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22.03.2002
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GIANT SAND

Eins, zwei, drei - ich komme!

Giant Sand
So richtig wird man Howe Gelb in diesem Leben sicherlich nicht mehr entschlüsseln können. Dafür ist der Mann einfach zu cool und abgehangen. Man kann es aber ja mal versuchen. Howe ist ja zum Glück einer dieser Musikanten, bei denen man nie weiß, was als nächstes kommt. Darin ist er z.B. Neil Young sehr ähnlich. Allerdings ist das Ergebnis stets überraschend und z.T. gewöhnungsbedürftig. Sei es seine rätselhafte Sammlung von Piano-Instrumentals, "Lull", oder etwa das neue Giant Sand-Album, "Cover Magazine" - eine eklektische Sammlung außergewöhnlicher Coverversionen von Black Sabbath über Johnny Cash bis hin zu Goldfrapp. Aber im Howe Gelb Universum macht alles immer irgendwie Sinn - allerdings nicht immer auf Anhieb: "Ich weiß auch nicht immer genau, warum ich etwas so und so mache und Sinn machen tut es manchmal erst im Nachhinein. Ich arbeite, indem ich so lange Stücke aufnehme, bis es so viele sind, daß ich aus ihnen auswählen kann. So ist auch das 'Cover Magazine' entstanden. Es war nicht geplant, eine Cover-CD zu machen, entwickelte sich dann aber dahin."

Was den Hörer zuweilen verblüfft, für Howe aber immens wichtig ist, ist hierbei die durchaus durchwachsene Qualität der Stücke. Auf "Lull" zum Beispiel finden sich Rehearsals, Live-Stücke, verrauschte Tape-Aufnahmen und Stücke mit allerlei Background-Geräuschen einträchtig nebeneinander. Auf "Cover Magazine" gibt es alte und neue Aufnahmen, Live-Stücke und mehrere Versionen desselben Songs ("The Beat Goes On") - ebenfalls soundtechnisch recht unterschiedlich. Howe erklärt das so: "Als ich mit Giant Sand anfing, war der Hauptgrund der, Platten zu machen, die man so nicht kaufen konnte. Heutzutage mache ich Scheiben so, wie ich sie selbst gerne hören möchte." Und dazu gehören verrauschte Tracks und Sachen mit Background-Geräuschen? "Auf jeden Fall. Sieh mal, normalerweise werden Platten ja so produziert, daß alles gleich klingt. Marketingtechnisch macht das ja auch Sinn - der Hörer hört ein Stück im Radio und kauft die CD in der Annahme, daß der Rest ähnlich klingt. Das ist okay. Aber Giant Sand ist nicht NOCH eine Band wie alle anderen. Das ist auch der Grund, warum Calexico so erfolgreich ist: Du kannst Calexico erklären. Für Giant Sand gilt das nicht. Weil für mich produzierte CDs einfach zu vorhersehbar klingen - was ich nicht mag. Ich mag es, wenn jedes Stück so unterschiedlich wie möglich klingt." Ein Prinzip, welches sich dann bei den Konzerten nahtlos fortsetzt. Auch hier weiß man nie, was einen erwartet. Weiß das Howe denn? "Nein. Und das ist wichtig", meint er hierzu, "zwar gebe ich zu, daß ich meine Konzerte nicht zur Genüge plane, aber es ist mir wichtig, daß sie anders klingen, als andere Konzerte. Ich wünschte nur, ich müßte nicht so hart daran arbeiten." Ja, aber WARUM ist das so, bzw. muß das so sein? "Laß mich das mal an einem Beispiel erklären: In den 50er Jahren war es nicht üblich, daß Musiker viel tourten. Sie hatten stattdessen Verträge mit bestimmten Clubs, in denen sie jeden Abend spielten. Da sie nicht jeden Abend das gleiche spielen wollten, begannen sie, herumzuexperiminentieren. Das ist der Grund, warum John Coltrane passieren konnte und warum der Jazz so großartig wurde. Es gab nun Leute, die jeden Abend zu den Konzerten kamen, und die hatten die Entwicklung mitgemacht und schwebten auf Wolke sieben. Für die Leute, die nur ein Konzert sahen, war diese Entwicklung nicht erkennbar - dennoch konnte es ein tolles Erlebnis für sie sein. Genauso sehe ich das mit Giant Sand."

Giant Sand
Das bedeutet: Giant Sand (oder auch Howe Gelb) existiert auf zwei Ebenen: Für die treuen Fans wird eine nachvollziehbare Entwicklung durchlaufen und für gelegentliche Besucher gibt es nicht immer verständliche und gelungene, aber stets spannende Ergebnisse. (Insofern darf man auch nicht nach der definitiven Howe Gelb-Scheibe suchen.) Eine Sache, die auf "Lull" zum Prinzip erhoben wurde, aber generell bei Howe zu beobachten ist, ist das gelegentliche und unvorhersehbare Fragmentieren von Songs. Live mag ja die Impulsivität dafür verantwortlich sein. Was aber veranlaßt ihn, auch auf CD gewisse Stücke nur "anzureißen"? "Du kennst doch den Spruch 'So viele Frauen, so wenig Zeit', nicht wahr? Nun das gilt auch für's Essen, für die Musik und überhaupt für alle schönen Dinge. Wir haben nun mal nur soundsoviel Zeit im Leben. Es ist nun nicht so, daß wir dir die guten Sachen vorenthalten wollen, aber manchmal ist es einfach schöner, wenn Du nur einen Brocken hingeworfen bekommst, und wir dann weitermachen. Wie gesagt: Wir müssen voran, die Zeit drängt. Außerdem: Ein chinesisches Sprichwort besagt im übertragenen Sinne, daß das, was du dir wünschst - z.B. daß ich ein bestimmtes Stück ausspiele - vielleicht gar nicht daß ist, was du tatsächlich möchtest. Mich würde interessieren, wie du die Sache siehst." Nun ja: Wenn man sich überlegt, wie spannend zum Beispiel früher Pavement-Konzerte waren - einfach deshalb, weil die Jungs mitten in einem Hit wie "Cut Your Hair" innehielten oder mitten im Song umdrehten und einen anderen anstimmten, dann muß man Howe zustimmen: Als Pavement in ihrer Endphase begannen, einfach nur die Songs herunterspielten, hörten sie sich an wie eine normale Rockband. "Aha", meint Howe nur grinsend, indem er seine Augenbraue erheblich hochzieht.

