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07.06.2002
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BOB MOULD

(K)ein Bruch mit der Vergangenheit

Bob Mould
Man kann verstehen, warum Bob Mould zwanzig Jahre nach seiner ersten Platte ein Album wie "Modulate" aufgenommen hat, und man kann den Amerikaner sogar für seinen Mut bewundern, ohne das Ergebnis besonders zu mögen. Denn mit seinem neuesten Werk hören wir zwar ohne jeden Zweifel Songs des Mannes, der als Mastermind hinter Hüsker Dü und Sugar einer der einflußreichsten Gestalten der amerikanischen Alternative Music Scene der letzten zwei Jahrzehnte ist, aber gekleidet sind die Songs in ein neues, ungewohntes Gewand aus elektronischen Beats und Sounds aus dem Computer, die - abgesehen von Moulds unverkennbar dünner Stimme und einigen Gitarrentracks - nur wenig Anknüpfungspunkte mit seiner glorreichen Vergangenheit aufweisen.

Daß mit "180 Rain" gleich der krasseste Track das Album eröffnet und die eher traditionellen Stücke das Ende der Platte zieren, ist natürlich Absicht. "Eigentlich sollte die Platte mit einem Akustik-Gitarren-Song anfangen und aufhören", erklärte der gut gelaunte Bob Gaesteliste.de, als wir ihn kürzlich in Athens, Georgia, ans Telefon bekamen. "Als ich dann '180 Rain' als letztes Stück für die Platte schrieb, war mir sofort klar, daß das so anders war als alles, was ich je zuvor geschrieben hatte, daß es eigentlich nur als erster Track in Frage kam. Die folgenden Stücke sind alle ungefähr drei Jahre alt, und sie repräsentieren die ersten Elektronik-Songs, die ich gemacht habe. Deshalb schien es Sinn zu machen, sie an den Anfang des Albums zu stellen." In Amerika - wo Bobs neue Ausrichtung zunächst auf wenig Gegenliebe traf - gab es sogar Stimmen, die meinten, er hätte wohl besser die dritte oder vierte Fassung seiner Bemühungen veröffentlicht und nicht diesen "Testlauf". Bob selbst nennt "Modulate" einen "guten ersten Versuch, mit elektronischen Hilfsmitteln zu komponieren", auf jeden Fall einen, auf den sich aufbauen läßt. "In Amerika hatte ich das Problem, daß sich Elektronik als legitime Form von Musik erst so langsam durchsetzt. In Europa sind die Leute ja daran schon seit mehr als zehn Jahren gewöhnt. Abgesehen davon haben hier wohl viele gedacht: 'Warum um Himmels willen sollte Bob Mould eine Elektronik-Platte machen wollen?' Damit habe ich gerechnet, das ändert auch nichts daran, wie ich über das Album denke. Das Einzige, was mich wirklich frustriert, ist, daß viele Leute überhört haben, daß die Texte der Platte sehr gewichtig sind."

Interessant ist, daß uns Mould, ohne den so etwas wie Grunge kaum denkbar gewesen wäre, diesen Schritt bereits vor vier Jahren, als er sein bisher letztes Album "The Last Dog And Pony Show" veröffentlichte und letztmalig mit einer "lauten" Rockband auf Tournee ging, angekündigt hat. Allerdings dürften ihm damals wohl nur die wenigsten wirklich Glauben geschenkt haben. "Meine Freunde wußten natürlich, daß dort etwas vor sich ging, aber alle anderen? Die Leute sind so daran gewöhnt, daß alle paar Minuten jemand sagt: 'Ich hänge den Job an den Nagel, ich mache was völlig anderes', daß es wohl schon für viele eine Überraschung war, daß ich Wort gehalten habe, hahaha! Allerdings muß ich gestehen, daß ich damals nie und nimmer erwartet hätte, daß sich die Dinge so entwickeln würden. Ich hatte schon nach Sugar ein wenig das Gefühl, daß ich das [mit einer Band auf Tour zu gehen] eigentlich nicht mehr machen wollte, und das verstärkte sich dann nach der Tour 1998. Damals war ich 38 Jahre alt, und einfach nur herumzureisen, mit einer Menge Leute im Schlepptau, und laute Musik in Clubs zu spielen, wo sie alle betrunken sind - das ist nicht gerade das, was man als soliden Lebenswandel bezeichnen würde. Und wie du schon richtig erwähntest, mache ich das jetzt seit zwanzig Jahren und viele der Clubs, in denen ich für gewöhnlich spiele, habe ich mehr als oft genug gesehen. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, daß ich einen neuen Weg finden mußte, mich künstlerisch auszudrücken."

