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12.02.2003
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RICHARD THOMPSON

Der musikalische Rucksack-Tourist

Richard Thompson
Es ist beinahe müßig, heutzutage noch über den Stellenwert von Richard Thompson zu philosophieren. Jemand, der - wie Richard - quasi alle Höhen und Tiefen im Rockbiz durchlaufen hat und dessen immense Popularität unter Kollegen sich in einer wahren Flut von Cover-Versionen seiner Songs und gleich mehreren Tribute-Alben manifestierte, braucht eigentlich niemandem mehr irgend etwas zu beweisen. Außer vielleicht sich selbst - was immer eine gute Triebfeder für kreatives Schaffen ist. Dennoch ist es eigentlich erstaunlich, dass Thompson nicht - wie so viele - das Heil im aufkochen der alten Lorbeeren (oder gar einer Unterstützung der von den Fans oft betriebenen Verklärung des Fairport-Convention-Erbes) sucht, sondern immer noch im musikalischen Konzept, was bei jeder Scheibe auch ein Stück Herausforderung mit sich bringt.

Sein aktuelles Album, "Old Kit Bag" zum Beispiel ist in dem Sinne ein Konzept-Album, als dass es ganz stringent als Band-Projekt konzipiert ist. "Diese Stücke sind nicht für den Solo-Vortrag gemacht worden", erklärt Richard, "es sind Songs für eine Band. Neben mir spielen Danny Thompson am Bass, Judith Owen, eine Nachbarin von mir, singt die Harmonien und Michael Jerome sitzt an den Drums." Des weiteren werkelt Richard zur Zeit an einem Solo-Album, bei dem er sich noch unschlüssig ist, ob er es überhaupt veröffentlichen soll - weil es um eine Sammlung von kurzen, introvertierten und atonalen Songs geht ("auf jeden Fall aber kein Easy-Listening"). Daneben arbeitet er stets an seinem Projekt "1 000 Years Of Popular Music" und ist natürlich nach wie vor ständig live unterwegs - mal solo, wie auf der anstehenden Tour mit Midnight Choir und Jackie Leven, mal im Duett mit seinem Freund, dem Bassisten Danny Thompson, der mit seinem akustischen Bass auch auf "Kit Bag" deutliche Spuren hinterlässt - oder eben mit Band. Langweilig wird es Richard Thompson jedenfalls nicht so leicht. Ein "Old Kit Bag" ist übrigens schlicht ein alter Rucksack. Was befindet sich denn darin? "Das ist eine gute Frage", lacht Richard, "was ist darin? Nun, der zugrunde liegende Song heißt 'Pack Up Your Troubles In The Old Kit Bag' und ist aus dem ersten Weltkrieg. Es ist praktisch ein Song darüber, lächelnd eine Tasse Tee zu sich zu nehmen, während die Bomben Dir auf den Kopf fallen und du bis zu den Knien in einem wassergefüllten Graben stehst. Es geht also darum, lächelnd durch Schwierigkeiten zu gehen. Und das ist das übergeordnete Thema des Albums. Nimm zum Beispiel den letzten Track 'Happy Days And Auld Lang Syne'. Es geht hier um diese Frau, die sich in der Situation befindet, dass ihr Mann sie während einer Party verlässt. Sie entschließt sich aber, mit der Party weiter zu machen, zu lächeln und vorzugeben, dass es nicht passiert sei. Es geht also um einen Kontrast zwischen dem, was passiert, und dem, was sie fühlt. Sie ist natürlich erschüttert." Der Inhalt des alten Rucksackes sind also nicht einfach die Lieder des Albums? "Man könnte das sagen", räumt Richard ein, "es braucht aber nicht so spezifisch zu sein." Gibt es denn auch einen musikalischen roten Faden, der sich durch das Album zieht? "Nicht wirklich", überlegt Richard, "weißt Du, wenn Du Songs schreibst, die in einer bestimmten Periode spielen, dann haben sie vielleicht etwas, was sie zusammenhält. Es gibt stilistische Übereinstimmungen. Diese Songs entstanden im Verlaufe eines Jahres und sie sind für die Band geschrieben. Das ist es aber auch schon. Es ist nicht wie bei 'Mock Tudor', bei dem es ja speziell um das Aufwachsen in London ging." Obwohl es auch einen Titel mit diesem Thema gibt: "Im Opener, 'Gethsemane' - was der Name einer Stadt ist, geht es um einen Jungen, der aufwächst", beschreibt Richard, "ich schrieb den Song über einen meiner Verwandten, der eine sehr idyllische und schöne Kindheit mit einer Menge Freiheit hatte. Als er älter wurde, kam dieser Kindheit nichts mehr nahe. Seine Familie hatte große Erwartungen an ihn, denen er nicht entsprechen konnte. Er wurde also desillusioniert und ein Außenseiter. Sein Leben war also ein Anti-Climax. Ich denke, dass ist bei vielen Jungen so."

