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20.04.2001
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=272
 
GIANT SAND

Blinddate mit dem unverWÜSTlichen Howe Gelb

Giant Sand
"Oh, es ist schon fünf nach acht", grinst Howe Gelb. "Gut eigentlich, dass die Leute drinnen nicht wissen, dass wir laut Plan schon seit fünf Minuten auf der Bühne stehen sollen." Wir sitzen vor dem Odeon in Münster, im Tourbus von Giant Sand, setzen Exemplare des letzten Albums "The Rock Opera Years" zusammen (in einem Anflug wahren Do-It-Yourself-Geistes erscheint die CD nicht nur auf dem bandeigenen Label, selbst die Cover sind sozusagen "Handarbeit"), und Howe hat keine großen Probleme damit, den Ablauf des Abends geringfügig zu ändern. Schließlich war dem allgemeinen Tourwahnsinn - wichtige Telefonate, unverhofft erschienene alte Bekannte, ein unerwartet langer Soundcheck - auch der ursprüngliche Interviewtermin mit der Gästeliste zum Opfer gefallen.

Vielleicht hat die Gelassenheit, die der Mann aus Tucson, Arizona, ausstrahlt, aber auch noch einen anderen Grund. Nachdem man am Proberaum der Band in den 80er Jahren auch gut und gerne eine Drehkreuz hätte anbringen können, weil die Besetzung so oft wechselte, hatte Gelb mit John Convertino am Schlagzeug (seit 1988/89) und Joe Burns am Bass (seit Beginn der 90er) zwei kongeniale Partner gefunden, mit denen er alle Höhen und Tiefen durchgemacht hatte. Spätestens aber, seitdem die zwei auch ohne Howe mit Calexico gigantische Erfolge feiern, wurde das (weit weniger lukrative) Touren für Giant Sand immer schwieriger. Vor allem, als kürzlich die von Howe seit langem verehrte PJ Harvey persönlich anfragte, ob Giant Sand den Support ihrer Europatournee übernehmen würden. John und Joe hatten zeitgleich bereits eine ausgiebige Tournee mit Calexico zugesagt, und da Howe nicht - wie in der Vergangenheit schon so oft - solo auftreten wollte, traf er eine lange überfällige, aber aus verständlichen Gründen oft verschobene Entscheidung: Convertino und Burns zu ersetzen. Und so kam es, dass Anfang März erstmals seit fast zehn Jahren die altbewährte Rhythmusgruppe fehlte. Während die Auftritte mit Polly jeden Abend eine knapp bemessene Dreiviertelstunde bedeuteten, war die Show in Münster das allererste komplette Zwei-Stunden-Konzert der neuen Besetzung. Neben den schon von den letzten Giant-Sand-Touren bekannten - nebenbei bemerkt auch erschreckend hübschen - Französinnen Saholy Diavolana (Gitarre, Gesang) und Laureline Prod'homme (Bass, Gesang) hatte Howe keine Kosten und Mühen gescheut, Convertino und Burns adäquat zu ersetzen: Neben ihm auf der Bühne standen nämlich Aaron Burtch (Drums) und Jim Fairchild (Gitarre) von Grandaddy!

Auf dem Beatles-Album "Let It Be" stand mal zu lesen: "This is a new phase Beatles album". Bedeutet die Show in Münster auch den Anfang einer neuen Phase für Giant Sand? "Ja, obwohl es bei Giant Sand so etwas wie Phasen eigentlich nicht gibt. Und wenn doch, wäre es wohl inzwischen die 53. oder so." Erstaunlicherweise geht Howe relativ gelassen an die Neuorientierung heran. Er hat zwar auf der ausgezeichneten offiziellen Homepage (www.giantsand.com) vor wenigen Wochen ein ziemlich emotionales Statement zum Wechsel im Line-Up abgegeben, aber der Gästeliste erklärte er sachlich und trocken: "Ich bin fast froh, dass Calexico so gezündet hat. Ich bin mit John und Joe streckenweise so zufrieden gewesen, dass ich faul wurde. Die neue Situation bedeutet, dass ich wieder den Arsch hochkriegen muss und wieder ins kalte Wasser springen muss. Das ist etwas, was ich lange nicht mehr getan habe."