"Modulate" ist ein echtes - übrigens größtenteils zu Hause aufgenommenes - Soloalbum: "Written, performed, produced and mixed by Bob Mould". Trotz der frustrierenden Erfahrungen auf seiner letzten Band-Tour bedeutet das dennoch nicht, daß Bob nie wieder mit anderen Leuten zusammenarbeiten will. "Ich wollte einfach keine Platte mehr machen, die man live nur mit einer lauten Rockband würde spielen können. Das was der Ausgangspunkt für alles, was ich in den letzten drei Jahren gemacht habe." Allerdings hat der Amerikaner die längste Platten-Pause seiner Karriere nicht nur mit der Planung seiner musikalischen Runderneuerung verbracht. Ein Dreivierteljahr arbeitete er als "Creative Consultant" der World-Championship-Wrestling-Abteilung von AOL/TimeWarner und schrieb Skripte für die Show! Ein Traumjob, für den Bob auch schon früher alles stehen und liegen gelassen hätte. "Ob ich den Job auch schon früher angenommen hätte, wenn sich die Chance geboten hätte? Auf jeden Fall. Vielleicht nicht 1994, weil ich da bis über beide Ohren in die Arbeit mit Sugar eingebunden war, aber nachdem sich die Band aufgelöst hat, hätte ich das sofort gemacht, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte! Das zeigt hoffentlich auch, daß mir der Job wirklich viel bedeutet hat, das war nichts, das ich mal eben mitgenommen habe. Ich würde zwar nicht sagen, daß die Erfahrung meine Musik direkt beeinflußt hat, aber die Arbeit hatte einen großen Einfluß auf mich als Mensch, und das spiegelt sich dann wahrscheinlich doch irgendwie indirekt in der Musik wider."

Oder nicht zuletzt auch in der Live-Präsentation. War für Bob bisher zumeist ein schwarzer Vorhang das einzige "Showelement" bei seinen Auftritten, war die "Carnival Of Light And Sound"-Tournee, die dem "Modulate"-Album in den Staaten folgte, sein bisher aufwendigstes Live-Projekt. "Meine erste Idee war, eine ziemlich traditionelle Show zu spielen, auf der parallel zu bestimmten Songs auf einer kleinen Leinwand begleitende Filme laufen sollten. Doch dann gerieten die Dinge etwas außer Kontrolle, alles wurde immer mächtiger und niemand rief 'Stop!'. Das Ganze war eine großartige Erfahrung für mich, ich habe gelernt, wie hart die Arbeit im Film-Business ist, und habe selbst auch ein wenig beim Schneiden geholfen. Danach kam dann die Idee dazu, Backingtracks nicht nur für die neuen Stücke zu benutzen, sondern auch für alte Songs, die ich sonst immer solo gespielt habe. Ich dachte mir: Wenn es zu jedem Song einen Film gibt, sollte es auch zu jedem Stück einen Backingtrack geben! Das gab mir die Chance, einige meiner alten Songs in neuem Licht zu sehen. Das ganze Projekt hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber es war unglaublich viel Arbeit, und deshalb bin ich froh, daß es jetzt erst einmal vorbei ist."