Es gibt somit allerlei verschiedene Ansätze auf dem Album - neben Rock und Folk sind dies auch Pop-Elemente. Wie sieht denn jemand, der zum Beispiel "Oops, I Did It Again" von Britney Spears gespielt hat, die Pop Musik per se? "Nun, ich mache ja seit einiger Zeit diese Show '1000 Years Of Popular Music'. Da beginne ich etwa 1000 vor Christus und spiele mich dann in 1,5 Stunden bis 2001 durch", führt Richard aus, "es ist natürlich ein riesiger Bereich, es macht aber Spaß. Ein Teil des Spaßes rührt daher, dass ich nicht wirklich alle diese Stile spielen kann, Ich bin ja nicht wirklich qualifiziert Oper, Country Music oder antike Musik zu spielen. Aber ich bemühe mich so gut ich kann und das ist der Witz dabei: Ein Richard Thompson, dem es nicht wirklich gelingt. Und diese Show haben wir dann eben mit Britneys 'Oops…' beendet. Es ist ein guter Song, er gefällt mir. Ich finde zwar ihre Version ziemlich glatt und habe versucht das ein wenig erdiger hinzubekommen, aber im wesentlichen ist das ein guter schwedischer Popsong, denn soweit ich weiß, hat ihn ihr schwedischer Produzent in der Abba-Tradition geschrieben." Doch Richard macht nicht nur Spaß: Auf "Old Kit Bag" gibt es einen Song, der sich zumindest thematisch doch sehr von dem von Richard beschriebenen Szenario der zeitlichen Periode abgrenzt. In "The Outside Of The Inside" verdammt ein doch offensichtlich extremer Geist alle Errungenschaften der westlichen Kultur - von Charlie Parker bis Albert Einstein. Wer singt denn da? "Der Charakter, der hier singt ist wahrscheinlich ein religiöser Fundamentalist - es könnte z.B. ein amerikanischer christlicher Fundamentalist sein, oder auch ein Taliban - daran habe ich vor allem gedacht", erläutert Richard, "weißt Du, Fundamentalisten sind für mich ignorante Leute. Sie werden von selbstgefälligen Führern verführt, denen es im Prinzip darum geht, Macht über andere Leute zu haben." Ist das also Richards 9-11 Song? "Nachdem die Sache mit dem World Trade Center passiert ist, habe ich versucht zu verstehen, was Leute wie Al-Quaida oder die Taliban denken. Der Song ist mein Kommentar dazu. Es geht um Leute, die falsch informiert sind, die auf ihre Art eitel sind, die andererseits aber auch manipuliert werden und die man einer Gehirnwäsche unterzogen hat ... Ich mag auch Steve Earles 'John Walker's Blues' (über den amerikanischen Taliban-Kämpfer John Walker Lindh), es ist ein sehr guter Song." Dennoch lehnt sich dieser Song thematisch - zumindest für einen Engländer, auch wenn er in den USA lebt - doch recht weit aus dem Fenster. Wonach sucht denn heutzutage der Songwriter Richard Thompson? "Man muss Songs über Menschen schreiben, das steht schon mal fest", überlegt er, "du davon gibt es endlose Variationsmöglichkeiten. Ich weiß aber nicht, ob ich mich hinsetzen könnte und Songs - sagen wir mal - über Mädels schreiben könnte - oder über Politik. Es ist so: Teile der Songs erscheinen und man arbeitet sie aus. Nach einer Weile schaut man sich die Sachen an und sagt: Das passt hier hin und das passt dahin. Ich sortiere sie Songs in Stapeln und wenn dann genug zusammen passen, dann gibt's ein Projekt. Im Falle von 'Kit Bag' waren es eben Songs für ein Band-Album." Richard scheint ungewöhnlich oft über Frauen-Schicksale zu schreiben. "wenn Du schreibst musst Du zumindest versuchen, Dich in jedermanns Kopf versetzen zu können", umschreibt Richard dieses Thema, "ich denke, wenn Du empfindsam genug bist, dann kannst Du auch von der Warte einer Frau aus schreiben."

Richard Thompson
Wenn sich jemand wie Richard Thompson das heutige Musikgeschäft anschaut: Zu welchem Schluss kommt er denn da? (Insbesondere bedenkend, dass er zum Beispiel mit dem neuen Album zu einer eher kleinen Plattenfirma gegangen ist.) "Es ist in den letzten Jahren doch alles eher 'corporate' geworden. Vor zehn Jahren war das auch schon so - vor 40 Jahren war es besser", erklärt Richard seine Sicht der Dinge, "das Musik-Business wird heutzutage einfach vom Business und nicht von der Kreativität gelenkt. Das Ergebnis ist blasse Musik, in der sich recht wenig Aufregung erkennen lässt. Es bekommen nicht unbedingt die besten Leute einen Vertrag und es herrscht ein Klima, in der eine neue Band nur eine einzige Chance bekommt. Früher war das so, dass zum Beispiel Warner Bros. In den 60s sagten: 'Ja, wir haben ein gutes Gefühl' und man daran interessiert war, dass der betreffende ein talentierter Musiker war und man war bereit ihn aufzubauen - und er bekam sechs oder sogar zehn Chancen. Das ist natürlich ein Risiko. Aber man glaubte damals letztlich an das eigene Talent als A&R-Leute. Das ist heutzutage nicht mehr so, und ich glaube, dass aus diesem Grund die Labels vor großen strukturellen Änderungen stehen. Das war der Grund, warum ich bin zu Cooking Vinyl gegangen bin. Ich glaube nämlich, dass die großen Labels momentan schlicht nicht in der Lage sind, die meisten Musik-Stile zu vermarkten. Das schaffen die gerade noch die großen Acts wie Madonna oder so. Alle anderen sind, ehrlich gesagt, bei kleineren Labels besser aufgehoben. Wirklich!"

Weitere Infos:
www.richardthompson-music.com
www.thebeesknees.com/bk-rt-bi.html
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe-
Richard Thompson
Aktueller Tonträger:
The Old Kit Bag
(Cooking Vinyl/Indigo)
 

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