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24.01.2025
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ANNA B. SAVAGE

Erdverbunden

Anna B. Savage
Mit ihrem dritten Album "You & I Are Earth" schlägt die Londoner Songwriterin Anna B. Savage in mehrerlei Hinsicht neue Kapitel auf. Zum einen residiert Anna - der Liebe wegen - inzwischen in Irland und zum anderen bringt sie mit dem neuen Album eben diese Liebe zum Ausdruck. Und zwar indem sie auf der musikalischen Seite auf organische, akustische Umsetzung setzte, was sie stilistisch automatisch in eine folkige Richtung führte. Kompositorisch favorisierte sie bewusst eine geradlinige, zugängliche Strukturierung ihres Materials, die die nervöse Komplexität und düsteren Spannungen ihrer bisherigen Scheiben fast vergessen machen. Das ist ein bewusster Prozess, denn die neuen Songs entstanden im selben Zeitraum wie jene für ihr letztes Album "in|FLUX" - sollten aber dem Hörer ein angenehmeres Hörerlebnis vermitteln, der Annas derzeitigem Gemütszustand entspricht.

Ist dieses Album in Irland entstanden - bzw. vielleicht sogar von der grünen Insel inspiriert? "Die meisten Songs hatte ich zwar geschrieben, bevor ich nach Irland gezogen bin - aber die Aufnahmen fanden dann dort statt", berichtet Anna, "ich denke, dass die Sache mit den Naturbezügen aber eine Manie von mir ist. Ich mache das nicht bewusst, aber die Leute weisen mich dann darauf hin, dass da eine Menge Vögel, viele Bäume und viel Natur in meinen Songs zu finden sind. Ich denke, dass dieses Album mir erlaubte, mich diesem Thema noch intensiver zu widmen. Ich denke aber auch, dass ich über den Verlauf der letzten drei Alben gelernt habe, mich selber zu lieben und mich ruhig und zufrieden zu fühlen. Es ist schön, dass dann auch ausdrücken zu können - und das macht das neue Album auch. Deswegen gibt es hier sehr viel weniger Spannungen." War das ein bewusster Prozess? "Nein - das ist einfach ein Ausdruck dessen, wie ich mich heute fühle", führt Anna aus, "es gibt in meiner Liebe für meinen Partner keine Spannungen. Das heißt: Ich fühle natürlich die Spannung einer englischen Person in Irland, aber ich liebe Irland ja auch. Ich fühle mich heute einfach gelassener." Das Ergebnis sind dann Songs wie "Lighthouse", die ohne Winkelzüge Annas derzeitige Zufriedenheit in Form von Liebeliedern zum Ausdruck bringen.

Geht es Anna dabei darum, Antworten zu finden - oder aber die philosophische Auseinandersetzung mit bestimmten Themen? "Ich suche immer weniger nach Antworten", schmunzelt Anna, "denn ich glaube immer weniger, dass diese überhaupt existieren. Mir geht es immer mehr um das Untersuchen, Beobachten und Bezeugen als um die Beantwortung von Fragen. Ich verwende meine Musik also eher als Kommentar-Werkzeug und blicke immer ein wenig auf die Ereignisse zurück anstatt in die Zukunft zu schauen. Ansonsten fände ich es nämlich schwierig, einen Song zu beenden - weil ich ja gar nicht wüsste, wie das, über das ich dann singe, enden würde. Es geht bei mir also eher um Kommentare als um Therapie." Gehört Anna dabei zu jener Spezies von Songwriterinnen, die sich von ihrer Kunst lenken lassen? "Leider nein", meint sie, "ich wünschte das wäre anders - aber ich muss selber hart an dem arbeiten, was ich tue. Ich wünschte mir manchmal wirklich, es gäbe da so etwas wie eine göttliche Inspiration. Was es allerdings gibt, ist dass Elemente aus dem Unterbewusstsein erst im Nachhinein Sinn für mich ergeben. Ich möchte aber nicht, dass die Leute von mir denken, dass mir meine Songs im Traum kommen. Ich muss mich hinsetzen, und meine Songs schreiben. Ich weiß schon, dass es Leute gibt, die sagen, dass ihnen die Songs zufliegen. Das ist mir aber noch nie passiert. Ich muss mir meine Songs erarbeiten."

Geht es dabei auch um Erinnerungen? "Ja, das würde ich doch sagen", führt Anna aus, "ich bevorzuge es, eher über Erinnerungen zu schreiben als über Aphorismen und Metaphern, weil ich dazu einen leichteren Zugang habe und es eine emotionale Verbindung zu Erinnerungen gibt. Wenn ich mich an etwas erinnere, ist die Emotion immer da. Und da ich hauptsächlich versuche, Emotionen zu evozieren, wenn ich Songs schreibe, ist das genau das Richtige. Wenn ich zu sehr davon abweiche, dann gerate ich in die Gefahr, diese Emotionen zu verlieren." Was hat Anna denn musikalisch inspiriert? Das neue Album ist ja weniger spannungsgeladen, komplex und irritierend als ihre bisherigen Werke. "Ich wollte mit meiner Musik zunächst mal die Emotionen zum Ausdruck bringen, die ich in den Zuhörern zu erwecken suche", berichtet Anna, "deswegen war mir klar, dass die Musik leichter, natürlicher und entspannter sein müsste. Ich wollte nicht ständig mit Zeitstempeln, Harmoniewechseln und Strukturen arbeiten. Mein Plan war, dass es einfacher werden müsste. Nicht im Sinne einer Reduktion, sondern verständlicher. Sozusagen ein 'Easy Listening' für den Zuhörer. Und ich wollte akustische Instrumente verwenden - was mich automatisch in eine eher folkigere Richtung führte. Es sollte sich angenehm anhören und keine beängstigenden oder verwirrenden Momente enthalten."