Vorbei? Von wegen! Bob trägt sich nicht nur mit dem Gedanken, die "Carnival Of Light And Sound"-Tour im Herbst auch nach Deutschland zu bringen, sondern es gibt neben "Modulate" auch noch drei (!) weitere Alben aus dem Hause Mould! Da wäre zunächst einmal "LiveDog", ein Mailorder-"Souveniralbum" der 1998er-Tournee, aufgenommen bei der letzten Show in England, im Herbst erwartet uns die LP "Long Playing Grooves" unter dem Pseudonym LoudBomb, und Anfang 2003 erscheint dann - endlich, werden einige sagen - das nächste Gitarren-Album, "Body Of Song". "Die LoudBomb-Platte ist noch elektronischer als 'Modulate'", verriet uns Bob. "Die Platte klingt überhaupt nicht nach mir, weil es dort eine Menge Ambient- und Chill-Out-Zeugs gibt, es sind also keine Elektronik-Popsongs. Die Stücke basieren größtenteils auf Loops, und deshalb kann ich sie auch nicht live spielen. Die alten Fans werden sicherlich eher die Gitarrenplatte - akustisch und elektrisch - mögen, die ich gerade hier in Athens aufnehme. Sie heißt 'Body Of Song', und ich habe in den letzten zehn Tagen dafür acht Stücke aufgenommen. Ich dachte, ich hätte schon genügend gute Songs zusammen, aber inzwischen habe ich das Gefühl, daß ich dafür noch neue Stücke schreiben muß."

Manchmal, das beweist "Modulate", tun es aber auch ganz alte Stücke. So findet sich auf dem Album mit "Trade" ein 15 Jahre alter Song wieder, den Bob ursprünglich für Hüsker Dü geschrieben hatte, und der dann beinahe auf seinem Solo-Debüt "Workbook" von 1989 schon einmal das Licht der Welt erblickt hätte. Aus unerfindlichen Gründen blieb der großartige Popsong unveröffentlicht, bis er nun durch einen Zufall doch noch auf einer Platte landete. "Daß ich 'Trade' wieder ausgegraben habe, war ein Unfall! Ich saß am Keyboard, und mir kam dieses tolle kleine Riff in den Sinn, und plötzlich fiel mir auf, daß es dieser alte Song war, den ich nie aufgenommen hatte!" Deshalb war es für Mould auch alles andere als eine schwierige Herausforderung, dem Gitarrensong ein neues Kleid zu verpassen, wie uns Mould abschließend lachend bestätigte: "Ich war geschockt, wie beängstigend einfach es war! Ich dachte mir: So simpel hätte es all die Jahre schon sein sollen, hahaha! Warum hab ich eigentlich nicht gleich 1987 eine New-Order-Nummer daraus gemacht? Das wäre wohl das Beste gewesen!"

Für Bob ist also auch das neue Album nur bedingt ein Bruch mit der Vergangenheit. Trotzdem stimmte er unserer Theorie zu, daß sich seine Karriere trotz aller Geradlinigkeit nun mindestens in der dritten Phase befindet. "Ich denke, es gibt schon einen geradlinigen Verlauf, aber es gab immer wieder bestimmte Momente, die den Beginn von etwas Neuem signalisiert haben. Ich würde sagen, ich bin jetzt in der vierten Phase. Sugar war schon etwas komplett anderes, als ich mit meinen ersten Solo-Platten rüberbringen wollte. Mit Sugar bin ich näher an das herangekommen, was ich in den 80ern [mit Hüsker Dü] gemacht hatte, als mit allen anderen Platten seitdem. Ich selbst hatte noch nicht einmal das Gefühl, nur haben die Außenstehenden haben das so aufgefaßt." Und selbst, wenn so mancher Anhänger Bobs wohl etwas brauchen wird, um sich an "Modulate" zu gewöhnen, paßt das Album letztendlich doch perfekt ins Bild eines Künstlers, der sich immer mehr auf seine Instinkte verlassen hat als auf die Ratschläge von Plattenfirmen und Beratern und damit sehr gut gefahren ist. Wie schrieb Bob vor fast 20 Jahren so schön? It's a new day rising!

Weitere Infos:
www.bobmould.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Lisa Pearl-
Bob Mould
Aktueller Tonträger:
Modulate
(Cooking Vinyl/Indigo)
 

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