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10.12.2024
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SIMON JOYNER

Nur Liebe und Trauer

Simon Joyner
Es gibt wenige Singer/Songwriter, die so bewegend und eindringlich das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen in Songform zum Leben erwecken können wie Simon Joyner. Mit den oft wunderbar reduzierten Liedern seiner Platten erinnert der 53-jährige Tausendsassa aus Omaha, Nebraska, bisweilen an Leonard Cohen zu Glanzzeiten, auf der Bühne dagegen ist Joyner mit seiner leicht lakonischen Art und dem spröden Charme seiner Stimme Townes Van Zandt ganz nah, ohne deshalb nur wie ein Abziehbild der alten Helden zu klingen. Joyners just veröffentlichtes neues Album ist trotzdem eine Platte wie keine zweite in seinem mehr als 30-jährigem Schaffen. Mit den leisen und unglaublich intimen Songs von "Coyote Butterfly" wagt er den Versuch, das Unfassbare zu begreifen: den Tod seines Sohnes Owen, der im Sommer 2022 an einer Überdosis starb. Im Gaesteliste.de-Interview spricht Joyner über die heilende Wirkung der Musik, seinen Wunsch, die Tragödie aus allen erdenklichen Blickwinkeln zu betrachten, und seine Hoffnung, dass diese Lieder nicht nur ihm bei der Verarbeitung seines Verlustes helfen können.

GL.de: Simon, wie hat sich deine Beziehung zur Musik nach Owens tragischem Tod verändert?

Simon Joyner: Musik war für mich schon immer die wichtigste Kunstform, schon bevor ich mich ihr selbst gewidmet habe. Sie ist die zugänglichste und unmittelbarste Möglichkeit, das eigene Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen, was auch immer man gerade durchmacht, egal zu welchem Zeitpunkt im Leben. Film mag die großartigste Kunstform sein, aber es ist ein Wunder, dass Filme überhaupt zustande kommen. Selbst die kleinsten Budgets für die spärlichsten Spielfilme kosten mehr als die Herstellung all der Platten, die ich in den letzten 30 Jahren gemacht habe. Die Musik nimmt also einen besonderen Platz ein. Sie ist das Medium des Volkes. Es gibt jede Menge Lieder für jedes Gefühl, Orte, an denen man Zuflucht sucht und Trost findet. Das Einzige, was sich für mich geändert hat, ist, dass es nach Owens Tod eine Zeit gab, in der ich nichts mehr schreiben konnte und kein Interesse mehr daran hatte, Musik zu machen.

GL.de: Auch wenn es nichts gibt, was einen Menschen auf den Verlust des eigenen Kindes vorbereiten kann: Glaubst du, dass es dir bei der Verarbeitung des Geschehenen geholfen hat, dass du ein künstlerisches Ventil hattest - und noch dazu auch zuvor viel Erfahrung, die düsteren Momente des Lebens durch die Augen des Songwriters zu sehen?

Simon Joyner: Ja, natürlich. Für mich war es absolut notwendig, den Verlust aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten und jede Emotion, jede Motivation zu analysieren und darüber zu schreiben. Ich habe das Gefühl, dass ich in Liedern viel ehrlicher sein kann, als wenn ich zum Beispiel mit einem Therapeuten oder sogar mit einem Freund über mein Leben spreche. Das ist mein wahres Ich in den Liedern. Das Schreiben von Songs war schon immer ein erster Schritt zur Besinnung und Reflexion, auch wenn ich über (fiktive) Figuren schreibe. Wenn man versteht, wie andere Menschen funktionieren, kann man sich auch damit auseinandersetzen, wie man selbst funktioniert. Ich versuche, nicht zu urteilen, denn es gibt nichts, was so beschämend wäre, dass ich es nicht auch schon erlebt hätte.

GL.de: Ohne zu persönlich werden zu wollen: Wie hat Owens Tod dich als Mensch und deine Sicht von Verlust verändert? Nick Cave hat über den Verlust seiner beiden Söhne gesagt: "This is not a tragic element to our lives but rather a deepening that brings incredible meaning." Die Songs auf "Coyote Butterfly" klingen so, als wüsstest du, wovon er da spricht?