Interessiert sich Anna eigentlich für Popmusik? Denn einige ihrer neuen Tracks strahlen eine gewisse poppige Zugänglichkeit aus. "Ja, ich liebe Popmusik", erklärt Anna, "und danke, dass du mir das sagst - das habe ich nämlich noch nie gehört. Ich würde aber nicht sagen, dass ich das absichtlich gemacht habe. Ich würde ja gerne Pop-Songs schreiben können - weil ich dann einfach auch populärer sein könnte -, aber unglücklicherweise schreibe ich einfach, was ich schreibe und muss dann selber schauen, was dabei herauskommt. Aber weißt du: Ein Element der Popmusik ist ja eine gewisse Leichtigkeit - vielleicht wird das ja in meinen neuen Songs deutlich. Etwas in einem Refrain zu wiederholen ist ja ein typisches Pop-Merkmal - und mit so etwas fühle ich mich heutzutage wohler." Ist es nicht schwieriger einen einfachen Song zu schreiben, als einen komplexen? "Definitiv", bestätigt Anna, "wenn ich einen einfachen Song schreibe, dann ist mein Impuls bis heute immer der, dass ich denke, dass ich den dann komplizierter machen müsste, weil die Leute ansonsten meinen könnten, dass ich es nicht verdiene, eine Musikerin zu sein. Man braucht eine Menge Selbstvertrauen und einen Fokus, wenn man einen einfachen Song schreiben will. Jetzt, wo ich drei Alben gemacht habe, wissen die Leute ja aber auch, dass ich 7/4 oder 5/4 spielen kann und Tonartwechsel beherrsche. Das brauche ich ja nicht mehr zu beweisen."

Was bedeutet Musik denn heutzutage für Anna B. Savage? "Ich habe neulich einen Therapie-Kurs mitgemacht und wir sollten da drei Begriffe nennen, die perfekt darstellten, was unser Sinn im Leben sei", berichtet Anna, "das erste Wort, das ich wählte, war 'Begleiter' - denn das ist, was Musik für mich ist: Ein Begleiter. Egal ob ich glücklich oder traurig bin, aufgeregt oder müde bin und selbst wenn ich nicht weiß, was ich empfinde ist die Musik ein tröstlicher Begleiter für alle Emotionen, die ich beherberge - auch solchen von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Das geht auch mit Büchern - denn nicht jeder hat ja einen Zugang zur Musik - aber ich denke, dass Musik etwas Körperlicheres hat und weniger kopfbezogen ist." Was ist für Anna der wichtigste Aspekt bei diesem Projekt? "Der wichtigste Aspekt ist für mich die Möglichkeit unkompliziert meine Liebe ausdrücken zu können", erläutert Anna, "einfache, sanfte, schöne Liebe. Es ist alles sehr ernsthaft und geradlinig und ich fühle mich privilegiert das so ausdrücken zu können und meinem Partner zu zeigen, wie sehr ich ihn liebe. Außerdem ist das ja mein Job. Wer hat denn schon das Glück, sich in seinem Job so ausdrücken zu können? Da schätze ich mich schon sehr glücklich machen zu können, was ich will!" Sind die neuen Songs dann nicht im Grunde genommen Liebeslieder? "Oh ja", pflichtet Anna bei, "ganz bestimmt sogar!"

Was ist denn bei all dem die größte Herausforderung? "Geld", meint Anna sehr bestimmt, "ich kann mich glücklich schätzen, dass das nun mein einziger Job ist - aber es ist ganz schön schwierig. Wenn ich nicht aus der Familie käme, aus der ich stamme und wenn meine Eltern nicht ein Zimmer für mich in London hätten, dann hätte ich diesen Job schon vor langer Zeit aufgeben müssen. Ich habe ja Glück und bin dankbar dafür, aber es ist unfair, dass das nicht jeder machen kann. Ich fürchte, wir bekommen viele gute Musik gar nicht zu hören, weil es viele begabte Künstler gibt, die einfach aufgeben müssen."

Weitere Infos:
annabsavage.bandcamp.com/album/you-i-are-earth
www.instagram.com/annabsavage
www.facebook.com/AnnaBSavage
www.youtube.com/@AnnaBSavage/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Katie Silvester-
Anna B. Savage
Aktueller Tonträger:
You & I Are Earth
(City Slang/Rough Trade)
 

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