album noch eine Band im Rücken, arbeitete sie an ihren neuen Songs wie schon zu Beginn ihrer Karriere wieder ganz allein. Doch das war noch nicht alles. "Ich denke, dass ich mich ziemlich unter Druck gesetzt habe, mich musikalisch zu verändern", gesteht sie. "'Morningside' war eine Platte, die man als Bedroom-Album bezeichnen könnte. In gewisser Weise gilt das auch für ´Soft Power´, aber mir war es wichtig, dass die neuen Songs größer klingen und mehr Raum einnehmen. Das kommt nicht zuletzt daher, dass ich mit den Liedern von 'Morningside' bei einigen Festivals auf größeren Bühnen aufgetreten bin und mir dabei bewusst geworden ist, dass diese kleinen Schlafzimmer-Lieder dafür nicht geeignet sind. Ich habe mich der Herausforderung gestellt, mich klanglich zu verändern, und auch, wenn ich mich zwischenzeitlich etwas zu sehr angestrengt habe, denke ich doch, dass ich am Ende meine Vision umgesetzt habe und zu einem expansiveren, filmischeren und ganz einfach breitwandigeren Sound gelangt bin. Ich denke, dass 'Soft Power' großen Räumen viel besser gerecht wird, als das bei 'Morningside' oder auch 'Break!' der Fall war.

Um diese Vision von einem gradlinigen Sound zwischen Dream-Pop und Shoegaze umzusetzen, bedient sich Amelia nun immer öfter eines satten Synthesizer-Soundteppichs, mit dem sie in Songs wie 'Cherry Pie' mit einschmeichelnden Beats und atmosphärischen Keyboardsounds den nebeligen Schleier gegen eine neue Klarheit eintauscht. " Du meine Güte, das ist eine wirklich gute Beobachtung! Ich muss gestehen, dass ich mir darüber gar nicht groß Gedanken gemacht habe", sagt sie über ihre Hinwendung zu eher synthetischen Klängen. "Ich denke, das resultiert daraus, dass ich nach klanglicher Veränderung gestrebt habe. Die Gitarre ist für mich immer eine sichere, bequeme Option gewesen, bis mich der Wunsch, neue Wege zu gehen und mich zu verbessern, dazu gebracht hat, mehr Synth-Sounds auf der neuen Platte einzusetzen."

Als Inspiration diente ihr dabei nicht zuletzt Tame Impalas "Lonerism", eine Platte, die sie zu ihren Universitätszeiten lieben gelernt und die sie seitdem nicht mehr losgelassen hatte. Mit einem Augenzwinkern, aber deshalb nicht weniger passend bereits als "Schlafzimmer-Stadion-Platte" bezeichnet, rückt sie mit ihren neuen, Liedern ein gutes Stück vom wunderbar rauen DIY-Gitarren-Sound ihres Erstlings ab, mit dessen zutiefst persönlichen und weithin nachempfindbaren Liedern sie 2017 die Indierock-Welt im Sturm erobert hatte.

Dass sich Amelia mit Fazerdaze nun einem Sound zuwendet, der sich deutlich leichter als zuvor als Pop definieren lässt, kommt insofern überraschend, da sie offensichtliche Eingängigkeit lange gescheut hatte. Natürlich hatte auch schon 'Morningside' echte Ohrwürmer, die Klangfarbe allerdings war dort zumeist deutlich rauer. "Ich denke, der Erfolg von 'Lucky Girl' [aus dem ersten Album] hat mich ein bisschen aus der Bahn geworfen", gesteht sie. "Das hat mir gezeigt, welch weite Kreise Popmusik ziehen kann, aber bei 'Soft Power' habe ich mich dann selbst unter Druck gesetzt, weil ich versuchen wollte, einen besseren Popsong als 'Lucky Girl' zu schreiben. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich es mag, dass heute nicht mehr auf Popmusik heruntergeschaut wird, denn es gehört unglaublich viel handwerkliches Können dazu, eine richtig gute Pop-Nummer zu schreiben. Ich liebe Songs, die mich vom ersten bis zum letzten Ton gefangen nehmen, und ich denke, das macht mich zu einem großen Fan von Pop und Pop-Strukturen."

Doch auch wenn ihr die Musik leicht von der Hand geht, bei den Texten sieht es schon etwas anders aus. "Das Texten ist das, was mir besonders schwerfällt", gibt Amelia lachend zu. "Ich denke, meine besten Texte sind die, die einfach aus mir herausströmen. Ich denke, ich suche stets nach Lyrics, die mir zu Herzen gehen, auch wenn ich das vielleicht nicht immer erreiche. Ich bin immer besonders dankbar, wenn mir ein Text einfach aus dem Mund fällt und Sinn ergibt oder sich tiefgründig anfühlt. Ich mag es, wenn sich Lyrics nicht zu kopflastig anhören." Inspiration fand sie nicht nur in ihren eigenen Erfahrungen der letzten Jahre und deren spirituellen Implikationen, sondern auch in der Literatur und Kunst. "Jane Eyre" von Charlotte Brontë und "The Awakening" von Kate Chopin gaben ihr genauso Anstöße wie die Werke von Malerin Hilma Af Klint.

Ihr Glück findet Amelia dieser Tage unter freiem Himmel - und in der Zusammenarbeit mit anderen. "Als Mensch macht mich vor allem glücklich, auf dem Fahrrad zu sitzen, auf dem Skateboard zu stehen und ganz allgemein draußen unterwegs zu sein", sagt sie. "Als Musikerin habe ich die meiste Freude daran, mit anderen kreativen Köpfen zu kollaborieren, nicht zuletzt, weil viele Menschen in meinem engsten Umfeld Kreative sind. Frances Carter zum Beispiel, mit der ich das Video zu [dem als Single veröffentlichten] 'Cherry Pie' gedreht habe. Dieses gemeinsame Projekt mit ihr zu haben und die Gelegenheit zu bekommen, einfach mit ihr abzuhängen - das hat mich wirklich glücklich gemacht! Das ist ein bisschen schräg, weil das Projekt Fazerdaze oft so unglaublich isoliert ist, aber wenn ich mich mal herauswage, dann ist es der Umgang mit anderen Menschen, der mir die größte Freude bereitet!"

Weitere Infos:
www.fazerdaze.com
www.facebook.com/fazerdazemusic
www.instagram.com/fazerdaze
www.facebook.com/fazerdazemusic
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Frances Carter-
Fazerdaze
Aktueller Tonträger:
Soft Power
(Partisan/Pias/Rough Trade)
 

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