Simon Joyner: Ich habe im Laufe meines Lebens Verluste erlebt und schon früher über den Verlust von engen Freunden und Familienmitgliedern und die damit verbundenen komplizierten Gefühle geschrieben. Aber es gab nichts, was mich auf den Verlust meines Sohnes vorbereitet hätte. In dieser Hinsicht war es ganz und gar einzigartig. Ich erkannte, dass die Erfahrung die Macht hatte, mich entweder zu vernichten oder zu einem größeren Verständnis zu führen - das ist die Vertiefung, die Nick Cave beschreibt, nehme ich an. Nach Owens Tod gab es Zeiten, in denen ich dachte, dass ich es nicht mehr in mir hätte, wirklich zu leben. Nicht, dass ich suizidgefährdet gewesen wäre, es war eher die Erkenntnis, dass ich das Leben nicht mehr würde genießen können. Es war, als hätte er mich mit sich genommen, als er starb. Davon handelt der erste Song, "I'm Taking You With Me": von der Entscheidung, entweder durch den Verlust zerstört zu werden, den Verlust zu vergrößern, indem man sein Leben aufgibt, oder sich dem Leben mit neuem Verständnis zuzuwenden.

GL.de: Vielleicht ist das eine naive Frage, aber wie hat sich der Prozess des Schreibens dieser zutiefst persönlichen Songs vom Schreiben der Lieder mit fktiven Figuren, die man beliebig ausschmücken kann, unterschieden?

Simon Joyner: Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied in der Herangehensweise gibt, außer dass ich mich Owen und meiner Familie gegenüber verpflichtet fühlte, vollkommen ehrlich zu sein. Wenn ich die Geschichte ändern könnte, würde ich das natürlich tun, aber diesen Luxus habe ich bei diesem Album nicht. Wie die Trauer die Menschen verändert, ob sie ihnen zum Verhängnis wird oder nicht, das hängt von den Trauernden ab. Das Ende dieser Geschichte ist also, dass sie nie zu Ende geht, aber ich habe mich entschieden, zu leben, (die Erinnerung) zu zelebrieren und Hoffnung zu haben. Es hätte auch anders kommen können.

GL.de: Das Geschehene mit Hilfe der Musik zu verarbeiten ist eine Sache, aus diesen Liedern eine Platte zu machen eine andere. Nicht zuletzt, weil du ein betont privater Mensch bist: Wann wusstest du, dass du diese Lieder und Gedanken mit der Öffentlichkeit teilen wolltest?

Simon Joyner: Ich weiß es nicht. Ich schätze, es ist einfach das, was ich tue, und es wäre feige gewesen, die Lieder nicht zu teilen. Wenn jemand, der einen Verlust erlebt, das Gefühl hat, dass das, was er durchmacht, in diesen Liedern angedeutet wird, ist das ein Grund, sie zu veröffentlichen. Ich wollte auch, dass Leute, die Owen nicht kennen, eine Vorstellung von ihm bekommen, wenn auch nur als verschwommene Skizze durch die Brille eines trauernden Vaters.

GL.de: Als langjährige Anhänger deiner Arbeit sind wir natürlich nicht überrascht, wie intim, wehmütig, nachdenklich und herzzerreißend schön diese Songs sind, aber wann hast du angefangen, diese Songs zu schreiben? Lieder wie "Biloxi" und "My Lament" scheinen direkt "aus dem Moment heraus" entstanden zu sein, während bei anderen, wie dem bereits erwähnten "I'm Taking You With Me", die traurige Wahrheit mehr in den Hintergrund rückt und Akzeptanz an die Stelle von Kummer und Trauer tritt?

Simon Joyner: Die Songs wurden alle innerhalb eines Monats geschrieben, etwa 14 Monate nach Owens Tod. Sie kamen nacheinander, jeder von ihnen rang mit einem anderen Aspekt. Wenn du den Film "Rashomon" gesehen hast: Die Songs versuchen auf ähnliche Weise, der Wahrheit näherzukommen, indem sie die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Es gibt ein implizites Verständnis dafür, dass man die Wahrheit nie kennen wird, aber dass man sich durch die Betrachtung aller Möglichkeiten von allen Seiten einer Wahrheit nähern kann, die für die Sache stehen kann, die man nie ganz verstehen wird.