Giant Sand
Das bedeutet natürlich nicht, dass Gelb Convertinos und Burns' Verdienste nicht anerkennt. "John und Joe sind in jeder Beziehung großartig. Das Verständnis, das uns verbindet, ist wirklich telepathisch. Es ist unglaublich cool, zusammen mit ihnen zu improvisieren und die ganzen alten Countrysongs zu spielen und die Jazz-Sachen, die wir draufhaben. Aber soweit es eine gute, altmodische Rock N Roll-Show angeht, da stecken diese Jungs (von Grandaddy) einfach viel mehr drin." Eine These, die das schwer rockende, streckenweise fast ein bisschen bluesgefärbte Konzert im Odeon einwandfrei unterstrich. Denn Burtch und Fairchild sind schließlich ähnlich begnadete Musiker wie ihre Vorgänger, und Howe musste eine seiner besonderen Vorlieben deshalb nicht aufgeben, das "Abenteuer des Nicht-Probens", das er uns schon letztes Jahr erläutert hatte: "Es gibt so viele Bands da draußen. Also habe ich mir schon sehr früh überlegt, was ich einbringen kann, das anders und trotzdem unterhaltsam ist? Wenn du unvorbereitet loslegst, musst du in diesem Moment etwas erschaffen, das dann einzigartig ist. Das funktioniert nicht immer, aber je länger du es machst, desto besser wirst du." Das beweisen nicht nur die Livekonzerte, sondern auch sein neues Soloalbum "Confluence". Das besteht zum Teil aus Aufnahmen, die eigentlich für das letzte Giant-Sand-Album gedacht waren, ohne dass es sich dabei um minderwertige Outtakes handeln würde. "Confluence" ist eine phantastische Platte, intensiv, tiefsinnig und vollgepackt mit herausragenden Songs. Die Piano-Ballade "Saint Conformity" war bereits im letzten Jahr bei den Giant-Sand-Konzerten ein Highlight und "Blue Marble Girl" zählt ohne Frage zu den schönsten drei Popsongs, die Gelb je fabriziert hat. Grandaddy helfen auch auf der Platte bei einigen Songs als Backingband aus und zusammen mit Gelb spielen sie eine ebenso mutige wie gefühlvolle Version des Elvis-Hits "Can't Help Falling In Love". Und auch sonst beweist Howe eindrucksvoll, dass er sich auf einem neuen Schaffens-Höhepunkt zu befinden scheint.

Trotz der bereits geschilderten Hektik in Münster konnten wir Howe beim "Tonträgerbasteln" im Bus zu einem gekürzten Blinddate überreden. Was das Giant-Sand-Mastermind über Cat Powers Version von "Wonderwall" denkt oder wie sehr wir ihn mit Linda Ronstadts "It's So Easy" hätten erschrecken können, wird leider ein Geheimnis bleiben, aber für die folgenden Songs reichte die Zeit noch:

* Mary Lou Lord "1952 Vincent Black Lightning"
("Change Of Pace" EP, Work/Sony, 1998)

Die Queen der Straßenmusikerinnen aus Boston, Massachussetts, wird oft mit der von Howe sehr geschätzten Juliana Hatfield verglichen. Und der Autor des Songs, Richard Thompson, dürfte für Mister Gelb auch kein Unbekannter sein...

Howe (nach wenigen Sekunden): "Ich kenne die Stimme! Ich kenne den Song!... Richard Thompson? Ja, richtig! Ich hab ihn kürzlich erst live gesehen. Er ist zum ersten Mal überhaupt nach Tucson gekommen. Rainer [Howes leider 1997 an einem Gehirntumor gestorbener langjähriger musikalischer Weggefährte] war ein großer Richard-Thompson-Fan. Als wir die Band 1979/80 als Giant Sandworms gründeten, brachte jeder Songmaterial mit. Rainer schlug einen Thompson-Song vor, den wir auch heute noch spielen. "

GL: Diese Version stammt von einem weiteren großen Thompson-Fan, Mary Lou Lord.

Howe: "Oh, ja! Ich habe sie letztes Jahr in Austin auf der Straße spielen sehen. Sie ist ziemlich cool. Sie hat alles, was man braucht... [Gespielt vorwurfsvoll] Hey sag mal, sind das alle CDs, die du bis jetzt zusammengebaut hast? Du bist ziemlich langsam, man!"

* Led Zeppelin "Tangerine"
("Led Zeppelin III", Atlantic, 1970)

Die wohl größte Rockband der 70er mit einer seltenen, aber wunderschönen Akustiknummer. Seit ihrer gemeinsamen Arbeit an dem Rainer-Tribute-Album "The Inner Flame" sind Howe und Robert Plant überdies befreundet.

Howe: [Schweigen].

GL: Das solltest du kennen! Du hast mit ihnen auf "The Inner Flame" zusammengearbeitet!

Howe: [schweigt weiter].

GL: Das sind Led Zeppelin!!!

Howe: "Oh! Ja! Robert! Ich wusste, dass er es war. Zuerst hatte ich an alte Stones gedacht, es klang so vertraut! Aber ich bin nicht drauf gekommen, als du mir den Tip gegeben hast... Ich dachte: "'The Inner Flame'? Bill Janovitz [von Buffalo Tom] vielleicht?"