Noch mal zum neuen Album: Die Auswahl der Stücke ist - nicht wirklich überraschend - besonders wild geraten. Da gibt es zum Beispiel Black Sabbaths "Iron Man". "Das ist ein perfekter Song", freut sich Howe, "ich habe '72 schon Musik gehört und für mich war das damals einfach der Hammer." Interessant: Warum muß man denn überhaupt eine Cover-Version eines perfekten Songs aufnehmen? "Der Song ist ja erst perfekt, seit Black Sabbath ihn in dieser Form aufgenommen haben. Davor hätte er alles sein können. Ein Song ist ja nur ein Song. Es hätte - abgesehen von der Soundqualität - lediglich keinen Sinn, den Song exakt wie Black Sabbath aufzunehmen." Stimmt. Andere Songs sind aus anderen Erwägungen heraus entstanden. Daß Howe ein großer Johnny Cash-Fan ist, dürfte bekannt sein. (Beim Konzert spielte er sogar Johnny Cash Stücke von CD (!!!)) Der X-Song "Johnny Hit & Run Paulene" entstand mit P.J. Harvey. "Als wir mit P.J. Harvey als Support tourten haben wir uns einfach gut verstanden. Das war ganz natürlich", erinnert sich Howe, "Polly kannte X nicht - wegen des Altersunterschieds. Das war meine Idee, sie da heranzuführen." Und deswegen gibt es auch gleich noch ein Stück von P.J. Harvey. Ist diese Zusammenarbeit eigentlich das, was von dem Plan übrig blieb, ein weiteres OP8 Album aufzunehmen. "Ich weiß nicht, ob es noch mal ein OP8 Album geben wird", schränkt Howe ein, "wenn überhaupt, möchte ich noch mal eines mit Lisa Germano machen, weil sie so gut zu uns paßte. Aber wir stehen momentan nicht in Kontakt. Wir haben uns diverse Namen überlegt - darunter P.J. - aber bislang ist nichts draus geworden. Wir haben ja sogar eine Reihe von Stücken mit Juliana Hatfield aufgenommen, ich bin aber nicht dazu gekommen, das zu bearbeiten. Es ist wieder dieses Zeit-Ding. Es gibt einfach zu wenig Zeit. Besonders in meinem Alter. Und besonders, wenn du Kinder hast. Ich meine: Du liebst deine Kinder natürlich, aber dadurch hast du einfach noch weniger Zeit."

Giant Sand
Andere Mitstreiter auf dem Album sind Grandaddy (zu dieser Connection kam es, als Howe Musikanten brauchte und Joey und John mit Calexico beschäftigt war) und die Mädels von Virgin Prunes. Daneben singen auf einem Stück noch Neko Case und Kelly Hogan mit - zwei bei uns bedauerlicherweise bislang unbekannte, brillante Songwriterinnen und Sängerinnen. "Joey spielt mit Neko gerade das Dating-Spielchen", meint Howe hierzu schmunzelnd, "und Kelly ist eine gute Freundin von Neko." Und dann gibt's noch zwei mal Sonny & Chers 'The Beat Goes On'. "Oh ja, wir nahmen diese Version auf und da stimmte wirklich alles", sagt Howe, "dann fiel mir aber ein, daß ich noch eine andere Version davon herumliegen hatte und diese fand sich dann auch noch." Warum gibt es denn auch drei Live-Stücke auf dem Album und warum heißt diese im Untertitel "The Retirement Edition" und zeigt einen Golfspieler auf dem Album. "Sind wir doch mal ehrlich", meint Howe, "das könnte gut das letzte Giant Sand Album sein. Ich weiß nicht, warum Joey und John überhaupt noch mit mir zusammenarbeiten, bei dem was ich ihnen zumute... Ich bin John und besonders Joey immens dankbar, daß sie meine musikalischen Versteckspiele mitmachen. Besonders Joey ist der erste Bassist, den ich kennengelernt habe, dem so was nichts ausmacht... Sie haben ja gut mit Calexico zu tun und mir machen auch die Solo-Sachen Spaß... Die letzte Giant Sand Tour war eine ganz besondere Angelegenheit - und das ist der Grund, warum die Live-Stücke da drauf sind. Ich wollte das dokumentieren. Wenn es also das letzte Giant Sand Album ist, dann wäre das ein guter Titel." Und wenn nicht, dann wäre es zumindest ein guter Witz. Doch das sieht Howe anders: "Nein, kein Witz - ein Fehler."

Weitere Infos:
www.giantsand.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe / Ullrich Maurer-
Giant Sand
Aktueller Tonträger:
Cover Magazine
(Thrill Jockey/EFA)
 

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