GL.de: Es ist sehr bewegend, dass das Album genauso viel von Owen handelt wie von deiner Reaktion auf seinen Tod. Ist die Idee, dass das Album eher eine Hommage an ihn ist als eine Momentaufnahme deiner Trauer, etwas, das du von Anfang an im Blick hattest?

Simon Joyner: Das ist einfach passiert, weil es keine Absicht oder einen Plan gab, nur Liebe und Trauer. Owen rückt in den Fokus, weil man hoffentlich ein Bild davon bekommt, wie sehr er geliebt wurde. Das ist der Schlüssel, um den Rest zu verstehen. Für mich als Songwriter gab es keine Alternative. Über diesen speziellen Schmerz zu schreiben, bedeutete, Liebeslieder für Owen zu schreiben, die er nie hören kann. Ich bin froh, dass man erleben kann, dass sie ebenso voller Liebe wie untröstlich sind.

GL.de: Die stimmungsvollen Fotos deiner Ehefrau Sara auf der Innenseite des LP- und CD-Klappcovers unterstreichen wunderbar die trauervolle Stimmung des Albums. Sind die Fotos speziell dafür entstanden?

Simon Joyner: Die Fotos wurden alle an einem Deich auf der anderen Seite des Flusses aufgenommen, wo wir wohnen. Nachdem Owen gestorben war, gingen Sara und ich oft zusammen dorthin, es war einfacher, in der Natur zu sein. Sara ging weiterhin morgens dorthin, als ich endlich wieder zu schreiben begann. Eine Möglichkeit, ihre Trauer zu verarbeiten, bestand darin, Fotos zu machen, um die einfachen Dinge zu würdigen, die sie mit dem Leben verbanden. Als es an der Zeit war, das Album zu gestalten, beschlossen wir, dass ihre Fotos ähnliche Geschichten über Liebe und Verlust erzählen wie die Lieder und dass eine Reihe von Fotos, die zu allen Jahreszeiten aufgenommen wurden, die Komplexität der Trauer und die Schönheit des Lebens weiter veranschaulichen würden. Die Instrumentalstücke, die das Album abrunden, waren eine weitere Möglichkeit, die Botschaften des Albums zu verstärken. Die Feldaufnahme, mit der das Album beginnt, wurde an Owens Geburtstag, dem 13. März, am Deich aufgenommen, sodass man hinter dem Gitarreninstrumental Frühlingsvögel und andere Klänge hört. Die Klänge des neuen Lebens. Das letzte Stück ist ein Gitarreninstrumental über einer Feldaufnahme aus meinem Garten, die das abendliche Zirpen der Zikaden Ende August zeigt, etwa zur gleichen Zeit, als Owen starb und der Sommer zu Ende ging. Wir haben Frühling, wir haben den nahenden Herbst, wir haben ein Leben und einen Tod, wir haben meinen Owen, der geboren wurde, und meinen Owen, der gestorben ist. Ich wollte, dass das Album für das Leben steht, nicht nur für Tod und Trauer.

GL.de: Was sollen die Hörerinnen und Hörer von diesem Album mitnehmen?

Simon Joyner: Ich hoffe, dass man durch diese Songs einen Blick auf Owen erhaschen kann", sagt Joyner. "Ich möchte auch, dass sich die Leute daran erinnern, dass die Trauer andauert, dass sie kein Stadium oder eine Krankheit ist, sondern etwas, mit dem man für immer ringen wird – und dass Musik nicht wirklich etwas heilt, im Gegenteil. Ihre unglaubliche Kraft besteht darin, ein helles Licht auf das zu werfen, was wir sehen müssen und das wir so akzeptieren müssen, wie es wirklich ist. In diesem Fall wirft die Musik ein Licht auf eine offene Wunde. Ob das zur Heilung führt, liegt an uns. Mir hat es geholfen, und ich hoffe, dass die Menschen sich auf einer gewissen Ebene damit identifizieren können und dadurch in der Lage sind, ihren eigenen Schmerz besser zu verstehen.

Im Januar 2025 ist Simon Joyner auf Tournee in Deutschland.

Weitere Infos:
www.instagram.com/simonjoynermusic
bbislandmusic.com/simon-joyner/
simonjoyner.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Simon Joyner
Aktueller Tonträger:
Coyote Bufferfly
(BB*Island/Cargo)
 

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