* The Jayhawks "Somewhere In Ohio"
("Smile", Columbia, 2000)

Früher stilistisch durchaus mit Giant Sand verwandt, jetzt mehr in Richtung Pop orientiert, Drumcomputer inklusive.

Howe: "Da hab ich nun wirklich überhaupt keinen Schimmer! Hat aber sehr nette Harmonien!"

GL: Die waren euch früher mal recht ähnlich....

Howe: "Da würde ich mal raten: Wilco!"

GL: Nah dran, aber noch nicht ganz!

Howe: "Son Volt?"

GL: Nee, Jayhawks!

Howe [wenig begeistert]: "Ah! Gary!"

GL: Du magst also diese "modernisierte" Fassung nicht so sehr? Gerade in Bezug auf deine eigene Musik?

Howe: "Ich habe einfach nicht die Fähigkeit, so etwas zu machen. Ich hatte auch nie den Drang, mich in diese Regionen vorzuwagen. Die Jayhawks bringe ich vor allem mit dieser seltsamen Situation mit Mark Olsen in Verbindung. Das war alles sehr obskur. [Olson hat die Band vor einigen Jahren unter nie ganz geklärten Umständen verlassen (müssen).]"

Jim: "'Blue' von den Jayhawks ist einer der besten Songs überhaupt, finde ich!"

* The Rolling Stones "Hand Of Fate"
("Black And Blue", Rolling Stones Records, 1976)

Eine Nummer, die man als großen Einfluss auf die frühen Giant Sand werten könnte, sehr straighter, bluesgefärbter Rock N Roll.

Howe [nach wenigen Sekunden]: Mick Jagger! Die Stones haben uns früher sehr beeinflusst, allerdings nicht so sehr 'Black And Blue', sondern vor allem 'Sticky Fingers', 'Let It Bleed' und 'Exile On Mainstreet'. Das waren die drei wichtigsten. Ich dachte damals, dass 'Sticky Fingers' die beste Platte aller Zeiten sei, besonders was die Produktion angeht. Es gibt keine Platte, die besser produziert ist, dazu stehe ich auch heute noch. (*)

* Duane Allman "Please Be With Me"
("Duane Allman Anthology Volume 1", Capricorn, 1972)

Eine herzergreifende Ballade, die später u.a. von Eric Clapton sehr erfolgreich gecovert wurde.

Howe: "Ein Grateful-Dead-Stück, oder?"

GL: Nah dran!

Jim [lachend]: "Ein Jerry-Garcia-Solostück?"

Howe: "Duane Allman? Irgendwo her kenne ich den Song...ach ja! Der Typ, der mir das Gitarrespielen beigebracht hat, irgendwann in den 70ern, er und noch ein anderer Typ haben diesen Song endlos gespielt."

* John Cale "Hallelujah"
(V.A. "I'm Your Fan - A Tribute To Leonard Cohen", Atlantic, 1991)

Eine sehr schöne Solo-Klavierversion des berühmten Cohen-Stücks, nicht nur auf diesem Album zu finden, sondern vom ex-Velvet Undergrounder auch oft als Schluss-Song seiner Konzerte gespielt.

Howe [ob seiner schlechten Erkennungsquote an sich selbst zweifelnd]: Nick Cave?

GL: Als Tip, der Song ist von Leonard Cohen.

Howe [lachend]: Ja, richtig. Er benutzt in allen Songs die gleichen Wechsel! Muss ich den Sänger kennen?

GL: Ja, ist allerdings einige Generationen vor Nick Cave...John Cale

Howe: Aha. Weißt du, ich höre eigentlich kaum etwas von ihm...

GL: Aber du kennst ihn...

Howe: Ja, na klar! Aber es wundert mich nicht, dass ich so schlecht abgeschnitten habe (lacht). Ich erkenne ja selbst meine eigenen Songs nicht. Letztens haben mir Jim und Aaron ein Stück vorgespielt und ich rief: 'Hey, das kenne ich!' Und sie sagten: 'Kein Wunder, den Song hast du ja geschrieben!'"

[* Eine Ankedote am Rande: Das letzte Giant-Sand-Album "Chore Of Enchantment" wurde teilweise in Memphis von Jim Dickinson produziert, der - unter vielen anderen Dingen - auch den berühmten Klavierpart des "Sticky Fingers"-Songs "Wild Horses" spielt. Als John Convertino dem Gästeliste-Korrespondenten vor drei Jahren erstmals davon berichtete, sagte er nur: "JIM DICKINSON!!! 'WILD HORSES!!!'" und sprach dabei die Ausrufezeichen förmlich mit.]

Weitere Infos:
www.giantsand.com
Interview: -DJ Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Bill Carter-
Giant Sand
Aktueller Tonträger:
Selections ca. 1990 - 2000
(V2/Zomba)
 

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